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Die folgenden Überlegungen zielen darauf ab, den Übergangscharakter der Erkenntnislehre Feuerbachs auszuweisen, die einerseits an die objektivistische Linie der empiristisch-sensualistischen Philosophie unter den französischen Materialisten anschließt und andererseits auf die ökologische Fundierung des menschlichen Bewusstseins und seiner Leistungen vorausweist, die seit dem letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts in Philosophie und Wissenschaften Verbreitung gefunden und der aktuellen, in Philosophie und Neurowissenschaften vertretenen Embodiment-Forschung den Weg bereitet hat. So stehen Feuerbachs 'reformatorische' Bemühungen um eine Erneuerung der deutschsprachigen Philosophie nach dem Idealismus in einer bislang noch unbeachtet gebliebenen Fernbeziehung mit den Bemühungen der Gegenwart um eine Revision des klassischen Leib-Seele-Dualismus. Zur Veranschaulichung des Kerngehalts von Feuerbachs französischen Vorläufern greife ich zunächst auf die Radikalisierung des Empirismus einerseits durch den erkenntnistheoretischen Sensualismus und andererseits durch den physiologischen Materialismus zurück, indem ich exemplarisch Etienne Bonnot de Condillacs "Traité des sensations" und Julien Offray de La Mettrie's "L'Homme Machine" als realtypische Ausdrucksgestalten dieser französischen Entwicklungslinie darstelle (1). In einem zweiten Schritt zeige ich Gemeinsamkeiten und Differenzen Ludwig Feuerbachs im Verhältnis zu dieser sensualistischmaterialistischen Traditionslinie des empiristischen Philosophierens auf (2) und schließe damit, wie Feuerbachs Umformung dieser Tradition zugleich auf die Ökologisierung der Erkenntnistheorie um 1900 und vermittelt darüber auch auf die gegenwärtige Forschung zur Philosophie der Verkörperung vorausweist (3).
Das Buch nimmt die Beobachtung zum Ausgangspunkt, dass wahrnehmende Lebewesen immer auch sich bewegende Lebewesen sind. Der Zusammenhang zwischen den Vermögen der Wahrnehmung und der Selbstbewegung wird hier als ein konstitutiver gefasst, der insofern Auswirkungen für das Verständnis und die philosophische Analyse des jeweiligen Vermögens hat. Im Fokus steht das wechselseitige Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Handeln beim Menschen und damit auch die Frage, in welcher Beziehung das begriffliche Denken zu den genannten Vermögen steht. Die Arbeit diskutiert Schriften von Wittgenstein, Anscombe, Merleau-Ponty, Dreyfus, McDowell, sowie neuere Beiträge aus der enaktivistischen und phänomenologischen Tradition.
Im ersten Kapitel wird der Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Handlung in der Erkenntnistheorie untersucht. Hier stehen enaktivistische Theorien, die auf den grundsätzlichen Handlungscharakter der Wahrnehmung verweisen, im Mittelpunkt. Anhand einer Kritik der Kamerametaphorik des menschlichen Blicks wird dafür argumentiert, dass die (visuelle) Wahrnehmung als aktiver Prozess verstanden werden muss. Das Sehen ist weder punktförmig noch bildhaft aufzufassen, vielmehr ist es eine stets prekäre Errungenschaft eines leiblichen Wesens im Austausch mit der es umgebenden Welt. Die Ergebnisse aus dem ersten Kapitel werden im zweiten Kapitel mit Ludwig Wittgensteins Überlegungen zum Aspektsehen in Kontakt gebracht. Wittgensteins Bemerkungen zum Sehen und Aspektsehen lassen sich als Anstoß zu einem pluralistischen Verständnis der Wahrnehmung verstehen. In Anbetracht der vielfältigen Diskussionen, für die Wittgensteins Bemerkungen über das Aspektsehen relevant sind, wird hier herausgearbeitet, inwieweit sie als eine Kritik an jeder Form des Gegebenseins in der Wahrnehmung verstanden werden können. Eine Diskussion des ebenso ungewöhnlichen wie wenig beachteten Beitrags Anscombes zur Theorie der Wahrnehmung, den sie hauptsächlich in »The Intentionality of Sensation« ausarbeitet, beschließt das zweite Kapitel.
Im dritten Kapitel geht es um den zweiten Teil der These, Wahrnehmung und Handeln seien wechselseitig voneinander abhängig. In diesem Kapitel geht es um Theorien, für die die Wahrnehmung nicht einfach Informationen über die Umwelt bereitstellt, sondern selbst Bestandteil des Handelns ist. Eine besondere Herausforderung besteht darin, die Rolle der Wahrnehmung sowohl für das geistesabwesende Tun als auch für das überlegte Handeln und auch für mentale Handlungen, wie etwa Entscheidungen, zu bestimmen. Besonders offensichtlich wird die Rolle der Wahrnehmung im Handeln immer dort, wo das Überlegen zurücktritt und das gekonnte Handeln auf die Wahrnehmung von Gelegenheiten angewiesen ist – also insbesondere dort, wo das Handeln Ausdruck spezialisierter Fähigkeiten ist.
