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In einem modernen Staat finden immer wieder Gedenkveranstaltungen unterschiedlichster Art statt. Man will sich schöner und weniger schöner, beglückender und traumatischer Ereignisse erinnern, um daraus sich selbst und der Welt ein Wir- Gefühl und ein Selbstbild zu präsentieren. In diesem Sinn wurden am 8. Mai 1985 und am 8. Mai 2005 Gedenkveranstaltungen im Plenarsaal des Deutschen Bundestages abgehalten; Hauptredner waren die jeweiligen Bundespräsidenten, 1985 Richard von Weizsäcker, 2005 Horst Köhler. Beide Reden - sie werden Gegenstand der nachfolgenden Analysen und Interpretationen sein - sind heute im Internet leicht abrufbar: Die Rede von Weizsäckers habe ich von der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung, die Rede Köhlers vom Internetauftritt des Bundespräsidialamtes bezogen. Die beiden Texte, die mir in dieser Form zugänglich wurden, werde ich nun beschreiben.
Friede den Hütten! Krieg den Palästen!
Im Jahre 1834 siehet es aus, als würde die Bibel Lügen gestraft. Es sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am fünften Tage und die Fürsten und Vornehmen am sechsten gemacht, und als hätte der Herr zu diesen gesagt: 'Herrschet über alles Getier, das auf Erden kriecht', und hätte die Bauern und Bürger zumGewürm gezählt. Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag: sie wohnen inschönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und redeneine eigne Sprache; das Volk aber liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker. DerBauer geht hinter dem Pflug, der Vornehme aber geht hinter ihm und dem Pflug und treibt ihn mit den Ochsen am Pflug, er nimmt das Korn und läßt ihm die Stoppeln. Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag; Fremde verzehren seine Äcker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß ist das Salz auf dem Tische des Vornehmen.
Mit dieser rhetorischen Fanfare beginnt der Hessische Landbote, jene politische Flugschrift, die Georg Büchner 1834, noch vor seinen eigentlich literarischen Werken, veröffentlichte. Es ist der Text in Büchners Werk, in dem die biblischen Bezüge am deutlichsten sind, wie in der zitierten Passage nicht nur die explizite Erwähnung der Bibel im ersten Satz und die deutliche Anspielung auf Jesaja 1.7 "Fremde verzehren eure Acker vor euren Augen" zeigt. Auch der gesamte Tonfall, jene Mischung von Vehemenz und Anschaulichkeit, die den Landboten insgesamt auszeichnet, ist biblisch geprägt. Allerdings wissen wir nicht einmal sicher, ob dieser zitierte Anfang von Büchner stammt, denn der Landbote hat zwei Autoren: Georg Büchner und Friedrich Ludwig Weidig, der einen nicht überlieferten Entwurf von Büchner überarbeitet und ergänzt hat, so dass am Ende kaum zu sagen ist, wer hier was geschrieben hat.
This study attempts to determine what methodological approach is suitable for studying speeches about Germanness that were written in Germany in the 1980s. The corpus of the speeches was chosen to cover multiple areas and disciplines. It includes literary, political and historiographical speeches authored by G. Grass ('Geschenkte Freiheit'), M. Walser ('Über Deutschland reden'), R. von Weizsäcker ('Der 8. Mai 1945'), E. Nolte ('Vergangenheit, die nicht vergehen will') and H. Lübbe ('Der Nationalsozialismus im Bewußtsein der deutschen Gegenwart'). The study illustrates the limitations of the ideological and purely disciplinary methodological approach. Instead it seeks a starting point for an analysis which proceeds in an intertextual and interdisciplinary manner.
