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Die hier vorgelegte Studie hat versucht, hinter einige gängige Forschungspositionen Fragezeichen zu setzen. Sie bezweifelt, ob Humboldt durchgängig "Schillers Führungsrolle unbedingt" "akzeptiert" hat. Sie stellt in Frage, ob Humboldt in seiner "Vorerinnerung" zum publizierten Briefwechsel wirklich nur eine Hommage Schillers hat schreiben wollen. Die Rekonstruktion interner und impliziter Kontroversen ist freilich nicht biographiegeschichtlich motiviert. Sie wird erstens im ästhetikgeschichtlichen Interesse unternommen, um alternativpoetische Konstellationen freizulegen. Sie ist zweitens fachgeschichtlich interessiert, indem sie fragt, was es bedeutet, dass Humboldt seine groß angelegten literatur- und kulturkomparatistischen Ansätze zugunsten sprachwissenschaftlicher Forschung zurückgestellt hat und nur noch implizit weiterführt. Sie geht drittens von der Überlegung aus, dass es um 1800 eine begrenzte Anzahl von Klassizisten und Romantiker gleichermaßen beschäftigende Schlüsselprobleme gegeben hat. Eines davon ist das produktive Verhältnis von Poesie und Prosa, Poesie und Philosophie.
This essay shows how Goethe and Johann Gottlieb Fichte converge in a common supranational cultural ideal, in spite of their divergences in relation to their poetic and scientific approaches. Goethe's idea of style as the supreme principle of art and Fichte's philosophical conception, which emphasizes philosophical activity as the art of thinking independently, constitute the thematic focus of the present article which also tries to make the point of coincidence of art and science evident.
Unendlichkeit
(2001)
Es ist der Begriff der Kraft, durch den die Begriffe Oberfläche und Unendlichkeit eine erste gemeinsame Dimension gewinnen. Folgt man der Dialektik der Kraft in Hegels "Phänomenologie des Geistes", so ist jede Kraft mehr als ihre Äußerung, da jede Kraft ein innerer Überschuß über die zur Ursache gehörenden Wirkung ist. […] Vom Glauben an die Gegebenheit und Abgeschlossenheit von Dingen und Personen, von der Beruhigung an Form und Fassade des Gegenständlichen bleibt nichts mehr übrig, sobald deren Oberfläche als Schauseite der sie bevölkernden Kräfte erkannt wird. Weil die dingkonstitiuerenden und räumlichen Momente, obzwar in der Anschauung untrennbar, dennoch nicht identisch sind, dringt in das Verhältnis des Körpers zu seiner Grenze etwas zweifach Unbegrenztes ein, das sämtliche Eigenschaften (Oberflächenbeschaffenheit, Härtegrad, Gewicht, Farbe, Klanglichkeit) in seine permanente Veränderlichkeit hineinzieht. Einmal, insofern die Grenze die äußere Umschlagszone bildet, an der sich alle möglichen Austauschprozesse des Körpers mit seiner Umgebung vollziehen, zum zweiten als infiniter, indefiniter Zustand des Körpers selbst, was seiner Präsenz den Charakter bloßer Vorhandenheit nimmt und ihm seine Unendlichkeit zurückgibt. [...] Die nachfolgenden Ausführungen zum Begriff der Unendlichkeit summieren sich nicht. Als geregelte Variationen, als freie Fügungen einer ausgegliederten Mitte unterstehen sie keiner Einheit, die ihre Zusammenfassung bereits vorgängig leitet, so wenig wie sie Resultate zu bieten haben. Nur eine Spielregel: Um den ‚Grand ouvert‘ der Oberfläche zu gewinnen, ist der höchste Trumpf schnell aus der Hand zu geben.
Dans un carton des archives saint-simoniennes, qui plus est consacré au "dogme", figure le manuscrit d'un compte rendu de l'essai publié en 1834, à Leipzig, par Moritz Veit, sous le titre ainsi traduit: "Saint-Simon et le saint-simonisme. Alliance générale des peuples et paix èternelle." Bien avant la prétendue révélation faite par Leroux en 1842, c'est là, sauf erreur, la toute premiëre trace en français d'une rumeur accréditée en Allemagne par Carové dès 1831. Quelles que soient l'origine et la destination de ce curieux texte (il y a lieu de le croire traduit de l'allemand ou rédigé par un Allemand de Paris), sa présence atteste que les intéressés n'ignorërent pas les soupçons d'allogénéité suscités en
France et en Allemagne par l'étrangeté de leur doctrine. L'auteur, en effet, s'appuie sur la présentation hégélianisante du saint-simonisme par Veit pour trouver confirmation de sa propre intuition, formée, dit-il, bien antérieurement, que la "clé" de toutes ces bizarreries idéologiques françaises serait "une ressemblance décidée avec la philosophie de Hegel".
