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Erzählen ist eine grundlegende Form unseres Zugriffs auf Wirklichkeit. In den verschiedensten Bereichen der alltäglichen Lebenswelt und nicht zuletzt auf den Gebieten wissenschaftlicher Erkenntnis orientieren und verständigen wir uns mit Hilfe von Erzählungen. Reportagen des investigativen Journalismus, Selbstdarstellungen von Politikern im Wahlkampf, Erlebnisberichte in Internetblogs, Anamnesen im medizinischen Patientengespräch, Plädoyers vor Gericht, Vermittlungen von Verhaltensnormen in populärer Ratgeberliteratur, Heilserzählungen im Gottesdienst, Fallgeschichten in juristischen Lehrbüchern, ökonomische Prognosen von Kursverläufen – all diese Kommunikationen erfolgen wesentlich in erzählender Form. Anders als in den erfundenen Geschichten der Literatur bezieht man sich in diesen Erzählungen direkt auf unsere konkrete Wirklichkeit und trifft Aussagen mit einem spezifischen Geltungsanspruch: 'So ist es (gewesen)'. Solche Erzählungen mit unmittelbarem Bezug auf die konkrete außersprachliche Realität nennen wir Wirklichkeitserzählungen. In den vergangenen Jahrzehnten wurde die referentielle Leistung sprachlicher Kommunikation im Zeichen strukturalistischer und poststrukturalistischer Theorien allzu oft zugunsten eines pauschalen 'Panfiktionalismus' unterschlagen. Zweifellos 'konstruieren' Wirklichkeitserzählungen in erheblichem Maße eine Realität; aber sie sind eben auch auf eine intersubjektiv gegebene Wirklichkeit bezogen. Wirklichkeitserzählungen sind sowohl konstruktiv als auch referentiell – darin liegt ihre besondere erkenntnistheoretische Bedeutung. Es gilt, den referentiellen Aspekt von Wirklichkeitserzählungen angemessen zu berücksichtigen, ohne deren konstruktive Elemente zu vernachlässigen.
Erzählen im Journalismus
(2009)
Gibt es bestimmte soziale Funktionen des Journalismus, aus denen man Merkmale journalistischer Wirklichkeitserzählungen ableiten kann? Niklas Luhmann hat vorgeschlagen, den Journalismus als Teil der Massenmedien zu verstehen, die ein eigenständiges soziales System innerhalb unserer funktional differenzierten Gesellschaft bildeten. Der spezifische Code, der das System der Massenmedien von seiner Umwelt abgrenze, sei die Unterscheidung zwischen Information und Nichtinformation. Die Massenmedien, so Luhmann, stünden unter einem dauernden Erneuerungsdruck wegen der "ständigen Deaktualisierung von Information" […] Im Einzelnen ordnet Luhmann den Massenmedien (nicht im Sinne einer "geschlossenen Typologie", sondern "rein induktiv") drei "Programmbereiche" zu: "Werbung", "Unterhaltung" und "Nachrichten und Berichte". Bernd Blöbaum beschreibt den für "Nachrichten und Berichte" zuständigen Journalismus nicht als Teil des sozialen Systems der Massenmedien, sondern als ein eigenständiges soziales System, dem, so wie den Massenmedien insgesamt bei Luhmann, als primäre Funktion die "aktuelle Selektion und Vermittlung von Informationen" zukomme. In beiden Fällen wird der Journalismus jedenfalls systemtheoretisch durch die Leitdifferenz zwischen Information und Nichtinformation bestimmt. Obwohl selbstverständlich nicht nur im Journalismus, sondern auch in der Werbung und in der Unterhaltung erzählt wird, geht es im vorliegenden Beitrag, der engeren Bestimmung Blöbaums folgend, um Formen und Funktionen des Erzählens im Journalismus, und zwar um das rein sprachliche Erzählen im Printjournalismus von Zeitungen und Zeitschriften.
Uns geht es […] darum, über eckig und rund, einem Oppositionspaar, Formen, Formate, De-Figurationen und De-Konstruktionen von Geschlecht. aber auch von anderen Kategorien. die die Identität bestimmen, auszuloten. Mit welchem Oppositionspaar haben wir es hier zu tun? Oben […] im Netz. hieß es schon, dass wir das Eckige brauchen. um das Runde zu definieren, und umgekehrt. Oder aber auch, dass beide Kategorien gar nicht so leicht voneinander zu trennen sind, denn selbst der rundest geschliffene Kristall basiert auf der eckigen Struktur des Kristallgitters. Es scheint nicht so einfach zu sein. die Opposition eckig und rund aufrechtzuerhalten. Warum wird dann über dieses Paar versucht, die Kinder- und Jugendliteratur zu vermessen? Die Antwort liegt scheinbar auf der Hand – mit rund wird z.B. das Weiche. das Anschmiegsame. Kindliche oder eben das Weibliche. assoziiert. mit eckig das Härtere, Widerspenstigere, Kantigere, eben das Männliche zusammengedacht. Also 'rund' als das weibliche Prinzip? 'Eckig' als das männliche?
Der Gedanke, dass Kunstverhalten ein Ausdruck menschlichen Spielverhaltens sei, entspricht einem alten Konsens in Philosophie und Geisteswissenschaften. Er hat erneute Plausibilisierung erfahren von Seiten der Evolutionspsychologie, die nicht nur das Postulat vom menschlichen 'Spieltrieb' als einer angeborenen Eigenschaft auf festere Füße gestellt, sondern überdies auch eine Erklärung für die offenkundige Lust am Spielen geliefert hat. Kernthema meines Beitrags wird indes nicht diese allgemeine Parallele von Kunst und Spiel sein, sondern die spezifische Ausprägung des Spielerischen in einem bestimmten Typus von Literatur. Denn wenn es korrekt ist, dass sich die Lust am Lesen der Aktivierung angeborener Verhaltensprogramme durch literarische 'Attrappen' verdankt, dann stellt sich die Frage, welche Programme dies im Einzelnen sind.
Maske - Verhüllung oder Offenbarung? : Einige Stichworte zur Semantik von Masken und Maskierungen
(2009)
Die Konnotationen, die an das Stichwort »Maske« geknüpft sind, stehen in Beziehung zu so komplexen Begriffen und Themen wie Identität und Rolle, Selbstentwurf und soziale Interaktion, Selbstdarstellung und Verstellung. Masken dienen geläufigen Vorstellungen zufolge unter anderem der Kommunikation mit dem Diesseits und mit der Transzendenz. Sie stehen aber auch für einen Raum zwischen Sein und Schein, Lebenswirklichkeit und ästhetischem Spiel. Sie übernehmen wichtige Funktionen in der Alltagspraxis wie auch in kultisch-rituellen Zusammenhängen. Entsprechend vielschichtig ist die Semantik von Masken und Maskierungen.