Der Wahrnehmungsbegriff, der in der Arbeit im Mittelpunkt steht, ist gerade kein allgemeiner oder übergreifenden – und erst recht kein »zugrundliegender« Begriff der Wahrnehmung. Vielmehr soll Wahrnehmung plural verstanden werden: die Wahrnehmung im Alltag, die beobachtenden Wahrnehmung, die Wahrnehmung des Profis, die begriffliche Wahrnehmung. Diese Herangehensweise läuft zwangsläufig auch auf die Frage hinaus, inwiefern sich die menschliche Wahrnehmung und die Wahrnehmung der Tiere unterscheiden. Zwar gilt für Tiere wie für Menschen, dass sie wahrnehmen und sich bewegen – aber bestimmte Formen der Wahrnehmung sind klarerweise dem Menschen vorbehalten, etwa die ästhetische, die moralische und die begriffliche Wahrnehmung. Das vierte Kapitel diskutiert – ausgehend von der Frage nach der Begrifflichkeit der menschlichen Vermögen des Wahrnehmens und Handelns –, in welchem Verhältnis diese zu denen der Tiere stehen.
Ein auffälliger Unterschied zwischen den Vermögen des Menschen und denen der Tiere – so wird sich herausstellen – ist die Flexibilität und Pluralität der menschlichen Vermögen. Doch diese Pluralität ist kein natürliches Faktum, sondern Produkt bestimmter Tätigkeiten und Praktiken. Erst im tätigen Umgang mit der Welt, durch den Erwerb bestimmter Techniken und innerhalb bestimmter Praktiken verwirklicht sich die grundsätzliche Offenheit der menschlichen Vermögen. Diese Idee, dass unsere natürlichen Vermögen in Kontakt und Auseinandersetzung mit unserer Lebenswelt sich allererst entwickeln, ist Gegenstand des fünften Kapitels.
Die konstitutiven Beziehungen zwischen Wahrnehmung und Handeln in den Mittelpunkt dieser Untersuchung zu rücken, ist dabei Ausdruck eines bestimmten Philosophieverständnisses, nämlich eines, das das wahrnehmende, denkende und handelnde Lebewesen in den Fokus seiner Untersuchung stellt – nicht das einzelne Vermögen, sondern der ganze Organismus sind der point of interest.
Universum, All, Kosmos
(2022)
Historisch gesehen ist 'Universum' ein einfaches Wort. Es stammt aus dem antiken Latein, wurde dort von Cicero gebraucht, verbreitete sich mittels des altfranzösischen 'univers' über die meisten europäischen Sprachen und fand Eingang in den modernen Wissenschaftsdiskurs offenbar mit dem offiziellen Titel "Über das Universum" der sogenannten "Kosmos-Vorlesungen", die Alexander von Humboldt im akademischen Jahr 1827/1828 an der Berliner Singakademie hielt. Die Semantik von 'Universum' hingegen, welche auf den ersten Blick ähnlich unterkomplex aussehen mag und in der Tat über zwei Jahrtausende konstant geblieben ist, konfrontiert uns mit zahlreichen Unschärfen und mit einer elementaren philosophischen Herausforderung. [...] Wie jede menschliche Kultur, so verfügt auch unsere Gegenwart über spezifische Konzepte und Bilder vom maximalen Ganzen. Einige von ihnen, vor allem solche, die in globaler Kommunikation zirkulieren, aus den Perspektiven ihrer historischen Besonderheit und ihrer epistemologischen Funktionen zu beschreiben, nehme ich mir für diesen Text vor. Epistemologisch, also auf die Strukturen von Wissen bezogen, ist der Blickwinkel, weil solche Prämissen und Bilder des maximalen Ganzen den Stellen wert von erstaunlich selten explizit werdenden Vorzeichen für individuelle Akte der Erfahrung und der Wissensbildung haben; historisch werde ich nicht im Sinn einer geschichtlichen Dokumentation verfahren, sondern mit der Bemühung, vor dem Hintergrund intellektueller Vergangenheiten eine These über die Spezifik jener epistemologischen Vorzeichen im frühen 21. Jahrhundert zu formulieren.
Im Allgemeinen werden als Stichwortgeber für Reuchlins "De verbo mirifico" der Florentiner Neuplatonismus und die Kabbala genannt, also die Platonica orientalia eines Pico della Mirandola und Marsilio Ficino. Dies ist sicher richtig, zeigt jedoch in meinen Augen nur einen kleinen Ausschnitt der zeitgenössischen und historischen Kontexte, mit denen Reuchlin arbeitet und die für seine Argumentation bezeichnend sind. Aus diesem Grund möchte ich aufzeigen, dass andere, nicht ganz so prominente theoretische Traditionen eine ebenso wichtige Rolle für seine Argumentation spielen: die Erkenntnistheorie des spätmittelalterlichen Neuplatonismus, dessen Auseinandersetzung mit der thomasischen Epistemologie und - das steht im Zentrum meiner Ausführungen - die frühneuzeitliche Skepsis (frühe Sextus Empiricus-Rezeption), die Reuchlin in den 90er Jahren, freilich ebenfalls im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem Florentiner Neuplatonismus, kennengelernt hat.
Die Rede von der Unrettbarkeit des Ich, die sich bekanntlich bis in die Postmoderne zieht, wird im ausgehenden 19. Jahrhundert explizit und spätestens um die Jahrhundertwende topisch. Hugo von Hofmannsthal, so soll das vorliegende Buch zeigen, beteiligt sich an dieser Debatte mit einem außergewöhnlichen Beitrag: Er rekonstruiert in seinen literarischen Texten die sowohl psychologischen (nicht nur psychoanalytischen) als auch theologischen Wurzeln der genannten Gedankenfigur und macht sie auf diesem Wege zur Grundlage seines poetischen Schreibens und dessen immanenter Reflexion.
