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Vor der Neuzeit war das Empfinden für die Zeit ein anderes, das wissen wir seit den begriffsgeschichtlichen Untersuchungen Reinhart Kosellecks. Die Sattelzeit markiert den Übergang von einem zyklischen zu einem lineareren Zeitverständnis, so könnte man vielleicht einen verkürzten Merksatz seiner innovativen Forschungen formulieren. Erst aufgrund seiner Studien entdeckte die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte das Thema Zeit. Es sind die gelungenen Sprachbilder Kosellecks und seiner Nachfolger, die im Gedächtnis haften bleiben. In ihnen stehen mittelalterliche Mönche mit ihrer Aufzeichnung von Chroniken für ein auf die Ewigkeit gerichtetes Zeitverständnis, in dem so etwas wie Fortschritt oder individuelle Lebenszeitplanung keinen Platz hat. Für die beschleunigte Zeit unserer Tage stehen die Bilder von dampfenden Eisenbahnen, die zeitliche Distanzen radikal verkürzten, von Fließbändern der modernen, vertakteten Arbeitswelt und von Menschen, die sich in Tagebüchern und Autobiographien Rechenschaft über die eigene Lebenszeit ablegen. Versucht man diese Bilderfolge in eine zeitliche Ordnung zu bringen, so entsteht ein merkwürdiger Befund. Die mit dem alten Zeitverständnis verknüpften spielen im Mittelalter, die anderen debütieren im Vormärz. So betrachtet entsteht ein Vakuum von mehreren hundert Jahren. Dieser Eindruck entsteht nicht nur für den Verfasser dieser Zeilen. Bei den vielfältigen historischen Untersuchungen zur Zeit dominieren eindeutig solche zum Mittelalter und der Neuzeit. Wenn man den Gegensatz linear-zyklisch einmal gedanklich beiseite legt und nach den Akteuren bei der sozialen Konstruktion der Zeit fragt, dann entstehen andere Zäsuren. ...
"Nach wie vor lückenhaft ist auch die Analyse der Einflussfaktoren, die für die Entwicklung der Kinderarbeit im 19. Jahrhundert maßgeblich waren." Dieser Befund Annika Boenterts in ihrem Buch über die "Kinderarbeit im Kaiserreich 1871–1914" erstaunt zunächst, trifft aber vollauf zu. Das "Preußische Regulativ zum Schutz jugendlicher Arbeiter" aus dem Jahr 1839 ist vielleicht die am besten erforschte preußische Verordnung des 19. Jahrhunderts. Das ist kein Verdienst der Rechtsgeschichte. Sie konzentriert sich in erster Linie auf die Privatrechtsgeschichte, meist in Form von Ideengeschichte, und in zweiter Linie auf die Verfassungsgeschichte. Die Geschichte des Straf- und Verwaltungsrechts, aber auch des Völkerrechts kommen dabei genauso zu kurz wie die Betrachtung der Wechsel- und Steuerungswirkungen von Recht und sozialen Prozessen. So haben sich vor allem die an der Geschichte der Arbeiterbewegung orientierten Sozialhistoriker der Geschichte der Kinderarbeit zugewandt. Die deutsche Historiographie zu dieser verwaltungsrechtlichen Vorschrift ist zudem die Geschichtsschreibung eines ehedem geteilten Landes. Im Westen waren es die Sozial-, Wirtschafts- und Technikhistoriker, die den Beginn der Fabrikschutzgesetzgebung in Deutschland erforschten. ...