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Irgendwann ist jede Revolution zu Ende. An die Stelle revolutionärer Unordnung tritt eine neue Ordnung. Wann das genau passiert, ist nicht einfach festzustellen. Das liegt nicht nur daran, dass die Forschung sich viel mehr für die Ursachen und Anlässe von Revolutionen interessiert. Es liegt auch daran, wie Revolutionen enden.
Die Folgen der französischen Vorherrschaft in Westdeutschland um 1800 sind ganz unterschiedlich bewertet worden. Manchmal schien der Verlust ‚nationaler‘ Selbstbestimmung entscheidend, so dass sie als düstere Jahre der Unterdrückung beschrieben wurden; manchmal stand der Aufbruch im Vordergrund, den die Modernisierung von Recht, Verwaltung und Wirtschaft, das Ende korporativer Autonomien und der Zuwachs an individuellen Mobilitätschancen zu ermöglichen schien. Auch im Bildungsbereich tritt beides vor Augen. Der Ersatz der ‚alten‘ Universitäten auf dem linken Rheinufer in Mainz und Köln durch neue Schultypen, zunächst Zentralschule und, in Köln, Sekundärschule, später durch preußische Gymnasien, ging mit zukunftsweisenden Reformen des Lehrplans und dem partiellen Abbau von Standesschranken einher. Zudem verzichteten die französischen Behörden auf die Verstaatlichung des bislang für die Bildung vorgesehenen Vermögens, und ermöglichten somit die Konsolidierung einer in Köln bis heute selbständigen Stiftung. Diese Neuordnung war aber zugleich Teil einer besatzungsähnlichen Politik, welche die in mancherlei Hinsicht erreichte Öffnung des höheren Schulwesens wieder einschränkte. Sie führte in beiden Städten zu vielen Jahren, in denen die Bürgerschaft auf den Komfort und das Prestige einer eigenen Universität verzichten musste: in Köln war das bis nach dem Ersten, in Mainz bis nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall. ...
In der Forschung zum 18. und 19. Jahrhundert gelten Vereine - zumal in Deutschland - meist immer noch als zentrale Bereiche einer im Prinzip liberalen und zukunftweisenden "Zivilgesellschaft", in der frei von repressivem staatlichem Einfluss und fern von überlebten korporativen Traditionen politische Aushandlungsprozesse im Rahmen einer liberalen Bürgergesellschaft erprobt werden konnten. Das Bild hat freilich einige Risse bekommen [1], die aber bislang eher als ehrwürdige Patina zu fungieren scheinen denn als Anzeichen für grundlegenden Restaurierungsbedarf. Die Arbeit von Stefanie Harrecker lenkt den Blick nun auf eine andere Art Verein, der in vielem wirkungsmächtiger war als die intensiv untersuchten stadtzentrierten liberalen Assoziationen. Der Landwirtschaftliche Verein in Bayern, der 1810 seine Tätigkeit aufnahm, war zwar formal ein privater Verein, wies aber von Anfang an enge personelle und finanzielle Beziehungen zum Staat auf, die sich im Laufe der Zeit eher intensivierten als abschwächten. Ziel des Vereins war einerseits die Produktionssteigerung der Landwirtschaft, etwa durch die Popularisierung neuer Anbaumethoden; andererseits verstand sich der Verein auch als Lobby der Landwirtschaft gegenüber der Regierung, und zwar sowohl im Parlament als auch im öffentlichen Raum, in dem er mit unterschiedlichen Publikationen präsent war. Der Verein hatte regionale Zweigstellen, engagierte sich im Bereich der landwirtschaftlichen Ausbildung, und richtete Feste und Feierlichkeiten aus (darunter das Oktoberfest), in deren Rahmen beispielsweise Vieh gezeigt und prämiert wurde. Angesichts der spannungsreichen Beziehungen zwischen Regierung und Parlament, Staat und Öffentlichkeit im Bayern des 19. Jahrhunderts war klar, dass auch der Landwirtschaftliche Verein keinen ganz stabilen Platz in der informellen Landesverfassung haben konnte. Anfang des 19. Jahrhunderts dominierte die Autonomie, die moderate oppositionelle Tendenzen (die freilich zum guten Teil aus der Verwaltung kamen) einschließen konnte. Das galt vor allem im Rahmen der Diskussion über die Abschaffung des 'Feudalsystems', also die Veränderung der Besitz- und