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Rezension zu Gesine Lenore Schiewer (2014): Studienbuch Emotionsforschung. Theorien - Anwendugsfelder - Perspektiven. Darmstadt: WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), ISBN 978-3-534-26494-0, 216 S.
Die Emotionsforschung spielt in der gegenwärtigen Linguistik eine wichtige Rolle, wovon viele theoretische sowie empirische Studien mit verschiedenartigen Ansatzpunkten zeugen, die die Interdisziplinarität dieser Forschungsrichtung betonen. Die vorliegende Publikation stellt einen wichtigen Beitrag zu dieser Erforschung dar, vor allem wegen ihrer Komplexität und Übersichtlichkeit der theoretischen Ansatzpunkte.
Rezension zu Reiner, Tabea (2013): Prospektive Verben im Deutschen. An der Schnittstelle von lexikalischer Semantik und Satzsyntax. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, ISBN 978-3-8253-6263-8, 199 S.
Bei der vorliegenden Monographie handelt es sich um die überarbeitete, 2012 verteidigte Dissertation von Tabea Reiner, wobei das Neue an dem Ansatz sich vor allem aus der induktiven Vorgehensweise ergibt: Unvoreingenommen wird eine Datenmenge (108 Verben) ausgehend von ihrer lexikalisch-semantischen Bedeutung hinsichtlich ausgewählter syntaktischer Realisierungen für sich und in authentischer Verwendung analysiert. Dabei handelt es sich um die im Titel genannten prospektiven Verben, eine offene, lexikalische Verbklasse, der bisher nur am Rande eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Mellado Blanco, Carmen (Hg.) (2014): Kontrastive Phraseologie Deutsch-Spanisch. Tübingen: Edition Julius Gross im Stauffenburg Verlag, ISBN 978-3-87276-882-7, 211 S.
Der vorliegende Band enthält eine Auswahl von dreizehn Beiträgen, die im Rahmen der Internationalen Tagung zur kontrastiven Phraseologie Deutsch-Spanisch/Galicisch am 24. und 25. November 2011 an der Universität Santiago de Compostela (organisiert von der dortigen Forschungsgruppe FRASESPAL) gehalten wurden. Davon sind acht in deutscher Sprache und fünf auf Spanisch verfasst. Eine solch monographische Tagung sowie die daraus hervorgegangenen Resultate beweisen, was für einen hohen Stellenwert die kontrastive Phraseologieforschung mittlerweile innehat und wie diese in Spanien von ausgewiesenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und diversen Forschungsprojekten vorangetrieben wird.
Rezension zu Jesenšek, Vida/Dobrovolskij, Dmitrij (Hgg.) (2014): Phraseologie und Kultur. Phraseology and Culture. Bielsko-Biała/Budapest/Kansas/Maribor/Praha: Verlag der Philosophischen Fakultät Maribor, ISBN 978–961–6930–04–8, 597 S.
Der vorliegende Band (sowie drei andere Tagungsbände, die Phraseodidaktik, Phraseographie und Phraseme in Korpora wie auch die vergleichende Phraseologie fokussieren) geht auf die Tagung der Europäischen Gesellschaft für Phraseologie zurück, die im August 2012 in Maribor stattgefunden hat.
[Rezension zu:] Melanija Fabčič (Hg.): Phraseologie im interlingualen und interkulturellen Kontakt
(2015)
Rezension zu Fabčič, Melanija/Fiedler, Sabine/Szerszunowicz, Joanna (Hgg.) (2013): Phraseologie im interlingualen und interkulturellen Kontakt. Phraseology in Interlingual and Intercultural Contact. Bielsko-Biała/Budapest/Kansas/Maribor/Praha: Verlag der Philosophischen Fakultät Maribor, ISBN 978-961-6930-03-1, 333 S.
Die Tagung der Europäischen Gesellschaft für Phraseologie, die im August 2012 in Maribor stattfand und unter dem Motto "Phraseologie und Kultur" stand, brachte vier Tagungsbände her. Die Beiträge des vorliegenden Bandes, die eine Auswahl von Vorträgen der Sektion "'Nosce te ipsum' - Phraseologie im interlingualen und interkulturellen Kontakt" repräsentieren, beschäftigen sich vorrangig mit Fragen zum phraseologischen Sprachvergleich sowie mit Fragen der Entlehnung und Übersetzung von Phrasemen.
Rezension zu Dringó-Horváth, Ida/Fülöp, József/Hollós, Zita/Szatmári, Petra/Szentpétery-Czeglédy, Anita/Zakariás, Emese (Hgg.) (2014): Das Wort - ein weites Feld. Festschrift für Regina Hessky. Budapest: L’Harmattan, ISBN 978–963–236–885–6, 318 S.
Die vorliegende Festschrift ist Regina Hessky gewidmet, die 2013 ihren 70. Geburtstag feierte. 2014 sind mehrere AutorInnen des Bandes nach Budapest gefahren, um dort ihren Beitrag auch in Form eines Vortrags auf einer Festveranstaltung zu präsentieren und der Jubilarin mit vielen anderen TeilnehmerInnen zusammen zu gratulieren und die Festschrift zu überreichen.
In der vorliegenden Studie wird die Textsorte ‚didaktisch angelegter fachsprachlicher Text‘ einer korpusbasierten Analyse unterzogen, wobei die Perspektive 'Autor - Text' und Prozesse der Informationsübertragung im Vordergrund stehen. Die theoretische Grundlage bilden zwei Ansätze der Pragmasyntax: (1) Der Ansatz 'Attention-Information-Flow' (vgl. SCHULZE 2004: 549f.) beruht auf dem Gedanken, dass der Textproduzent die Informationen versprachlicht, die seine Aufmerksamkeit anziehen. (2) Das Konzept 'Grammatik der Szenen und Szenarien' (vgl. SCHULZE 1998: 435ff.) bezieht sich auf die Strategien der Versprachlichung, dank derer der Autor für wichtig gehaltene Informationen vermitteln kann. Die Ergebnisse der Korpusanalyse bilden ein Tableau mit Eigenschaften der zu erforschenden Textsorte und die Beschreibung ihrer Auswirkung auf Textgestaltungsprozesse unter dem Aspekt einer effizienten Informationsvermittlung.
