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In unserer allmählich kleiner werdenden Welt und "in der Literatur und Wissenschaft, die auf einer Vielzahl von Ortsveränderungen beruhen" (Ette 2001: 21), ist "die Verortung des Fremden im Dialog der Kulturen" von einer großen Bedeutung. Der Dialog der Kulturen war schon längst ein Thema vieler Kulturarbeiten und der Humanwissenschaften, wobei mehrmals vergessen wurde, wo das Fremde in diesem Dialog liegt und wer für wen fremd ist. Meist spielt eine eurozentrische Betrachtungsweise eine wesentliche Rolle, um diesen interkulturellen Dialog zu definieren, auch wenn der Dialog sich zwischen zwei Elementen oder Personen gleicher Rechte in der sprachlichen, kulturellen und sozialen Repräsentation verwirklichen sollte, sonst geht der Dialog von vornherein verloren. "Es lohnt sich in der Tat zu fragen, inwieweit man wirklich bereits von einem global-gleichrangigen Dialog zwischen den Völkern sprechen kann, der nicht selten von verschiedenen Seiten beschworen wird" (Bräsel 1999: 77).
Der Artikel geht auf die Darstellung des kulturellen Engagements des Grafen Albert Joseph Hoditz (1706 - 1778) ein, das im Rosswalder Schloss und in dessen Garten entwickelt wurde. Die Rosswalder Gartenlandschaft wird im Bezug auf die europäische Literaturgeschichte vorgestellt. Darüber hinaus spiegelt sie künstlerische Interessen des Grafen Albert Joseph Hoditz wider und weist auf die Phänomenalität dieses an der Peripherie liegenden Dominiums hin.
To what extent does cultural distance interfere with or limit literary experience? What kind of intimacy is needed to make a text into a work? This essay seeks to answer these questions by focusing on the writings of Arvind Krishna Mehrotra. In doing so, it suggests that the challenges of cultural distance may be most acute when dealing with texts from homo-linguistic literary environments, and that we might overcome these challenges by undertaking a world literary criticism that attends to localized fields and materials without forgetting the charge of particular works.
Gesichter in Lyrik und Prosa verweisen auf vielfältige Techniken ihrer verbalen Kreation - und ihrer Auflösung. Anders als die Bildkunst, die Gesichter simultan evident macht, konstituiert sich das Verbalporträt (in der Regel) linear-sukzessiv. Es ist medial zur Fragmentierung des Motivs und zur Anordnung der semiotischen Einheiten in einer eindimensionalen Abfolge gezwungen: das heißt, die Zerlegung des darzustellenden Gesichts ist zwingend notwendig, ein Moment der Auflösung ist ihm seit jeher eingeschrieben. Daher experimentiert es aber auch seit jeher mit den Verfahren der Zusammenfügung (Re-Komposition) der Einzelteile. Diesbezüglich verzeichnet das poetische Porträt schon in der Renaissance erste spielerische Höhepunkte, die frappierende Ähnlichkeiten aufweisen mit den ungewöhnlichen, heute sehr bekannten Porträts des manieristischen Malers Giuseppe Arcimboldo, dessen Gesichter sich aus Blumen, Früchten, Büchern u.a. zusammensetzen und Kippfiguren zwischen Menschenähnlichkeit und Realitätsferne bilden, indem sie ihren Komposit-Charakter ostentativ zur Schau stellen. Die punktuelle Feststellung vergleichbarer Darstellungsprinzipien wirft notwendig die Frage auf, ob und inwiefern sich Auflösungserscheinungen in verbalen und pikturalen Porträts trotz ihrer Mediendifferenz stilhistorisch parallelisieren lassen – so lautet die Rahmenfrage, die erneut aufzugreifen ist nach einer Betrachtung verschiedener in Auflösung befindlicher Verbalporträts. Die einzelnen Werkanalysen sind konzise, zugunsten eines möglichst breiten Spektrums fazialer De-Kompositionen.
