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Eine Lehrveranstaltung 'Poetologie' sollte zum Lehrplan 'Deutsch als Fremdsprache' in der LehrerInnenausbildung in der Türkei gehören. Doch wie schaffen wir es, die Studierenden für Poetik, für Lyrik und dichterische Prosa zu begeistern, ohne sie mit trockenen Regelwerken und mit der Pflichtlektüre von Datenmengen abzuschrecken? Aus zwei verschiedenen Perspektiven versuchen wir das Problem zu beleuchten, das heißt den eigenen Standpunkt kritisch zu hinterfragen und Erfahrungen zu bewerten: erstens die Sicht einer Deutsch lehrenden deutschen Sprachvermittlerin für (unter anderen) türkische Schülerinnen und Schüler in Deutschland und, zweitens, die Sicht eines Deutsch lehrenden deutschen Gastprofessors in der Türkei. Wesentlich fehlt hier die 'dritte' (und eigentlich von der Gewichtung her die erste) Sichtweise, nämlich die der Deutsch lehrenden türkischen Person in der Türkei. Wir verzichten nicht bewusst darauf, aber wir möchten mit diesen Anmerkungen zum Nachdenken anregen.
"Der Meridian", Celans Rede anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises am 22. Oktober 1960 in Darmstadt, ist ein Fest der Poesie. Dem Vortrag eignet eine Dichte und Dunkelheit, die oft auch Celans Gedichten zugesprochen wird; so attestieren die zahlreichen Besprechungen ihm denn auch meist, wie Helmut Müller-Sievers kritisiert, drei Elemente: "First, that the speech must be understood as an auto-poetological statement; second, that Celan is the best, or at least the most authentic, interpreter of his own poetry; third, that there exists a theoretical discourse that can seamlessly connect Celan's poetology to his poetic practice". Dieser Kritik wird insofern wider- oder entsprochen, als ich hier den ersten wie auch den dritten Aspekt bestätige, allerdings anders als von Müller-Sievers gesehen: Die Rede bildet meines Erachtens nicht so sehr eine Theorie Celans zu seinen eigenen Gedichten, sondern stellt vielmehr bereits die Ausführung einer Poetologie dar - operiert mithin also performativ. Das gleiche Argument, das Müller-Sievers nutzt, um dagegen zu argumentieren, dass es sich bei der Rede um eine Poetologie handelt, ist für diesen Ansatz eher ein Argument dafür. [...] Die von Müller-Sievers genannten Eigenschaften erachte ich dabei nicht nur für Celans Poesie als relevant, sondern im gleichen Maße für den "Meridian". So lässt sich auch das Verhältnis zwischen 'universaler Theorie' und 'konkreter Dichtung' zwar nicht als nahtlose Verbindung, aber doch als ein direktes Verhältnis erkennen; damit stellt sich die Frage jedoch umso mehr, inwieweit Theorie sich auf Dichtung beziehen lässt. Oft geschieht dabei, wie auch Müller-Sievers anmerkt, die Zuordnung der von ihm genannten Elemente wie in einer Black Box. Das Argument ist meist: Es handelt sich um Dichtung / Literatur, also kann dem Werk 'mehr' oder zumindest etwas anderes zuerkannt werden als 'anderen' Texten. Diese blinde Übertragung, irgendwo zwischen Ästhetik und Epistemologie verortet, gilt oft als absolut selbstverständlich - insofern muss in der Tat die Legitimität dieser Zuordnungen stets erneut hinterfragt werden. Ich versuche daher in diesem Aufsatz der Frage nachzugehen, was im Text geschieht, das diese Zugriffe legitim macht - oder zu machen scheint. Es geht dabei nicht (so sehr) darum, eine spezifische Theorie zu bevorzugen, als um eine Untersuchung der Funktionsweise dieses theoretisch-poetischen Textes - und um die Frage, ob die darin entwickelten Aussagen auf Dichtung und Kunst im Allgemeinen übertragen werden können, und wenn ja, wie. Dieses spezifische Verfahren mitsamt seinen mannigfaltigen Ebenen wird hier im Hinblick auf seine spezifische Materialität gelesen und als eine 'wegweisende' Art verstanden; in der Rede kehrt der Meridian als Trope wieder - als Ort wie als Bild - und der Weg zu und auf dem Meridian kann als die Aufgabe betrachtet werden, die Celan sich darin stellt.