Conatus und Lebensnot
(2017)
Monique David-Ménard knüpft in ihrem Beitrag an die vielschichtige und sich überschneidende, lange Rezeptionsgeschichte von französischer Philosophie und deutscher Medientheorie an, um in ihrem Beitrag zu fragen, ob und in welcher Weise eine Psychoanalyse, welche die aktuelle Wende zu den vitalistisch orientierten ontologischen Technikphilosophien nicht mitmacht, sondern die Methode der epistemologischen Brüche weiterentwickelt, mit der Medienwissenschaft im Gespräch bleiben bzw. erneut ins Gespräch kommen kann. Ausgehend von einem Vergleich des Verhältnisses von Affirmation und Passivität im Konzept des Conatus und von Eros und Thanatos in der Psychoanalyse stellt sie die These auf, dass die Einzigartigkeit der Psychoanalyse gerade darin bestehe, dass sie keine allgemeine Anthropologie darstelle, sondern eine Praxis, die darauf ausgerichtet sei, etwas sehr Spezifisches - das Triebschicksal - zu verändern. Die Übertragung erscheint aus dieser Perspektive als Dispositiv und das heißt, wie David-Ménard unterstreicht, als ein Medium unter anderen Medien.
Im vorliegenden Beitrag wird untersucht, inwieweit die komplexe Domäne der epistemischen Modalität im DaF-Unterricht erworben werden kann. Mithilfe einer Erhebung soll der Umgang mit der epistemischen Lesart der Modalverben durch DaF-Lernende ermittelt werden. Die nicht epistemische Lesart der Modalverben findet hier keine Berücksichtigung, weil sie keine große Herausforderung im Fremdsprachenerwerb darstellt. Die Probandengruppen haben die Deutschkenntnisse auf unterschiedlichen Wegen erworben: im gesteuerten Fremd-sprachunterricht (Schule, Sprachkurs), ungesteuert in Deutschland (Kindergarten, Grundschule) und Kosovo (durch Medien). Bei der Untersuchung wird der Frage nachgegangen, inwieweit sich diese Probandengruppen die epistemische Bedeutung der Modalverben aneignen konnten bzw. ob die im DaF-Unterricht vermittelten morphologischen Einschränkungen der epistemisch verwendeten Modalverben eine Lernerleichterung sind.
Ausgehend von Benjamins Texten erörtert die Wissenschaftsphilosophin Christine Blättler das in den Science Studies diskutierte Verhältnis von Genesis und Geltung und die damit verbundene Frage hinsichtlich der angemessenen Darstellungsweise von Erfahrung unter epistemologischen und sozialphilosophischen Gesichtspunkten. Sie geht dabei vom New Experimentalism aus, welcher sich gegen den in der Wissenschaftstheorie lange Zeit vorherrschenden Primat der Theorie wendet. Dem Experiment wird dabei eine autonome und objektive Funktion in der Wissensgenerierung zugesprochen. Diese Hinwendung zum Experiment steht zugleich für eine Abwendung vom Subjekt und für eine verstärkte Zuwendung zu dem, was sich als eine aperspektivische Objektivität bezeichnen ließe. Blättler setzt an diesem Punkt an, um mithilfe von Benjamins Begriff der Konstellation und seinen Überlegungen zum Erfahrungs- und Wahrnehmungswandel zu einer flexibleren Auffassung bezüglich des Verhältnisses von Objekt, Technik und Subjekt zu gelangen, die es erlaubt, den Gegensatz von Genesis und Geltung zu überwinden.
In ihrem Beitrag geht Karin Harrasser unter dem Titel "Treue zum Problem" der Frage nach, ob und wie sich das Konzept des situierten Wissens von Donna Haraway mit dem Konzept der Kosmopolitik von Isabelle Stengers verbinden lasse. Treue zum Problem wird dabei zum Begriff für eine Erkenntnishaltung, in der theoretische und wissenschaftliche Problemstellungen aus konkreten Anlässen und Situationen generiert werden. Wie man sich das konkret vorzustellen hat, führt Harrasser am Beispiel des Films von Werner Herzog vor: "Wo die grünen Ameisen träumen".
Marie-Luise Angerer fragt in ihrem Beitrag "Die 'biomediale Schwelle'. Medientechnologien und Affekt" nach den Konsequenzen, die es hat, wenn die Medientechnologien sich nicht mehr als Objekt oder als Gegenüber zur Erscheinung bringen, sondern sich - wie im Fall der "fehlenden Zeitspanne", den sie von Helmholtz bis Brian Massumi nachvollzieht - in den Prozess selbst einschreiben, mit dem die Wahrnehmung wissenschaftlich beschrieben wird. Mit Canguilhem auf der einen und Haraway auf der anderen Seite lotet sie die neue Situation aus, die sie als post-biological condition beschreibt.
Liebe, Situation, Sprache
(2013)
Ali Benmakhlouf behandelt "Die Abenteuer des Kontextprinzips" bei Wittgenstein und Frege und zeigt in überzeugender Weise, dass auch und gerade die Logik nicht davon ausgeht, dass es ein nicht situiertes rationales Wissen geben könnte. Das Kontextprinzip ist als Prinzip der Objektivität erforderlich, um sicherzustellen, dass die beurteilbaren Inhalte auch kommunizierbar sind.
Unter dem Titel "Die Begrenzung der Wissensfelder bei Kant, Canguilhem und Foucault" fragt David-Ménard nach der Beziehung, die zwischen der Problematik der Grenzen des Wissens und dem In-Rechnung-Stellen der Illusionen besteht, von denen sich das Wissen - folgt man der Richtung der kritischen Philosophie Kants - abzugrenzen hat.