Die Geschichte der französischen Philosophie im 19. Jahrhundert beginnt als akademische Fachrichtung mit Victor Cousin, der weit mehr als seine blassen Vorgänger Laromiguière oder Royer-Collard die akademische Disziplin geprägt hat. Cousin stellte als offizieller Philosoph
der Julimonarchie, als Minister und als Vorstand des Ausschusses zur Auswahl der Gymnasiallehrer eine Art Galionsfigur der Geisteswissenschaften dar, und hatte einen entscheidenden Einfluss sowohl auf die Personalpolitik wie auf die Definition der Lehr- und Forschungsgegenstände. Er bekannte sich zu einer als Eklektizismus umschriebenen
Doktrin, die einerseits die Bewahrung der gegebenen Ordnung der Dinge auch in religiöser Hinsicht anstrebte, andrerseits die Philosophie von jeder Form religiösen Bekenntnisses emanzipierte und gewissermaßen den neutralen Geist der späteren "Laïcité" ankündigte. Das sogenannte
Regiment von Victor Cousin, d.h. die Philosophielehrer, deren Ernennung und Beförderung von seinem Gutdünken abhing, konnte sich auf seine Rückendeckung verlassen, wenn sie in Konflikt zu der religiösen Obrigkeit gerieten. Andrerseits mussten sie sich wie die Vertreter einer einzigen Doktrin, seiner Doktrin verhalten. Nun findet Cousins Doktrin ihre Wurzeln wenn nicht in der deutschen Philosophie - Heine bemerkte ironisch, dass Cousins Unkenntnis des Deutschen ihn gegen jeden
Verdacht philosophischer Deutschtümelei schützte -, so wenigstens in einem privilegierten Deutschlandbezug.
Als Georg Büchner sein hintergründig ironisches Porträt eines leibhaftigen "St. Simonisten" gegen Ende Mai 1833 per Brief an die Eltern schickt, hat die "école saint-simonienne" den Gipfel ihrer ebenso sensationellen wie kurzlebigen Popularität bereits überschritten. Amüsiert erinnern Büchners Zeilen an die Eltern an den Erfolg jener weit über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt gewordenen Bewegung, die kurz vor und kurz nach der Julirevolution 1830 "wie ein Wunder" auf der restaurationspolitischen Schaubühne erschien und binnen weniger Jahre ein Spektakel von europäischem Ruf veranstaltete. Die Geschichte der saint-simonistischen Bewegung von der enthusiastisch begrüßten neuen Religion auf der deutschen Seite hin zur heimlichen Bewunderung der nationalchristlichen Sittlichkeitsdoktrin seitens
der Saint-Simonisten soll im Folgenden anhand ausgewählter Stationen der Aufnahme der Doktrin in Deutschland betrachtet werden. Der Treffpunkt in der deutsch-französischen Debatte über den Saint-Simonismus liegt in der Reflexion auf die Krise der Arbeit in der postrevolutionären kapitalistischen Moderne, deren Lösungsversuche an den SaintSimonismus-Texten von Friedrich Buchholz, Ludwig Börne und entlang
des berüchtigten Artikels "Über die Rehabilitation des Fleisches" in der "Evangelischen Kirchenzeitung" diskutiert werden soll.
Junghegelianer in Paris
(2003)
Angesichts der fortgeschrittenen sozialen, politischen und theoretischen Verhältnisse in Paris mußte die gedankenschwere nach-hegelsche deutsche Philosophie, die in Ruges und Marx' Person zum Zwecke einer Allianz nach Paris gekommen war, in einem für sie ungewohnten Tempo eine welthistorische Entscheidung treffen. Das haben die beiden Herausgeber auch getan. Arnold Ruge entschied sich für das bürgerliche Lager, für gesetzliche Opposition, für den Idealismus, Karl Marx für die Arbeiterklasse, für die Revolution, für den
Materialismus. Diese Begriffe sind jedoch damals zwischen den beiden Beteiligten mit Gewißheit nicht gefallen, ja es ist nicht einmal sicher, ob der von der Grunddifferenz abgeleitete Streit über den Charakter der junghegelianischen Bewegung und ihrer Erneuerung thematisiert worden ist. Wir kennen Marx' Absagebrief an Ruge vom 26. März 1844 nicht, aber daß er, in welchen Worten auch immer, den grundsätzlichen Bruch
aussprach, ist sicher. Nachdem dies geschehen war, konnte man nicht mehr gemeinsam eine Zeitschrift redigieren. Gescheitert ist nicht eine persönliche Freundschaft (oder ein Zweckbündnis), sondern der (vielleicht schon unrealistische) Versuch einer gemeinsamen zeitgemäßen Erneuerung des Junghegelianismus. Während aber nun die Entscheidung von Marx in einer unübersehbaren Literatur seit Jahrzehnten kommentiert wird und sein erster Aufenthalt in Paris bis ins einzelne erforscht ist, kam Ruge weit stiefmütterlicher davon. Geht man jedoch auch seinen einzelnen Schritten nach, werden die Umstände und Hintergründe des Geschehens von Herbst
1843 bis Frühjahr 1844 mit seinen welthistorischen Folgen deutlicher. Dabei spielen Briefe, die bisher oft zu wenig herangezogen bzw. noch nicht publiziert wurden, eine große Rolle. In vielen Fällen sind sie die einzige Quelle.
Ruges Aufenthalt in Paris ist auch deshalb für die geistesgeschichtliche Forschung relevant, weil er die Peripetie in der Entwicklungskurve seiner politischer Radikalität bildet. Schon nach einem halben Jahr der Zusammenarbeit fand er Marx' Redaktion der Deutsch-Französischen Jahrbücher unpassend und überwarf sich mit allen seinen "kommunistischen" Freunden.
