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Die hier vorgeschlagene Neuzuschreibung der Nachricht über Tischbeins berühmtes Goethe- Porträt an Aloys Hirt erlaubt es nicht nur, die durch die bisherige Zuschreibung bedingten Widersprüche in der Biographie Ludwig Philipp Stracks aufzulösen, die in der Kunstgeschichte immer wieder für Verwirrung gesorgt haben. Tatsächlich dürfte Strack wohl erst im Jahre 1789 gemeinsam mit dem Landschaftsmaler Friedrich Christian Reinermann (1764-1835) nach Italien gereist und mit Tischbein erst im Jahre 1790 in Neapel zusammengetroffen sein.23 Mit der Neuzuschreibung wird zudem ein wichtiger Quellentext der Kunst- und Literaturgeschichte des Klassizismus einem Verfasser wiedergegeben, der von der Forschung lange Zeit vernachlässigt worden ist, von Goethe jedoch trotz „oftmaliger verschiedener Meinung” zeitlebens geschätzt wurde. In einem Brief vom 12. August 1827, in dem er sich bei Hirt für die Übersendung der letzten Bände von dessen Geschichte der Baukunst (Berlin 1827) bedankt, läßt Goethe seinen ehemaligen Cicerone wissen: „Nun erinnert mich das übersendete Werk aufs angenehmste an gemeinsamen Eintritt in das Kunstgebiet; es giebt Zeugniss von fortwährendem parallelen Handeln und Bemühen, von convergirendem und begleitendem Thun und Wirken”. Ein Werk mit vergleichbarem Zeugnischarakter ist auch die 1787 verfaßte Beschreibung von Tischbeins berühmtem Gemälde Goethe in der Campagna di Roma, die am Anfang einer mehr als vierzigjährigen Bekanntschaft steht und zugleich, gemeinsam mit dem Verzeichniß der bekanntesten jetztlebenden Künstlerin Rom, als der früheste handschriftlich überlieferte Text Hirts gelten muß.
Goethes Beschäftigung mit der Erdgeschichte ist von großen Gesten bestimmt, leidenschaftlicher Parteinahme, ästhetischem Anspruch. Sie wird ihm zu einem grundlegenden Baustein der eigenen "Welterschaffung", deren Widerschein sich im zweiten Teil des "Faust" und in der Figur des Montan in "Wilhelm Meisters Wanderjahren" spiegelt. Aber auch unmittelbare Experimentierlust zeichnet die Geschichte seiner Bemühungen um "das Studium des Inneren der Erde" aus - der Erdforscher begibt sich in die Hexenküche des Laboratoriums, etwa um Versuche zu den "metallischen Vegetationen" des "Arbor dianae" durchzuführen, wo es um die Erzeugung von Kristallbildungen von Metallen auf chemischem Weg geht: sie weisen eine gewisse Ähnlichkeit mit baum- und pflanzen ähnlichen Formen auf. Seine Arbeit ist erfüllt von der Freude an der Empirie, aber bei allzu langem Verweilen beim Steineschlagen im Feld stellt sich auch bald Langeweile ein.
Es [hatte]keineswegs nur ökonomische Gründe, daß Goethe in "Ueber Kunst und Alterthum" fast völlig auf eine bildliche Wiedergabe der behandelten Kunstwerke, damit er sie so „dem Anschaun sinnlich oder auch nur symbolisch näher brächte“, Verzicht leistete, sondern daß er statt solcher (wie auch immer vermittelten) Unmittelbarkeit der ästhetischen Anschauung supplementär auf „Reflexion und Wort“ als (wie George Steiner sagen würde) ‘sekundäres, parasitäres’ Medium der Kunstkritik setzte.
Die traditionale Klassifizierung von "Wilhelm Meisters Lehrjahren" als "Bildungsroman" hat im Laufe der Jahre erhebliche Relativierungen erfahren. Goethes Werk, das 1795/96 nach langer Vorarbeit gänzlich umgestaltet in vier Bänden à zwei Bücher beim Verleger Friedrich Unger erschien, gilt inzwischen allenfalls noch als Muster einer "unerfüllten Gattung". Im Großen und Ganzen hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass mit den Lehrjahren ein "moderne[r], komplizierte[r] Künstler- und Zeitroman" vorliegt, dessen Modernität sich allenthalben in einer anspielungsreichen transtextuellen Struktur und einer "Symbiose von objektivem (naivem, klassischem) Verfahren und subjektivem (sentimentalischem, modernem) Gegenstand" manifestiert. Davon unberührt bleibt allerdings eine schon seit der ersten Rezeption Ende des 18. Jahrhunderts zu beobachtende Ambivalenz bei der Bewertung von Wilhelm Meisters Entwicklungsgang innerhalb des Romangeschehens. Bereits in der frühesten Rezeption konzentrierte sich das Für und Wider auf den Erzählschluss des Romans.
