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Der unmittelbare Anlaß der folgenden etwas scholastisch anmutenden Begriffsdistinktionen war die Erfahrung mit der Vorbereitung und dem Verlauf der Sektionssitzung zum Thema "Der Universalienstreit heute" am 16. Weltkongreß für Philosophie 1978 in Düsseldorf. Die Mehrheit der Philosophen assoziierte das Thema mit dem traditionellen Streit zwischen Nominalisten, Konzeptualisten und Realisten und nicht mit der in der Linguistik seit zwei Jahrzehnten neu angefachten Problematik, die in der traditionellen Philosophie unter dem Titel Grammatica universalis behandelt worden war. Darüber hinaus wurde allermeist gar nicht realisiert, daß der Terminus universal in den beiden Themenkreisen auch in formaler Hinsicht nicht im gleichen Sinn gebraucht wird {vgl. § ll}. Eine Konsultation der wissenschaftstheoretischen Literatur ergab dann, daß in ihr, bei aller Oberproduktion von Textbüchern und Sammelbänden, universal und sein ganzes Wortfeld kaum je explizit und systematisch diskutiert und definiert wird. Gewöhnlich hält man sich an die in der klassischen Logik geläufige Unterscheidung zwischen generellen, universalen, partikulären und singulären Aussagen (vgl. § 9.1.) oder an die kantianische zwischen generalen (induktiven) und universalen (deduktiven) Aussagen (vgl. § 9.3.). Neu in den Vordergrund gerückte Gesichtspunkte in der formalen Struktur von allgemeinen wissenschaftlichen Aussagen (vgl. § 9.4.) werden dagegen kaum reflektiert und terminologisch fixiert. Dies gilt insbesondere für den linguistischen Bereich, dessen Probleme und Leistungen in der allgemeinen Wissenschaftstheorie trotz aller Achtungsbezeugungen kaum einen Niederschlag gefunden haben. Die folgenden Ausführungen sind daher auch als ein bescheidener, nämlich bloß terminologischer und begriffsdefinitorischer Beitrag zur Sch1ießung dieser Lücke intendiert.
Wilhelm von Humboldt leistet zweierlei: I. Er überträgt die Grundfigur des Klassizismus, das Eigene am Fremden zu verstehen, vom Altertum auf die modernen europäischen Nationen mit Hilfe seines Konzepts einer vergleichenden Anthropologie. 2. Er stellt die anthropologisch und geschichtsdiagnostisch zugleich intressierte Frage nach dem Potential, den Voraussetzungen, Bedingungen und Grenzen einer Nation, sich Fremdes aufzuschließen und anzuverwandeln. Damit gelang ihm gegenüber der dem Nationalgeist huldigenden Romantik zwar kein breitenwirksamer, aber ein für die deutsche Klassik richtungweisender Beitrag zur kulturellen Identitätsfindung. Er sollte bis in Goethes Weltliteraturvorstellung fortwirken.
Unter den Formeln, die das Wesen des Menschen pointieren sollen – zoon legon echon, animal rationale usw. – gibt es die etwas humoreske Gleichung: homo est animal quaerens cur, der Mensch ist das Tier, das nach dem Warum? fragt. Wir werden noch sehen: wenn der Mensch sich vom Tier abzuheben sucht, wird er gefährlich. Die Gefährlichkeit des Fragens wird in den Wissenschaften weitgehend geleugnet. ...