I shall take a look at a cluster of problems: the relation between fictional and actual worlds, between fictionality and narration, between action and rationality, between action and agent or subject, and between world, enunciation and subject in light of two important theoretical works, both from 1991. My choice of references is not entirely arbitrary: their basic approach shows certain similarities that underline the shortcomings of both in dealing with literature, in spite of the stimulating arguments they unfold. But they also show marked differences that allow us to develop their argument further. The books are Paisley Livingston's 'Literature and Rationality' and Marie-Laure Ryan's 'Possible Worlds, Artificial Intelligence, and Narrative Theory'.
Beim Nachdenken über die Logik des Nachs im modernen Diskurs drängen sich [...] eine Reihe offener Fragen auf, die uns gegebenenfalls in die Lage versetzen, das Nachdenken über das Nach als eine Art von Nach-Denken aufzufassen. Um zu diesem Bindestrich zu gelangen, könnte zunächst gefragt werden, was es wohl bedeuten möge, wenn es heißt, daß etwas einem anderen "folge". Was hieße es demnach, einem Nach nachzudenken? Markiert das Folgende einen klaren Bruch mit dem Vorausgegangenen, oder schreibt es vielmehr das ihm Vorausgehende in gewisser Weise fort, weil es unausweichlich den Begriffen und Bedingungen dessen verhaftet bleibt, von dem es geglaubt hatte, Abschied genommen zu haben? Ja, ist nicht gerade die Abkehr und das auf sie Folgende eine Art und Weise, nachträglich eben jenes zu stärken und gar zu konnstruieren, desen Verabschiedung die Bewegung des Folgen ja erst ins Leben gerufen hatte?
L’esthétique a grandi dans les bras maternels de la philosophie. Mais la philosophie a toujours le droit de se porter vers l’esthétique sans perdre pour autant de son essence : le philosophe se tournant de tous les côtés pour trouver la signification et le fondement de ce qui est donné n’a pas besoin de détourner son regard des faits esthétiques. S’il veut appréhender en toute rigueur conceptuelle ce qui est et se manifeste en tant que beau, laid, sublime, etc., il doit pouvoir rapporter des constats empiriques (comme par exemple le caractère satisfaisant de certains couples de couleurs) à un concept plus général (par exemple celui d’harmonie), et rapporter ce dernier à son tour à une attitude intellectuelle plus large (disons, celle de la pure contemplation gratuite). C’est par cette réduction progressive aux principes les plus généraux que peuvent apparaître les relations [Zusammenhang] qu’entretiennent entre elles les connaissances singulières, ces dernières pouvant souvent prendre alors un nouveau sens. Grâce à cette méthode, on peut en particulier espérer saisir dans leur dernier fondement le caractère différent des grandes formes de culture que sont la religion, la science et l’art. Si des forces particulières sont à l’œuvre dans chacun de ces trois grands domaines, si des attitudes intellectuelles différentes constituent le préalable à ces formes de culture, il est sans doute aussi possible de définir la fonction rationnelle à travers laquelle l’esprit humain construit le champ de valeur esthétique. Si l’on pose que, dans le plaisir et la création artistiques, le donné est circonscrit et mis en forme par la fonction intellectuelle de la pure contemplation, non seulement l’attitude esthétique s’avère distincte des attitudes religieuse et scientifique mais, en outre, le trait fondamental qui traverse toute la vie esthétique se voit ainsi qualifié. ...
L'intera riflessione filosofica di Günther Stern/Anders si snoda intorno al motivo della indeterminatezza costitutiva dell'essere umano che non riesce mai a cogliere la propria essenza in un nucleo definito e stabile, ma soltanto nell'accettazione della propria irriducibile contingenza. È questo il cuore di quell'antropologia negativa che Anders aveva già abbozzato nell'ambito di una conferenza tenuta nel 1929 presso la "Kantgelleschaft" di Francoforte e dal titolo "Die Weltfremdheit des Menschen" (fino a poco tempo fa disponibile solo nella versione francese, da cui è stata mutuata la versione italiana: La natura dell’esistenza e Patologia della libertà). Questo scritto giovanile - che nella intenzione originaria doveva essere solo il primo
passo di un sistema di antropologia filosofica - abbozza in sorprendente anticipo rispetto ai tempi e in maniera del tutto autonoma motivi che diventeranno correnti dopo le riflessioni antropologiche di Plessner e di Gehlen. Al centro dell'argomentazione andersiana sono infatti i temi dello "sradicamento", della "contingenza" e della "vergogna (Scham)" costitutiva all'essere umano che non può mai padroneggiare la propria origine.
Mais do que um princípio formal, a noção de ensaísmo de Robert Musil adquire o duplo estatuto de uma "utopia" e de uma atitude diante da realidade. É esse duplo viés que permitirá à arte preservar-se como potência crítica e epistemológica num contexto de crise cultural e de valores na Europa no início do XX. Este artigo aborda a noção de ensaísmo de Musil a partir de seus textos críticos e de seu romance "O homem sem qualidades", demonstrando como as idéias expostas no registro estritamente "ensaístico" se configuram no âmbito da representação poética, consumando assim a "utopia" pretendida pelo autor, de fundar novas relações entre as esferas da razão e do sentimento, da ciência e da arte, da objetividade e da subjetividade.