[Rezension zu:] Bescansa, Carme/Nagelschmidt, Ilse (Hgg.) : Heimat als Chance und Herausforderung
(2015)
Rezension zu Bescansa, Carme/Nagelschmidt, Ilse (Hgg.) (2014): Heimat als Chance und Herausforderung. Repräsentationen der verlorenen Heimat. Berlin: Frank & Timme, ISBN 978–3–7329–0027–5, 333 S.
Die Publikation besteht aus einer Auswahl von Beiträgen (insgesamt 17), die auf der Internationalen Tagung 'Repräsentationen der verlorenen Heimat in der deutschsprachigen Literatur Böhmens, Mährens, Schlesiens' an der Universität des Baskenlandes in Vitoria-Gasteiz im Juni 2013 gehalten wurden. Die Tagung wurde als Abschluss von zwei an der baskischen Universität in den Jahren 2010 und 2013 realisierten Forschungsprojekten realisiert. Den Untersuchungsgegenstand der literarischen Analysen stellt die Frage der verlorenen bzw. verschwindenden Heimat und Identität dar.
Der Beitrag befasst sich im Rahmen einer linguistisch-kritischen Inhaltsanalyse mit Aufklebern, die über rechtsextreme Versand-Anbieter im Internet vertrieben werden. Bei der Betrachtung von Sprache, Bild und Sprache-Bild-Kombinationen kann festgestellt werden, dass vor allem neuheidnische Aufkleber im Vordergrund des Angebotes stehen, während andere gesellschaftliche Fragen deutlich seltener thematisiert werden. Die Aufkleber dienen der Identitätsstiftung der rechtsextremen Szene, besitzen darüber hinaus aber auch eine an die Öffentlichkeit gerichtete Bekenntnisfunktion. Dabei werden sowohl sprachliche als auch bildliche und typografische Codes eingesetzt, um eine Einordnung in den rechtsextremen Lifestyle zu gewährleisten. Als eine inhaltliche Konstante der Aufkleber kann eine dezidierte Gewaltbejahung festgestellt werden. Die Ausrichtung der Aufkleber passt sich so mit der Bezugnahme auf germanisch-mythologische Elemente sowie mit der Vermittlung einer aggressiven Grundhaltung in den ideologischen Gesamtkontext der rechtsextremen Erlebniswelt ein.
Eine Textsortenstilistik der Reformationszeit muss sich den neuen Gegebenheiten wie dem medialen Wandel, dem Interesse an einer Vorform der Individualität oder dem Aufkommen von Autorinnen stellen. Diese Aspekte werden in der folgenden Untersuchung anhand ausgewählter Texte von zwei Flugschriftenverfassern, Heinrich von Kettenbach und Philipp Melanchthon, sowie einer Autorin, Argula von Grumbach, herausgearbeitet. Bei Heinrich von Kettenbach wird im Prozess von der mündlichen Predigt hin zum gedruckten Text mit sprachlichen und rhetorischen Mitteln ein einheitlicher Stil erzeugt, der bei den Rezipienten einen hohen Wiedererkennungseffekt hat. Dagegen sind Melanchthons frühe deutschsprachige Schriften weniger stilistisch überarbeitet, sodass sich ein Autorstil nicht eindeutig ausmachen lässt. Schließlich zeigt sich in Argula von Grumbachs Flugschrift, dass Geschlechterrollen in gedruckten Texten der Reformationszeit durch Argumentation und Stilisierung gekennzeichnet werden.
Der Absatz hat in der Sprachtheorie nur relativ wenig Aufmerksamkeit gefunden. In diesem Beitrag soll den Gründen für die Marginalisierung dieser schriftsprachlichen Einheit nachgegangen werden. Zu diesem Zweck wird der Absatz zunächst im Kontext 'benachbarter' Einheiten (Text, Satz, Periode) betrachtet. Danach werden einschlägige Beiträge gesichtet, und zwar sowohl ältere und neuere Absatzcharakterisierungen aus dem deutschen Sprachraum als auch Beiträge aus anderen Sprachkulturen. Anschließend wird die linguistische Relevanz dieser Einheit diskutiert. Hierbei wird unter anderem demonstriert, dass viele Beiträge zur Absatztheorie der traditionell-rhetorischen Konzeption der Periode nahe stehen, sodass es sich empfiehlt, diese beiden Konzeptionen im Zusammenhang zu betrachten.
Der Beitrag setzt sich zum Ziel, auf eine verstärkt auftretende Entwicklungstendenz aufmerksam zu machen, die sich in Texten der Textsorte Einführung beobachten lässt. Die charakteristischen Ausprägungen dieser Tendenz lassen sich den Stilmustern 'Dialogisieren', 'Attraktiv machen' und 'Selbstdarstellen' zuordnen. Im Beitrag wird gezeigt, wie spezifische Inventare dieser drei Muster - abweichend von den stilistischen Konventionen der Wissenschaftssprache - eingesetzt werden bzw. eingesetzt werden können, um eine besondere Nähe-Beziehung zur Adressatengruppe der Studierenden zu gestalten. Dies wird an Einführungen aus dem Kommunikationsbereich der Linguistik illustriert. Anschließend wird die Frage aufgeworfen, ob diese Gestaltungstendenz ein Anzeichen eines sich anbahnenden Textsortenwandels sein könnte.