Vom Vitalen zum Sozialen : Überlegungen zu einem politischen Wissen im Anschluss an Canguilhem
(2013)
Muhle geht von der Frage nach dem Verhältnis des Begriffs des Lebens und der sozialen Normen aus, das Canguilhem als eines der Mimesis des Vitalen durch das Soziale beschreibt und führt daran anschließend ihre Annahme aus, nach der Foucault aus dieser Verhältnisbestimmung von Vitalem und Sozialem einen entscheidenden Impuls für die Ausformulierung seiner Biopolitik gewonnen habe.
Christoph F. E. Holzhey beschäftigt sich in seinem Aufsatz "Kippbilder des Vitalen" mit dem Verhältnis von Wissen und Leben bei Canguilhem und Haraway. Im Begriff des Kippbildes stellt er Canguilhems Beschreibung des Lebens als einer "dialektischen Essenz" den Vorschlag gegenüber, das diskursiv konstituierte Leben als etwas zu denken, das ohne Vermittlung zwischen verschiedenen Aspekten oszilliert und seine Einheit allein im Phänomen oder im Namen Leben findet.
Astrid Deuber-Mankowsky untersucht den Begriff des Lebens, der in Canguilhems Epistemologie der Biologie und seinem Verständnis der Technik sowie in Haraways Schriften zu den technisch geprägten Biowissenschaften vorausgesetzt wird, und findet die Verbindung zum Politischen in der Spannung zwischen Anthropomorphismus und Anthropozentrismuskritik.
Von Canguilhem zu Haraway
(2013)
Vor dem Hintergrund der Geschichte des physikalischen Objektivitätsbegriffs zieht die Physikerin und Epistemologin Françoise Balibar in ihrem Beitrag "Von Canguilhem zu Haraway" einen Vergleich der unterschiedlichen Konzepte der Objektivität von Haraways situiertem Wissen und Canguilhems regionaler Epistemologie. Dabei erinnert sie daran, dass Objektivität im physikalischen Sinn nicht, wie Haraway unterstelle, auf eine repräsentationale Identität der Objekte ziele, sondern dass das Objekt der Physik durch die Beziehungen generiert werde, die sich zwischen Tatsachen herstellen.
Detailliertere Auseinandersetzungen mit dem weit verzweigten Werk Canguilhems finden sich bei Haraway nicht. Und somit scheint es angemessen, wenn sie selbst resümiert: "Canguilhem war für mich nicht wirklich ein 'Einfluss', aber er war ganz bestimmt ein Teil der Ideenwelt, die für mich wichtig war, damals wie heute." Welche Stellung Canguilhem in dieser 'Ideenwelt' zukam (und zukommt), ist damit freilich nicht gesagt, und das ist der Ansatzpunkt des vorliegenden Beitrags. Diese Studie geht der Frage nach, in welcher Weise sich konstruktive Beziehungen zwischen der Tradition der Historischen Epistemologie und der aktuellen Wissenschafts- und Technikforschung herstellen lassen. [...] Im Folgenden wird das Spannungsfeld zwischen Historischer Epistemologie und Wissenschafts- und Technikforschung mit Blick auf die dort bislang kaum genutzten Potentiale der Medienwissenschaft erkundet. [...] Vor diesem Hintergrund erfolgt die Argumentation der vorliegenden Studie in zwei Schritten. Der erste, epistemologische Schritt geht von einer Sichtung der bisherigen Beiträge zum Verhältnis von Haraway und Canguilhem aus, die bislang vor allem im philosophischen und philosophiehistorischen Register verblieben sind. Dabei ist Haraways Figur des Cyborgs und das von Canguilhem prominent thematisierte Verhältnis von Maschine und Organismus in den Mittelpunkt gestellt worden, aber nur vereinzelt wurde der Rückbezug auf die historisch gewachsene Materialität der wissenschaftlichen und (medien-)technischen Praktiken vollzogen. [...] Im zweiten, historischen Teil dieses Beitrags wird die Frage erörtert, auf welche Weise Wissenschaft und Technik zur Herstellung und Verbreitung dessen beigetragen haben, was Haraway als eine bestimmte "Vision" der wissenschaftlich-technisch bestimmten Realitäten bezeichnet. Das historische Beispiel dafür sind die Projektionsvorrichtungen, mit denen die Lebenswissenschaftler des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert versuchten, ein neues Bild des Lebens zu schaffen.
So sehr der Begriff des "situierten Wissens" zur Zeit in Mode ist, so sehr wirkt der Begriff der "Region" veraltet, ja sogar ein wenig überholt, ruft doch der "epistemologische Regionalismus" in Frankreich die 1960er und 1970er Jahre in Erinnerung: die Jahre Bachelards, Canguilhems und Foucaults. Doch die Tatsache, dass 2011 am ICI Berlin Institute for Cultural Inquiry eine Tagung zum Thema "Situiertes Wissen und regionale Epistemologie" stattfand, belegt ohne Zweifel, dass diese Fragestellung das Verfallsdatum doch noch nicht überschritten hat. [...] Es ist wohl sinnvoll, zunächst die Vorgeschichte des Begriffs der Region in der Epistemologie in aller Kürze darzustellen, bevor mit Gaston Bachelard und Georges Canguilhem die beiden Autoren ins Gedächtnis gerufen werden, die ihn am prominentesten verkörperten. Danach soll auf die Werke von Michel Foucault und Louis Althusser eingegangen werden, die diese Bezugnahme auf den Regionsbegriff erneuerten und zugleich transformierten. Es bietet sich des Weiteren an, die Kontexte dieser Verwendungen hinzuzuziehen, denn schließlich ist doch sicher das Mindeste, was man mit dem Begriff der Region tun kann, ihn zu kontextualisieren. Dabei wird sich zeigen, dass dieser "französische" Zugang zum Begriff der Region und die angelsächsische Frage nach der "Uneinheit" ('disunity') der Wissenschaften sich in gewisser Hinsicht berühren.