Abhängigkeitsverhältnisse in ländlichen Regionen. Nach intensiver Verwicklung in die politischen Intrigen der frühen 1830er Jahre geriet der Verein, der damals unter Mitgliederschwund litt, unter stärkere staatliche Aufsicht. Diese trug mit dazu bei, dass der Verein 1848/49 die Chance verpasste, zum Sprachrohr der Veränderung zu werden; stattdessen fügte er sich in das Programm der Stärkung eines partikularen Profils Bayerns, das Maximilian II. verfolgte. Selbst Ludwig II. interessierte sich noch hinreichend für den Verein und seine öffentliche Wirkung, so dass er sich für eine Präsentation von preisgekrönten Tieren vor allen Festbesuchern, nicht nur vor den Fachleuten, einsetzte. Die Reichsgründung von 1870 bedeutete zwar nicht das Ende des Landwirtschaftlichen Vereins, wohl aber das seiner herausragenden Bedeutung; die Integration in ein deutsches Netzwerk landwirtschaftlicher Vereine endete mit weitgehendem Relevanzverlust. Die Frage, ob der Verein seinen selbst gesteckten hohen Zielen gerecht wurde, ist nicht ganz leicht zu beantworten. Die Publikationen, die populär waren, waren selten die innovativsten. Überhaupt gab es immer wieder Gelegenheit, über Sinn und Aufgaben des Vereins zu streiten, etwa wenn es darum ging, die Rolle von Festen und Fachmessen abzuwägen. Manche spektakuläre Aktionen (so der Plan, Seidenraupen in Bayern anzusiedeln) gehörten in ihrer praktischen Wirkung nicht gerade zu den Sternstunden der Agrarökonomie. Dagegen spielte der Verein eine erhebliche Rolle bei der Etablierung landwirtschaftlicher Forschungs- und Lehreinrichtungen und bei der Mobilisierung staatlicher Zuschüsse für solche Zwecke. Er engagierte sich für die Belange der bäuerlichen Bevölkerung und bemühte sich - trotz einer erkennbaren München-Fixierung - um eine flächendeckende Versorgung des Landes mit Bibliotheken und lokalen Vereinen. Stefanie Harreckers Buch liefert einen mustergültig recherchierten, abgewogenen Einblick in das Leben eines nicht ganz dem konventionellen Bild entsprechenden Vereins, der zwischen privatem Klub, wissenschaftlicher Gesellschaft und Lobby angesiedelt war. Dabei kommen sowohl die kleinen Vereinsquerelen zur Sprache als auch die Rolle des Vereins im Kontext der landwirtschaftlichen Entwicklung - insofern handelt es sich bei diesem sehr lesenswerten Buch um einen herausragenden Beitrag zur Vernetzung der allgemeinen mit der viel zu stark vernachlässigten Agrargeschichte. Anmerkung: [1] Etwa durch Eckhart Trox: Militärischer Konservativismus. Kriegervereine und "Militärpartei" in Preußen zwischen 1815 und 1848/49, Stuttgart 1990. Redaktionelle Betreuung: Peter Helmberger
Hans von Hentig war ein impulsiver Abenteurer mit wenig Respekt vor Autorität. Und er war ein extrem schreibfreudiger Wissenschaftler, der zu den Begründern einer modernen, durch die Verbindung juristischer und medizinisch-psychologischer Kenntnisse und Zugänge bestimmten Kriminologie gehörte. Hans von Hentig wurde 1887 als Sohn des Rechtsanwalts Otto Hentig geboren. Dieser hatte zunächst in Berlin praktiziert, bevor er als Spezialist für Wirtschaftsrecht 1893 zum Verwalter der Güter Karl Egon IV. zu Fürstenberg und 1900 zum Staatsminister des Herzogtums Sachsen Coburg und Gotha wurde; letzteres Amt brachte der Familie die Nobilitierung ein. ...
Stéphane Dufoix schreibt im Vorwort, das vorliegende Buch (das in etwas kürzerer Fassung 2003 auf französisch in der Reihe "Que sais je" erschien) habe "a somewhat schizophrenic character". Es handele von "Diaspora", sei aber von einem Autor verfasst, der an die Nützlichkeit von Diaspora als Forschungsbegriff nicht glaube. Nach der Lektüre von rund 100 Seiten luzidem und konzisem Text weiß man garantiert etwas über Diaspora, was man vorher nicht gewusst hat, und man wird vermutlich die Skepsis des Autors im doppelten Sinne teilen: gegenüber der Nützlichkeit des Begriffs als analytischem Instrument, und gegenüber der Annahme, dass der Begriff bald durch andere ersetzt werden wird. ...
