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Autobiografische Erzählungen über den Rückzug in die Natur und die Rückkehr zum einfachen Leben erleben gegenwärtig eine Hochkonjunktur. Das Faszinosum des Retreat in natürliche Zufluchtsorte abseits der urbanen Welt findet sich nicht nur in der Flut aktueller Ratgeberliteratur, sondern kommt vielfach auch in neuen Formen von Reiseberichten und autobiografischen Selbsterkundungen in der Natur prägnant zum Ausdruck. [...] Die semi-fiktionalen Darstellungen alternativer Lebensentwürfe verstehen sich oftmals als Gegenmodelle zur Modernisierung oder zur hochtechnisierten oder digitalisierten, konsumorientierten Lebenswelt. Dabei handelt es sich meist um Narrative des Rückzugs, die sich mit aktuellen Erprobungen des Nature Writing verbinden. Die intensiven Naturerfahrungen erhalten im Zeichen gegenwärtiger ökologischer Krisen häufig neue Bedeutungszuweisungen und eine gesteigerte Wertschätzung und fordern in ästhetischer und sprachlich-stilistischer Hinsicht experimentelle Formen heraus. Die autobiografische Schreibweise nimmt interessante Ausprägungen an, während neben den Selbstreflexionen und der Selbsterfahrung des Subjekts die Erkundung oder Wiederentdeckung eines Landschaftsraums ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt und beide Seiten eine enge wechselseitige Beziehung eingehen. [...] Dabei können die Autoren auf Vorbilder einer seit der frühen Neuzeit produktiven Naturdarstellung in unterschiedlichen Genres, insbesondere in der Lyrik, zurückblicken. [...] Die Darstellung von Einsamkeit in der Literatur wird allerdings von Anfang an von inhärenten Paradoxien begleitet, die sich bis in die Retreat-Literatur der Moderne und Gegenwart fortschreiben. [...] Die literarische Darstellung von Einsamkeitserfahrung, sei es als lyrische Evokation, sei es als Narrativierung des Rückzugs, tendiert dazu, zwischen unterschiedlichen Lebensmodellen zu oszillieren, und transportiert gewisse Aporien, die auch in ihren neueren Formen und Spielarten zu beobachten sind. Im Februar 2010 verlässt der Schriftsteller Sylvain Tesson, bekannt als 'poète-voyageur', seine Wohnung in Paris und bricht zu einer Reise in die Sibirischen Wälder auf, um die kommenden sechs Monate allein in einer Hütte am Ufer des Baikalsees zu verbringen. Während seines Sibirienaufenthalts hat der Autor nicht nur Aufzeichnungen für sein 2011 bei Gallimard erschienenes Buch "Dans les forêts de Sibérie" verfasst, sondern sich zudem immer wieder selbst gefilmt, seinen Tagesablauf über die Monate hinweg in einer filmischen Dokumentation festgehalten. Die Dreharbeiten und Regie hat Tesson demnach selbst übernommen, erst bei der späteren Verarbeitung und Montage des Materials unterstützte ihn Florence Tran. [...] Offenbar geht es dem Autor nicht zuletzt darum, die diversen Eindrücke während der Dauer seines Retreat sowie die damit einhergehenden Veränderungen seiner Psyche minutiös zu protokollieren. Die kontinuierliche Präsenz der Kamera lässt allerdings auch den Inszenierungscharakter der Hüttenerfahrung deutlich werden, während eine gewisse artifizielle Qualität der Lebens- und Schreibsituation kaum zu verkennen ist. Tessons Darstellungen bewegen sich von Anfang an in einem Spannungsfeld zwischen authentischer Erfahrung und ästhetischer Selbststilisierung. Die Suche nach der Extremsituation der Einsamkeit, der solitären Existenz und des Auf-sich-gestellt-Seins in der Wildnis wird zudem paradoxerweise von einer medientechnisch unterstützten Kommunikationssituation überlagert, die den französischen und internationalen Rezipienten später ermöglichen soll, an den Erfahrungen in der Einöde am Baikalsee zu partizipieren.