Der Beitrag, Protokoll einer (auto-)poetologischen Lektüre, exponiert in Freuds Bezugnahme auf den "amerikanischen Flirt" zwei gegen- läufige Bewegungen. Einerseits ist sein Text Vollzug dessen, worüber er spricht: ein Flirt (mit dem amerikanischen Englischen). Andererseits darf "Flirt" nicht "Flirt" selbst bleiben, sondern hat "von vornherein" auf anderes zu verweisen: Zwang zu einer Hermeneutik, die aus dem Flirt exakt das herausschält, was sich an Freuds Sätzen von selbst versteht: "nichts".
1857 veröffentlicht Adalbert Stifter im Verlag von Gustav Heckenast eine umfangreiche literarische "Erzählung" in drei Bänden: "Der Nachsommer. Eine Erzählung". Bemerkenswert an dem Text ist der nahezu ausschließliche Verzicht auf psychologische Erzählweisen bei einer recht spärlichen Handlung. Obschon der Ich-Erzähler den eigenen Bildungsweg schildert, übt er sich in Verschwiegenheit, was sein 'Inneres' betrifft: Individuelle Gefühle und Gedanken gibt er kaum preis - weder innerhalb der erzählten Welt noch als Erzähler. Plausibel sind seine Maßnahmen zur Selbstzensur insofern, als er rückblickend erzählt; "[s]eine Geschichte ist ihm selbst bereits Geschichte."
Literatur kann volkskundliche Aufgaben übernehmen, und umgekehrt wird die 'Culturhistorie' mit literarischen Aufgaben betraut. Die (noch) instabilen disziplinären Grenzverläufe werden durchkreuzt von Wissensfeldern: Beide beanspruchen die Bereitstellung eines Wissens, das heutzutage als 'ethnographisches Wissen' deklariert wird. Im Folgenden analysiert Christoph Schmitt-Maaß diese Dialektik in drei Schritten: Einen einleitenden Überblick über die institutionellen Entwicklungen vorausschickend, interpretiert er zunächst Auerbachs Dorfgeschichte "Die Frau Professorin" (1846) und anschließend Riehls "culturgeschichtliche" Novelle "Die Dichterprobe" (1865). Eine konzentrierte Lektüre der ausgewählten Texte soll aufzeigen, dass beide Autoren die Entstehungsbedingungen ihrer Texte im Text und als Text bewusst reflexiv im Sinne einer Poetologie entfalten und zwar im Gefüge einer vordisziplinären Wissenspoetik.
Literatur ist ein Spiegel ihrer Zeit, sie ist aber zugleich auch ein Spiegel ihrer selbst. Mit anderen Worten: Literatur ist in der Umbruchsituation aufgefordert, nicht nur diese, sondern auch sich selbst im Rahmen ihrer geänderten Produktionsmöglichkeiten (und das sind nun einmal die spezifischen Darstellungsmodi der Literatur) zu reflektieren. Es scheint also ein Perspektivwechsel gegenüber der älteren Vormärzforschung angebracht. Die Literatur der Jahre zwischen 1815 und 1848 wäre dann nicht länger ein vornehmlich politischer, sondern ein poetologischer Akt, also eine durch neue Produktionsbedingungen erzwungene Form der poetischen Selbstreflexion - und zwar mit den Mitteln der Poesie selbst. Ziel einer solchen Poetologie wäre also die Darstellung der veränderten Bedingungen im Medium der Literatur: 'Dichtung' stellt sich und ihre Verfahrensweisen dar. Im Sinne einer Poetologie werden so die literarischen Reflexionsmuster der Literatur auf ihre ureigensten Produktionsverhältnisse rückbezogen, ohne in Literatur wenig mehr als einen Spiegel der gewandelten technischen und sozialen Realitäten zu sehen: Vielmehr reicht die Reflexionsfähigkeit der Literatur bis in die syntaktische und semantische Gestaltungsebene hinein.