Im Jahr 1921 kam ein 16-jähriger, ursprünglich aus der Ölstadt Baku stammender jüdischer Reisender namens Lev Nussimbaum in Konstantinopel an. Lev wurde 1905 als Sohn eines Ölunternehmers und einer Mutter mit bolschewistischen Neigungen geboren. 1917 ergriffen Lev und sein Vater – die Mutter war um 1911 gestorben, möglicherweise durch Selbstmord – die Flucht. Ihre Reise führte über Turkmenistan und Persien zunächst in die Türkei, dann nach Frankreich, schließlich in das Deutschland der Weimarer Republik. Dort entdeckte der fast mittellose Student einen Markt für Artikel und (ab 1929) Bücher über den Orient, den er als ›echter‹ Araber bediente. »Essad Bey«, wie er sich seit etwa 1924 nannte, erlangte mit einer Fülle von Publikationen, darunter Biographien Mohammeds und Stalins, internationale Bekanntheit, bis die Machtergreifung der Nationalsozialisten seine Lage prekär machte. Denn die falsche Familiengeschichte des Konstrukts Essad Bey, dessen Vater angeblich Mohammedaner und dessen Mutter angeblich eine christliche Adelige waren, wurde nun durch missgünstige Konkurrenten genau untersucht und drohte als Fälschung entlarvt zu werden. Während Nussimbaums jüdische Ehefrau nach Amerika auswanderte und sich dort scheiden ließ, ging er selbst zunächst nach Wien, wo er 1937 als »Kurban Said« das später in Aserbeidschan als Nationaldichtung betrachtete Buch »Ali und Nino« verfasste, dann nach Italien, wo er 1941 an einer Wundinfektion starb. ...
Die politische Geschichte der Stadt London im 19. Jahrhundert ist in den letzten Jahren nicht besonders intensiv behandelt worden. Ähnlich wie die Geschichten anderer Metropolen in der Moderne legen neuere Überblicke und Spezialstudien [1] für diese Jahre den Schwerpunkt auf eine kultur- und gesellschaftshistorische Perspektive, die sich mit dem Ausbau städtischer Infrastruktur, der symbolischen Sprache bebauter Räume und der Stadterfahrung im weitesten Sinne beschäftigt. Das hat eine historiografische Lücke hinterlassen, zu deren Schließung der vorliegende Band einen gewichtigen Beitrag leistet. Die Politik Londons zu beschreiben setzt allerdings voraus, dass es gelingt, londonspezifische Strukturierungsprobleme zumindest in den Griff zu bekommen. Wie das englische politische System insgesamt, so war auch der politische Raum London durch eine gewisse Unübersichtlichkeit geprägt, die es schwer macht, eine politische Gesamtgeschichte zu identifizieren, geschweige denn, einfach so zu erzählen. Im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert zerfiel London in die Parlamentswahlkreise Westminster, City of London, Southwark und Middlesex; der Einfluss der Metropole strahlte allerdings auch nach Kent und Essex aus. Die Wahlrechtsreform von 1832 erweiterte die Zahl der Londoner Wahlkreise erheblich. Mit den Reformen der Lokalverwaltung Ende des 19. Jahrhunderts und dem weitestgehenden Übergang zu Ein-Mann-Wahlkreisen 1885 kamen neben den neuen Wahlbezirken eine Londoner Gesamtverwaltung, die Gemeinden innerhalb der Grenzen der Metropole (boroughs) und formal unabhängige Städte wie Walthamstow in Greater London hinzu, welche die bisherige Mischung aus Gemeindeverwaltung (vestries) und Gremien für spezifische Zwecke (vornehmlich das für die Infrastruktur zuständige Metropolitan Board of Works) ablösten. Jeder Wahlkreis und jede Institution der Lokalverwaltung hat eine eigene, komplexe Geschichte; gerade diese Vielfalt trug entscheidendes zur politischen Vitalität Londons bei und stellt daher auch eine unverzichtbare Facette des Gesamtbilds dar. Der Sammelband strebt vor diesem Hintergrund nicht an, eine politische Geschichte der Gesamtmetropole zu skizzieren, sondern liefert in zehn Artikeln, die von einer ausführlichen Einleitung und einem Schlusskapitel, in dem weitere Forschungsperspektiven skizziert werden, eingerahmt sind, erste methodische und inhaltliche Annährungen an zentrale Fragen, welche eine