Die vielen Tode des Sokrates : zum Schicksal einer Figur der abrahamitischen Religionskulturen
(2011)
Einer der ersten islamischen Philosophen, der sich mit der griechischen Philosophie eingehend befasste, war der iranische Gelehrte Abu al-Hasan al-Amiri (gest. 992). In seiner auf Arabisch verfassten Abhandlung 'Al-Amad ala al-abad' ('Über das Leben nach dem Tod') wird die Thematik des Lebens nach dem Tod auf eine Reihe von Argumenten gestützt, welche die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen suchen. Hierbei beruft sich al-Amiri nicht nur auf Aristoteles, sondern auch auf die Lehren von Empedokles, Pythagoras, Sokrates und Platon, die er in der Einleitung seiner Schrift namentlich erwähnt. Nur diese fünf Denker verdienten es, als die Weisen (al-hukama) bezeichnet zu werden. Auf andere griechische Denker träfe diese Bezeichnung nicht zu, da sich diese nur in einzelnen Wissensbereichen etabliert hätten, ohne grundlegende Kenntnis der Gotteslehre ('al-'ulum al-ilahiya', wörtlich: 'göttliche Wissenschaften'), besessen zu haben. Im al-Amad findet sich auch eine bemerkenswerte, wenn auch äußerst knappe biographische Skizze von Sokrates.
Schach und Philosophie
(2011)
Schach ist von der Verbreitung und vom Nimbus her das Denkspiel schlechthin. Als höchste Tätigkeit des Denkens gilt traditionell die Philosophie, und so scheint eine Verbindung von Schach und Philosophie durchaus nahezuliegen. In der Form "Philosophie des Schachs" findet man jedoch kaum, und vor allem wenig ernst zu nehmende Arbeiten. Wenn Philosophie sich im Gegensatz zu sonstigen Wissenschaften auf das Allgemeine, die Voraussetzungen der Einzelgebiete richtet, müsste sie als Schachphilosophie die Grundlagen des Schachs thematisieren. Die Grundlagen des Schachs aber sind die Schachregeln, und zu ihnen lässt sich wenig sagen. Man kommt so nur auf Spielregeln oder auf Spiele oder Regeln im Allgemeinen zu sprechen. Eine Schachphilosophie scheint hingegen sachlich überflüssig.
In der anderen Form der Zusammenstellung - Schach in der Philosophie - wird man eher fündig, verweisen doch zahlreiche Philosophen immer wieder einmal auf Schach zur Verdeutlichung eines Gedankens. Das aber bleibt sporadisch - mit einer wichtigen Ausnahme: Ludwig Wittgenstein, bei dem Schach als Beispiel immer wieder die Eigenheiten der Sprache verdeutlichen soll. Allerdings könnte das auch Zufall sein. Gibt es einen sachlichen Grund, der das Schachbeispiel als besonders brauchbar für die Philosophie auszeichnet? Diese Frage ist auch deshalb angebracht, weil Wittgenstein oft zu konstruierten, teils abstrusen Beispielen greift und damit eine ungute Tradition begründete: Die analytische Philosophie gefällt sich darin, mit komplizierten, irrealen Geschichten, etwa mit nicht existierenden Lebensformen wie Superspartanern, Antipoden, Zombies ohne Bewusstsein, Sumpfmännern, Erzengeln, "chinesischen Zimmern" Gedankengänge zu "erläutern". Die einzig sinnvolle Reaktion hierauf ist nicht, deren Fragwürdigkeit aufzuzeigen - damit macht man den Unsinn nur mit - , sondern sie zu ignorieren und es mit dem Schachbeispiel besser zu machen. Dabei zeigen sich dann auch die Eigenheiten des Schachspiels, die Konturen einer Schachphilosophie.
Als eines der Hauptprobleme der Rezeption deutscher Kultur in Frankreich kann die Dichotomie von Dekontextualisierung vs. Hyperkontextualisierung bezeichnet werden, wobei man das Bild von den zwei Seiten derselben Münze benutzen könnte. Die damit verbundenen Interpretationsansätze bewirken einerseits, dass bei der Auseinandersetzung mit deutscher Literatur, Philosophie und Kunst der historische, politische und soziale Kontext oft vernachlässigt oder gar ausgeblendet wird. Bereits Heinrich Heine warnte seine französischen Zeitgenossen in seinem Buch 'De l'Allemagne' (1833) vor dieser Gefahr beim Umgang mit der deutschen Romantik. Andererseits kann man ebenso häufig beobachten, wie in Frankreich geistig-künstlerische Werke aus Deutschland auf ihre geschichtlichen Entstehungsbedingungen oder politischen Implikationen bzw. Belastungen heruntergebrochen werden. Dieses Phänomen kann natürlich verstärkt in Zeiten ideologischer und kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern beobachtet werden, vor allem während der Periode 1870–1945. Aber auch heute noch - ein halbes Jahrhundert nach dem deutschfranzösischen Freundschaftsvertrag - prägt die Epoche des Nationalsozialismus den Blick vieler Franzosen auf Deutschland und beeinflusst maßgeblich die Rezeption deutscher Literatur, Philosophie und Kunst.
Die hiermit aufgeworfene Frage ist die nach dem notwendigen bzw. angemessenen Grad von (politikgeschichtlicher) Kontextualisierung im französischen Verhältnis zur deutschen Kultur, wobei eine pauschale Beantwortung sich selbstredend als schwierig oder gar unmöglich erweist.