Die vier Elemente im Zusammenhang der Anthropologie zu behandeln, ist heute keineswegs selbstverständlich. Die naturphilosophische Lehre von den Elementen fand ihre erste Ausprägung bei Empedokles. Ihre Ausarbeitung bei Platon und Aristoteles war für die Philosophie der Natur bis etwa 1800 paradigmatisch. Mit Antoine Laurent Lavoisier, Joseph Priestley und Sadi Carnot, denen der Nachweis der chemischen Zusammengesetztheit von Wasser, Luft und Feuer experimentell gelang und die damit den Grund für das periodische System der chemischen Elemente lieferten (schon zu Lavoisiers Lebzeiten zählte man über dreißig), war die Elementenlehre als Theorie der Natur wenigstens wissenschaftlich an ihr Ende gekommen. In diesen 2300 Jahren, in denen die vier Elemente die Pfeiler einer jeden Naturphilosophie bildete, hat es eine Reihe wesentlicher Korrespondenzen zwischen Elementenlehre und Anthropologie gegeben. Am wichtigsten ist die überragende Bedeutung, welche die Elemente in der hippokratisch-galenischen Medizin einnahmen, die ihrerseits bis ins 16., wenn nicht bis ins 18. Jahrhundert den Rahmen aller Krankheitslehren abgab. Allerdings kommt die Anthropologie selbst, von einigen Vorläufern abgesehen, erst im 18. Jahrhundert auf den Weg, in einer Zeit also, wo die Elementenlehre durch die moderne Chemie und die antike Humoralpathologie durch die anatomische und neurophysiologische Medizin abgelöst wurde. Auf die junge Anthropologie hat die Elementenlehre also keinen Einfluß mehr ausgeübt. ...
Achim von Arnim hat bei der Bearbeitung seiner Erzählung "Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau" zwei Quellen benutzt und umgeschrieben. Das Entscheidende dabei ist, daß die eine Quelle französischer Provenienz ist und aus der Zeit vor der Revolution stammt, die zweite hingegen eine deutsche Fassung aus der nachrevolutionären Zeit darstellt. Bislang wurden im Blick auf die Umschrift Arnims nur motivliche Übernahmen und adaptierte "sprachliche Eigenheiten" festgestellt. Unberücksichtigt blieb, daß beide Vorlagen Arnims eine je eigene narrative Struktur und poetische Form besitzen.
Die zunehmende Bedeutung der Anthropologie zeigt sich [...] in der poetologischen Diskussion des Verses, der Metrik und Prosodie. Während zu Beginn des 18. Jahrhunderts der Vers in der Rhetorik seine Begründung fand, führte die Ausdifferenzierung der Poesie aus der Rhetorik zu einer Grundlagenreflexion, in deren Verlauf in Moritz Versuch einer deutschen Prosodie ein "wesentliche[r] Fortschritt" in der prosodischen Schätzung der Silben erreicht wurde. Die an der Diskussion beteiligten Theoretiker rekurrierten zunehmend auf anthropologische Konzeptionen. Dieser Prozeß ist im folgenden zu rekonstruieren. Einen Überblick über die Ausgangslage bietet Gottscheds Versuch einer Critischen Dichtkunst. Die Diskussion um den Hexameter als Leitfrage der Verslehre des 18. Jahrhunderts bündelte die wesentlichen Argumente und warf Anschlußprobleme auf: die Frage nach der Differenz der Einzelsprachen, die Anreicherung der Verstheorie mit geschichtsphilosophischen Deutungsmustern, d.h. die Verortung von Metrik und Prosodie in einer Theorie des Zivilisationsprozesses, schließlich die Verwissenschaftlichung bis zur Jahrhundertwende.
Rezension zu Geoffrey Galt Harpham: Language Alone. The Critical Fetish of Modernity, New York, London (Routledge) 2002. 261 Seiten.
Der amerikanische Literaturwissenschaftler Geoffiey Galt Harpham, Präsident und Direktor des National Humanities Center in North Carolina, Gastprofessor für Anglistik an verschiedenen amerikanischen Universitäten sowie Gutachter des Wissenschaftskollegs zu Berlin, der bereits zahlreiche Beiträge zum Thema Sprache und Ethik veröffentlicht hat, legt mit diesem Buch eine in vier Kapitel untergliederte, herausfordernde Studie vor, die vor dem Hintergrund einer erkenntnistheoretischen und humanwissenschaftlichen Argumentation eine grundlegende Kritik am 'linguistic turn' des transdisziplinären wissenschaftstheoretischen Diskurses im 20. Jahrhundert unternimmt.