Wie wird das Leben zum Objekt des Wissens? Und wie gestaltet sich das Verhältnis von Leben, Wissenschaft und Technik? Donna J. Haraway und Georges Canguilhem verstehen diese Fragen als politische Fragen und Epistemologie als eine politische Praxis. Die besondere Aktualität von Canguilhems Denken leitet sich aus der von ihm gestellten Frage her, wie sich eine Geschichte der Rationalität des Wissens vom Leben schreiben lässt. Haraway bezieht sich nicht explizit auf Canguilhem, schließt jedoch an die von ihm gestellte Frage an.
Henning Theißen entwirft das Modell einer religiösen Zeugenschaft, die eine Alternative darstellen soll zu den vorherrschenden Kategorien: der Mission als persuasivem Zeugnis und dem Martyrium als einem Zeugnis der existentiellen Involviertheit. Er diskutiert dies zunächst vor der Folie juridischer und epistemischer Zeugenschaft. So thematisiert er die Vereidigung des Zeugen vor Gericht als eine Metastruktur, als Zeugnis für die Glaubwürdigkeit des Zeugen, das die Aussage überzeugend machen soll. Theißen verwendet hier den aus dem Neuen Testament (Hebr. 12:2) stammenden Begriff der "Wolke von Zeugen", in die der beeidigende Zeuge eintritt und in der wiederum Gott zum Zeugen angerufen wird. Wir finden hier eine ähnliche Struktur wie beim Zeugenschaftshelfer und bei den Überzeugungsfiguren. Glaubwürdigkeit muss selbst in irgendeiner Weise bezeugt sein. Das bedeutet, dass Szenarien und Konstellationen von Zeugenschaft notwendigerweise immer eine komplexe Struktur haben; beim religiösen Bekenntniszeugen, der in eine "Wolke von Zeugen" eintritt, ist dies durch Zeugenketten gewährleistet. Schließlich entwickelt Theißen das Modell einer 'angenommenen' (adoptierten) Gewissheit, der er eine unmittelbar gezeugte Gewissheit gegenüberstellt: Gewissheit entsteht durch einen Vertrauensvorschuss; das Zeugnis muss sich in einem dynamischen Prozess in der Folge (zum Beispiel im Abgleich mit anderen Zeugnissen) bewähren.
Axel Gelfert setzt sich mit dem Mythos einer Vernachlässigung des Phänomens von Zeugenschaft in der Philosophiegeschichte auseinander. Er stellt am Beispiel von David Hume heraus, dass in den Ansätzen der analytischen Philosophie und der sozialen Erkenntnistheorie manchen klassischen Autoren, die er als "Vorläufer" bewertet, zu Unrecht einseitige Grundpositionen zugeschrieben werden, wie etwa Humes angeblicher "Reduktionismus", der das Zeugnis auf einen empirisch belegbaren Wissensinhalt reduziere. In der von Gelfert unternommenen Neuauslegung von Humes Überlegungen zu Zeugenschaft wird deutlich, dass auch hier der Empfänger als konstituierender Faktor des Zeugnisses im Fokus steht. So wird durch eine erneute Lektüre von Humes Thesen deutlich, wie signifikant diese für jüngste Ansätze wie etwa den der Tugenderkenntnistheorie sein können. Das Zeugnis wird anhand von wiederkehrenden sozialen "Situationen, Interaktionen und Reaktionen", aber auch aufgrund aller Charaktereigenschaften des Zeugen evaluiert, und für diese Evaluierung werden sowohl die präexistenten gemeinsamen Überzeugungen und Vertrauensbildungen einer epistemischen Gemeinschaft als auch die Erfahrungen des Empfängers über die menschliche Natur entscheidend.
Am 14. November 1956, vormittags gegen zehn Uhr, versammelten sich die Studenten des Philosophischen Instituts der Berliner Humboldt-Universität vor dem Haus Universitätsstraße 3b, dem Sitz des Instituts, zu einem kleinen Demonstrationszug, der angemeldet gewesen sein musste, denn er wurde von zwei Polizeimotorrädern, eines vorne, eines hinten, durch den Verkehr geleitet. Angeführt vom Institutsdirektor Georg Klaus bewegte sich der Zug über die Weidendammer Brücke die Friedrichstraße entlang bis zum Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chausseestraße. Anlass war der 150. Todestag von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, was den meisten der neugierig zuschauenden Passanten nur wenig sagte. An Hegels Grab wurden Blumen niedergelegt, Reden wurden nicht gehalten, einige Studenten ließen es sich nicht nehmen, auf dem Grabstein, einer alten Sitte gemäß, ein paar Münzen niederzulegen. Es herrschte eine fast fröhliche Stimmung, die von einem Gefühl der Genugtuung erfüllt war, hatte man doch über die Stalinistische Fronde gegen Hegel gesiegt. Ein paar Stunden später traf man sich wieder im vollbesetzten Audi Max, in dem Ernst Bloch einen Vortrag über Hegel und das offene System der marxistischen Philosophie hielt. Zehn Tage zuvor waren sowjetische Panzer in Budapest eingerückt, um eine exzessive Massenerhebung niederzuwalzen. Der Zorn der Massen hatte sich gegen das stalinistische Rákosi-Regime und seine Geheimpolizei gerichtet; die Russen machten jedoch die neue Regierung Imre Nagy für die inneren Unruhen verantwortlich. Die Nagy-Regierung wurde abgesetzt und kriminalisiert, darunter der streitbare Marxist und profunde Hegel-Kenner Georg Lukács. Der Vorgang führte bald auch in der Universitätsstraße 3b zu heftigen Diskussionen. Eine Anfang 1957 als Reforminitiative konzipierte studentische Streitschrift, die die ungarischen Ereignisse als eine Folge der systematischen Verhinderung einer freien öffentlichen Diskussion erklärte, zog die Aufmerksamkeit der SED-Zentrale auf das Institut und löste eine Kette von Parteiverfahren und Maßregelungen aus. Vier Studenten waren von mehrjähriger Studienunterbrechung zwecks Praxisbewährung betroffen, anderthalb Jahre später folgte ein von der Stasi vorbereiteter Schauprozess, der für drei weitere Studenten mit Haftstrafen bis zu sechs Jahren endete.
