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Rezension zu Carlo Brune: Roland Barthes. Literatursemiologie und literarisches Schreiben, Würzburg (Königshausen & Neumann) 2003 (= Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften / Reihe Literaturwissenschaft; Bd. 450). 304 Seiten.
Roland Barthes gehört zu den originellsten und folgenreichsten Literaturtheoretikern der jüngeren Vergangenheit und - mit Blick auf die anhaltend produktive Rezeption seiner Schriften - der Gegenwart. Gleichwohl sind - wie Carlo Brune zu Recht anmerkt - im deutschen Sprachraum Versuche einer panoramatischen Würdigung seines Gesamtwerks bisher nur gelegentlich unternommen worden (etwa durch Ottmar Ette, 1999), und Brunes vorliegende, von Detlef Kremer betreute Dissertationsschrift, leistet einen Beitrag zur Kompensation dieses Defizits.
Eine Möglichkeit, über Autobiographie in theoretisch-systematischer Hinsicht nachzudenken, ist, sie zwischen Geschichtsschreibung und Literatur zu verorten. Dies ist jedoch keinesfalls zwingend, d.h. damit soll keine ontologische Gattungsbestimmung vorgenommen werden. Autobiographische Texte verstehen sich nicht per se als historiographische Dokumente, auch wenn Historiker / innen sie in diesem Sinne lesen mögen, während sich die literaturwissenschaftliche Aufmerksamkeit auf das textuelle Vermittlungsmedium historischer Selbst- und Weltentwürfe richtet.
Chanel - metaphysisch
(2015)
Der unauffindbare Text
(1999)
Die erste Sportverletzung : Genesis 32 zwischen religiösem Kommentar und säkularer Philologie
(2017)
Der Beitrag von Brian Britt befasst sich mit Bibelkommentaren, genauer mit Kommentaren zu Genesis 32, geht allerdings nicht von der theologischen Exegese, sondern von der (post-)strukturalistischen Kommentierung dieser Bibelstelle durch Roland Barthes aus. Dabei wird Britts Lektüre von vornherein dadurch geleitet, dass er ein "Spannungsfeld" zwischen dem traditionellen, religiösen Kommentar (etwa Rashi, Calvin u.a.) einerseits und der modernen, wissenschaftlichen, säkularen Philologie (etwa Barthes, Sherwood u.a.) andererseits annimmt - und dies innerhalb wie auch außerhalb der Bibelwissenschaft. Dabei zeigt er, dass die strikte Grenzziehung zwischen 'frommer' und 'wissenschaftlicher' bzw. 'religiöser' und 'säkular-philologischer' Deutungspraxis nicht nur von den Kommentaren, sondern bereits von den kommentierten Bibeltexten selbst unterlaufen werden. Die Bewegungen von Text und Kommentar ähneln sich also, woraus Britt folgert, dass auch die modernen, wissenschaftlich-säkularen Bibelkommentare letztlich der biblischen Tradition angehören, insofern sie methodisch den keineswegs widerspruchsfreien biblischen Texten selbst nachempfunden sind.
Barthes' Benjamin-Rezeption soll in einem ersten komparatistisch-dokumentarischen Teil genauer erfasst werden, indem die photographischen Illustrationen in der 'Literarischen Welt', dem 'Nouvel Observateur' und in 'La Chambre claire' gegenübergestellt und die Photographie-Zitate identifiziert werden. Als Zweites werden weitere mögliche Rezeptionswege zwischen Benjamin und Barthes angedeutet, die im Kontext der Photographie eine Rolle gespielt haben könnten. Dem wird drittens ein analytisch ausgerichteter Teil folgen, in dem problematisiert werden soll, inwiefern der theoretische Gegenstand selbst, d.h. die Photographie, als visuelles Bindeglied zwischen Benjamin und Barthes fungiert und auf welche Weise die Photographie-Zitate mit einigen Scharnierstellen in der Photographie-theoretischen Argumentation insbesondere bei Barthes zusammenhängen. Abschließend soll untersucht werden, inwiefern Barthes’ spezifische Zitierpraxis mit Benjamins eigener Zitier-, Montage- und Sammlerpraxis verwandt ist, inwiefern dadurch die Photographien "zu ihrem Rechte kommen" (GS V, 574) und inwiefern schließlich Rezeptionsgeschichte im Sinne von Benjamins Geschichtsverständnis exemplarisch zur Anschauung kommt.
Die Analogien zwischen der Barthes'schen Theorie und den Konzepten der deutschen Romantik sind von der Forschung durchaus registriert worden, Beobachtungen in diese Richtung haben aber bislang kaum über die Nominierung des Desiderats hinausgeführt. Das ist sicher überraschend, da in den letzten Jahrzehnten bekanntermaßen eine Vielzahl aktualisierender Romantik-Lektüren vor der Folie postmoderner Ästhetik und Erkenntnistheorie veröffentlicht wurden. Zur Behebung dieses Defizits beizutragen, ist dementsprechend das Anliegen dieses Beitrags. Im Folgenden sind Ansätze zur systematischen Aufarbeitung der vielfachen Bezüge zu konzipieren, die sich zwischen dem Text der Deutschen Romantik und den Arbeiten Barthes' aufzeigen lassen. In methodologischer Hinsicht bewegt sich ein solcher Vergleich allerdings auf nicht eben einfachem Terrain. Das resultiert zunächst aus dem beträchtlichen Volumen der theoretischen Erträge Roland Barthes' sowie der romantischen Autoren, infolgedessen eine strenge Reduktion der Textbasis notwendig wird. Hinzu kommt, dass diese Erträge jeweils in rigoros fragmentierten und hermetischen Schreibweisen codiert sind, die das Paradox und die begriffliche Unklarheit bewusst suchen. Das multipliziert die Zahl der Blickwinkel und wirft die Frage nach der Wahl der interpretativen Zugänge auf. Um diesem Dilemma zu entgehen, rekurriert das Folgende bewusst auf eine einzelne Darstellung romantischer Theorie, die sich durch ihre besondere Prägnanz und ein überdurchschnittliches analytisches Niveau auszeichnet: Walter Benjamins Dissertation zum Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik.
Roland Barthes' Entwurf kritischer Literaturwissenschaft, den ich im ersten Teil darstellen möchte, findet sich vor allem in den frühen Essays 'Sur Racine' (1963), in 'Critique et vérité' (1966), Barthes' Antwort auf den Streit um seine Racine-Interpretation, sowie in seinem ersten Buch 'Le degré zéro de l'écriture' (1953), dessen Einzelaspekte er in kleineren Arbeiten später präzisiert hat. Im zweiten Teil möchte ich den Fokus erweitern und Ähnlichkeiten mit Walter Benjamins Konzept aktualisierender Kritik herstellen, um schließlich im dritten Teil die Frage nach dem Standort, von dem aus Roland Barthes spricht, zu erörtern. Im Zentrum meiner Ausführungen stehen Barthes' Überlegungen zur Alternative von Literatur und Geschichte, zum Verhältnis von Kritik und Wahrheit, zum Autor, zum Leser und zur Macht der Bilder.