Als Goethe Ende Februar 1788 eine Art Resümee seines Aufenthaltes in Italien zieht, entwirft er auch ein Programm für die Zukunft: "Ich bin fleißig und vergnügt", schreibt er an Johann Gottfried Herder, "und erwarte so die Zukunft. Täglich wird mir's deutlicher, daß ich eigentlich zur Dichtkunst geboren bin, und daß ich die nächsten zehen Jahre, die ich höchstens noch arbeiten darf, dieses Talent excoliren und noch etwas Gutes machen sollte, da mir das Feuer der Jugend manches ohne großes Studium gelingen ließ. Von meinem längern Aufenthalt in Rom werde ich den Vortheil haben, daß ich auf das Ausüben der bildenden Kunst Verzicht thue. / Angelica [Kauffmann] macht mir das Compliment: daß sie wenige in Rom kenne, die besser in der Kunst sähen als ich. Ich weiß recht gut, wo und was ich noch nicht sehe, und fühle wohl, daß ich immer zunehme, und was zu thun wäre, um immer weiter zu sehn. Genug, ich habe schon jetzt meinen Wunsch erreicht: in einer Sache, zu der ich mich leidenschaftlich getragen fühle, nicht mehr blind zu tappen."
Eine kontextuelle Untersuchung vermag sich vor allem dann als produktiv zu erweisen, wenn sie sich entstehungs- und publikationsgeschichtlich fundamentieren lässt. Demgemäß wird in der Folge die jeweilige Entstehungsgeschichte der beiden Prosawerke Goethes einer detaillierten Analyse unterzogen. Dabei sollen insbesondere die Arbeitsphasen der einzelnen Projekte festgemacht werden, um aus der Abfolge und der zeitlichen Nähe mögliche Abhängigkeiten zu erschließen. Im Zentrum des Interesses wird zum einen die Ferdinand-Geschichte aus der Erzählsammlung und werden zum anderen die Bücher 5 sowie vor allem 7 und 8 der Lehrjahre stehen. In einem zweiten Schritt wird der Frage nachgegangen, ob und inwieweit die entstehungsgeschichtlich fundamentierte Kontextualität für die Deutung der beiden Werke nutzbar gemacht werden kann. Dabei wird konkret jeweils die Kommentierungsleistung des einen Werks für das andere untersucht.
Goethes "Italienische Reise" als antiromantische Konfession: diese Zugangsweise zu einem der klassischen Texte der deutschen, ja europäischen Reiseliteratur dürfte nicht nur auf den ersten Blick befremden. Denn ist Goethes "Italienische Reise" nicht vor allem ein Gründertext der spezifisch deutschen, Klassiker und Romantiker (ja selbst noch ihre störrischen Nachfahren wie Rolf Dieter Brinkmann) verbindenden "Faszination des Südens"? Und bildet sie nicht zugleich den Höhepunkt in Goethes lebenslanger Aneignung Italiens wie keiner anderen fremdsprachigen Kultur?
Selten dürfte ein Roman während seiner Entstehung von so kompetenten Werkstattgesprächen begleitet gewesen sein, wie sie der Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller zu "Wilhelm Meisters Lehrjahren" in den Jahren 1794-96 bezeugt. Dieser so kritische wie beflügelnde Dialog wurde jedoch gleich nach Erscheinen des ersten Bands im Januar 1795 durch einen Widerstreit der öffentlichen wie der privaten Reaktionen zu diesem Roman überlagert. In dieser durch den Xenien-Streit zusätzlich aufgeheizten Situation publizierte der damals fünfundzwanzigjährige Friedrich Schlegel, der soeben nach der Entzweiung mit Schiller und Woltmann von Jena nach Berlin übersiedelt war, im September 1797 im dortigen Lyceum der schönen Künste das selbstbewußte "Kritische Fragment.