Die Frage, ob sich ästhetische Postulate ins Konzept des „ganzen Menschen“ integrieren lassen, rückt in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts immer mehr ins Zentrum des anthropologischen Diskurses. An ihr verlaufen Fronten, die den Anspruch auf Ganzheitlichkeit selbst zu fragmentarisieren scheinen. Zum Problem wird nämlich, ob das, was ein Ganzes ist - der Mensch in seinem unverschönerten physischen und psychischen Funktionszusammenhang -, überhaupt noch als ein Gegenstand betrachtet werden kann, der dem emphatischen Menschenbild des Jahrhunderts entspricht. [...] Während die Wissenschaften vom Menschen den Weg zu ihrer bevorstehenden Ausdifferenzierung im 19. Jahrhundert einschlagen und beginnen, die Idee der Ganzheit aufzugeben, rettet sich der Mensch vor den Folgen des ihm im 18. Jahrhundert gewidmeten Interesses erst einmal in die Ästhetisierung seiner Wertungssysteme. [...] Trotzdem ist nicht alles ein Ganzes, was schön ist, und schön, was ein Ganzes ist. Im anthropologischen Stimmengewirr sind auch Programme vernehmbar, die der anthropologischen Gefahr gegenüber unbekümmert den Anspruch auf eine philosophische Begründung des Menschen aufrechterhalten, ohne dessen Aisthetisierung in Ästhetisierung aufgehen zu lassen. Besonders interessant gestaltet sich dies im Fall Johann Karl Wezels, dessen Werk - neben zahlreichen anderen philosophischen und historischen Aktualitäten - auch mit dem zeitgleich entstehenden ästhetisch-anthropologischen Diskurs in unterschwelliger Diskussion steht.
Das Ziel dieser Arbeit war, Unterschiede bezüglich der Körperbautypen an Elitekarateka zu eruieren. Hierzu wurden die Konstitutionstypologien nach Conrad, Knußmann, Parnell sowie Heath und Carter, Proportionsfiguren, und das Phantom stratagem verwendet, ebenso wie die Hautfettfalten-Dickenmessungen, die Bioelektrische-Impedanz-Analyse (BIA) und der Body-Mass-Index (BMI). Unter der Annahme Großmeisters Funakoshis, dass es durch ständiges Karatetraining zu körperbaulichen Konstitutionstypusänderungen kommt, wurde diese sportanthropologische Studie durchgeführt. Es sollte geklärt werden, ob innerhalb der Karatewettkampfdisziplinen Kata und Kumite unterschiedliche Körperbautypen, unter Einbeziehung des Sexualdimorphismus, zu finden sind. Die 80 untersuchten männlichen und weiblichen Karateka kamen aus den Disziplinen Kata (Schattenboxen) und Kumite (Freikampf). Im Vergleich dazu wurden 62 und 66 Breitensportkarateka als Kontrollgruppe gegenübergestellt. Das Vergleichskollektiv wurde aus zwei Fitnessstudios rekrutiert, in denen die Probanden 2 - 4 mal pro Woche trainierten. Die Messungen wurden unter standardisierten Bedingungen vom Verfasser dieser Arbeit (und einer Kollegin) durchgeführt. Die Ergebnisse wurden statistisch geprüft. Die Konstitutionstypognosen von Conrad, die durch die Betrachtungen der Somatocharts von Parnell bzw. Heath und Carter bestätigt wurden, zeigten Unterschiede der Leistungssportler gegenüber den Kontrollgruppen. Demnach ist der typische Kata- und Kumiteathlet kleiner und wiegt weniger als die Sportler des Vergleichskollektivs der Fitnessprobanden. Er ist athletischer gebaut und weist ein günstiges Verhältnis von aktiver und passiver Körpermasse auf. Des Weiteren sind innerhalb der