Daß die Poetik des Barock gänzlich von der rhetorischen Theorie determiniert sei, scheint zum gesicherten Wissensbestand der germanistischen Literaturwissenschaft zu gehören. Seit der Wiederentdeckung der Rhetorik in den 60er Jahren ist diese diszipilnäre Dominanz der Beredsamkeit über die Dichtung in zahlreichen Arbeiten bestätigt worden. Poesie gilt in der Forschung als "gebundene Rede" (oratio ligata), die von der rhetorischen Kunstprosa (der oratio soluta) nur durch ein formales Element, die Ligation, unterschieden sei. Joachim Dyck hat in seiner Arbeit über die barocke Ticht-Kunst (1966), die gleichsam als "Initialzündung" für die eben geschilderte Auffassung von einer weitgehenden Identität von Poesie und Kunstprosa gelten kann, diese Sicht mit Nachdruck vertreten; die Rhetorik beschränke sich im 17. Jahrhundert »keineswegs, wie oft angenommen wird, auf den engen Raum der Gerichts-, Beratungs- oder Lobrede. Ihre Macht zeigte sich überall da, wo es um sprachkünstlerische Darstellung ging. Sie nahm daher auch die Poetik unter ihre Schirmherrschaft, gab ihr Form und Gehalt und ließ dieser Sondergattung rhetorischen Schrifttums nur wenig Eigenständigkeit.« Im Unterschied zu diesem monokausalen Modell einer einfachen Subordination der Poetik unter die dominierende Rhetorik schlagen die nachfolgenden Ausführungen ein komplexeres Modell vor, das die Rolle der Rhetorik als konstitutives Element der frühneuzeitlichen Poetik nicht ignoriert - zugleich allerdings deutlich macht, daß sich die Überlegungen der frühneuzeitlichen Literaturtheoretiker keineswegs in einer einfachen Adaptation der klassischen Rhetorik erschöpften und sich die These von der weitgehenden Identität von Rhetorik und Poetik somit als eine allzu simplifizierende Sicht auf die poetologischen Reflexionen erweist. In diesem Sinne hat die anglistische und romanistische Forschung den geradezu "synkretistischen" Charakter der frühneuzeitlichen Poetiken herausgehoben. Kennzeichnend für die Bemühungen der Zeitgenossen sei demnach gerade nicht der monolithische Anschluß an eine einzige Tradition - die der klassischen Rhetorik -, sondern die Integration verschiedener heterogener antiker Theoriestömungen. Mit Blick auf die "Fusion" aristotelischer und horazianischer Elemente im 16. Jahrhundert hat dies etwa Marvin T. Herrick in einer grundlegenden Arbeit untersucht. Diese pluralistische Sicht läßt sich auch auf die Situation innerhalb der deutschen Barockpoetik übertragen. Hier integrieren die Theoretiker zwei einander widerstrebende antike Auffassungen vom Wesen des Dichters und des dichterischen "Schaffens"-Prozesses: Einerseits die wesentlich auf rhetorischen Grundlagen fußende Auffassung vom Dichter als "artistisch-technischem" Handwerker (poeta faber) , andererseits diejenige vom Poeten als "begeistertem" Dichter-Priester (poeta vates). Wie zu zeigen sein wird, gelangt mit der Intergration einer solchen Vorstellung von der "Inspiration" als (alleiniger) Ursache des Dichtens in einen rhetorik-determinierten humanistischen Kontext ein subversives Element in die Dichtungstheorie, das um 1700 schließlich zur Selbst-Dekonstruktion des Konzepts der frühneuzeitlichen Norm-Poetik führen wird. Der folgende Beitrag versucht, diese Geschichte anhand der drei wesentlichen Stationen zu erzählen, den antiken und frühneuzeitlichen Grundlagen (2.), der Integration "begeisterter" und "rhetorischer" Elemente in die humanistische Barockpoetik (3.), schließlich die aporetische Situation in der "galanten" Poetik um 1700 (4.). Eine wissenschaftsgeschichtliche Einleitung (1.) versucht zu klären, wie es überhaupt zu dem Konzept einer gänzlich durch die Rhetorik bestimmten Poetik kommen konnte.
Den Traditionsbruch der Rhetorik im 18. Jahrhundert und die Verlagerung ihrer Wissensbestände in andere Disziplinen hat die jüngere Forschung detailliert untersucht. Was das Verhältnis der Rhetorik zu Theologie und Religion betrifft, so konzentrieren sich die Darstellungen häufig auf die Feststellung, der Pietismus habe die Lehre von den Affekten (vom movere und delectare) isoliert, was, verkürzt gesagt, die Entstehung sowohl der Ästhetik wie der Erfahrungsseelenkunde beförderte. Dagegen gelte für die der Ironie verwandten, in den Poetiken, Politik- und Klugheitslehren verwendeten technischen Termini der Simulation (Vorspiegelung des Falschen) und Dissimulation (Verbergung des Wahren), dass sie durch die Codes der Aufklärung (Mensch-Schauspieler, Natürlichkeit-Künstlichkeit, Innerlichkeit-Äußerlichkeit) ihre Selbstverständlichkeit als Mittel der Selbstdarstellung und Selbsterhaltung verloren hätten. Als probates Mittel der höfischen und Ständegesellschaft seien Methoden der Vortäuschung und Verstellung moralisch und politisch desavouiert worden, da sie dem Ideal körpersprachlicher Unmittelbarkeit einerseits, rationaler Argumente und Überzeugungen, aufrichtiger moralischer Intention und einer Sprache unverzerrter Mitteilung andererseits widersprachen. Täuschung und Verstellung lebten in Folge der aufklärerischen Kritik vornehmlich in Theorien des Theaters weiter. In der Theologie dagegen fände das Ideal unverstellter Authentizität seinen Ausdruck zum Beispiel in Lavaters theologisch interessierter Physiognomie. Dem steht zunächst der Befund gegenüber, dass seit dem 18. Jahrhundert gerade in den zentralen Debatten um Religion und Theologie das Spiel mit Maskierungen und Demaskierungen, Verschleierungen und Entschleierungen, Verhüllungen und Enthüllungen (die tatsächlich auf das Theaterregister verweisen, aber zugleich literalisiert werden) ubiquitär ist.