Der immer stärker spürbare Bedarf nach schnell rezipierbaren kurzen Textformen hängt unter anderem mit der Erwartung einer effektiven Informationsverdichtung zusammen. Eine sehr wichtige Rolle spielen dabei Sprachökonomie und Informationskondensierung. Der Beitrag konzentriert sich auf infinite Konstruktionen mit Partizipien und Infinitiven, die in bestimmten Textsorten ein besonders effektives stilistisches Mittel darstellen. Partizipien sind dank ihres verbalen Charakters fähig, durch Ergänzungen und Angaben erweiterte Partizipialattribute zu bilden und somit eine Aussage zu verdichten. Der instruierende Infinitiv wird häufig als Ersatzform des Imperativs verwendet. Als sprachökonomisches Stilmittel trägt er zur Übersichtlichkeit des Textes bei. In Fachtexten ist es dann vor allem der modale Infinitiv, der zur Einsparung von sprachlichem Mehraufwand dient.
In Anknüpfung an die neueren Forderungen der Textlinguistik, Texte als Teile komplexerer interaktionaler Zusammenhänge zu betrachten, werden in dem Beitrag publizistische Texte unter Berücksichtigung sozialer, situativer sowie emotionaler Aspekte verbalen Handelns erfasst und analysiert. Einbezogen werden daher sozio-kulturelle und politische Faktoren als auch etwa die Bereitschaft zur Konstitution kommunikativer Gemeinschaften. Gegenstand der Analyse sind ausgewählte Texte aus deutschsprachigen Wochen- und Tageszeitungen, die in den böhmischen Ländern zwischen 1848 und 1914 herausgegeben wurden und daher nicht zuletzt in den nationalpolitischen Diskurs involviert waren. Darüber hinaus werden exemplarisch auch Texte tschechischsprachiger Periodika dieses Zeitraums herangezogen, da sie einen bedeutenden Bezugspunkt deutschsprachiger Zeitungen darstellten und Teil derselben interaktionalen Zusammenhänge waren. Bei der Analyse wird diachron vorgegangen, um die Fragen nach dem Wandel resp. der Kontinuität kommunikativen Handelns zu erörtern.
Wie nähert man sich einem Text, der so ist wie die "Bücher …, deren Prosa man verfolgen mußte wie ein Wildpfad, der über Wolfsgruben führt" (Jünger 1988:105), wie es Ernst Jünger so kryptisch in seinem Text 'Die Vexierbilder' beschrieben hat? Einem hybriden Text, den man nicht eindeutig einer Textsorte zuschreiben kann? Mit einer Methode, die ihrerseits genauso hybrid ist; eine Kombination aus kognitionswissenschaftlichem, filmtheoretischem und philosophischem Zugang. Am Beispiel von 'Blaue Nattern', einer Figur (wie Jünger sie nennt) aus dem textsortenmäßig genauso schwer klassifizierbarem Buch 'Das abenteuerliche Herz', wird diese kombinierte Methode zum Zweck der Erschließung des Textsinns eingesetzt, der modernen Stiltheorien entsprechend im Textstil enkodiert ist und darüber hinaus auf die dem Text zugrundeliegende Denkweise schließen lässt.
Die Textsortenlinguistik steht seit Längerem wieder stärker im Fokus der sprachwissenschaftlichen Forschung. Ein intensiveres Einbeziehen der Textsorten in den Sprachunterricht wird jedoch als ein zentrales Desiderat dargestellt. Der vorliegende Beitrag ist der empirisch-induktiven Richtung in der Textsortenlinguistik zuzuordnen, deren Ziel es ist, ausgehend von einer umfassenden Analyse und einer detaillierten Beschreibung konkreter Textsorten einzelsprachspezifische Routinen aufzudecken. Der Beitrag möchte außerdem fremdsprachendidaktische Zielsetzungen in den Vordergrund stellen und das Potenzial einer ausgewählten Textsorte für die Arbeit mit und an Texten im schulischen DaF-Unterricht aufzeigen. Zum einen wird der Frage nachgegangen, wie man solche Texte in die Grammatik- und Wortschatzvermittlung einbeziehen kann, indem man sprachliche Mittel (grammatische wie lexikalische) in Funktion für die Lernenden sichtbar macht. Zum anderen wird erforscht, wie die hier im Fokus stehende Textsorte für die Entwicklung der rezeptiven sowie produktiven Fertigkeiten genutzt werden kann.
In diesem Beitrag werden anhand eines Korpus von Paralleltexten deutscher und italienischer Reiseführer jeweils kulturspezifische stilistische Aspekte dieser Textsorte dargestellt. Reiseführer können beschrieben werden als heterogene, weitgehend gering standardisierte Großtextsorte, die aus vier Subtextsorten besteht (Orientierungstexte, Ratgebertexte, Besichtigungstexte, Hintergrundtexte) und gleichzeitig mehrere Funktionen erfüllt (informieren, werben, bewerten, instruieren usw.) (Fandrych/Thurmair 2011). Der kulturellen Vermittlung des Reiseziels kommt dabei traditionell eine wichtige Rolle zu, wobei die Darstellung und Konstruktion des Reiseziels gewöhnlich nicht allein durch sprachliche Mittel erfolgt, sondern auch mittels Bilder, die kognitiv schneller und wirkungsstärker rezipiert werden (Stöckl 2011). Die im Reiseführer enthaltene Auswahl von Informationen und die Art der Darstellung (das 'was' und 'wie' im Sinne von Fix/Poethe/Yos 2003) folgt dabei kulturspezifischen Diskurstraditionen. Der Beitrag basiert auf einem funktional-pragmatischen Ansatz, der es erlaubt, die Text-Bild-Relation in die textstilistische Analyse einzubeziehen.
