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Häufig wird angenommen, man sei dort "zu Hause", wo man geboren wurde. Man könnte etwa sagen: "Hier! Hier bin ich zur Welt gekommen", und mit diesen Worten wäre impliziert, dass man sich keinen vertrauteren, wertvolleren und intimeren Ort vorzustellen vermag. Dieser Ort wäre, anders ausgedrückt, der Ort, wo man hingehört. Der Ort, an dem man geboren wurde, ist jedoch willkürlich. Menschen wurden im Exil geboren oder auch neben Straßensperren. Tatsächlich hat kein Mensch Einfluss auf die Umstände der eigenen Geburt. Der eigene Geburtsort bedeutet also nur auf indirekte Weise Zugehörigkeit. In Wirklichkeit bezeichnet nichts mehr Zugehörigkeit als ein Grab. Ein Grab ist ein fester Ort, auf den man zeigen und dabei feststellen kann: "Hier liegen mein Vater und seine Vorfahren begraben, und hier werde auch ich eines Tages begraben sein." Es ist der Ort, den man häufig für sich selbst auswählen kann, wo das Menschliche schließlich eins mit der Erde wird. Diese grundlegende Einheit des Belebten und Unbelebten veranlasste etwa Giambattista Vico zu der Aussage, in früheren, primitiveren und prosaischeren Zeiten sei der Grabstein ein rechtliches Gebilde. "So zeigten schon durch die Gräber ihrer Bestatteten die Giganten die Herrschaft über ihrer Ländereien an; [...] Und zu Recht", bemerkte Vico, "gebrauchten sie jene heroischen Redensarten: 'wir sind Söhne dieser Erde', 'wir sind geboren aus diesen Eichen' [...]." Somit gehört man nicht an den Ort, an dem man geboren wurde, sondern dorthin, wo man zur letzten Ruhe gebettet wird.
Manche Menschen besitzen mehr als nur einen Grabstein. Gershom Scholem ist einer von ihnen - eine merkwürdige Tatsache. Dem Anschein nach gehört Scholem, wenn er überhaupt irgendwohin gehört, nach Jerusalem.
The article focuses on two objectives. First it addresses current trends in the lexical development of the German language. This investigation is based on changes within the section Fernsehabend to Fernsehzuschauerin in the "Duden – Deutsches Universalwörterbuch" between 1996 and 2011. Secondly, on the basis of the given section, the article examines to what extent this dictionary reflects current vocabulary.
Der Aufsatz untersucht das syntaktische Verhalten nicht-satzförmiger Adverbialia im Deutschen und im brasilianischen Portugiesisch in vergleichender Perspektive. Behandelt werden Adverbialia aus sechs Klassen, deren semantische Funktionen von der Sachverhaltsbeschreibung bis zur Beschreibung von Handlungsabsichten des Sprechers reichen. Insgesamt zeigen sich große Ähnlichkeiten zwischen den Vergleichssprachen. Im Deutschen scheint eine etwas stärkere Tendenz zu bestehen, Adverbialia syntaktisch zu integrieren, während es im Portugiesischen mehr Möglichkeiten gibt, sie desintegriert zu verwenden.
Textkompetenz in mehreren Sprachen : Forschungsergebnisse und weiterführende Forschungsansätze
(2014)
The article presents results of an empirical study which examines productive transfer in the area of text skills competence and the associated writing skill which could be attributed to the learners' contact with several languages. The research was conducted within the research project "Multilingualism in the Czech Republik: Learning and Teaching German after English." After a short presentation of the key concepts in the development of the study and a presentation of selected results, implications and a modell for further research in multilingual writing and on transfer processes between languages are introduced.
In der emotional geführten Sprachverfallsdebatte wird besonders die Apostrophsetzung vor dem Genitiv- und dem Plural-s, vulgo Deppen-Apostroph, kritisiert und als vermeintliche Entlehnung aus dem Englischen stigmatisiert. Erst seit kurzem liegen mit Scherer (2010, 2013) korpusbasierte Untersuchungen vor, die eine angemessene Interpretation dieses graphematischen Wandels erlauben, der weitaus älter ist als gemeinhin vermutet. Generell erweist sich, dass viele als neu und bedrohlich empfundene Sprachveränderungen bereits vor über hundert Jahren meist ebenso emotional gegeißelt wurden. Der Beitrag befasst sich hauptsächlich mit der diachronen Entwicklung des phonographischen Apostrophs zu einem morphographischen, dessen Funktion nun nicht mehr darin besteht, nicht-artikulierte Laute zu markieren, sondern morphologische Grenzen (Uschi's, Joseph K.'s, CD's ). Deutlich wird, dass der Apostroph der Gestaltschonung komplexer Basen dient, deren Gros aus Eigennamen besteht. Anschließend wird in einem kürzeren Teil nach der Entstehung und Beschaffenheit dieser s-Flexive selbst gefragt. Diese sind ihrerseits Ergebnis flexionsmorphologischer Umstrukturierungen und garantieren maximale Konstanthaltung des Wortkörpers. Abschließend wird noch die neueste Entwicklung gestreift, die in der Deflexion ebendieser s-Flexive besteht und die sich wieder am deutlichsten bei den Eigennamen manifestiert. Diese haben als Quelle all dieser Entwicklungen zu gelten (vgl. des Irak, des Helmut Kohl, auch des Perfekt, des LKW, des Gegenüber ). Insgesamt ist festzustellen: Nicht nur die Apostrophsetzung vor s-Flexiven, sondern auch die s-Flexive selbst sowie ihr derzeitiger Abbau dienen ein und derselben Funktion: Der Schonung durch Konstanthaltung markierter Wortkörper, worunter mehrheitlich Eigennamen fallen, daneben auch Fremdwörter, Kurzwörter und Konversionen. Damit sind es die Eigennamen, die Ausgangspunkt und Ursache tiefgreifenden flexionsmorphologischen und graphematischen Wandels bilden.