Polen als Niemandsland? Deutschland als Wunderland? In der zweisprachigen Anthologie Kindheit in Polen - Kindheit in Deutschland erzählen deutsche und polnische AutorInnen - aufgewachsen in Polen, in der DDR, in Westdeutschland - aus ihrer Kindheit. In ihren Texten spiegeln sich gesellschaftliche Umbrüche, Familie und Liebe, Flucht und Vertreibung, Religion und Ideologie, inter- und transkulturelle Erfahrungen sowie die Heimatsuche der Flüchtlingskinder. Die Erzählungen, Gedichte und Erinnerungen zeigen Unterschiedliches und Gemeinsames, sie fördern den Austausch über Grenzen hinweg. Die Auseinandersetzung mit Zentrum und Peripherie bezieht sich nicht nur auf Grenzregionen, sondern betrifft auch kulturelles und literarisches Erbe. Die gegenwärtige deutsche und polnische Literatur bewegt sich in Richtung unterschiedlicher Zentren, und ihre Autoren scheinen irgendwie 'zwischen' zwei oder sogar mehreren Sprachen und Kulturen zu leben. Die im vorliegenden Beitrag analysierte Anthologie scheint ein Buch der deutsch-polnischen Begegnungen zu sein. Sie baut eine Brücke für ein gegenseitiges Verstehen unserer Vergangenheit und Gegenwart.
"Was wäre ein Zeichen, das nicht zitiert werden könnte?", fragt Jacques Derrida in seinem 1972 erschienen Aufsatz 'Signature evenement contexte', um kurz darauf festzustellen: "Jedes Zeichen, sprachlich oder nicht, gesprochen oder geschrieben (im geläufigen Sinn dieser Opposition), als kleine oder große Einheit, kann zitiert – in Anführungszeichen gesetzt – werden; von dort aus kann es mit jedem gegebenen Kontext brechen und auf absolut nicht sättigbare Weise unendlich viele neue Kontexte zeugen." Zitieren wird hier als eine Bewegung des Herausnehmens aus einem Kontext und Einfügens in einen anderen Kontext beschrieben - und für diese doppelte Geste, die dem Akt des Zitierens zugrunde liegt, verwendet Derrida die Metapher der Pfropfung: "Auf dieser Möglichkeit möchte ich bestehen", heißt es in 'Signatur Ereignis Kontext': der "Möglichkeit des Herausnehmens und des zitathaften Aufpfropfens [greffe citationelle], die zur Struktur jedes gesprochenen oder geschriebenen Zeichens gehört". Damit wird die Pfropfung zu einer Figuration, zu einer Verkörperung dessen, was im Akt des Zitierens und durch den Akt des Zitierens geschieht, wobei den Anführungszeichen eine besondere Funktion zukommt: Sie signalisieren, dass das Zeichen oder die Zeichenkette, die zwischen Anführungszeichen gesetzt wurden, anders interpretiert werden soll als sie bisher interpretiert wurde. Anführungszeichen signalisieren also einen Wechsel des "Deutungsrahmens". Das gilt für einfache Anführungszeichen, die eine ironische Distanzierung signalisieren ebenso wie für die doppelten Anführungszeichen. Die doppelten Anführungszeichen zeigen nicht nur einen Wechsel des Deutungsrahmens an, sondern sie zeigen auch an, dass das, was zwischen die doppelten Anführungszeichen gesetzt wurde, nicht von dem stammt, der spricht oder schreibt. Sie zeigen ein 'von jemand anderem' an: sei es, um diesem anderen damit die Ehre der Urheberschaft zu geben und damit zugleich sein Copyright zu respektieren; sei es, um dem anderen die Verantwortung für das, was zwischen den Anführungszeichen steht, zuzuschreiben. Insofern zeigen doppelte Anführungszeichen zugleich die Distanz und die Differenz zwischen zitierendem Subjekt und zitiertem Subjekt an.