'Mut zur Angst' oder 'angstfreies Leben'? : philosophische Überlegungen zu einem bedrohlichen Thema
(2016)
Anlässe, über das Thema 'Angst' nachzudenken, gibt es in diesen Tagen mehr als genug. Weihnachtsmarkt und Karneval sind längst vorbei, aber die Terrorgefahr hat sich in Alltag und Lebenswelt verankert. Vor einiger Zeit galt das Thema 'Angst' noch als überschätzt. Gern wurde auf die sprichwörtliche 'german angst' hingewiesen: Vor 30 Jahren hatten wir Angst vor dem Waldsterben, vor 20 Jahren vor dem Wettrüsten und heute vor der Weltklimakatastrophe. Auf Menschen in Ländern mit weniger komfortablen sozialen Bedingungen kann solch diffuse Ängstlichkeit hysterisch wirken. So etwas ist für distanzierte, wissenschaftliche Beobachter geradezu eine Einladung zur Entdramatisierung. 2014 erschien das Buch 'Gesellschaft der Angst' des Soziologen Heinz Bude. Dieser gefragte Vertreter seiner Zunft zählt allerlei Angstphänomene auf: "Schulängste, Höhenängste, Verarmungsängste […], Abstiegsängste, Bindungsängste, Inflationsängste". Und überhaupt: "Ängste vor der Zukunft […], weil bisher alles so gut geklappt hat". Für Bude sind diese öffentlich beschworenen Ängste "offensichtlich" diffus. Er nimmt die Vogelperspektive der Systemtheorie ein und sieht von konkreten Inhalten der Ängste erst einmal ab. Stattdessen betrachtet er sie als soziales Blutdruckmessgerät. Budes These lautet: Ungerichtete Angstgefühle sind ein probates Mittel, mit dem "sich Gesellschaftsmitglieder über den Zustand ihres Zusammenlebens [verständigen]: Wer weiterkommt und wer zurückbleibt; wo es bricht und wo sich schwarze Löcher auftun, was unweigerlich vergeht und was vielleicht doch noch bleibt". Für solche kollektiven Selbstdiagnosen ist es notwendig, dass die Angstgefühle diffus sind. Sonst könnte man sie nicht wie ein Passepartout auf allerlei Sorgen ganz unterschiedlicher Menschen legen und nicht so gut darüber reden und schreiben.
Das ist eine sozialfunktionalistische Perspektive. Man kann sich der Thematik freilich auch aus anderen methodologischen Perspektiven nähern und fragen, was Angst denn nun eigentlich ist. Philosophen, Soziologen und Psychologen haben hier verschiedene, mitunter gegensätzliche Erklärungen
0. Wenn man als Anarchisten jemanden versteht, der davon überzeugt ist, dass es den Menschen möglich ist, ihr Zusammenleben so zu organisieren, dass Herrschaft in jeglicher Form verzichtbar ist, dann war Grabbe ganz sicher keiner. Auch gibt es in allem, was schriftlich von ihm überliefert ist, keinen einzigen Hinweis darauf, dass er sich jemals zustimmend zum Ideal der Herrschaftslosigkeit geäußert hätte. Wenn Grabbe m.E. dennoch zum Kontext des Themas Anarchismus im Vormärz gehört, so hat das andere Gründe.
1. Negativer Anarchismus
Das Programm, mit dem sich der noch ganz junge, 1801 geborene literarische Debütant mit seiner Tragödie 'Herzog Theodor von Gothland' (entstanden zwischen 1819 und 1822) von dem das literarische Feld seiner Zeit bestimmenden klassisch-idealistischen Diskurs in radikalster Weise abgrenzen will, ist das eines Frontalangriffs auf alle ihm zugrunde liegenden Wertvorstellungen und Deutungsmuster. Die hehren Ideale des klassisch-humanistischen Projekts (das Wahre, Gute und Schöne als zugleich Mittel und Ziel der menschlichen Veredelung durch einen umfassenden Bildungsprozess) werden im Gothland ebenso rigoros als nicht mit der Wirklichkeit kompatibel zurückgewiesen wie die aufklärerische Grundannahme der Perfektibilität des Menschen und die christliche Überzeugung von einem guten Gott, der die Geschicke im Sinne der an ihn Glaubenden und ihm Vertrauenden lenkt. Nach Grabbe ist so gut wie in jeder Hinsicht das Gegenteil der Fall.
Die folgende Darstellung argumentiert nicht mit Blick auf eine Metahistorik im Koselleck'schen Sinn, sondern beschränkt sich auf die Nachzeichnung einer kurzen Debatte, die unmittelbar an der Wende zum 19. Jahrhundert über die Bedeutung und den angemessenen Gebrauch von 'ahnen' und 'ahnden' geführt wurde. Genauer in den Blick genommen werden drei Fußnoten, in denen Johann Gottfried Herder und Immanuel Kant ihre Einschätzungen zur Gleichheit oder Ungleichheit der Wörter austauschten. Die Passagen entstammen Texten der Jahre 1797 bis 1799 - zweien von Herder, einem vom Kant - die auch sonst einschlägige Positionsbestimmungen zu Problemen der Zukunftserkenntnis vornehmen.
"Im Grunde ist der ästhetische Anarchismus viel gefährlicher als der politische", warnte Hans Sedlmayr, österreichischer Kunsthistoriker mit NS-Vergangenheit und höchst umstrittener Kritiker der modernen Kunst, in einem Beitrag für die Zeitschrift Scheidewege von 1978. Während die Aktionen der politischen Anarchisten historisch weitgehend folgenlos geblieben seien, habe die anarchische Ästhetik der künstlerischen Avantgarden in einer viel umfassenderen, permanenten Revolution alle Bereiche des menschlichen Lebens im 20. Jahrhundert erfasst.
