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Gibt es einen epischen Modus? : Käte Hamburgers "Logik der Dichtung" evolutionspsychologisch gelesen
(2014)
Es geht mir im Folgenden nicht um die konkreten Details von Hamburgers Theorie oder eine fachgeschichtliche Rekonstruktion der sich daran anschließenden Diskussionen, sondern um das Problem, das Hamburger gesehen hat und bei dem ich aus evolutionspsychologischer Perspektive noch einmal neu ansetzen möchte. Zu heuristischen Zwecken sei mir gestattet, Hamburgers Vorgehensweise vereinfachend in drei Aspekte aufzufächern:
1. Hamburger hat die regelmäßige Intuition, dass mit bestimmten unterschiedlichen Formen von Literatur auch kategorial unterschiedliche Vorstellungskomplexe verbunden sind.
2. Sie versucht diese unterschiedlichen Vorstellungskomplexe sprachtheoretisch zu modellieren, um sie systematisch voneinander unterscheiden zu können.
3. Sie sammelt objektivierbare "Symptome" dieser unterschiedlichen Vorstellungskomplexe auf der Ebene des sprachlichen Ausdrucks.
Aspekt 1 bezeichnet Hamburgers eigentliche 'Entdeckung', an die ich im Folgenden anknüpfen möchte. Ihre theoretische Modellierung (Aspekt 2) ist prinzipiell gegen andere geeignete theoretische Modelle austauschbar, ich sehe dafür jedoch keine Notwendigkeit, denn Hamburgers sprachlogisch-phänomenologischer Ansatz leistet, was er ihrer Darstellungsabsicht nach leisten soll. Meine folgenden evolutionspsychologischen Überlegungen stellen in gewisser Hinsicht ebenfalls eine Form der theoretischen Modellierung dar, haben allerdings eher explanative als deskriptive Funktion und sind insofern ergänzend, nicht alternativ zu Hamburgers Modellierung gedacht.
Aspekt 3, das heißt Hamburgers Versuch, ihre Theorie an der besonderen Faktur von literarischen Er-Erzählungen (vornehmlich des Realismus) nachzuweisen, ist derjenige Aspekt ihrer Theorie, der am meisten Kritik hervorgerufen hat. Eine besondere Rolle spielte darin immer wieder Hamburgers Annahme, dass das Präteritum in seiner 'epischen' Verwendung seine grammatische Funktion der Vergangenheitsanzeige verliere und die von dem "raunende[n] Beschwörer des Imperfekts" dargestellten Sachverhalte vielmehr zeitlos 'vergegenwärtigt' würden (und deshalb auch ebenso gut z.B. im 'historischen Präsens' dargestellt werden könnten). Dagegen wurde zu Recht festgehalten, dass innerhalb der imaginären Kommunikationssituation trotzdem eine gewisse Vorzeitigkeit ausgedrückt werde, das Präteritum seine grammatische Bedeutung also keineswegs völlig verliere.
Komplikationen von Zeitreisen sind nicht unvertraut. Entfaltet werden sie in einem eigenen Genre von Geschichten. Die erste namhafte Erzählung, in der eine Zeitreise mit Hilfe einer Zeitmaschine unternommen wird, ist schon dem Titel nach einschlägig, ja ikonisch: 'The Time Machine', 1895 verfasst von H.G. Wells. Dabei handelt es sich um einen Urtext der Science Fiction, wofür besonders wichtig ist, dass hier die Reise in eine äußerst ferne Zukunft führt. Bevor ich mich diesem Text ausführlicher zuwende, schicke ich einige Bemerkungen zur wissenschaftlichen Denkbarkeit und technischen Machbarkeit von Zeitreisen voraus. Im Anschluss an Wells’ klassisch-modernes Modell der Zukunftsreise werde ich dann zwei Romane aus den 1990er Jahren besprechen, in denen Zeitreisen in die Vergangenheit führen: 'Timeline' von Michael Crichton (1999) und 'Making History' von Stephen Fry (1996). In diesen Geschichten zeigt sich eine für das späte zwanzigste – und auch noch für das beginnende einundzwanzigste – Jahrhundert charakteristische, wohl mit Recht als 'postmodern' zu charakterisierende Fixierung auf Vergangenheit und Historizität. Ähnliches gilt für Robert Zemeckis’ Filmtrilogie 'Back to the Future' (1985–1990), die ich abschließend erörtern werde. Hier wird auf virtuos selbstbezügliche Weise ein zugleich spannendes und komisches Hin und Her zwischen den Zeitformen inszeniert und ins bewegte Bild gesetzt.