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Sprechen und Schweigen vor und nach der "Wende" : Analyse eines sprachbiografischen Interviews
(2010)
Am Anfang des Interviewprojekts stand ein noch relativ allgemeines Interesse an der Sprache und dem Sprechen in der DDR. Als Teil der Generation, die zwar noch in der DDR geboren wurde, sie aber kaum mehr bewusst erlebt hat, wollte ich von einem ehemaligen DDR-Bürger wissen, welche Erfahrungen er mit der Sprache und dem Sprechen vor 1989/90 gemacht hat. Ursprünglich zielte das Interview also nur auf eine Seite: den Sprachgebrauch und das Schweigen in der DDR. Unter welchen Bedingungen und mit welchen Folgen ist es möglich, in der DDR seine Meinung offen zu äußern? In welche Konflikte mit der Sprach- und Sprechregulierung in der DDR gerät einer, der sich selbst gar nicht als Staatsgegner, sondern als konstruktiver Kritiker und Verfechter dieser, wie er es im Interview nannte, "großartigen Idee" Sozialismus begreift? Wann wird geschwiegen und was bedeutet dieses Schweigen? Der Interviewte nahm jedoch im Verlauf der Gespräche immer wieder die Veränderungen in Sprech- und Schweigesituationen in den Blick, die er im Zuge des politischen Umbruchs 1989/1990 in seiner Sprachbiografie wahrnahm. So erschien eine Analyse mit einem verstärkten Fokus auf den Wandel des Sprachgebrauchs und der Bedeutungen des Schweigens vielversprechend.
Schlöndorffs Filme "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" und "Die Stille nach dem Schuss" spiegeln in signifikanter Weise einen Wandel des intellektuellen Diskurses über Politik in Deutschland nach 1945, zugleich konturieren sie ihn mit unterschiedlichen ästhetischen Mitteln. "Die Verlorene Ehre der Katharina Blum" rekonstruiert die ideologische Situation des Jahres 1968, in der Schlöndorff in enger Zusammenarbeit mit Böll eine markante Position bezieht, "Die Stille nach dem Schuss" skizziert demgegenüber eine Bewusstseinslage, in der erstmals nach der Wende des Jahres 1989 die politischen und ideologischen Widersprüche innerhalb der früheren DDR und die Aufarbeitung der Stasivergangenheit offen thematisiert werden. Dabei beleuchtet Schlöndorff zugleich kritisch die eigene Haltung als westlicher Intellektueller gegenüber der DDR und im vereinigten Deutschland. Dagegen machen die neueren Filme "Der Baader Meinhof Komplex" und "Die innere Sicherheit" auf je unterschiedliche Weise die Neubewertung der Außerparlamentarischen Opposition und der Baader Meinhof Gruppe deutlich, die ebenfalls nach 1989 einsetzt. Dabei führt der Film von Eichinger und Edel zu einer Historisierung und ideologiekritischen Entheroisierung, seine Präsentation einer Phase der politischen Opposition in Deutschland wird mit Mitteln des action-Films entfaltet. Petzolds Film dagegen zeigt die Folgen dieser Bewegung in der für die "Berliner Schule" typischen Konzentration auf das Private.
Was Wende ist, hat in der Literatur eine enorme Spanne. Wende als Aufhebung geographischer Trennungen (bei Christa Schmidt in "Rauhnächten") und noch mehr örtlicher Einschränkungen (Irina Liebmann in ihrem Roman "In Berlin"). Wende weiter als gewissermaßen "Vorher-Nacherher"-Betrachtungen, als Räsonnement, als verbale Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im gesellschaftlichen Geflecht der früheren DDR. Volker Braun hat diese Form in der >Unterhaltung< (wie er es selbst nennt) "Der Wendehals" vielleicht am reinsten dargestellt. Daniela Dahn wählt in ihren Essays eine Mischform aus beiden. Auch Marion Titze wäre zu nennen, die mit "Unbekannter Verlust" ebenfalls in diese Kategorie gehört. Natürlich ist es völlig unmöglich, die Fülle jener Bücher auch nur andeutungsweise zu behandeln, die sich unterdessen zum Thema Wende angehäuft haben. Hier kann es eigentlich nur darum gehen, ein paar Schneisen zu schlagen, ein paar Autoren zu Wort kommen zu lassen, die sich mit unterschiedlichsten Intentionen dem Thema genähert haben.