Hans Henny Jahnns „Fluss ohne Ufer“ ist vor allem als Text martialischer sexueller Gewaltakte in die Literaturgeschichte eingegangen. Eine Perspektive, die ich aufbrechen oder verschieben möchte, indem ich sie in eine poetologische Fragestellung überführe. Die obsessive Beschäftigung mit dem Tod im Text soll also nicht, wie dies in der bisherigen Forschung häufig der Fall ist, als Deckdiskurs eines nekrophilen homosexuellen Autors verstanden werden. Meine These ist, dass sie auf eine poetologische Konzeption des Textes selbst verweist, der an der Selbstzerstörung des Protagonisten aufzeigt, dass es kein Ohneeinander von Schreiben, Schrift und Tod gibt. Oder: dass die Obsession, die Nekrophilie, schon im Schreiben liegt und nicht etwa bloß beschrieben wird. Eine wesentliche Funktion kommt in diesem Zusammenhang der Setzung von Eigennamen unter Schriftstücke, der Signatur, sowie feierlichen Akten der Umbenennung zu. Wer wann welchen Namen tragen kann und unter welchen Bedingungen dieser Name etwas bezeugt – dies ist das zentrale Thema vor allem des zweiten Teils der Romantrilogie „Die Niederschrift des Gustav Anias Horn, nachdem er 49 Jahre alt geworden war.“
Beinah alle literarischen Werke Christa Wolfs werden von Reflexionen über das eigene Schreiben und die damit verknüpften poetologischen Probleme begleitet. Entweder sind diese Bestandteile des Textes (wie in Kindheitsmuster) oder sie werden in Form ergänzender Essays mit veröffentlicht. Auch das Lebens-Protokoll Ein Tag im Jahr liest sich wie ein Paralleltext zu dem schriftstellerischen Werk Christa Wolfs und gewährt einen Einblick in die vierzigjährige Entwicklung der Autorin. Die theoretische Auseinandersetzung mit einem Stoff dient Christa Wolf vor allem dazu, für die eigenen politischen und persönlichen Erfahrungen die angemessene literarische Ausdrucksweise zu finden.
Im Folgenden sollen die Autorenpoetik Christa Wolfs und die in ihrem Gesamtwerk geltenden Konstanten beschrieben werden. Außerdem wird darauf eingegangen, wie sich die Veränderung des eigenen Seh-Rasters4 auf ihr Schreibkonzept ausgewirkt hat.
"Sprachgitter" ist eines der Gedichte Paul Celans, das in der Philologie der letzten fünfzig Jahre am extensivsten diskutiert, kommentiert und interpretiert wurde. Dabei wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass das Wort 'Sprachgitter' (wie auch das Gedicht dieses Titels) für Celan eine wesentliche poetologische Dimension habe […]. Celan räumt […] ein, dass der Titel "zweifellos ambi-; ja polyvalent" sei und außerdem "etwas verdammt 'Poetisches'" habe […]. "Ich sage mir aber gleichzeitig, daß mir in 'Sprachgitter' auch das Existenzielle, die Schwierigkeit alles (Zueinander-)Sprechens und zugleich dessen Struktur mitspricht (vgl. 'Raumgitter'), damit ist das zunächst amphibisch anmutende wieder zurück gedrängt". Die Doppelbödigkeit dieses Satzes betont die Radikalisierung des Begriffs von Sprache, der mit dem Wort 'Sprachgitter' verbunden ist; so lässt sich der Satz zum einen in drei konsekutiven Elementen konstruieren, zum anderen aber kann "die Schwierigkeit alles (Zueinander-) Sprechens" als Umschreibung für "das Existenzielle" schlechthin gedeutet werden, womit dieses 'Existenzielle' nicht allein als sprachlich verfasstes charakterisiert, sondern zugleich wesentlich mit dem Problem der Begegnung, der Trennung und der Grenze zusammengedacht wäre. An dieser poetologischen Bemerkung wird zudem deutlich, dass sie nicht allein nach einer 'literarischen Form' – dem 'Gedicht' – fragt noch lediglich nach dem 'Einzelfall' eines Gedichts mit dem Titel "Sprachgitter", sondern sich – ausgehend vom Gedicht – auch der Frage nach der Sprache überhaupt zuwendet.
Die Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts reagiert auf die dynamisierte Fortbewegungsform der Eisenbahnfahrt. Zwei mögliche Reaktionen konkurrieren miteinander: eine euphorische, die in ihrer Darstellung die neuerfahrene Dynamik in die Textgestaltung einzuholen versucht; und eine kritische, die die neue Dynamik als Gefahr einer Entfremdung fasst. Beide Formen der Auseinandersetzung stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander, unterscheiden sich jedoch in ihrem poetologischen Reflexionspotential. Die poetologisch reflektierten Texte bilden zugleich ein Korrektiv zum Fortschrittsoptimismus. [...] Die durch die poetologischen Reflexionen gewährleistete Entschleunigung des Textes wirkt als Korrektiv der euphorischen Vorstellung einer "Beschleunigung als Heilserwartungsrest".