Von der nackten Wahrheit zur rätselhaften Wahrheit des Strumpfes : Walter Benjamins Bilddenken
(2015)
Mit der Unterscheidung zwischen Erkenntnis und Wahrheit findet sich in Benjamins frühen erkenntnistheoretischen Überlegungen eine Entsprechung zu den beiden Seiten der Sprache. Unter 'Erkenntnis' versteht er in diesem Zusammenhang durch Begriffe mitteilbare Sachverhalte, welche den Bereich propositionalen Wissens bilden und in der Semantik der Sprache aufgehen. Erkenntnisse können prädikativ erfasst und verbal vermittelt werden. Von der Wahrheit könne es hingegen kein Wissen geben. Da die Wahrheit weder in Begriffen darstellbar noch durch Aussagen mitteilbar ist, ist ihre Darstellung auf die symbolische Seite der Sprache verwiesen. Folgerichtig findet sich für diese Vorstellung von Wahrheit in Benjamins Schriften kein Begriff, sondern ein 'Bild', nämlich das des Strumpfes - vermutlich nicht zufällig. Denn dieser steht als ein Kleidungsstück exemplarisch für den Zusammenhang von Funktion und Symbol in der menschlichen Kultur.
"Wirklich notwendig scheint nur das Vergangene, daran eben nicht mehr zu rütteln ist. Aber ist denn das Vergangene wirklich notwendig?" – so fragt Georg Lukács in seiner "Metaphysik der Tragödie", mit der die Essay-Sammlung 'Die Seele und die Formen' (1911) zu ihrem Abschluss kommt. Man kann Blochs 'Geist der Utopie' (1918) als den Versuch ansehen, eine breit angelegte negative Antwort auf diese Frage zu geben: Nein, das Vergangene ist keineswegs wirklich notwendig. Denn im Mittelpunkt von Blochs schwungvoll-pathetischen Überlegungen steht die Entdeckung eines Vermögens, dem es gelingt, die im Vergangenen schlummernde Zukunft zu befreien. Um diese ganz besondere Erfahrung zu bezeichnen, erfindet Bloch einen spezifischen Terminus: 'Eingedenken'. Hiermit führt er ein Konzept ein, das im deutsch-jüdischen Denken des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielen wird, die noch nicht angemessen beleuchtet wurde.
Die Begriffsgeschichte befindet sich seit einigen Jahren in der Phase einer grundlegenden Transformation, die sich vor allem in ihrer zunehmenden Internationalisierung und Interdisziplinarisierung sowie in ihrer Verbindung mit der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte dokumentiert. Eine besondere Herausforderung bildet dabei die Erschließung der naturwissenschaftlichen Semantik. Referenzpunkte für die gegenwärtige inhaltliche und methodische Neuausrichtung bilden unter anderem die Ansätze zu einer Historischen Epistemologie (Gaston Bachelard, Ludwik Fleck) sowie Georges Canguilhems methodische Fundierung der Wissenschaftsgeschichte in der Begriffsgeschichte. In diesem Aufsatz möchte ich einige Aspekte einer interdisziplinären Begriffs- und Wissenschaftsgeschichte anhand der Analyse der Entstehungsphase des Konzepts vom 'Survival of the fittest' diskutieren. Dieses Konzept hat sich im Zeitraum der 1860er bis 1870er Jahre zu einem Deutungsmuster entwickelt, das mit eminent politischen Folgen im Spannungsfeld biologischer, philosophischer, soziologischer, ethnologischer und ökonomischer Theoriebildung sowie zwischen verschiedenen nationalen Wissenschaftskulturen zirkulierte. Ich möchte betonen, dass die von mir fokussierte wissenshistorische Konstellation nur einen kleinen Ausschnitt aus der komplexen und weit verzweigten Geschichte des Überlebensbegriffs bildet. Insbesondere seit den 1970er Jahren im Zusammenhang der ökologischen Krise und als Effekt der Diskursmacht der von Foucault entwickelten Konzepte der Biopolitik bzw. Biomacht lässt sich eine neue Konjunktur des Überlebensbegriffs ausmachen, die bis in unsere Gegenwart reicht und die überhaupt die Voraussetzung für das Bedürfnis bildet, die Bedeutungs- und Gebrauchsgeschichte des Überlebensbegriffs, oder einzelne Etappen und Knotenpunkte derselben, zu rekonstruieren.