The article focuses on linguistic means used by professionals when defining specific emotions in psychological texts. Based on a linguistic analysis of selected passages of text, the author describes the metaphorical concepts used in order to make it easier for recipients to understand phenomena whose perception is purely subjective. The role of metaphors in professional language is frequently neglected or underestimated.
Die großen Dichter der Römer haben in der abendländischen - und nicht zuletzt in der deutschen - Literatur des 20. Jahrhunderts ein äußerst produktives Nachleben genossen. In seinem 'Tod des Vergil' (1945) befasst sich Hermann Broch einfühlsam mit Leben und Werk des Dichters der Äneis. In Christoph Ransmayrs 'Die letzte Welt' (1988) tritt Ovid als Person nie in Erscheinung, aber die Forschungen des Romanhelden enthüllen das problematische Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit im Leben Ovids während seines Exils im fernen Tomis und in den Erzählungen seiner Metamorphosen. Günter Grass' Roman örtlich betäubt (1969) bietet unter anderem eine einsichtsvolle Analyse der Bedeutung Senecas als Seismograph für jeweils drei Generationen von Deutschen der Bundesrepublik. Und Lukrez?
Titus Lucretius Carus (circa 94-54 v.Chr.), der in der Geschichte der lateinischen Literatur als epischer Dichter neben, ja manchmal sogar über Vergil gestellt wird und vor allem als wichtigster Befürworter des Epikureismus im Rom des ersten Jahrhunderts v.Chr. galt, spielt in der Literatur des 20. Jahrhunderts kaum noch eine Rolle. Wenn auch die atomistischen und vermeintlich antireligiösen Lehren seines 'De Rerum Natura' während des christlichen Mittelalters abgelehnt wurden, schätzten ihn sogar seine Gegner als einen großen Sprachkünstler. Nach seiner Wiederentdeckung in der Renaissance wurde er zunehmend als Philosoph und Naturwissenschaftler geschätzt. Aber nachdem sein Einfluss im 19. Jahrhundert bei vielen Dichtern noch hochstand, wurde sein Name danach immer seltener erwähnt. Seit der wichtigen Vortragsreihe George Santayanas über Lucretius, Dante und Goethe - Three Philosophical Poets (1910) - haben sich zwar immer wieder akademische Philosophen mit seinem Denken befasst; aber die einzige ausführliche Studie über Lukrez und die Moderne kann nur wenige literarische Beispiele heranziehen: neben den Italienern Italo Calvino und Primo Levi und dem Österreicher Raoul Schrott, die im Vorübergehen erwähnt werden, werden nur einige anglo-amerikanische Dichter zitiert, die sich aber nie ausführlich mit Lukrez oder seinem Werk beschäftigen. In einer wichtigen deutschen Forschung zur Antikerezeption wird nach Goethe nur noch Heinrich Mann erwähnt, in dessen Roman 'Die Vollendung des Königs Henri Quatre' (1938) Zitate aus mehreren lateinischen Dichtern, einschließlich Lukrez, vorkommen.
Warum dieses Schweigen?
Der vorliegende 'exilograph' will einige Schlaglichter auf das noch weitgehend unerforschte Feld "Exil und Übersetzung" werfen. Der Zusammenhang von Exilliteratur und Übersetzung ist grundsätzlich bedingt durch die Frage nach der (Schreib-)Sprache. Aus dem deutschen Sprachraum vertrieben und aus der 'deutschen' Nationalliteratur ausgeschlossen, halten einige Schriftstellerinnen und Schriftsteller an der deutschen Muttersprache fest, während andere die Sprache wechseln oder von nun an sogar in mehreren Sprachen schreiben. Diese Entscheidung kann programmatische Gründe haben, ist oft aber auch ganz pragmatisch dadurch bedingt, ob und wie gut die Sprache des Exillandes beherrscht wurde. In der Konfrontation mit der Fremdsprache im Sprachexil ist Übersetzung unumgänglich. Sie wird zu einer permanenten Herausforderung in der konkreten Exilsituation sowie für die Produktion literarischer Texte.