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Die übergreifende theoretisch-historische Fragestellung für die folgenden Ausführungen lautet: Warum wird die Antike rezipiert? Konkret handelt es sich um Wandlungsprozesse in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland, die von Winckelmann ausgingen, an der zahlreiche Intellektuelle dieser Zeit Anteil hatten und die im weimarisch-jenaischen Kulturkreis kulminierten - bei Schriftstellern und Gelehrten, die mehr oder weniger lange und mehr oder weniger enge Verbindungen mit Thüringen hatten (auch wenn manche ihrer Äußerungen schon vor oder erst nach ihrer Thüringer Zeit lagen). Die auffallendste Wandlung in der europäischen (mit besonderem Nachdruck in der deutschen) Antikerezeption des 18. Jahrhunderts ist die Verlagerung des Schwerpunktes von Rom auf Griechenland (und zwar auf Athen bzw. auf ein von Athen her bestimmtes Griechentum) - eine Wandlung, die zugleich die Wende von einer primär politischen zu einer vorrangig kulturellen Antikerezeption bedeutete. Ich werde darauf eingehen, das Problem aber einem anderen Aspekt unterordnen: der Frage nämlich, ob die Beziehung zum Altertum in erster Linie die Ästhetik und Poetik oder die Geschichtsphilosophie, Anthropologie und Ethik betrifft, ob sie der Kunstschönheit oder dem Menschenbild gilt, ob sie auf eine Normativität des Stils und der literarischen Gattungen oder auf eine Aufnahme von Stoffen und Motiven zielt. Es soll demnach vor allem untersucht werden, ob es sich um eine detaillierte, punktuelle, selektive oder um eine universelle Rezeption handelt und ob die imitatio von musterhaften künstlerischen Werken sowie die Befolgung allgemeinverbindlicher kunsttheoretischer Lehren oder die Affinität zum Leben, zur Geschichte, zur Kultur und zum Mythos - also zur Antike als einer ganzheitlichen Erscheinung - ausschlaggebend ist.
Im Sommer 1794 verschickte Schiller eine in Folio gedruckte Einladung zur Mitarbeit für seine geplante Zeitschrift "Die Horen", Schillers letztes und bedeutendstes Zeitschriftenprojekt. Programmatisch teilt Schiller dort die Welt in die politische Welt und in die des Schönen auf. "Vorzüglich aber und unbedingt", schreibt Schiller, werde die Zeitschrift "sich alles verbieten, was sich auf Staatsreligion und politische Verfassung bezieht. Man widmet sie der schönen Welt zum Unterricht und zur Bildung und der gelehrten zu einer freien Forschung der Wahrheit und zu einem fruchtbaren Umtausch der Ideen; und indem man bemüht sein wird, die Wissenschaft selbst, durch den innern Gehalt, zu bereichern, hofft man zugleich den Kreis der Leser durch die Form zu erweitern".
Wenn wir eine Art Resümee versuchen, so könnte man folgendes sagen: 1. In einer ganz besonderen Weise, in der sich persönlicher Umgang und sachliche Themen vermischten, konnte Bertuch für Schiller in dessen ersten Weimarer Jahren eine wichtige Rolle spielen. Die durch Bertuch mögliche Beeinflussung des »Mercantilischen« hat nicht nur beträchtlichen Nutzen für Schiller gebracht, sondern auch sein Bewußtsein für die Probleme des literarischen Marktes geschärft. Mit wesentlich mehr Sachverstand konnte er in seinen künftigen Publikationsplänen, besonders bei den von ihm in den 90er Jahren herausgegebenen Periodica, also den Hören und dem Musenalmanach, die komplizierten Bedingungen des Marktes einschätzen und nutzen, wenn dies ihn auch nicht vor Illusionen und Enttäuschungen bewahrte. 