Seit dem sogenannten 'spatial turn' hat die Reflexion unterschiedlicher Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften Hochkonjunktur. Dabei wird immer wieder auf einen Aspekt verwiesen, der gleichwohl merkwürdig randständig bleibt: der Zwischenraum als materielle oder imaginäre Grenze. Sei es die häusliche Schwelle (Bachelard) oder der Schwellenritus (van Gennep), der postkoloniale 'in-between-space' (Bhabha), die paratextuelle 'zone intermediaire' (Genette) oder eine assoziative Ikonologie des Zwischenraums (Warburg). All diese Aspekte verweisen auf ein besonderes Feld von Praktiken im Raum, die in einem Zwischenbereich stattfinden, nämlich die Bewegungen im Zwischenraum. Ausgehend von den Hypothesen, dass erstens Räumlichkeit durch Bewegungen im Raum konstituiert und zweitens durch Zwischenräumlichkeit definiert wird, stellen sich die folgenden Fragen: Wie bewegt man sich im 'Dazwischen'? Gibt es spezifische 'zwischenräumliche Bewegungspraktiken' – und wie wirken sich diese sowohl auf die Konstitution des Raums als auch auf die Repräsentation des Zwischenraums aus?
Der Begriff des Rahmens hat in den letzten Jahrzehnten in unterschiedlichsten Kontexten Konjunkturen erlebt: in der Anthropologie und der Soziologie als kontextsensibler Handlungsrahmen, in den Theaterwissenschaften als Inszenierungsrahmen, in der Literaturwissenschaft als paratextuelle Rahmung, in der Linguistik als kognitiver Repräsentationsrahmen respektive als Skript – und, nicht zu vergessen, in der Kunstwissenschaft als Bildrahmen. Dabei steht jede "Aufmerksamkeit für Rahmungen" in einem Spannungsverhältnis zwischen einem Interesse für explizite, sprich: materielle und insofern sichtbare Formen der Rahmung einerseits und einem Interesse für implizite, konzeptionelle, sprich stillschweigend vorausgesetzte Interpretationsrahmen andererseits. Zugespitzt formuliert könnte man sagen: Das Problemfeld 'Rahmen' wird durch das Verhältnis von phänomenaler Rahmenwahrnehmung und funktionalem Rahmenwissen bestimmt, wobei sich in der Verhältnisbestimmung zugleich die Rahmenbedingungen von textuellen, theatralen, pikturalen und technischen Konfigurationen zeigen.
"Alle Museen, nur nicht die Kunstmuseen, sind Friedhöfe der Dinge", schreibt Boris Groys in seinem Buch 'Logik der Sammlung', denn was in Museen gesammelt wird, "ist seiner Lebensfunktion beraubt, also tot. Das Leben des Kunstwerks beginnt dagegen erst im Museum". Doch gilt dies auch für das literarische Kunstwerk? Offensichtlich nicht. Literarische Kunstwerke muss man lesend erfassen: unter einem Baum sitzend, auf einem Sofa liegend, im Stehen, während man auf den Bus wartet. Literatur kann man nicht betrachten wie ein Bild, wie eine Skulptur – sie besitzt als ein Objekt, das sich erst im Vollzug von Leseakten konstituiert, zunächst einmal überhaupt keinen Bildcharakter und mithin überhaupt keinen Ausstellungswert: Ein Buch, das man nur anschaut, bleibt tot. Erst wenn man es aufschlägt, darin blättert, darin liest, wird es lebendig. Mit einem Wort: Bei einem Text gibt es nichts zu sehen! Ein Umstand, der auch von einigen Ausstellungsmacherinnen schmerzlich bemerkt wird. [...] Umso dringlicher stellt sich die Frage, wie sich Literatur – sei es in Form von Büchern, sei es in Form von Texten, die vor, nach oder neben der Buchwerdung von Literatur existieren - im musealen Bühnenrahmen in Szene setzen lässt: Wie kann das Museum zu einem "Schauplatz" von Literatur werden?
Was zeigt man, wenn man 'Literatur' zeigt – und was zeigt sich im Rahmen dieser "Schau"?