Anhand einer Analyse von authentischen Fallbeispielen soll untersucht werden, wie der mit "kein" negierte Gleichsetzungsnominativ gegenüber dem mit "nicht ein" negierten seinen Aussagewert verändert. Die Belege stammen aus einschlägigen Online-Korpora. Um das Phänomen der Negation mit "kein" oder mit "nicht ein" theoretisch zu untermauern, werden diesbezüglich verschiedene Grammatiken konsultiert und Regelmäßigkeiten, bzw. Normverstöße und Ausnahmeregelungen zusammengestellt. Meine Ausgangshypothese ist, dass diese beiden Verneinungsstrategien auch verschiedenen stilistischen Fokussierungen entsprechen. Abschließend schlage ich mehrere Übungsmodalitäten vor, die in einer didaktisch sinnvollen Progression diese Unterschiede herausarbeiten und dem Lerner klarmachen sollen.
"Eine gewichtige Pranke" : Walter Benjamin und Giorgio Agamben zu Erzählung und Gesetz bei Kafka
(2014)
In seinem Brief an Gershom Scholem vom 11. August 1934 nennt Walter Benjamin das Gesetz den "toten Punkt" in Kafkas Werk. In seinen Notizen zu diesem Brief spricht Benjamin abfällig von Kafkas "stete[m] Drängen auf das Gesetz" und bezeichnet es als "Schublade des Geheimniskrämers" und als "Begriff, mit dem [er sich] nicht einlassen möchte" (BK, 154). Aus den darauf folgenden Sätzen wird allerdings deutlich, dass Benjamin die Auseinandersetzung mit dem Gesetz bei Kafka nur insofern scheut, als dieses auf den 'Begriff' gebracht werden soll, denn, so Benjamin weiter, "sollte er in Kafkas Werk dennoch eine Funktion haben [...] so wird auch eine Interpretation die von Bildern ausgeht - wie die meinige - auf sie führen" (ebd.). Die Unterscheidung zwischen begrifflicher Festlegung, die Benjamin ablehnt, und bildlicher, also im weiteren Sinne metaphorischer Darstellung, die er einigermaßen billigt und praktiziert, weist auf die auffallende, wenn auch schwer deutbare Bildsprache hin, mit der Benjamin sich der Bedeutung des Gesetzes bei Kafka annähert. Tatsächlich befasst Benjamin sich, im Widerspruch zu seiner angekündigten Weigerung, ebenso in seinem großen Essay "Franz Kafka. Zum zehnten Jahrestag seines Todes" (BK, 9-38) wie in seinem Briefwechsel mit Scholem ausführlich mit Fragen des Gesetzes im Werk des Prager Autors. Diese Ausführungen gilt es im Folgenden mit den zahlreichen Betrachtungen zu diesem Thema in den Schriften Giorgio Agambens, der sich gerade in Bezug auf Kafka häufig explizit auf Benjamin als Vorlage beruft, zu vergleichen. Dabei sollen ebenso die Gemeinsamkeiten wie die Unterschiede der beiden Denker und deren ideeller Horizont herausgestrichen werden, um Einsicht in die Ausrichtung des 'Nachlebens' von Benjamins Gedankengut bei einem seiner bedeutendsten heutigen Erben zu gewinnen.
Die folgenden Überlegungen behandeln Phänomene der Temporalität und Zeitchoreographie in Walter Benjamins Prosamix 'Berliner Kindheit um neunzehnhundert'. Es gilt darüber nachzudenken, inwieweit es sich hierbei um ein ästhetisch induziertes Zeitarrangement handelt, von dem sich sagen ließe, dass in Augenblicken dieser faszinierenden Erinnerungsbilder die Zeit poetologisch konzeptionell geordnet, doch nicht instrumentell hierarchisiert wird. Sollen also Zeitphänomene im ästhetischen Modus betrachtet werden, so wird es unverzichtbar sein, sich der ästhetisch realisierten Zeitvarianten so zu versichern, dass eine minimale Zeitphilosophie formulierbar ist, die mehr besagt als eine rein systematisierende Zeitkasuistik. Von einer mikrologischen Zeitrettung könnte dann gesprochen werden, wenn unter dem Modus der Erinnerung dieser autobiographischen Sequenzen nicht allein Aspekte der Verräumlichung und Topographie verstanden werden, sondern stattdessen auch jene Zeitreserven in den Blick genommen werden, die besonders im Modus der Selbstwahrnehmung beim Erinnern hervorgebracht werden. Ich möchte die These vertreten, dass Benjamin als Zeitsammler, Zeitbewahrer und als uchronischer Zeitphysiognomiker auf der Grundlage einer tendenziellen Stillstellung von Zeit in diesen prosaischen Bildsequenzen gegenläufig geradezu multiple und dynamisierte Zeitphänomene und Zeiterfahrungen hervorbringt. Da diese an einen bestimmten rekursiven Wahrnehmungsmodus gebunden sind, werden zunächst Phänomene dieses Modus behandelt, um anschließend damit einhergehende Typen ästhetischer Eigenzeiten zu benennen und diese im Zusammenhang mit einer strukturierenden Logik der uchronischen Zeitlichkeit in der 'Berliner Kindheit' zu denken.