solche Gesamtgeschichte behandeln müsste. Ein großes Thema des Bandes sind die Eigenarten, der Aufstieg und der Niedergang des Londoner Radikalismus. Matthew McCormick argumentiert, dass es weniger Sinn mache, von einem kohärenten radikalen Programm zu sprechen, als von einer Rhetorik der "Unabhängigkeit", die sich (nur) in der Gegnerschaft gegenüber den Zumutungen des Staates überschnitt. David A. Campion widmet sich der Frage, wie die Metropolitan Police zu der relativ zivilen, auf Deeskalation von Konflikten eingestellte Polizeikraft werden konnte, als die sie sich im späteren 19. Jahrhundert zumeist präsentiert. Er stellt klar, dass dies zum Zeitpunkt der Gründung keineswegs feststand, sondern Folge der Untersuchung von Missbräuchen durch die parlamentarische und breitere Öffentlichkeit im Rahmen von zwei 1833 eingerichteten Untersuchungskommissionen war, welche die Polizei von eher autoritären Wurzeln aus liberalisierten. Drei Aufsätze beschäftigen sich mit der viel diskutierten Frage, ob und wenn ja warum der Londoner Radikalismus im Laufe des 19. Jahrhunderts an Unterstützung verlor. Ben Weinstein dokumentiert, dass das Russel'sche Sozialreformprogramm in London durchaus auf breite Sympathie stieß. Anthony Taylor präsentiert die andauernde Vitalität Chartistischer Vereine in London nach 1848, während David Nash ein Panorama säkularistischer Vereine entwirft. Es scheint also, dass ein abschließendes Urteil in dieser Frage noch weiterer Forschungen bedarf. Eine globalere Perspektive zeichnet die Beiträge von Detlev Mares und Marc Baer aus. Mares diskutiert die Beziehungen und Spannungen zwischen der liberal-radikalen "Opposition" in London und der Provinz. Dabei werden die Gründe für die Vitalität der Opposition in London besonders deutlich, die sich auf ein breites Publikum, eine vitale Presse und symbolische Orte wie die königlichen Parks stützen konnte. Diese Vormachtstellung wurde zwar in der Provinz gelegentlich kritisiert, aber im Allgemeinen doch anerkannt. Baers Beitrag schildert die Londoner Wende zum Konservatismus am Beispiel des Wahlkreises Westminster in einer längeren Perspektive, die gewisse konservative potenziale bereits in Paradoxien des Radikalismus um 1800 angelegt sieht. Die abschließenden Beiträge widmen sich dem Konservatismus, der London im späten 19. Jahrhundert anerkanntermaßen weitgehend dominierte. Marc Brodies Studie des konservativen Wahlerfolgs in Londoner "Slums" macht deutlich, dass die konservativen Basen im East End eher durch relativ großen Wohlstand als durch Armut gezeichnet waren, und dass religiöse Bindungen oft die entscheidende, allerdings in ihrer parteipolitischen Ausrichtung von Bezirk zu Bezirk variierende, Rolle spielten. Alex Windscheffel beschäftigt sich anhand konkreter Beispiele mit der Rolle des Empire für konservative Wahlerfolge in London. Während er die spannende Wahl nicht-weißer, nicht in England geborener Parlamentsmitglieder in Londoner Wahlkreisen relativ kurz darstellt, er handelt er ausführlich von Wahlniederlage und Wahlsieg des Abenteurers und Entdeckers Henry Morton Stanley in Lambeth, die zeigen, wie umstritten das imperialistische Projekt auch in der Hauptstadt des Imperiums blieb. Timothy Cooper schließlich richtet den Blick noch einmal über die Stadtgrenzen hinaus, wenn er die politische Ausrichtung einer typischen Boom-Vorstadt wie Walthamstow in den Blick nimmt. Insgesamt handelt es sich bei dem Band um eine Sammlung konziser Aufsätze zu präzisen Themen der Londoner Stadtgeschichte (und darüber hinaus), welche die thematische und methodische Richtung - wie die entsprechenden Probleme - einer künftigen Londoner Politikgeschichte aufzeigen. Anmerkung: [1] Vgl. Francis Sheppard: London: A History. Oxford 1998; Peter Ackroyd: London: The Biography, London 2001; Jonathan Schneer: London 1900: The Imperial Metropolis, New Haven 2001. Redaktionelle Betreuung: Peter Helmberger