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In den Jahren 1985-2000 ist im Deutschen Klassiker Verlag eine unfangreiche, extensiv kommentierte Auswahlausgabe von Herders Werken erschienen, die trotz des eingeschränkten Texbestandes in der Benutzung vermutlich an die Stelle der vor hundert Jahren entstandenen Ausgabe der sämtlichen Werke Herders von Bernhard Suphan treten wird. Der letzte Band enthält eine Auswahl der vergessenen "Adrastea" (weggelassen wurden die meisten poetischen Beilagen und verschiedenen Exzerpte fremder Texte), aus deren Kommentar wichtige Materialien zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte wegen Überschreitung des zulässigen Umfangs ausgeschlossen bleiben mussten. Die vorliegende Quellenedition ergänzt diese Ausgabe und verwendet deren Siglen. ... Die nachfolgend veröffentlichten Briefe, Rezensionen und Gedichte dokumentieren die ambivalente Aufnahme von Herders Zeitschrift unmittelbar nach ihrem Erscheinen.
Als im Jahr 1480 eine stattliche Anzahl von überwiegend bäuerlichen Zeugen zu den Rechtsverhältnissen der Schafweide zu Lautern östlich von Schwäbisch Gmünd befragt wurde, wußten etliche nicht ihr genaues Alter anzugeben. Wann ihr Erinnerungsvermögen einsetzte, datierten sie mit der Nennung allgemein bekannter Ereignisse, die im kollektiven Gedächtnis ihrer Zeitgenossen besonders verankert gewesen sein müssen. Ein Bauer aus Lauterburg gedachte "der vinsternuß und dess grossen sterbens". Ein anderer aus Unterkochen verwies auf den Armagnakeneinfall im Elsaß. Ein Schafknecht erinnerte sich an einen Blitzschlag in den Turm der Schwäbisch Gmünder Johanniskirche. Der alte Bantz von Mögglingen sagte aus, "er sye ee elter dann das mann vor Hochenzollern gelegen sy", und auch Lienhard Protolf bestimmte sein Alter nach diesem Ereignis, der Belagerung der Burg Hohenzollern durch ein Aufgebot der Reichsstädte und Württembergs 1422/1423. An erster Stelle aber steht der etwa dreißig Jahre zurückliegende Städtekrieg von 1449/50, der in den Aussagen von nicht weniger als acht Zeugen erwähnt wird.
"Der Romancier hat sich abgeschieden. Die Geburtskammer des Romans ist das Individuum in seiner Einsamkeit, das sich über seine wichtigsten Anliegen nicht mehr exemplarisch auszusprechen vermag, selbst unberaten ist, und keinen Rat geben kann. Einen Roman schreiben, heisst, in der Darstellung des menschlichen Lebens das Inkommensurable auf die Spitze treiben" (Benjamin 1999,443). Was Walter Benjamin 1936 in kritischer Distanz zur Form des Romans seiner Zeit formulierte, kommt der schweren Krisis nah, in der sich Rolf Dieter Brinkmann fast vierzig Jahre später befinden wird. Enttäuscht über den zunehmenden politischen Dogmatismus der Studentenbewegung zieht er sich bekanntlich Anfang der 70er aus dem Literaturbetrieb zurück, isoliert sich auch fast völlig von Freunden und Bekannten. Und doch sollte insbesondere die Kölner Wohnung in der Engelbertstraße zur "Geburtskammer" eines Groß-Projekts werden, von dem bis zuletzt die Rede ist: einem zweiten, an Keiner weiß mehr anschließenden Roman.