Während der Arbeit an den 'Thesen über den Begriff der Geschichte' hat Walter Benjamin den in der Geschichtsschreibung gebräuchlichen Begriff der "Quelle" einer radikalen Kritik unterworfen, die die Formen der Überlieferung überhaupt infrage stellt. Statt sich an das Schauspiel eines Stroms der Überlieferung zu verlieren, zu dem sich die Quellen vereinigt haben, frage der historische Materialist danach, wessen Mühlen der Strom treibe, wer sein Gefälle verwerte, wer ihn eindämmte, und indem er die Kräfte beim Namen nenne, "die in ihr am Werke gewesen sind", verändere er "das Bild der Landschaft" (GS I, 1160 f.). Diese Kritik sieht die "Quellen" in einen selber von Interessen und Macht bestimmten, weitgehend 'verderbten' Prozess der Überlieferung eingebunden. In der echten Geschichtsschreibung, heißt es in einem Entwurf der 'Thesen', erwachse daraus, und eben so stark wie ihr destruktiver Impuls, "der Impuls der Rettung", nicht nur vor "dem Verruf und der Mißachtung", in die Gewesenes geraten ist, sondern eben "vor einer bestimmten Art seiner Überlieferung" (WuN XIX, 128) selber. Der Begriff der "Quelle" gehört für Benjamin einer positivistisch verstandenen 'reinen' Wissenschaft der Geschichte an; der "wissenschaftliche" Charakter der Geschichte aber wird "erkauft mit der gänzlichen Ausmerzung alles dessen, was an ihre ursprüngliche Bestimmung als Eingedenken erinnert. Die falsche Lebendigkeit der Vergegenwärtigung, die Beseitigung jedes Nachhalls der 'Klage' aus der Geschichte bezeichnet ihre endgültige Unterwerfung unter den modernen Begriff der Wissenschaft." (GS I, 1231) Die 'Thesen' legen theoretisch-methodisch den Grund dafür, dass Referenztexte ganz anders aufgefasst werden als "Quellen" in einer begriffs- oder ideengeschichtlichen Darstellung. Wie aber dann, zumal in den 'Thesen' selber? Die Frage nach der Funktion der Referenzen in den 'Thesen' ist anders zu stellen als die nach einer Verwendung von Quellen, nämlich als die Frage danach, in welcher Weise Benjamin 'in' ihnen, 'mit' ihnen und 'gegen' sie denkt. So kommen auch die unterschiedlichen Formen der nicht explizit gemachten, verborgenen Referenzen ins Spiel.
Im journalistischen Kontext sind die Schriften Walter Benjamins keine übliche Referenz. Die Information, die im Journalismus die gültige Währung ist, deren Kurs sich nach Aktualität, Attraktivität und Exklusivität richtet und deren Gebrauchswert nach "Neuigkeit, Kürze, Verständlichkeit" (GS I, 610) taxiert wird, hat für Benjamin keinen Wert. Er spricht ihr jede Anlage auf Nachhaltigkeit ab (GS II, 445). Dennoch besteigt Walter Benjamin mit seinen Beiträgen für Zeitung, Zeitschrift und Rundfunk die "journalistische Lokalbahn", ebenso wie er den "literarischen Fernverkehr" (GB III, 253) für seine publizistische Strategie zu nutzen weiß, und dabei hat er auch Interviews und Gespräche im Gepäck.
Von allen wichtigen Texten Benjamins sind seine Sonette auf seinen Dichterfreund Christoph Friedrich Heinle, der seit 1913 mit ihm in der Jugendbewegung aktiv war und am 9. August 1914 verzweifelt über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit seiner Verlobten Rika Seligson Selbstmord verübt hatte, verhältnismäßig wenig von der Kritik gewürdigt worden. Entstanden sind die Gedichte vermutlich zwischen 1915 und 1925, mit Handschriften-Datierungen von vor Ende 1917 und nach Anfang 1918; ihr Manuskript befindet sich unter den Papieren Benjamins, die im Juli 1981 von Giorgio Agamben in der 'Bibliothèque nationale' in Paris gefunden wurden. Sie sind in einer komplexen Sprache verfasst, die verschiedene Vorbilder - darunter den Duktus Stefan Georges und den Spätstil Hölderlins - höchst eigenwillig weiterführt. Esoterische, oft rätselhafte Metaphern und willkürlich-kryptische Bilder, eine preziös-archaisierende Stilhöhe, grammatikalische Brüche und das syntaktische Zusammenhänge verschleiernde Fehlen der Interpunktion, durch diese Merkmale verweigern sich die Sonette einer hermeneutischen Entschlüsselung, die sich durch den Nachvollzug der Einzelheiten im Gesamtzusammenhang das Verständnis kohärenter Sinntotalität erhofft. Stattdessen sind die Leser darauf angewiesen, die sich immer wieder selbst verschleiernde Beziehung des lyrischen Ichs zu dem Verstorbenen durch ein Nachbuchstabieren bestimmter Textdetails so zu rekonstruieren, dass deren Inkonsistenzen, Sinnbrüche und Mehrdeutigkeiten nicht beseitigt, sondern als das Medium erkannt werden, in dem eine poetisch-erotische Liebe die Möglichkeiten und Grenzen ihrer eigenen Versprachlichung reflektiert. Diese performative Selbstreflexion - so meine Kernthese - geschieht vorrangig im Rahmen einer intermedialen Beziehung zwischen Schrift, Bild bzw. Blick und Musik. Dabei soll gerade der letzteren Kunstform besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, ist sie doch erst in jüngster Zeit systematisch von der Kritik behandelt worden.
Walter Benjamins Name taucht in Kracauers fragmentarisch gebliebenem Spätwerk 'History - The Last Things before the Last' (1969) nur wenige Male auf, jedoch finden sich unter den Materialien und Vorarbeiten zu diesem Werk, die in seinem Nachlass im Deutschen Literaturarchiv in Marbach aufbewahrt werden, einige Lektürenotizen zu Benjamins Thesen "Über den Begriff der Geschichte". Ein Briefumschlag mit Karteikarten versammelt eine Reihe von Kommentaren, die es erlauben, Kracauers Blick auf diesen Text zu rekonstruieren. Dies erscheint umso interessanter, als es sich hier um die Rezeption eines sehr gut informierten zeitweiligen Weggefährten und Schicksalsgenossen handelt, der sich als Überlebender in den 1960er Jahren, etwas mehr als zwei Jahrzehnte nach der Entstehung von "Über den Begriff der Geschichte", manchen ihrer einst gemeinsamen Fragestellungen erneut zuwendet.