Der vorliegende Beitrag stellt einen Versuch dar, einige bio-zentrisch konzipierte Gedichte aus der Spätphase von Paul Celans Schaffen vom posthumanistischen Standpunkt her zu lesen. [...] Betrachtet man Celans Werk aus der Perspektive seines spezifischen 'nature writing', so lässt sich behaupten, dass verschiedene Elemente der außermenschlichen Natur zumindest ab dem Band "Sprachgitter" (1959) in seinen Texten eine sehr wichtige Rolle spielen. Während aber in diesem Band vor allem Bilder unbelebter Natur und geologische Schichten vom versteinerten Leben Celans poetische Landschaften mitgestalten, nehmen die bio-orientierten Referenzräume in seinem späteren Werk einen immer mehr vegetativen und animalischen Charakter an. Diese stilistische Gestik äußert sich nicht nur in der Hinwendung zu Pflanzen- und Tiernamen, die meist mit großer Kenntnis der Fachbegriffe einhergeht, sondern auch in Celans Vorliebe für Fachvokabular aus den Bereichen von Geologie, Botanik, Zoologie, Paläontologie etc. Textanalytisch ist dabei nicht bloß diese lexikalische Spezifik interessant, sondern ihre jeweilige Funktionalisierung in den einzelnen Gedichten, auf die im Folgenden eingegangen wird.
In ihrem Buch "Verzeichnis einiger Verluste" (2018) experimentiert die 1980 in Greifswald geborene Autorin und Buchgestalterin Judith Schalansky mit einer Reihe unterschiedlicher Schreibweisen und Textsorten, darunter auch, in dem Kapitel "Hafen von Greifswald", mit dem sogenannten Nature Writing, das heißt der nichtfiktionalen, literarisch anspruchsvollen Repräsentation von Natur. Da Schalansky das Verfahren in ihrem Prosastück gleichsam in Reinform vorführt, möchte ich ihren Text zum Anlass nehmen und als Bezugspunkt verwenden, um einige Aspekte des Nature Writings aufzuzeigen und zu diskutieren. Diese betreffen sowohl die formale Bestimmung wie die historische Kontextualisierung naturmimetischer Literatur nach der Romantik. Im ersten Abschnitt werde ich zunächst, noch ohne Bezug auf Schalansky, in groben Zügen die Vorgeschichte des Nature Writings, und zwar mit Blick auf das ästhetische Konzept von Landschaft, skizzieren. Im zweiten Abschnitt beschreibe ich anhand des Beispieltextes zentrale Schreiboperationen, Stilmittel und Vertextungsmuster, die in einem Nature-Writing-Text Naturpräsenz suggerieren. Im dritten Abschnitt möchte ich zeigen, wie sich das initiale Motiv des Nature Writings in Schalanskys Text darin abbildet und verdichtet, dass sich die Verfasserin auf eine bestimmte Weise an die Tradition der romantischen Landschaftsmalerei, verkörpert durch das Werk Caspar David Friedrichs, anschließt und zugleich von dieser abgrenzt. Hierbei rekurriere ich auf den, allerdings mehrdeutigen Begriff der Ekphrasis. Abschließend möchte ich noch kurz auf Einwände eingehen, die gegen das Nature Writing erhoben werden, und Hoffnungen ansprechen, die an das Genre anknüpfen.
Expansion in die Natur : zum Verhältnis von "ars" und "natura" bei Paracelsus und im Paracelsismus
(2005)
Wenn Paracelsus Naturwissenschaft oder magica als eine Handlung definiert, die "aus ihr", der Natur, ist, diese aber "mer, dan" ihr selbst "zu zu legen ist", steigert und "bessert", dann geschieht dies auf Basis aristotelischer Argumente, die im 13. Jahrhundert auf neuplatonische Weise so kombiniert werden, daß die aristotelischen Vorgaben mit der Vorstellung einer aktiven sympathetischen Teilhabe des Menschen am Kosmos harmonisieren. Diese Überformung wird in der Frühen Neuzeit noch einmal weiterentwickelt. Es sind die protestantische Mystik mit und gegen Luther und die Auslagerung ihrer häretischen Tendenzen in die Naturwissenschaft, die der Theorie von der Steigerung der Natur aus ihrer Mitte die Bedeutung einer wechselseitigen souverinen Teilhabe verleihen.
