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Der Tagungsvortrag von Herrn Pilch, und noch mehr dessen Ausarbeitung in diesem Band, weist im Verhältnis zu seinem Buch eine klarere Ausrichtung auf die rechtshistorische Problematik auf. Die doppelte Fragestellung gegenüber dem modernen Normbegriff und der mittelalterlichen Rechtsgewohnheit wurde zu Gunsten einer Konzentration auf die letztere reduziert. So steht die Thematik jetzt viel deutlicher vor uns. Ich kann mich deshalb darauf beschränken, einige grundsätzliche Probleme noch einmal aus meiner Sicht anzusprechen und schärfer zu beleuchten. ...
Einführung
(2010)
Das Zustandekommen der hier vorgelegten Beiträge zum Thema "Rechtsgewohnheiten" bedarf einer kurzen Erläuterung. Von dem Buch Martin Pilchs, dessen – nun hier ausgearbeitet vorliegender – Vortrag die ebenfalls in überarbeiteter Form wiedergegebene Diskussion einleitete, ging ein unerwarteter und ungewöhnlicher Anstoß für die Zunft der Rechtshistoriker und Historiker aus. Ein österreichischer Ministerialbeamter mit rechtstheoretischer Schulung, der aber auch Physiker und Mathematiker ist, wendet sich einer normtheoretischen Studie zu. In ihr spielt die mittelalterliche ungelehrte, weitgehend orale Rechtstradition als Forschungsfeld eine wichtige Rolle als Gegenbild zu einem einseitigen modernen Normverständnis. Innerhalb dieser Diskussion setzt sich Pilch intensiv, und von der Seite der Theorie kommend kritisch, mit einer rechtshistorischen Diskussion der letzten Jahrzehnte um den Begriff der Rechtsgewohnheit auseinander; er bezieht aber auch neue Erklärungsmodelle der Mittelalterhistoriker zu den Formen ritueller Konfliktbeilegung in der politischen Führungsschicht von Adel und Königtum (Gerd Althoff), sowie Erklärungsversuche vom Konzept der Ordnungskonfigurationen her (Stefan Weinfurter, Bernd Schneidmüller) in seine Überlegungen mit ein. ...
Wenn hier in diesem Michael Stolleis gewidmeten Heft über die Sicht der rechtshistorischen Mediävistik auf Entstehung und Geschichte des öffentlichen Rechts gehandelt werden soll, so ist es nicht nur naheliegend, sondern geboten, von seiner »Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland« auszugehen. Michael Stolleis hat einen methodischen, zeitlichen und inhaltlichen Ansatz gefunden, der schon deshalb überzeugend ist, weil er eine Darstellung über drei, bald vier Bände zu tragen vermag und damit einen neuen Zweig der Rechtsgeschichte begründet hat. Wissenschaftliche Fragestellung und Methoden müssen vor allem ihre Fruchtbarkeit bei der Arbeit, neue Erkenntnisse zu gewinnen, erweisen: Das ist die Probe auf ihre Dignität. ...
Eine erstaunliche Tatsache: Ein amerikanischer Rechtswissenschaftler, im Denken des common law geschult, dann hervorgetreten vor allem mit Studien zur Rechtsvergleichung und zum Recht der Sowjetunion, schreibt in vorgerückten Jahren ein umfassendes Werk über die mittelalterlichen Ursprünge der Rechtstradition des Westens. Diese verankert er in jenem politisch-religiösen Konflikt, den wir einmal unter dem Begriff "Investiturstreit" kennen gelernt haben. Inzwischen wird er als Vorspiel der "Renaissance des 12. Jahrhunderts" gesehen. Für Berman handelt es sich jedoch um die "päpstliche Revolution", the Papal Revolution. Diesem Band "Law and Revolution" von 1983 hatte Berman im hohen Alter 2003 noch einen zweiten mit dem gleichen Titel folgen lassen, dessen Gegenstand ebenfalls im Untertitel genauer umschrieben wird: "The impact of the protestant reformations on the Western legal tradition". ...