Beirut und Berlin, die libanesische und die deutsche Hauptstadt, weisen – neben zahlreichen evidenten Unterschieden – eine Reihe von Parallelen auf, die im Zusammenhang mit Krieg und Teilung, Zerstörung und Wiederaufbau ihres Stadtzentrums stehen. Ähnlich wie die Gegend um den Potsdamer Platz in Berlin nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und in den Jahrzehnten der deutschen Teilung war das Beiruter Stadtzentrum im Laufe des Bürgerkriegs (1975−1990) zu einer Art Niemandsland geworden. Als Schauplatz heftiger Kämpfe war es bereits zu Beginn des Krieges weitgehend zerstört und in der Folge von Bewohnern wie Geschäftsleuten verlassen worden. [...] Im Anschluss an einen kurzen Exkurs zur Geschichte des Beiruter Stadtzentrums werden im Folgenden einige Ausschnitte aus der Debatte vorgestellt. Auf der einen Seite wird es um die Wiederaufbaupläne gehen, um die mit hohem Aufwand betriebene Medien-Kampagne und das Vorgehen der mit dem Wiederaufbau betrauten Immobilienfirma sowie um den Widerstand, den dies hervorrief. Auf der anderen Seite werden künstlerische Positionen, Einwände und Gegenentwürfe vorgestellt: Am Beispiel zweier in den 1990er Jahren erschienener Romane wird illustriert, wie das Beiruter Stadtzentrum als Schauplatz für Debatten dient, in denen Fragen von Identität, Erinnerung und Verantwortung verhandelt werden.
Komplikationen von Zeitreisen sind nicht unvertraut. Entfaltet werden sie in einem eigenen Genre von Geschichten. Die erste namhafte Erzählung, in der eine Zeitreise mit Hilfe einer Zeitmaschine unternommen wird, ist schon dem Titel nach einschlägig, ja ikonisch: 'The Time Machine', 1895 verfasst von H.G. Wells. Dabei handelt es sich um einen Urtext der Science Fiction, wofür besonders wichtig ist, dass hier die Reise in eine äußerst ferne Zukunft führt. Bevor ich mich diesem Text ausführlicher zuwende, schicke ich einige Bemerkungen zur wissenschaftlichen Denkbarkeit und technischen Machbarkeit von Zeitreisen voraus. Im Anschluss an Wells’ klassisch-modernes Modell der Zukunftsreise werde ich dann zwei Romane aus den 1990er Jahren besprechen, in denen Zeitreisen in die Vergangenheit führen: 'Timeline' von Michael Crichton (1999) und 'Making History' von Stephen Fry (1996). In diesen Geschichten zeigt sich eine für das späte zwanzigste – und auch noch für das beginnende einundzwanzigste – Jahrhundert charakteristische, wohl mit Recht als 'postmodern' zu charakterisierende Fixierung auf Vergangenheit und Historizität. Ähnliches gilt für Robert Zemeckis’ Filmtrilogie 'Back to the Future' (1985–1990), die ich abschließend erörtern werde. Hier wird auf virtuos selbstbezügliche Weise ein zugleich spannendes und komisches Hin und Her zwischen den Zeitformen inszeniert und ins bewegte Bild gesetzt.
Dinge in Texten haben maßgeblich an der Konstruktion imaginärer Welten teil. Sie kommen zu allen Zeiten und in allen literarischen Gattungen vor, in der Heldenepik ebenso wie in Aphorismen, im Mittelalter wie in der Moderne. Dinge treiben Handlungen voran, stören, wenn sie nicht funktionieren, und sie schaffen und zerstören Ordnungen - auch solche der Worte. Im Gegensatz zur Ethnologie oder Museologie hat es die Literaturwissenschaft stets mit Zeichen zu tun - es stellt sich also die Frage, wie das Verhältnis von res und verba analysiert und beschrieben werden kann. Der vorliegende Band versammelt Beiträge, die sich, angefangen bei der antiken Rhetorik über mittelalterliche Literatur bis hin zum 20. Jahrhundert, mit Dingen in und neben Texten beschäftigen.