Der vorliegende Beitrag möchte die Perspektiven einer solchen akteursorientierten Diskursanalyse aufzeigen. Die Akteure stellen nämlich diejenige "Kraft" dar, die den Diskurs ins Leben ruft, diesen formuliert und dynamisiert. Auf die Lexik ausgerichtete Untersuchungen fokussieren in erster Linie auf die sprachliche Oberfläche, d.h. etwa auf Fahnenwörter, Schlüsselwörter oder auf die Metaphorik. Diese können jedoch erst als Endprodukte der sprachlichen Tätigkeit der Akteure betrachtet werden, in denen sich deren Motivationen, Meinungen, Positionierungen und Einstellungen konstituieren. Akteursorientierte Analysen möchten hingegen auch den Hintergrund beleuchten: die Ebene der Argumentation, die Topoi, die im Diskurs in konkreten Sprachgebrauchsmustern sich materialisieren. Diese Muster sind als kollektive Denkmuster zu betrachten, die einer Gemeinschaft im kollektiven Gedächtnis zur Verfügung stehen. Als kollektiv gespeichertes und durch die Sprache zugänglich gemachtes Wissen prägen sie das Weltbild der jeweiligen Sprachgemeinschaft. Das bedeutet zugleich, dass der Sprache eine fundamentale Rolle als wissensstiftendes Medium zukommt. Sie bestimmt, wie die Welt wahrgenommen und daraus Faktizität hergestellt wird. Ferner heißt das auch, dass Diskurse zugleich als Orientierungsrahmen dienen. Sie stellen den Sprachbenutzern Wissensbestände zur Verfügung, die sowohl bei der Deutung von Ereignissen und Entitäten eine kognitive Basis bilden, als auch eine Struktur anbieten, in die neue Kenntnisse integriert werden können.
"Concordia domi, foris pax" : zur sprichwörtlichen Mehrsprachigkeit der Rhetorik Helmut Schmidts
(2016)
In den zahlreichen Büchern Helmut Schmidts, die in Sammelbänden auch seine Interviews, Reden und Aufsätze enthalten, spielen fremdsprachliche Phraseologismen eigentlich nur eine kleine Rolle. Dieser Beitrag enthält im Prinzip alle aufgefundenen Belege, was deutlich zu erkennen gibt, dass Helmut Schmidt im Vergleich zu Otto von Bismarck und Willy Brandt seine lateinischen und englischen Sprachkenntnisse weniger unter Beweis stellt. Französisch fehlt wegen seiner Unkenntnis der ehemals so bedeutenden Diplomatensprache fast völlig, während sich die beiden aussagekräftigen lateinischen Sprichwörter "Concordia domi, foris pax" und "Salus publica suprema lex" als gewichtige Leitmotive der politischen Rhetorik Schmidts erweisen. Erwartungsgemäß vertritt die moderne lingua franca des Angloamerikanischen die Mehrsprachigkeit Schmidts am deutlichsten. Zusätzlich zu englischen Zwillingsformeln und Redensarten kommt es hier in der Tat zu einer Reihe von englischen und amerikanischen Sprichwörtern, die eine erhebliche kommunikative Funktion übernehmen. Zweifelsohne hätte Schmidt deutschsprachige Äquivalente finden können, doch will er offensichtlich seine Betrachtungen zur politischen Situation in Deutschland, Europa und der Welt durch angloamerikanische Sprichwortweisheiten international untermauern. Dafür gab es vormals Latein und Französisch, doch hat nuneinmal die englische Weltsprache diese Rolle im modernen Zeitalter übernommen.
Der Euphemismus ist eine rhetorische Figur, mit der man unangenehme Sachverhalten schonend und beschönigend darstellen will. Der Euphemismus kann aber auch zum Ausdruck einer sprachlichen Gewalt werden, wenn damit Formen der Verschleierung und Immunisierung einhergehen, die jede kritische Auseinandersetzung nicht nur erschweren, sondern nahezu unmöglich machen. Liegt die Absicht des Euphemismus darin, etwas als gut darzustellen, hat man es schwer, dieses Gute zu kritisieren, ohne in den Verdacht zu geraten, selbst böse zu sein. Im Kontext moderner Bildungsreformen ist der Euphemismus zu einer universellen Strategie geworden, die es überhaupt erst erlaubt, bestimmte Dinge, die ansonsten am Einspruch der Vernunft oder der Erfahrung scheitern müssten, dennoch durchzusetzen. Begriffe wie Kompetenz, Inklusion, Individualisierung, Evaluation, Effizienz, Praxisorientierung, Exzellenz oder Internationalisierung gehören zu diesen Euphemismen, die im Folgenden einer exemplarischen Betrachtung unterzogen werden sollen.