Mit dem wachsenden Interesse für die Vorgänge des Lebendigen im 19. Jahrhundert rückten auch subjektive Erfahrungen in den Bereich lebenswissenschaftlicher Forschung. Damit wurde nicht zuletzt die Frage nach der adäquaten Perspektive virulent, von der aus sich ein Wissen über diese Innerlichkeiten generieren ließe. Das Buch nimmt in drei Fallstudien das neurologische Selbstexperiment Henry Heads, Jacques-Joseph Moreau de Tours' psychiatrische Versuche, den Wahnsinn mit Haschisch zu modellieren, und Benjamin Paul Bloods philosophisch ambitionierten Lachgaskonsum in den Blick, deren Protagonisten sich allesamt dafür entschieden die Innenperspektive einzunehmen und an sich selbst zu experimentieren.
In Robert Musils Gesamtwerk im Allgemeinen und im "Mann ohne Eigenschaften" im Besonderen wird immer wieder auf die Gegensätzlichkeit von naturwissenschaftlichem Denken und "Gefühlsdenken", Wissen und Glauben, Ratio und Mystik verwiesen [vgl. Albertsen 1968, S. 11]. Musil stellte die verschiedenen Formen des Erkennens zwar einander gegenüber, doch bestand das Ziel keineswegs darin, die Trennlinie zwischen diesen zu verschärfen. Im Gegenteil: Musil hoffte darauf, die heterogenen Pole menschlicher Welterschließung am Beispiel seines Protagonisten Ulrich unter einer empirisch ausgerichteten Form von 'Meta-Rationalität' subsumieren zu können [vgl. Pieper 2002, S. 67]. Darzulegen, warum der Versuch dieser Synthese scheitern musste, ist ein Hauptanliegen der Arbeit. Das Schicksal Ulrichs, der Zentralfigur des Romans, ist bei dieser vornehmlich erkenntnistheoretischen Untersuchung in keiner Weise auszuklammern. Wie sich zeigen wird, ist dieses mit den philosophischen Ansichten derselben und denen ihres Schöpfers aufs engste verflochten.
Im Jahr 1662 erschien in Paris anonym ein Werk, das seinen der Öffentlichkeit bislang eher als streitbare Theologen bekannten Autoren – den Jansenisten Antoine Arnauld und Pierre Nicole – den Weg in den zeitlosen Ideenhimmel der Philosophiegeschichte eröffnen sollte: La Logique ou l'art de penser. In zahlreichen Auflagen und Übersetzungen verbreitet, avancierte die Logik von Port-Royal rasch zu einem bis weit ins 19. Jahrhundert hinein kanonischen Standardwerk, das, wie seine Autoren versprachen, bei aufmerksamem Studium selbst dem unerfahrensten Schüler in nur fünf Tagen die Grundlagen der Begriffsbildung, des Urteilens und Schließens vermitteln können sollte. Zumeist wohl muss ein Text erst seinem Gebrauch entzogen worden sein, um als historisches Dokument lesbar zu werden. So galt das unter den Vorzeichen des linguistic turn der ausgehenden Moderne wiederkehrende Interesse an der Logik von Port-Royal kaum der eigentlichen Logik, umso mehr aber den begleitenden linguistischen Definitionen und Analysen. Es galt, genauer, dem Status der Repräsentation in einer erklärtermaßen auf den Grundlagen der cartesischen Epistemologie begründeten Analyse der Sprache, deren zentrale Unterscheidungen – die Unterscheidung von Idee und Repräsentation, von logischer und grammatischer Ordnung des Wissens – gleichsam zwanglos auf die linguistischen Logiken Gottlob Freges und Ludwig Wittgensteins vorauszuweisen scheinen. In dieser Tradition hat Noam Chomsky in seinem Cartesian Linguistics die Logik von Port-Royal – im Verbund mit der wenig zuvor erschienenen Grammaire générale et raisonné (1660) – geradezu als Antizipation einer generativen Grammatik lesen können [...].
"Die wichtigste, schwärendste Portion des Ungeschriebenen und sein entscheidender Einfluss auf die Springprozession des Schreibens liegt nach meinem Eindruck in dem, was dringend dran wäre, gedacht, gesagt und geschrieben zu werden, und was sich dem entzieht. Ist es zu schwer, zu sperrig, zu komplex? Womöglich sind ja die Arme unseres Geistes nicht kräftig genug, das eigentlich Benötigte zu stemmen."