"Wirklich notwendig scheint nur das Vergangene, daran eben nicht mehr zu rütteln ist. Aber ist denn das Vergangene wirklich notwendig?" – so fragt Georg Lukács in seiner "Metaphysik der Tragödie", mit der die Essay-Sammlung 'Die Seele und die Formen' (1911) zu ihrem Abschluss kommt. Man kann Blochs 'Geist der Utopie' (1918) als den Versuch ansehen, eine breit angelegte negative Antwort auf diese Frage zu geben: Nein, das Vergangene ist keineswegs wirklich notwendig. Denn im Mittelpunkt von Blochs schwungvoll-pathetischen Überlegungen steht die Entdeckung eines Vermögens, dem es gelingt, die im Vergangenen schlummernde Zukunft zu befreien. Um diese ganz besondere Erfahrung zu bezeichnen, erfindet Bloch einen spezifischen Terminus: 'Eingedenken'. Hiermit führt er ein Konzept ein, das im deutsch-jüdischen Denken des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielen wird, die noch nicht angemessen beleuchtet wurde.
Neben den traditionellen Kernbereichen der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und der europäischen Literaturgeschichte gilt das besondere Interesse der komparatistischen Internet-Zeitschrift neueren kulturtheoretischen Ansätzen aus dem internationalen Raum. Darüber hinaus widmet sich Komparatistik Online vor allem den produktiven Wechselbeziehungen zwischen Literatur, bildender Kunst und Musik (Comparative Arts und Inter Arts) und den ästhetischen Grundlagen intermedialer Grenzüberschreitungen und Transferbewegungen.
Überdies sollen Beiträge zur außereuropäischen Literatur und Kultur, zur globalen Vernetzung und zur postkolonialen Situation Berücksichtigung finden.
Interkulturelle und imagologische Fragestellungen bilden einen weiteren zentralen Forschungsbereich. Geplant sind Schwerpunkthefte zu spezifischen aktuellen Themenbereichen. Daneben sollen stets auch einschlägige Forschungsbeiträge mit individueller Thematik publiziert werden.
Darüber hinaus gilt die besondere Aufmerksamkeit interessanten komparatistischen und interdisziplinären Neuerscheinungen, für die eine eigene Rubrik mit Buchbesprechungen vorgesehen ist.
Ein weiterer wichtiger Bereich umfasst aktuelle Informationen zu den neuen Studiengängen in der deutschsprachigen Komparatistik (Bachelor und Master) sowie verwandten Bereichen wie Europäische Literatur- und Kulturgeschichte. Es ist geplant, diesbezüglich solche Informationen im Internet bereitzustellen und laufend zu aktualisieren, die für Studierende und Lehrende des Fachs gleichermaßen von Interesse sein dürften.
"Was sind das für Zeiten wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!" Diese Frage stellt Bertolt Brecht in seinem berühmten Gedicht "An die Nachgeborenen" angesichts der Machtergreifung Hitlers. Die Passage erteilt der traditionellen Naturlyrik, die vor allem in der Folge der Romantik verklärend die Schönheit von Blumen und Wäldern besingt, eine deutliche Absage. Denn wichtiger sei es, seine Stimme für den Kampf gegen den herrschenden Nationalsozialismus zu erheben, statt für die apolitische Beschreibung von Natur. Wie geht man aber dann mit dem Befund um, dass die Folgen genau dieser nationalsozialistischen "Untaten" in der Exilliteratur besonders häufig gerade mit Wurzel- und Pflanzenmetaphern beschrieben werden? Wie lässt sich die Beobachtung Christy Wampoles erklären, dass das Interesse für die eigenen Wurzeln zunimmt, wenn diese bedroht sind?
Erfahrungen von Vertreibung und Exil nach 1933 werden in einer bemerkenswert großen Zahl von autobiografischen Texten bezeugt. Die oft traumatischen Erschütterungen, die mit Ausgrenzung, Vertreibung sowie existentiellen Verlusten einhergehen, aber auch die vielfältigen Herausforderungen durch die Konfrontation mit fremden Ländern, Sprachen und Kulturen sind offenkundig Auslöser für Schreibprojekte, die das Zerbrechen von Gewissheiten und Identitäten vorführen und reflektieren, aber auch darauf zielen, Brüche und Verletzungen zu überwinden und zu heilen. Elisabeth Bronfen hat in diesem Zusammenhang mit Bezug auf eine Formulierung Freuds davon gesprochen, dass Exilerzählungen als eine Art "Schutzdichtung" beschrieben werden könnten: Als sinnstiftende Narrative tragen sie dazu bei, den verlorenen Bezug zu vertrauten Welten zu kompensieren und Selbstvergewisserung und Neuerfindung des Selbst zu ermöglichen. Wenn sie dennoch auf Erlebtes bezogen sind, so nicht in einem Sinne einfacher Nacherzählung oder Repräsentation. Gilt prinzipiell für jede Autobiografie, dass das Schreiben des Lebens dieses nicht einfach mehr oder weniger genau wiedergibt, sondern in der sprachlichen Gestaltung immer auch konstruiert, so zeigt sich dies in autobiografischen Erzählungen über das Exil besonders zugespitzt: Ein Verstehen der Wirklichkeit erscheint nicht mehr möglich, wo die Zusammengehörigkeit von Ich und vertrauter Welt grundsätzlich in Frage gestellt ist und kulturelle Traditionen, auf die sich das Ich schreibend beziehen könnte, offenbar nachhaltig zertrümmert sind.