2. Die Aktionen Bertuchs für Schiller bis zum Memoiren-Projekt Anfang der 90er Jahre erlauben einen lebendigen Einblick in eine Verlags- und Buchhandelslandschaft, die sich in einem faszinierenden, aber für alle Beteiligten schwierigen Entwicklungsprozeß befand. Persönliche Kontakte und Beziehungen sowie besonderes Verhandlungsgeschick spielten dabei noch eine größere Rolle als heute. Schiller respektierte ohne Zweifel diese besonderen Zusammenhänge, spricht er doch in seinem bereits zitierten Brief an Bertuch vom November 1784 bezeichnenderweise von Bertuchs »Zirkeln und Korrespondenten« und seinem daraus erwachsenden »Zusammenhang mit dem Publikum«. Bertuch erwies sich nicht zuletzt deshalb als nützlicher Partner Schillers, weil er mit diesen komplizierten Beziehungen souveräner als mancher Zeitgenosse umzugehen verstand. Wurde Bertuch auch nicht zum Verleger Schillers im strengen Sinne dieses Wortes, so gehören seine Aktionen für Schiller durchaus zum Thema »Schiller und seine Verleger«. Das bereits erwähnte vorzügliche neue Buch von Stephan Füssel zu diesem Thema könnte in dieser Hinsicht noch ergänzt werden. 3. Ordnet man die Beziehungen Schillers zu Bertuch generell in die Bilanz der ersten Weimarer Jahre von 1787 bis 1789 ein, so kann man ihnen einen doch recht beträchtlichen Stellenwert zubilligen. Neben den großen Zielen Schillers - wir haben diese Worte von »Größe, Hervorragung, Einfluß auf die Welt und Unsterblichkeit des Namens« eingangs zitiert - gibt es noch das reale, wenn man will alltäglich-banale Ziel, das Schiller gegenüber Körner im Januar 1788, genau in der Mitte seiner Weimarer Monate, so umschreibt: »Ich sehne mich nach einer bürgerlichen und häußlichen Existenz, und das ist das Einzige, was ich jezt noch hoffe«. Das für Schillers weiteren Weg eminent wichtige Ergebnis der ersten Weimarer Zeit ist die hart erarbeitete ideelle Position Schillers, seine schriftstellerischen Erfolge, die Anerkennung, die er sich zu erwerben begann. Doch kaum weniger wichtig erschien ihm die damit verbundene gesicherte »bürgerlichen Existenz«, - die »häußliche« wird 1790 durch die Heirat mit Charlotte von Lengefeld folgen. »Bürgerliche Existenz« bedeutet Existenzsicherung als freier Autor durch Erfolg im Publikum und somit die alles in allem gesicherte ökonomisch-finanzielle Lebensbasis. Mit dem, was Bertuch für Schiller tun konnte - ALZ und Allgemeine Sammlung historischer Memoires sind die wichtigsten Stichworte - hat er einen beträchtlichen Anteil an dieser Wende in Schillers schriftstellerischer Existenz wie in seinen realen Lebensbedingungen.
Die Theateraufführungen der Seyler-Ekhofschen Gesellschaft, die von 1771 bis 1774 dreimal pro Woche im Schloßtheater spielte, bildeten in diesen Jahren einen wesentlichen Bestandteil der Hofkultur. Hof und Bürgertum waren nicht nur regelmäßige Zuschauer, sondern das Theater konnte nur auf Grund der aktiven Teilnahme und Zusammenarbeit der Schauspieler, Komponisten und Weimarer Dichter sowie der großzügigen Unterstützung der Fürstenfamilie zu einem hohen Grad an künstlerischer Perfektion gelangen. Die gelungene Vereinigung von bürgerlichen und höfischen Kunstvorstellungen spiegelt sich am besten in dem Aufschwung der Gattung des Singspiels wider, das aus seinen bürgerlichen Anfängen auf eine neue Stufe mit Hilfe antiker Stoffe, einer dichterisch anspruchsvollen Behandlung „wie das regelmäßigste Trauerspiel“ und neuer Kompositionen gehoben wurde. Durch diese deutschen Singspiele und Opern wurde es möglich, deutsches Theater und Musiktheater am Weimarer Hof zu etablieren und zu fördern, nachdem die großen Höfe im 18. Jahrhundert bisher ausschließlich italienische Opern gepflegt hatten. Der Wunsch des Hofes nach musikalischer Unterhaltung sowie der aufklärerische Bildungs- und Erziehungsanspruch konnten von Wieland am Weimarer Theater mit Hilfe seiner Singspiele zu einer gelungenen Synthese geführt werden. Die kleine Residenzstadt erlangte Anfang der 70er Jahre durch zwei Dinge Berühmtheit: durch Wieland und durch das Theater. Und Wieland war derjenige, der aktiv - durch seine Dichtungen und seine einflußreiche Zeit-schrift - den Ruhm Weimars vermehrte und verbreitete. Weimar wurde somit, bevor Goethe eintraf, bereits durch Wieland erfolgreich zu einem Muster an "Hofkultur" bzw. zum "Musenhof" stilisiert.