Lexika wie Zedlers Universal-Lexicon gehen von einer scharfen Trennung zwischen Objekt und Subjekt aus, Schreibwerkzeuge werden darin immer auf die Objektseite geschlagen. Sprechende und damit subjektivierte Federn gibt es hingegen schon, seit Federn in Gebrauch sind. Sie tun dies vor allem in literarischen Texten, wo sie als dingliche Objekte Subjektstatus einnehmen und dadurch die Dichotomie von Subjekt und Objekt unterlaufen. Wenn die Feder zum sprechenden Subjekt wird, werden die von ihr beschriebenen Menschen zum Objekt, wobei sich die Feder dann für Benachteiligte und Unterdrückte einsetzt und dadurch diese wiederum zu Subjekten erhebt. Innerhalb der It-Narratives nehmen erzählende Federn eine Sonderstellung ein, weil sie erstens die materielle Vorbedingung des Schreibens sind, weil sie zweitens den Schwellenraum von Mündlichkeit und Schriftlichkeit besetzen, indem sie paradoxerweise das, was sie sprechen, auch gleichzeitig ins Schriftliche transponieren und dort festschreiben, sowie weil sie drittens poetologisch das hinterfragen, was geschrieben wird und werden soll
„Great writers,“ those who constitute our canon (at any given moment, one should add warily, since aesthetic canons fluctuate considerably over time), have invariably been the focus of reception studies, partly because they provide the most fertile ground for research, but partly also because literary scholars (and in particular the aspiring doctoral candidate: I myself graduated with an influence /reception study of this kind) need some justification for their endeavors, and what better ticket into the ivory rower - or onto the book market - than the study of the most seminal and widely accepted authors? James Joyce is just such a „great author.“ And „James Joyce and German Literature,“ the subject of this essay, must inevitably result in some form of reception study. But just what form should it take? Within the limited space of one article, it would be impossible to survey in toto Joyce's influence on German literature; that is, the multiple receptions of Joyce by some four or five generations of authors writing in German.
Obwohl noch nicht ausreichend geklärt ist, wie belesen Schmidt im Bereich der literarischen Moderne eigentlich gewesen ist, als er um 1950 mit ersten literarischen Veröffentlichungen und um die Mitte der fünfziger Jahre sogar mit seinen ersten prosatheoretischen Entwürfen an die Öffentlichkeit trat, läßt sich seinen Äußerungen doch soviel entnehmen, daß wir seine Kenntnis der außerdeutschen europäischen Moderne wohl eher als sehr bescheiden und lückenhaft ansehen müssen. Die Quellenlage spricht dafür, daß außer Alfred Döblin, Hans Henny Jahnn, Hermann Hesse und, im Wortspielerischen, Expressionisten wie August Stramm nur wenige andere moderne Autoren ihm für sein Werk Pate gestanden haben, am wenigsten noch die großen Vertreter der europäischen Moderne. Schmidt, vom Faschismus samt der verabscheuten Wehrmachtszeit zu einem der zahlreichen 'transzendentalen Obdachlosen' der Nachkriegszeit transformiert, siedelte seine private literarische Ahnengalerie stattdessen vorzugsweise im 18. und 19. Jahrhundert an; Vorbilder waren ihm, dem selbst erklärten "Verirrten aus dem 18. Jahrhundert", unter anderem Wieland, Fouqué, Tieck, Poe, Dickens und Stifter.
Der Beitrag zeigt, dass sich die Etablierung des Phänomens der 'Prager deutschen Literatur' auf den beiden Konferenzen von Liblice von 1963 und 1965 ganz im Zeichen der Dichotomie von Zentrum und Peripherie vollzog. Diese fand vor allem in der wertenden Abgrenzung einer vermeintlich durchgängig humanistischen 'Prager deutschen Literatur' (als Zentrum) gegen eine umfassend nationalistische, ja präfaschistische sudetendeutsche Literatur (als Peripherie) Anwendung. Erstaunlicherweise findet sich jedoch sowohl im Beitrag zur Weltfreunde-Konferenz von Paul Reimann als auch dem von Eduard Goldstücker zudem ein Argumentationsmuster, in dem Prag als Peripherie zu den Hauptstädten vermeintlich 'welthistorischer Völker' (Reimann) oder zu Wien (als Hauptstadt Österreich-Ungarns bei Goldstücker) profiliert wird und die besondere Bedeutung der 'Prager deutschen Literatur' gerade aus dieser peripheren Lage abgeleitet wird. Insgesamt ergibt sich die Diagnose einer inkonsistenten Begründung der einen 'Prager deutschen Literatur', die nach einer Neukonzeption dieses Phänomens verlangt.