Wie wenige literarische Werke stehen die Romane von Bret Easton Ellis im Zeichen von Serie und Wiederholung. Sie bersten vor Motiv- und Form-Wiederholungen, sind mit ihren intertextuellen Zitaten einerseits Fortsetzungen voneinander, andererseits "Wiederholungen" von Figuren aus den Texten anderer Autoren und Produzenten, sie sind besessen von der Serialität der elektronischen Medien, und - last but not least - sie warten mit einem Serienmörder (in 'American Psycho') und mit Anschlagsserien (in 'Glamorama') auf. Damit überschreiten sie die analytische Unterscheidung der Bereiche des Seriellen, die Christine Blättler in ihrem enzyklopädischen Aufsatz über die Serie aufgestellt hat: Produktion, Präsentation und Narration sind bei Ellis gleichzeitig von Wiederholungen und Serien gekennzeichnet.
Paul Kammerer, der 1919 sein Buch 'Das Gesetz der Serie' publizierte - das wohl ehrgeizigste und umfangreichste Buch dieser Art, das je veröffentlicht wurde - gehört in die Reihe der leidenschaftlichen Sammler von Zufällen. Und er bestätigt die schon bei Wilhelm von Scholz bemerkte Neigung, die Welt der Zufälle zur Konkurrentin der Normalität kausalen Denkens zu machen und aus dem scheinbar Zufälligen eine Welt zu konstruieren, die von der Normalerfahrung verdeckt ist - eine Welt der ungestörten Bedeutsamkeit. Die Zufälle, die der Biologe Kammerer viele Jahre hindurch in seine Merkbücher eintrug, werden schließlich durch seine Theorie verwandelt in Erscheinungen der Serialität, von Wiederholung und Periodizität, wodurch das Tor aufgestoßen werde zu einer neuen Gesetzlichkeit. Wo Kausalität war, sollte Serialität werden. Das scheint der Sinn des Buchtitels 'Das Gesetz der Serie' zu sein, das in gewisser Weise ein Gegenprogramm zu Freuds: "Wo Es war, soll Ich werden" formuliert. Denn es soll eben nicht der 'subjektive' Zufall sein, die in die kausalgesetzliche Naturordnung eingewobene Zufälligkeit. Daneben soll vielmehr eine zweite Ordnung aufscheinen, die nicht weniger regelmäßig ist. Man muss sich vor Augen halten, dass Paul Kammerer nicht eigentlich ein Buch über, sondern eines gegen den Zufall geschrieben hat, über den er nur mit Herablassung oder Verachtung spricht. Von Zufall dürfe, erklärt er, keinesfalls geredet werden: "Ganz abgesehen davon, dass die Erklärung einer Begebenheit durch 'Zufall' ein grober Missbrauch ist und in keiner wissenschaftlichen Begründung geduldet werden sollte." Der Zufall dient ihm nur dazu, das Tor zum Gebiet seiner Serialitätsforschung abzustecken, das er mit keinem geringerem wissenschaftlichen Ernst ins Auge fasst als Sigmund Freud die Träume und pathologischen Phänomene des Alltags.
In Menschenobhut können junge von Menschenhand aufgezogene Dachse sehr zahm werden. Daher kennt man eine Eigenheit der Dachsheit, auf die es mir hier ankommt: Man kann Dachse nur bedingt erziehen. Sie reagieren nämlich nicht auf negative Verstärker, wie man im Fachjargon all jene Bestrafungstechniken von Ausschimpfen, Futterentzug über Prügel bis zu Elektroschocks nennt, die immer noch die Grundlage fast jeder Dressur, sei es im Zirkus, im Pferdesport oder Hundespektakel bilden. Der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt ist an dieser Eigenheit des Dachses im Falle seines von Hand aufgezogenen zahmen Dachses schier verzweifelt, bis er erkannte: Dass es Tiere gibt, die die Reaktion auf den negativen Verstärker nicht in ihrem Verhaltensprogramm haben und somit undressierbar sind. Eibl mochte seinen Dachs aber trotzdem, und nachdem er es aufgegeben hatte, dem Dachs das freie Geruchsmarkieren im Haus verbieten zu wollen, gestaltete sich das Zusammenleben auch wieder ohne Verzweiflung. Damit bin ich bei meinem Titel angekommen: Reden wie ein Hund - Pfeifen wie eine Maus - Lernen wie ein Dachs. Über abgebrochene Serien des Tier-Werdens in Kafkas Erzählungen. Das Vorhaben ist der Versuch, anhand dreier Erzählungen Kafkas - nämlich die 'Forschungen eines Hundes', 'Josefine, die Sängerin' und 'Der Bau' - eine Art Entwicklungslinie im Tier-Werden Kafkas aufzuzeigen, die mit dem unerziehbaren Dachs abbricht, aber damit nicht, wie man Kafka oft unterstellt hat, im unentschiedenen Nichts landet, sondern einen Ausweg zeigt, mit dem man leben kann. Das hoffe ich zum Ende deutlich machen zu können.