Die Absage an die Kunst, die Logik, die Ethik, die Scham; an die Kirche, den Staat, die Familie; an die klassische Tradition Europas wie an jede Religion - ist in die Tages- und Bildzeitungen, in Film- und Fernsehen, auf das Theater und in die Happenings, in die Praxis des Lebens eingedrungen. Die Ursprünge dieser Entwicklung verortet Sedlmayr in der Frühromantik, genauer: den Texten von Friedrich Schlegel und Novalis - "ohne sie ist das anarchische 20. Jahrhundert in der Tiefe nicht zu begreifen."
In Schlegels frühem, Ende 1795 fertiggestelltem Aufsatz 'Über das Studium der griechischen Poesie' allerdings, der noch weitgehend den Maßstäben einer klassizistischen Ästhetik verpflichtet ist und vom Verfasser des Verlusts der Mitte bei seinen Überlegungen daher zustimmend angeführt wird, erscheint das Wort 'Anarchie' überwiegend negativ konnotiert. Es fungiert hier als Metapher für Charakter-, Gesetz- und Formlosigkeit, für moralischen Verfall und ästhetische Desorientierung auf dem Gebiet der modernen Dichtkunst.
Klaus Heinrich im Gespräch mit Wolfram Ette und Volkmar Billig zur Frage, in welcher Weise gerade die Städte eine gattungsgeschichtliche Utopie zu formulieren in der Lage sein könnten, die alle Konflikte, Brüche und Unvereinbarkeiten, die das Leben der Menschen bestimmen, ausstellen? Sind Ruinen, Brachflächen und die in die Stadt einwachsende Natur ein Indiz für ökonomischen Niedergang und stadtplanerisches Versagen oder drückt sich daran, wenn auch vielleicht ungewollt, eine realistische Korrektur eines falschen stadtplanerischen Rationalismus aus? - Religionswissenschaft thematisiert, Klaus Heinrich zufolge, "das Verdrängte der Philosophie". Neben den Religionen hat sie daher auch die Künste zu Bundesgenossen - und eben die Psychoanalyse, die selbst einen Gegenentwurf zum Rationalismus der europäischen Aufklärung praktiziert.
Para Vilém Flusser as imagens técnicas são como "aspiradores de pó" que sugam toda a história: elas aceleram o tempo e transformam o todo em imagens congeladas. Trata-se para ele de uma imagem que contém a realização de uma redenção judaico-cristã. As imagens técnicas permitem a superação do que ele via como a clausura do mundo histórico, marcado pela textolatria. Elas permitem remontar ludicamente o universo a partir de sua decomposição imagética, como se as imagens (constituídas de "calculi", pixels) fossem pedras de lego. O trabalho apresenta essa escatologia mística judaica de Flusser sobre as imagens mágicas redentoras, levando em conta também o seu credo (que ele também considerava judaico), segundo o qual, ao invés de pensarmos na imortalidade das almas deveríamos apostar que "sobreviveremos na memória dos outros". Que memória seria essa e o que significaria sobreviver em um mundo pós-histórico, esvaziado de sua visão temporal, são algumas das questões que o texto desenvolve. Comparando com algumas ideias e conceitos de Walter Benjamin, o texto procura mostrar como Flusser procurou responder à demanda benjaminiana segundo a qual o surgimento de novas técnicas impõe-nos repensar o que a morte e o amor seriam hoje em dia.
Dieser Aufsatz widmet sich den Problemen der "Medienphilosophie", die vor allem vom gerade erschienenen Handbuch der Medienphilosophie in aller Schärfe aufgeworfen wurden – auch vom Autor dieser Zeilen, der selbst mit einem Beitrag im Buch vertreten ist. Er ist so etwas wie der Versuch einer Klärung der Probleme, die sich in den letzten 50 Jahren in den Medien angesammelt haben.
The artworks of the Peruvian artist Carlos Runcie Tanaka, who has his British and Japanese Roots combined in his surname, refer to pre-Columbian ceramics and traditional Peruvian, Japanese and European practices. He represented Peru in ARCOmadrid 2019, the 12th Havana Biennial, the XXVI Sao Paulo Biennial, the 49th Venice Biennale, and the I Bienal Iberoamericana de Lima. In August, we sat down to talk about music, the past, the present, and the future. We discussed how all references of time can be combined into one material.
By studying pre-Columbian ceramics, researchers have developed several interpretations about the lifestyle and cosmovision of the ancient Peruvian people. Many of the techniques and motifs included in these traditional practices are still being passed on to communities throughout the country today. This ancestral knowledge is a fundamental element of identity. Therefore, ceramic is a material that has made the generation of historical discourse and the preservation of cultural memory possible. At the same time, ceramics are connected to aspects of our daily life. As objects of daily use (such as mugs, plates and bowls) they contribute to the fulfillment of basic needs. They are also included in ritual and funerary practices. In conclusion, the use of ceramics can be understood not only in a practical sense, but in an artistic sense as well.