Für die These von der Priorität der Sprache gegenüber dem Denken ist in der deutschen Philosophie das Schlagwort von der Nichthintergehbarkeit der Sprache geprägt worden. Danach gibt es kein kognitives Bewußtsein, das nicht sprachlich strukturiert ist. Der auf Humboldt und Weisgerber zurückgreifenden Ansicht Karl-Otto Apels, daß die jeweilige Muttersprache als ein Apriori der Weltanschauung fungiert, hält die Erlanger Schule entgegen, daß nur das Sprachvermögen als solches, nicht die einzelne Umgangssprache unhintergehbar ist. Das Sprachvermögen wird dabei als intersubjektiv verläßliches Unterscheidungsvermögen und als Fähigkeit zur Prädikation expliziert. Wider die Erlanger Konzeption wird auf perzeptiven Unterscheidungen insistiert, die sich im Verhalten des Wahrnehmenden am zuverlässigsten äußern und die nachweislich sprachlichen Erfassungen der Erfahrungswelt vorangehen, sowie auf der genetisch wie struktural belegbaren Priorität von nichtprädikativen sprachlicllen Äußerungen (Vokativ, Ipnerativ, Modifikation) gegenüber eigentlich prädikativen Äußerungen. Auch der für die Erlanger so fundamentale Dialog entpuppt sich bei einer genetischen Analyse als ein mehrstufiges, in vorangehenden sprachlichen Formen fundiertes Phänomen. Zum Verhältnis von Sprache und Erkenntnis wird in Auswertung von vergessen gegangenen Ansätzen bei Locke und Leibniz eine Kompromiß-These vorgelegt. Relativ einfache Phänomene lassen sich sprachlos erfassen und gliedern, komplexere 'Gedankengänge ' sind sprachlich (semiotisch) vermittelt und entsprechend (von einem Grundstock universaler Gesetzmäßigkeiten abgesehen) auch je nach Sprachsystem anders determiniert. Bezüglich der vorsprachlichen Unterscheidungen lassen sich eine pragmatische Position, nach der jede Unterscheidung kontextbedingt ist, und eine eigentlich kognitive Position, nach der aus strukturalen Gründen nicht alle Unterscheidungsmöglichkeiten gleichwertig sind, auseinanderhalten. Für die zweite Position wird Seilers (1976) Hierarchie der möglichen Determinatoren eines Nomens angeführt. Orientieren sich konstruktivistisch-logische Theorien der Sprache primär am Kriterium der Einfachheit, so rekonstruktivistisch-phänomenologische Theorien am Kriterium der psychologischen Adäquatheit (gegenüber dem tatsächlichen Kode von Sprecher und Hörer); indem sie ohylo-, onto- und aktualgenetische Daten des Sprachprozesses von vorneherein mit in Betracht ziehen.
Es ist eine alte Debatte. Auf der einen Seite steht die althergebrachte Maxime, alles, was wert ist, gesagt zu werden, müsse in jeder Sprache gesagt werden können - umso mehr dann, wenn es sich um die Wissenschaft handelt, die den Anspruch erhebt, universelle Wahrheiten zu erfassen. Demgegenüber steht ein immer wieder anzutreffender Gedanke, dessen wohl inspirierteste Formulierung von Wilhelm von Humboldt stammt, nämlich, dass die Verschiedenheit der Sprachen nicht nur eine von „Schällen und Zeichen“, sondern eine der „Weltansichten selbst“ sei. Thema dieses Vortrags ist die Frage, wo die Wahrheit zwischen diesen scheinbaren Gegensätzen liegt.
Dilettantische Konjekturen
(2009)
»Und wer also nicht die Fähigkeit besitzt«, schreibt Max Weber in […] »Wissenschaft als Beruf«, »sich einmal sozusagen Scheuklappen anzuziehen und sich hineinzusteigern in die Vorstellung, daß das Schicksal seiner Seele davon abhängt: ob er diese, gerade diese Konjektur an dieser Stelle dieser Handschrift richtig macht, der bleibe der Wissenschaft nur ja fern.« […] Anstatt zu fragen, wann eine Erkenntnis als »wissenschaftlich qualifiziert« gelten kann […] beschreibt Weber die Einstellung […] des Wissenschaftlers […]: Ein leidenschaftliches Erkenntnisinteresse für seinen Untersuchungsgegenstand haben – ist das nicht genau die Haltung, die den Enthusiasten, den Liebhaber, den Amateur, sprich, den Dilettanten auszeichnet? […] Inwiefern kann Leidenschaft zum Beruf des Wissenschaftlers qualifizieren? […] »Nun ist es aber Tatsache: daß mit noch so viel von solcher Leidenschaft, so echt und tief sie sein mag, das Resultat sich noch lange nicht erzwingen läßt. Freilich ist sie eine Vorbedingung des Entscheidenden: der ›Eingebung‹«. […] Offenbar verwendet Weber die Formulierung ›Eingebung‹ synonym mit dem Begriff ›Einfall‹, dessen Resultat die ›Konjektur‹ ist. Im Anschluss an die beiden Zitate aus Webers Aufsatz stellt sich in meinen Augen nicht nur die Frage, welche Rolle die Leidenschaft für den berufenen Wissenschaftler spielt, sondern auch inwiefern der Umgang mit Konjekturen und Einfällen zugleich den Unterschied zwischen Fachmann und Dilettant markiert. Diese Frage steht im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen.
Architextur
(2003)
Der Wechsel vom mechanischen zum elektronischen Paradigma, von der klassischen zur modernen episteme bedeutet, so geht aus der hier angestellten Untersuchung hervor, eine große Herausforderung für die Architektur. Solange sich das mechanische Paradigma, die klassischen episteme sich selbst als Architektur erkennen konnten, kann das non-fundamentalistische Paradigma seine Identität in der Art von Architektur nicht mehr finden. (Oder: sie erfindet keine mehr dafür.) Im mechanischen Paradigma konnte man, was wirklich ist und was Wirklichkeit ist am Haus, an dessen fest fundierter, zur harmonischen Einheit gefügter hierarchischer Ordnung zum Zweck der Umschließung ablesen. Das Gebäude konnte auch für das Denkgebäude der episteme ohne weiteres zum Vorbild und Leitbild werden. Die Art von Architektur besitzt aber kaum mehr Gültigkeit für ein Weltbild, das aus Zufallsmomenten und Entgleitungen, aus unregelhafter Mehrdimensionalität, Simultaneität und Virtualität besteht. Um die entgleitende Position des Identitätsstifters einigermaßen restaurieren zu können, sollte die Architektur ihre Konventionen der Formgestaltung, ihre Konventionen der Theoriebildung, ja ihre ganze Architeturidentität ändern. Die ver-störenden Gesten der Grenzverschiebungen in Philosophie und Architektur des Dekonstruktivismus optieren vielleicht dafür.