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Die Szenographie der Zeugenschaft zwischen systematischer und kulturgeschichtlicher Perspektive
(2017)
Ausgehend von einer kritischen Bilanz der in den mittlerweile etablierten 'Testimony Studies' jüngst entstandenen Entwicklungen (insbesondere in der Literatur- und in der Kulturwissenschaft) untersucht Aurélia Kalisky den heuristischen Wert eines Grundmodells von Zeugenschaft, der in der Lage ist, kulturhistorische und systematische Perspektiven zu vereinen. Dabei wird der Begriff des 'Szenariums' durch den der "Szenographie der Zeugenschaft" untermauert. Dieses Modell der 'Szenographie' geht vom Befund einer Fragmentierung der Zeugnisformen und -konzepte aus, die aus der für jede historische Konstellation charakteristischen Spaltung von unterschiedlichen Wahrheitsformen resultiert. Das Denkbild der ‚Szenographie‘ erlaubt eine Darstellung der Akteure von Zeugenschaft innerhalb einer gegebenen Wissens- und Wahrheitsordnung und verdeutlicht darüber hinaus den Parallelismus zu ähnlichen Konstellationen. Als dynamisches Modell ermöglicht es, eine Entwicklung der Zeugnisformen darzustellen, die zugleich aus Brüchen und Kontinuitätslinien besteht, ohne dabei die kulturgeschichtlichen blinden Flecken sowie die epistemologischen Aporien, die durch die gängigen Typologien und Paradigmen von Zeugenschaft entstehen, zu reproduzieren. Der heuristische Wert der 'Szenographie' wird abschließend am Beispiel eines literarischen Textes deutlich: In "Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch" von Danilo Kiš wird der Zeuge und sein Bezeugen als prekäre Verhandlung der Wahrheit dargestellt, wobei das Bekenntnis des verfolgten Gläubigers im Mittelalter und das Bekenntnis des zu Unrecht angeklagten Opfers politischer Gewalt im 20. Jahrhundert verwirrende sowie fruchtbare Parallelismen aufweisen.
Wie keine andere kulturelle Handlung spiegelt das Tätowieren eine intentionale Ästhetisierung des menschlichen Körpers, zwischen individueller (und damit hoch-persönlicher) Schönheitsvorstellung auf der einen und öffentlicher (Selbst-)Inszenierung auf der anderen Seite schwankend. Die Haut wird dabei – quasi lebenslang beschrieben – zum Medium der Erinnerung. Zwar wurde bereits in der Antike 'tätowiert', der heutige Begriff sowie die 'Wiederentdeckung' dieser Praxis geht allerdings auf die Forschungs- und Entdeckungsreisen des 18. Jahrhunderts zurück, in denen Europäer mit fremden Kulturen in Kontakt kamen, die solche Verfahren mit einem ästhetischen oder rituellen Hintergrund praktizierten. So übernahm James Cook in seinen Aufzeichnungen den samoanischen Begriff "tatau", etymologisch die Grundlage für "to tattoo" und das deutsche "tätowieren". Inzwischen gilt die Modifikation des eigenen Körpers durch eine Tätowierung längst nicht mehr als 'verrucht' und stellt ebenso auch keine Ausnahmeerscheinung mehr dar, was sich vor allem an der explosionsartig gestiegenen Zahl von Tattoo-Studios in der Bundesrepublik ablesen lässt – und so trägt in Deutschland heute (konservativ geschätzt) etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung und 23 Prozent der 16- bis 29-Jährigen mindestens ein Tattoo auf der Haut. Aber längst nicht jede Tätowierung ist auch der Ausdruck des eigenen Schönheitsempfindens oder eine vom Träger intentional auf dem Körper eingeschriebene Botschaft. Denn bereits in der griechischen Antike wurde das Verfahren auch dazu benutzt, Sklaven zu markieren, Besitzverhältnisse und damit ihre Unfreiheit auf der Haut einzuritzen; diese entpersonalisierende Markierung setzt sich mit der Häftlingstätowierung in Gefängnissen und schließlich den nationalsozialistischen Konzentrationslagern fort, die vor allem in literarischen Texten des Shoah-Diskures aufgegriffen und verhandelt wird.