Karatedisziplinen die Katasportler endomorpher als ihre Kollegen. Die Kumiteathleten nehmen mehr ektomorphe Positionen in den Somatocharts (Parnell, Heath und Carter) ein. Anhand der Ergebnisse lässt sich die ursprüngliche Vermutung Funakoshis nach differenzierten Konstitutionstypen sowohl für die beiden Untersuchungskollektive als auch innerhalb des Karate für die Wettkampfdisziplinen Kata und Kumite bestätigen. Die vorliegende Studie lässt den Schluss zu, dass es sowohl den Kata- als auch den Kumite-Konstitutionstypus im Karate gibt. Weiterer Forschungsbedarf besteht hinsichtlich longitudinaler Datenerhebungen des Konstitutionswandels jugendlicher Karateka im Laufe ihrer Wettkampfkarriere. Die Karriere beeinflussende Faktoren wie Trainingshäufigkeit, „Trainingsalter“ und Verletzungshäufigkeit, bezogen auf das Leistungsniveau, lassen Spielraum für weiterführende Untersuchungen. Dies gilt auch für eventuelle ethnische Körperbauunterschiede und das Leistungsniveau der Athleten.
Tierfilme und -reportagen haben Konjunktur, neue Bildtechnologien ermöglichen immer differenziertere Einblicke in Verhaltens- und Lebensweisen bekannter und unbekannter Tierarten. Wir fühlen uns als teilnehmende Beobachter in scheinbar gewagtester Nähe. Das "Privatleben" der Tiere wird bis in den letzten Winkel verfolgt, die Entdeckung der Tierindividualitäten schreitet voran, Tiere bekommen ein Schicksal und wecken Empathie, der vor über 2000 Jahren entstandene Tier-Mensch-Verwandtschafts-Topos, dem noch jeder Gedanke an die Abstammung der Arten fern lag, wird neu belebt. Doch das kulturelle Interesse am Tier erschöpft sich nicht im Fasziniertsein durch perfekt visualisierte Verhaltensstudien oder durch neueste Lesarten der Tiermetaphorik, in der es stets weniger um Tiere als um Menschen geht. Der historische Wandel der menschlichen Tierbeziehung wird in der Tierethik reflektiert.
Seit der Antike umstrittene kognitive Fähigkeiten verschiedener Tierarten bilden heute einen einzelwissenschaftlich fundierten philosophischen Diskussions- und Forschungsgegenstand ("Der Geist der Tiere"). Die Biosemiotik macht große Fortschritte, der Tier-Mensch-Vergleich - bereits ein Kernstück antiker Anthropologie und Ethik - erfährt eine tiefgreifende Umwertung. Dabei steht nicht mehr von vornherein der Mensch im Mittelpunkt; vielmehr wird versucht, das Animalische in seiner Artenvielfalt als eine vielgestaltige eigene Lebensform zu beschreiben; diese ist nicht länger an Maßstäben einer Anthropozentrik zu messen, die im innersten teleologisch geblieben ist. Der Tier-Mensch-Vergleich wird heute nicht mehr so einseitig und ausschließlich auf kognitive Fähigkeiten bezogen. Vielmehr werden weitere Aspekte wie Emotionalität, Wertungs- bzw. Präferenzverhalten, moralanaloge Verhaltensweisen, Antriebsstrukturen, Soziabilität, Zeichenverhalten mit einbezogen. Diese Komplexität der Vergleichspunkte oder Vergleichseinheiten war erst mit dem neuzeitlichen Rationalismus immer mehr eingeschränkt worden. Die gegenwärtig wiedergewonnene Komplexität lässt nach historischen Vorbildern Ausschau halten; da verwundert es nicht, wenn eine Anthropologie ins Blickfeld rückt, die im Tier-Mensch-Vergleich einen ihrer wichtigsten Ausgangspunkte hatte: die antike Anthropologie.