"Übersetzt", "eingeleitet", "herausgegeben von Marie Herzfeld" - so oder ähnlich steht es auf zahlreichen Titelblättern der Jahrhundertwende. Was sich dahinter verbirgt, ist eine kleine Bibliothek literarischer und kulturhistorischer Texte aus verschiedenen Sprachen, welche die Schriftstellerin Marie Herzfeld (1855-1940) einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat; vornehmlich skandinavische Literatur und Texte der italienischen Renaissance. Wenn der Name Jacob Burckhardts für eine "große Erzählung" der Renaissance steht, so betreibt Herzfeld mit ihren "Quellentexten zur Geschichte der italienischen Kultur", zwischen 1910 und 1927 im Eugen Diederichs Verlag erschienen, eine Art kleine kulturgeschichtliche Archäologie. Sie präsentiert frühneuzeitliche Originale und bietet den Lesern einen unverstellten Blick auf deren Fremdheit; andererseits gibt sie Verständnishilfen, holt das Vergangene gleichsam zoomartig heran und "verlebendigt" es durch ihren Kommentar. Ihr Focus ist ein kulturwissenschaftlicher - auch im heutigen Sprachgebrauch. Die Spurensicherung dieser Imellektuellen ohne akademische Ausbildung im engeren Sinn und ohne institutionellen Status wirft die Frage auf, wie kulturwissenschaftliche Gegenstände von Positionen der Randständigkeit entstehen können. So gefragt, ist es weder naiv noch vermessen, Marie Herzfeld für die Anfänge der Kulturwissenschaften in den Dienst zu nehmen. Allerdings bleibt das Problem, mit einem Begriff hantieren zu müssen, der nicht nur unscharf ist, sondern auch oder gerade deswegen gegenwärtig beinahe inflationär gebraucht wird – ein Schicksal, das er mit dem der "Cultur" im "fin de siècle" teilt.
Poetologisch sind beide Werke [„Ackermann“ und „Ring“] ganz der Tradition verpflichtet, die erschließbare Konzeption geht jedoch deutlich darüber hinaus. Der „Ackermann“ behält dabei die Position im literarischen Prozeß, die man ihm generell zuerkennt, der „Ring“ hingegen erweist sich so nicht nur als letzter bedeutender mittelalterlicher Roman, als der er von Walter Haug apostrophiert worden ist, (...) sondern ebenso als ersten neuzeitlicher: „modern“ in der Konstitution eines subjektbezogenen Sinnzentrums, der Tradition verpflichtet aber in der Rückbindung der Autonomie an ein „transzendentales Obdach“, an ihr Gewolltsein durch Gott.
In diesem Beitrag sollen die Differenzen zwischen der Praxis und den zeitgenössischen Idealen von Geselligkeit, Mäzenatentum und Kunstliebhaberei an Anna Amalias Hof zwischen 1775 und 1807 aufgezeigt werden. Als Voraussetzung dafür wäre es wünschenswert, alle Behauptungen der ,Musenhof‘-Legende, wie sie in den Biographien und sonstigen Publikationen über Anna Amalia und ihrem Hof kursieren, ausführlich und systematisch zu widerlegen. Dies ist im Rahmen dieses Aufsatzes nicht möglich. In den ersten Abschnitten werden daher drei Elemente der historiographischen Überhöhung, die bereits für die zeitgenössische Stilisierung des Hofs zentral waren, thesenhaft bzw. anhand von einschlägigen Gegenbeispielen zurechtgerückt. Es soll gezeigt werden, daß sich (I.) Geselligkeit und Kunstliebhaberei am ,Musen-hof‘ Anna Amalias in wesentlichen Phasen nicht im politikfreien Raum bewegten, und daß (II.) die Intentionen und Wirkungen ihres Mäzenatentums sowie damit verbundene Geselligkeitskonzepte in der Forschung überschätzt wurden. Anschließend wird (III.) genauer darauf eingegangen, wie sich die Freiräume der Herzogin als kunstliebhabender Gesellschafterin in den Jahren 1790 bis 1807 verengten. Diese verengten Freiräume werden (IV.) mit den Sinnkonstruktionen kontrastiert, die Anna Amalia und ihre Zeitgenossen ihrer Tätigkeit als Gesellschafterin, Kunstliebhaberin und Mäzenin verliehen, d.h. als Fürstin, die die Rahmenbedingungen der Geselligkeit und der künstlerischen Betätigung an ihrem Hof mitgestaltete. Mit diesen Sinnkonstruktionen wurde die Praxis von Geselligkeit, Kunstliebhaberei und Kunstförderung am Hof Anna Amalias überhöht. Dabei klafften Idealisierung und Realität phasenweise beträchtlich auseinander. Die ,Musensitz‘-Vision wurde zur ,Ideologie‘, womit hier vulgärmarxistisch ein "falsches Bewußtsein" der Realität bezeichnet wird. Am Ende ihres Lebens wurde der Herzogin diese Diskrepanz selbst bewußt. Abschließend soll (V.) gefragt werden, inwieweit die spätere historiographische ,Musenhof‘-Legende an die zeitgenössischen Stilisierungen des ,Musensitzes‘ anknüpfte, die von der Herzogin und ihrem engeren Hofstaat selbst ausgingen.