Dezember 1925, Staatsoper Unter den Linden Berlin: Zwei Tage vor Weihnachten besuchen Theodor W. Adorno und Walter Benjamin die erste auf die aufsehenerregende Uraufführung folgende Vorstellung von Alban Bergs Oper Wozzeck: Es dirigiert Erich Kleiber, die Hauptpartien singen Leo Schützendorf, Fritz Soot und Sigrid Johanson. Nicht nur auf den 'Expertenhörer' Adorno - der in einem an seinen Kompositionslehrer übermittelten Bericht sowohl Benjamins Bestimmung des "Ausdruckslosen" aufgreift, als auch dessen physische Präsenz erwähnt - hinterlässt die Musik einen bleibenden Eindruck. Benjamin erinnert sich dieser Aufführung noch zehn Jahre später in einem seiner Briefe an Adorno und bekennt nach der Lektüre von dessen Berg-Analysen, "dass der überwältigende Eindruck, kraft dessen mich der Wozzeck an jenem Abend gefangen nahm, das Signal eines mir unbewussten aber bis ins einzelne nennbaren Betroffenseins gewesen ist". Von der geschichtsphilosophischen Einordnung der Berg'schen Musik, welche "wie die gleichsam namenlose technische Arbeit des Schülers Schönbergs die Tradition des 19ten Jahrhunderts im Namen des Musikers zur Ruhe geleitet und ihren eigenen Klagegesang anstimmen lässt", führt Benjamin sich dann sogar versucht, den "Begriff des 'kleinen Übergangs' [...] der Kompositionslehre abzuborgen (GB V, 565). Im Gegensatz zu Adorno wird Walter Benjamins Theorie jedoch kaum mit Musik in Verbindung gebracht, sondern vor allem für ihr Bilddenken geschätzt. Auch wenn im 'Ursprung des Deutschen Trauerspiels', in den Erinnerungsszenen der 'Berliner Kindheit', den Häuser- und Gedankenschluchten der 'Passagenarbeit' und nicht zuletzt in seinem Briefwechsel durchaus von Musik die Rede ist, rücken Klänge seltener in den Mittelpunkt seiner Schriften und sind in der Rezeption bisher auch weniger beachtet worden. Ohnedies wird derjenige enttäuscht, der gerade von Benjamin - so reizvoll es sein mag, sich solchen Gegenständen widmende Essays zu imaginieren - die Exegese des gängigen musikalischen Kanons erwartet: Keine Abhandlung zu Schuberts Streichquintett schließt an die Interpretation der 'Wahlverwandschaften' an und ebenso vergeblich sucht man nach die Erwägungen zum Trauerspiel auf die Affektkontrolle der 'opera seria' oder die des Kraus-Essays auf die Musik des 'Fackel'-Habitués Arnold Schönberg übertragenden Arbeiten. Dennoch kommt Musik, Klage und Tönen in Benjamins Reflexionen eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Selten drängen sie sich lautstark in den Vordergrund, erlauben aber - zumal in einer Zeit, in der auch die professionelle Auseinandersetzung mit Musik die ideale Beständigkeit musikalischer Werke und ihrer Texte zunehmend in Zweifel zieht - theoretische Einsichten, über die das auf andere Dinge gerichtete Ohr des Experten achtlos hinweggeht. In Ergänzung zur wohlbekannten epistemischen und poetischen Rolle seiner Sprach- und Denkbilder unternimmt dieser Band den ersten systematisch angelegten Versuch, sowohl den kultur- und medienhistorischen Zusammenhängen von Benjamins akustischen Motiven nachzugehen als auch ihre ästhetische Relevanz für die gegenwärtige Produktion und Reproduktion von Klängen zu reflektieren.
'The Making of Americans' wurde 1903 begonnen, 1905/6 zugunsten des Erzählbands 'Three Lives' unterbrochen, 1906 und 1908 komplett umgeschrieben und 1911 schließlich abgeschlossen (also viel früher als 'Ulysses' und 'À la recherche du temps perdu'). Zur Veröffentlichung des Romans kam es allerdings erst 1925, was die öffentliche Wahrnehmung des Textes als einer Urszene der Moderne stark beeinträchtigt hat. Aber es gibt auch noch andere Gründe, weshalb 'The Making of Americans' rasch in Vergessenheit geriet: der riesige Umfang des Romans (fast 1000 Seiten) und seine serielle Wiederholungsstruktur sorgten dafür, dass er einer größeren Leseöffentlichkeit bis heute weitgehend unbekannt blieb. Steins Aufkündigung der Erzähltradition des 19. Jahrhunderts fiel noch radikaler aus als Prousts und Joyces Romanexperimente. Es gibt aber durchaus Gemeinsamkeiten: alle drei Autoren machen die Prozesse des Erinnerns, Denkens und Fühlens zur Grundlage der Darstellung im Roman und verzichten auf die teleologische Konsequenz kausaler Verknüpfungen zugunsten des verdichteten Augenblicks. Schon im ursprünglichen Entwurf von 'The Making of Americans', der auf den ersten Seiten des Romans noch erkennbar ist, sind erste Anzeichen für den Bruch mit der Erzählform erkennbar. Stein wollte Amerika als neue Nation schildern, "whose tradition it had taken scarcely sixty years to create". Im Mittelpunkt sollten drei Generationen zweier Immigrantenfamilien stehen, die Dehnings und die Herslands. "The old people in a new world, the new people made out of old, that is the story that I mean to tell, for that is what really is and what I really know." Obwohl sie den Roman als Gesellschaftspanorama anlegte, konzentrierte sich Stein von Anfang an auf das Privatleben ihrer Protagonisten. Im Gegensatz zu den Realisten des 19. Jahrhunderts, die den Konflikt von Neigung und Pflicht, von sozialen Normen und subjektiver Moral in den Mittelpunkt der Handlung stellten, folgte Stein dem Programm des Naturalismus und richtete ihr Interesse nicht auf die Handlungen und Handlungsspielräume der Subjekte, sondern auf die gesellschaftlichen Kräfte, die Subjektivität formen und prägen. Der Titel 'The Making of Americans' fasst die Ausbildung amerikanischer Identität als einen beinah industriellen Herstellungsprozess sozialer Identität und deutet darin ein erstes Motiv für eine serielle Schreibweise an.