In diesem Aufsatz möchte ich den Zusammenhang zwischen pikturalen Kosmographien und kosmologisch argumentierenden Texten analysieren, die aus dem Bereich des Paracelsismus stammen, einem europaweit von Philosophen, Ärzten, Alchemikern und Literaten geführten Diskurs des 16. und 17. Jahrhunderts, dessen Gegenstand die Ars magica oder Magia naturalis ist, und der sich durch einen Rückgriff auf die Autorität Paracelsus legitimiert.
Der Beitrag 'Katastrophe als Metapher' von Chrsitoph Willmitzer beleuchtet das lyrische Werk Ewald Christian von Kleists unter dem Gesichtspunkt der metaphorischen Ausgestaltung von Affekten im Rahmen von literarischen Darstellungen von Naturkatastrophen und Kriegen. Willmitzer geht damit dezidiert auf den frühneuzeitlichen Kontext ein, der in Bezug auf das Katastrophale noch nicht von den Deutungs- und Diskursivierungsmustern geprägt ist, die nach dem Erdbeben von Lissabon 1755 dominant werden.
In diesem Beitrag möchte ich den Zusammenhang von Lebendigkeit und Unsterblichkeit in den Weltvorstellungen und Kunstwerken der frühen russischen Avantgarde in St. Petersburg genauer betrachten. Künstlerinnen und Künstler wie Pavel Filonov, Elena Guro, Nikolaj Kul'bin und Michail Matjušin teilten die Überzeugung, dass die Kunst ein Medium sein könne, die Strukturen des Kosmos in seinen sichtbaren materiellen wie seinen unsichtbaren nichtmateriellen und energetischen Aspekten zu enthüllen. Diese Künstler machten die Entwicklungsprozesse, Kräfte und Formen der Natur zum Modell ihres künstlerischen Schaffens; ihre organische Ästhetik wurde von ihren pantheistischen, neovitalistischen oder monistischen Anschauungen und vom Evolutionsgedanken beeinflusst. Sie verbanden unmittelbare Naturbeobachtung mit wissenschaftlichem Denken und mit einem starken Interesse an der Natur der menschlichen Seele sowie an psychophysiologischen Fragestellungen. Künstler wie Filonov, Guro, Kul'bin und Matjušin betrachteten den Menschen als integralen Bestandteil der Natur; sie waren überzeugt, dass das menschliche Dasein den Gesetzen der Natur unterworfen sei und sich ihre künstlerische Tätigkeit an den Gesetzen der Natur ausrichten müsse.
Rezension zu Horst Dieter Rauh: Heilige Wildnis. Naturästhetik von Hölderlin bis Beuys. München (Wilhelm Fink) 1998. 367 Seiten.
Das Vorwort des Verfassers vermerkt: "Dem Legitimationsschwund der Geschichtsphilosophien [...] entspricht das Vordringen eines im weitesten Sinne naturreligiösen Denkens". Und daraus folgt die Zuspitzung der These: "Im Fortgang der Säkularisierung der Kultur bietet sich Natur, verdichtet zur 'Wildnis', als letzte Zuflucht des Heiligen dar. Solche Sakralisierungsprozesse setzen mit Hölderlin ein, der das Schlüsselwort 'heilige Wildnis' prägte, und reichen über Nietzsches Dionysos-Komplex bis hin zur Remythisierung von Natur bei Joseph Beuys".
Ausgangspunkt folgender Überlegungen ist die These, dass neben der positiven Auffassung von der Natur als göttliche Schöpfung die Vorstellung einer bösen und feindlichen Natur das abendländische Denken durchzieht. Im Folgenden sollen Momente dieser Negativierung von Welt in einigen zentralen theologischen bzw. philosophischen Diskursen des Abendlandes kurz skizziert werden. Diese Gedanken bilden den kulturgeschichtlichen Hintergrund vor dem im zweiten Teil einzelne literarische Texte unter dem Aspekt der Ablehnung bzw. Dämonisierung der Natur untersucht werden.