Sündenkleid und letztes Hemd
(2015)
Teufelsmaske, Nebelkappe, Narrenkleid, Panzer der Rebellion - die barocken Geistlichen und Dichter werden nicht müde, Synonyme für das zu finden, was der Gläubige auszuziehen hat, wie ja überhaupt Variation zu den Grundprinzipien barocker Dichtung gehört, welche die Sprache als 'Einkleidung' von Gedanken betrachtet und auf den Reichtum von Epitheta größten Wert legt - und in seinen Poetiken regelmäßig für 'Buße tun' auch die Umschreibung 'das Sündenkleid ablegen' vorführt.
Bild und Leidenschaft
(2010)
This experience, listening to the radio version of "The Green Hills of Earth" was the first form in which I encountered a problem that in the following years continued to haunt much of the work I have done ever since. This problem has a double aspect, since it involves both 'the visibility of the invisible' and, inseparably linked to it, that of the 'invisibility of the visible'. Far from excluding each other, as opposites are commonly expected to do, 'visibility' and 'invisibility' seem here to be inextricably linked, although not simply the same. The prominence, in the story, of repetition and recurrence, indeed of doubling, suggests that another term should be introduced to describe this curious relationship of non-exclusive opposition, that of 'divisibility'. Visibility divides itself into what is visible and what is invisible. And given the fact that this is also a question of life and death, of living and dying, the process of divisibility can be said to produce not just appearances, but 'apparitions' (which in English, unlike its 'false friend' in French, signifies 'ghosts' and not just appearances). Listening to the radio in that darkened bedroom, I think what I experienced was something like the apparition of such divisibility, by which the invisible seemed to become visible, but only by making the visible invisible. Much later I learned that this was a phenomenon - if one can call it that - quite familiar to philosophers and aestheticians who generally tried to interpret it with the use of words such as "fantasy" and "imagination": what Kant, for example, in 'Kritik der reinen Vernunft' calls "productive" as distinct from "reproductive imagination", which does not merely reproduce what one sees but which produces representations of things that were never seen (and perhaps could never be seen). But I never felt that such concepts were capable of accounting for the strange capacity of those invisible 'images' to produce feelings whose intensity seemed in direct proportion to their indistinct and relatively indeterminate - non-objective - quality.
Der Aufsatz beschäftigt sich mit der tschechischen Aufnahme der deutschsprachigen Literatur um 1900 und ihrem Anteil an der Profilierung des literarischen Experiments. Tschechische Übersetzungen und Buchausgaben dieser Zeit zeichneten sich der deutschen Literatur gegenüber durch einen traditionellen Zugang aus, durch den die eigentliche deutschsprachige Moderne eher ausgeschlossen wurde und die ausgewählten Werke im Geiste des Parnassismus interpretiert und modifiziert wurden.
Freud soll als Theoretiker des Gedächtnisses produktiv gemacht werden. Was sich seinem Bild Roms methodisch abgewinnen lässt, ist als Aufhebung zeitlicher Struktur auch deren Überführung in räumliche Schichten. Wenn alles simultan ist, so gibt es keine Abfolge, und die Analyse kann darum nicht von Entwicklungen, sondern von Schauplätzen sprechen. Diesen kommt in der kulturwissenschaftlichen Arbeit eine herausragende Bedeutung zu, auch die folgende Untersuchung zu Geschichten und Gestalten einer Märtyrerin: der Heiligen Cäcilie, zu ihren narrativen und pikturalen bzw. plastischen Figurationen wird Freuds Modell folgen. Auch bedingt dies eine Darstellungsweise, die - wie schon diese methodischen Überlegungen - über Umwege führt. Nicht zuletzt lässt Freuds implizite Idee einer häretischen Form der Auferstehung der Toten, die ins Bild der 'Ewigen Stadt' eingetragen ist, auch die väterlichen Heilsversprechen als labil erscheinen, sodass es nicht ausgemacht ist, was passiert, wenn die Toten ihre Gräber verlassen.
Im Folgenden werden zunächst punktuell symbolische und literarische Codierungen des Schwarzmeerraumes aus russischer bzw. sowjetischer Perspektive skizziert, um dann erneut auf Brodskys Entwurf einer mentalen Topographie in "Flucht aus Byzanz" zurückzukommen. Die (sowjet-)russischen Erfahrungen und Einschreibungen konnotieren den gesamten Essay. Brodskys antiöstliches Pathos erweist sich vor dem autobiographischen Hintergrund als eine antiimperiale Geste, als Abrechnung mit der Unfreiheit des Sowjetimperiums.