Kein Begriff Walter Benjamins hat der Rezeption so große Schwierigkeiten bereitet wie der des "Messianischen". [...] In diesem Aufsatz schlage ich vor, das Messianische als eine zeitliche Struktur im Rahmen von Benjamins politischer Zeitphilosophie zu betrachten. Diese Struktur, so werde ich argumentieren, bildet einen aktualisierbaren, immanenten zeitlichen Index. Als Zeitstruktur verstanden wird das Messianische zu einem Grenzbegriff, der ontologische Theologie und materialistische Kritik vermittelt. Dieser Zusammenhang lässt sich anhand des Begriffes des Virtuellen, so wie ihn Gilles Deleuze entwickelt hat, verdeutlichen. Mit Deleuze gesprochen stellt das Virtuelle eine Wirklichkeitskategorie des mehr als bloß Möglichen dar, wobei sich die Realität in Virtualität und Aktualität differenziert. Im theoretischen Kontext der Zeitphilosophie charakterisiert der Begriff eine nicht aktualisierte Intensität, die dennoch in ihrer Unaktualität eine reale Wirkung hat. Diese reale Potenzialität, auf die der Begriff des Virtuellen zielt, ermöglicht meines Erachtens eine Entmystifizierung des theologischen Gehalts des Messianischen. Wenn sich das Messianische nicht als soteriologischer Mystizismus, sondern als immanente Virtualität verstehen lässt, so ist dies erstens mit dem Materialismus vereinbar, und zweitens dient es der Klärung des Verhältnisses von Zeitphilosophie und politischer Theorie Benjamins. Ziel des Aufsatzes ist es daher, den esoterischen Begriff des Messianischen anhand des systematischen Begriffs des Virtuellen zu entfalten und in einer Zeitphilosophie der Immanenz zu verorten. Als Zeitstruktur bedingt das Messianische die im Engagement begriffene Stellung der Gegenwart zur und in der Geschichte, welche die Grundlage der Revolutionstheorie Benjamins bildet. Dessen Erhellung soll neues Licht auf das politische Potenzial seines Spätwerks werfen.
Apresentando um breve histórico da ideia de organismo ao longo do século XVIII, tentaremos delinear a trajetória percorrida por ela até o momento em que se tornaria um elemento fundamental no debate sobre a nacionalidade russa promovido pela elite letrada do país após as Guerras Napoleônicas. Nesse trajeto, um papel fundamental é ocupado pelas ideias desenvolvidas pelo Romantismo alemão - em particular as dos filósofos J. G. Herder e, sobretudo, F. W. J. Schelling. Assim, buscaremos mostrar como alguns raciocínios oriundos da sua chamada "Filosofia da Identidade", e expressos em obras como "Ideias para uma Filosofia da Natureza" e "Filosofia da Arte", foram imprescindíveis para que intelectuais e escritores russos pudessem propugnar um projeto artístico e cultural característico para o seu próprio país.
Der Konflikt zwischen den Herrschenden und denen, die die Herrschaft begründen, kann durch kulturelle Artikulation verhindert werden. Einer der Faktoren, die zu diesen kulturellen Artikulationen beitragen, sind die Noemata der Kultur. Man kann also sagen, dass Noemata zur Bildung, Veränderung und Transformation von kultureller Gedächtnisakkumulation führen. Kulturelle Gedächtnisakkumulation ermöglicht den kulturellen Vergleich verschiedener Kulturen, indem die subjektive Identität einer Nation definiert wird. Die Grenzen des Raumes entsprechen auch einer abstrakten und symbolischen Verlängerung. Das Symbol ist mit der Sprache verbunden, das heißt mit dem Diskurs. An dieser Stelle kann man die Existenz von Noema in der Kultur und die Auswirkung auf den Punkt des Umsetzens in der Literatur sehen, der die Periodenmerkmale widerspiegelt. Das Ziel dieser Arbeit ist es, in den Werken "Wie kommt das Salz ins Meer?" von Brigitte Schwaiger und "Kadının Adı Yok" ['Die Frau hat keinen Namen'] von Duygu Asena anhand Edmund Husserls Begriffen Intentionalität und Noemas zu untersuchen.
Körper und ihre Sinneswahrnehmung gehören zu den Voraussetzungen von Literatur und, Philosophie; die Bestimmung ihrer Funktion zählt zugleich zu einer der schwierigsten und umstrittensten Aufgaben dieser Künste und Disziplinen. Der Komplex um das Berühren, zu dem Haptik, Taktilität und Gefühl, Motorik, Sensorik und Affektivität gleichermaßen gehören, ist in der Körper- und Sinnesgeschichte notorisch von Vernachlässigung bedroht, hat in den Kultur- und Medienwissenschaften aber zuletzt neue Aufmerksamkeit erfahren. Philologische Ansätze befinden sich derzeit noch am Rand dieser Debatten, obwohl ihre Begriffe und Verfahren sogar als besonders 'berührungsaffin' gelten können. Genaue philologische Lektüren bieten die Möglichkeit, das je singuläre Verhältnis von Affektion und Sinnlichkeit und die Bedeutung des Tastsinns im Zusammenspiel mit anderen Sinnen zu erfassen. Philologische Verfahren können das metaphorische Potenzial des Berührens ebenso ausloten wie sein Verhältnis zum 'Realen'. Die Beiträge dieses Bandes zur europäischen Literatur, aber auch zur Philosophie von der Antike bis ins späte 20. Jahrhundert untersuchen das Berühren als relationale Figur, in der poetische Gestaltung und Materialität, Bildlichkeit und Buchstäblichkeit, Begreifen und Ergreifen, Anschauung und Affizierung in Beziehung treten. Im Zentrum stehen Fragen nach dem Verhältnis von Gemeinschaft und Individualität, von Literatur und Philosophie sowie nach der Funktion von Ansteckungs- und Distanzierungsverfahren in diesen Zusammenhängen. Dabei geraten gerade auch Wahrnehmungsräume in den Blick, die zumeist unter dem Primat des Visuellen verhandelt wurden. In Re- und Gegenlektüren schlagen die Beiträge eine Ausweitung der Sinnesbezüge vor.