Wortformen wie Berliner und Potsdamer treten in pränominaler attributiver Funktion auf: eine Position, in der sowohl Adjektive als auch Substantive stehen können. Substantive kommen in der Position vor als sächsische Genitive (Leos Auto), als vorangestellte Genitivattribute (des Vaters Pflicht) oder als Bestandteile einer engen Apposition (Bundeskanzler Schröder). Adjektive stehen an dieser Stelle als adjektivische Attribute (rotes Auto). Gegen jede dieser Interpretationen von Berliner sprechen jeweils formale Argumente, die im wesentlichen darauf hinauslaufen, daß Berliner in Berliner Ballen niemals flektiert wird - weder wie ein Substantiv noch wie ein Adjektiv.
Welcher Wortart sind Wortformen wie Berliner in Berliner Ballen also zuzuordnen? Zur Beantwortung dieser Frage folgen zunächst einige (kommentierte) Literaturstellen, anschließend werde ich die Bezeichnung 'Stadtadjektive' einführen, ich nehme also zum Zwecke der Benennung eine Entscheidung vorweg. Darauf folgt die Untersuchung: das Verhalten der Stadtadjektive in Bezug auf Flexion, Derivation, Komposition und Syntax.
Um die Wahrnehmung der Liebe geht es im folgenden Beitrag. Nach einer detaillierten Untersuchung der Liebessprache im Parzival kommt Elisabeth Lienert zu dem Ergebnis, daß Wolfram keine neue Liebessprache entwickelt: Lienert argumentiert, daß es dem Erzähler nicht auf die Wahrnehmung von Emotionen ankommt, sondern auf die Darstellungen von wirkenden Kräften, vor allem von Gewaltverhältnissen.
Die Spurensuche, die (…) [Ingrid Bennewitz] im folgenden (…) [unternimmt], gilt dem – aus der Perspektive der handschriftlichen Überlieferung – ‚nach-nibelungischen’ Erzählen von Kriemhild, ein literarisch ‚post-humes’ Erzählen also, wenn man will, wobei der Umstand selbst ja eben nur in der ‚Klage’, nicht aber in den verschiedenen Ausprägungen der Dietrichsepik bewußt gehalten wird.
Im Sommer 2000 erhielt der Verfasser [i.e. Justus H. Ulbricht] vom Präsidenten der Goethe-Gesellschaft den Auftrag, für das Jahr 2001 zur Hauptversammlung eine Ausstellung zur Gesellschaftsgeschichte zu organisieren. Aufgrund gesellschaftsinterner Debatten über Anlaß und Umfang der Exposition, vor allem aber über Intention und Dramaturgie des Ausstellungskonzepts, wurde die Eröffnung auf den Sommer 2003 verschoben ..., die Debatten dauern an. Die folgenden Bemerkungen skizzieren die wesentlichen Konturen einer kritischen Goethe-Gesellschafts-Geschichts-Betrachtung und fragen nach den Bedingungen der Erinnerung an das Wirken der organisierten Goethe-Verehrer in Deutschland und Weimar.