Wie kein anderes Land ist Italien im deutschsprachigen Raum seit mehr als 600 Jahren Gegenstand einer nahezu unüberschaubaren Auseinandersetzung in Kunst, Kultur, Philosophie und Politik. Als Kernland des römischen Imperiums, mit Rom als Zentrum der Christenheit und wichtiger Etappe auf dem Pilgerweg ins Heilige Land, durch jahrhundertelang politisch und wirtschaftlich mächtige Republiken wie beispielsweise Venedig, Genua und Florenz war Italien in vielerlei Hinsicht von besonderem Interesse. Dies gilt auch für die Zeit nach 1796, für die Zeit nach dem Einmarsch der französischen Truppen und die damit verbundene Umgestaltung der politischen Landkarte Italiens. Im ersten Teil stehen mit Blick auf das (post-)risorgimentale Italien zunächst exemplarische Untersuchungen in Literatur, Publizistik und Philosophie im Fokus. Der zweite Teil des Jahrbuchs ist dem Thema "Deutsche Künstler in Italien - zwischen politisch-ästhetischer Revolution und Traditionsbewahrung" gewidmet. Italien als Sehnsuchtsziel von Malern und Schriftstellerinnen sowie als Gegenstand von Reiseberichten, Gedichten und als Opernschauplatz bietet einerseits Inspiration und Freiraum zum künstlerischen Schaffen. Andererseits ist Italien aber auch ein kulturell seit Jahrhunderten beschriebenes Gebiet, das zu einer Auseinandersetzung mit den Kulturgeschichten beider Länder und bislang vorliegenden künstlerischen Gestaltungen herausfordert.
Was in diesem Aufsatz unternommen werden soll, lässt sich als eine Phänomenologie der pathischen Wahrnehmung charakterisieren: Es geht um die Wahrnehmung, insofern sie als ein leibliches Widerfahrnis erlebt wird. Genauer gesagt: In der Wahrnehmung geschieht eine Einwirkung des Wahrgenommenen auf den Wahrnehmenden, also eine angenehme oder unangenehme Einwirkung des Wahrnehmungsobjekts auf das Wahrnehmungssubjekt, die sich als phänomenaler Bestand erfassen lässt. Das Widerfahrnis gehört daher selbst zum Wahrnehmungsgehalt des wahrnehmenden Subjekts, und nur insoweit ist es das Thema einer Phänomenologie der pathischen Wahrnehmung. [...] Das Ziel dieser Untersuchung besteht darin, die Aufmerksamkeit auf bestimmte Qualitäten der Wahrnehmungsobjekte zu richten, welche in einer jeden Wahrnehmungsphilosophie unter den Tisch fallen, welche sich üblicherweise an epistemischen Fragestellungen orientiert und die Wahrnehmung deshalb primär als sinnliche Erkenntnis befragt. [...] Eine entscheidende Hürde, die einer Phänomenologie der pathischen Wahrnehmung im Wege steht, ist nun jene bereits erwähnte und in Philosophie und Wissenschaft weit verbreitete Auffassung, Wahrnehmung sei sinnliche Erkenntnis und sonst gar nichts - zumindest nichts, was einer philosophischen Untersuchung wert sei. Es bietet sich an, diese Hürde als Primat der Erkenntnis zu charakterisieren. Allerdings ist dies nicht die einzige Hürde, die es zu überwinden gilt, um die Philosophie weiter ins Dickicht der Wahrnehmung hinein zu führen. Es lassen sich immerhin noch zwei weitere unterscheiden, die als Primat der Praxis und Primat des Leibes bezeichnen werden können. Von einem Primat der Praxis lässt sich dort sprechen, wo eine pragmatische Verkürzung in dem Sinne vorliegt, dass Widerfahrnisse nur als Widerstände gegen unser Handeln berücksichtigt werden und das Unangenehme sich damit auf das Hinderliche reduziert. Demgegenüber soll von einem Primat des Leibes, bei dem die häufige Leibvergessenheit der Wahrnehmungsphilosophie geradezu durch eine Leibversessenheit überkompensiert wird, dann die Rede sein, wenn zwar pathische Qualitäten im Mittelpunkt stehen, diese jedoch lediglich als eigenleibliche Zustände verstanden und damit von jeglicher Wahrnehmung weltlicher Objekte abgetrennt werden. In den nun anschließenden Überlegungen sollen zunächst durch eine kritische Abgrenzung gegenüber den genannten drei Hürden die Konturen eines alternativen wahrnehmungsphilosophischen Ansatzes tentativ sichtbar werden. Nach dieser kritischen Auseinandersetzung folgt dann der positive Gegenentwurf, in dem anhand von konkreten Beispielen der Versuch einer Phänomenologie der pathischen Wahrnehmung unternommen wird.