Die offizielle Rhetorik der "unverbrüchlichen Freundschaft" ("nerušimaja družba") und der Brüderlichkeit zwischen den Völkern der Sowjetunion vermochte bereits zu Sowjetzeiten nur schwer zu verbergen, dass Konzept und Praxis der sowjetischen "Völkerfreundschaft" keineswegs identisch waren. Die angestauten Spannungen entluden sich nach dem Zerfall der Sowjetunion in Spannungen, die sogar den Charakter bewaffneter Auseinandersetzungen annehmen konnten. (Davon war im Beitrag von Giorgi Maisuradze die Rede.) Zur Ambivalenz der sowjetischen Nationalitätenpolitik gehörte, dass die nationalen Kulturen durchaus eine Förderung erfuhren, ihre Entfaltung jedoch den machtpolitischen Interessen und dem ideologischen Rahmen untergeordnet wurde. Und schließlich gab es eine reale Praxis des Zusammenlebens im Raum des Sowjetimperiums, die von vielen Menschen in ihrem Alltag als reale Freundschaft erlebt wurde. Der Zerfall der Sowjetunion wurde daher von vielen Sowjetmenschen als ein dramatischer Verlust erlebt. Es geht mir nachfolgend aber nicht darum, die Nachwirkungen des Konzepts der sowjetischen (in ihrem Kern stalinschen) "Völkerfreundschaft" oder Nationalitätenpolitik bis heute zu untersuchen. Vielmehr will ich an einem Text aus der russischen Literatur der 1970er - 80er Jahre und des vom gleichen Autor aus der postsowjetischen Perspektive und somit gleichsam als Postscriptum zu lesenden Textes untersuchen, auf welche Weise in beiden der traditionelle russisch (bzw. sowjetisch)-georgische literarische Freundschaftsdiskurs fortgeschrieben oder aber, im Gegenteil, unterlaufen wird. Bei dem Beispieltext handelt es sich um Andrej Bitovs "Georgisches Album" ("Gruzinskij al’bom") und den von ihm 2003 ursprünglich als Vorwort zur deutschen Ausgabe geschriebenen Essay "Wofür wir die Georgier geliebt haben" ("Za čto my ljubili gruzin").
Zum Repertoire sozialistischer Helden und Märtyrer gehört die Figur des Kindermärtyrers, die auch in der sowjetischen Kultur seit den 1920er und 1930er Jahren Hochkonjunktur hatte. In der Presse, der Literatur wie im Film wurden zahlreiche Geschichten über Kinder und Jugendliche erzählt, die an die 'lichte Zukunft des Kommunismus ' glaubten und bereit waren, selbstlos ihr Leben für diese zu opfern. Solche Geschichten über jugendliche Opfer zählten - wie traditionell in vielen Kulturen und Gesellschaften - zu den zentralen Gründungs- und Opfermythen des Sowjetsystems. Das Selbstverständnis der Sowjetmacht als Schöpferin einer neuen Weltordnung, das radikale Zerstörungspraktiken zu legitimieren schien, war mit einer Neuordnung des gesamten symbolischen Kapitals russischer Geschichte verbunden. Einerseits wurden tradierte Symbole den veränderten Bedingungen angepasst und semantisch umcodiert, andererseits wurden den Anforderungen der Ideologie entsprechende neue Zeichen und Symbole in Umlauf gebracht. Mit den realen wie fiktiven Märtyrerfiguren wurden insbesondere in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Oktoberrevolution von 1917 wirkmächtige Symbole zur Regulierung der für die Menschen nahezu täglich spürbaren Gewalt bereitgestellt. Die Märtyrerfigur als kulturelles Deutungsmuster funktionierte offenbar weiterhin - ungeachtet der radikalen Absage der Sowjetmacht an die Religion - als propagandistisches Instrument und ermöglichte Verknüpfungen (wie z. B. von Gewalt und Kult, Tod und Verehrung, Opfer und Quasi-Sakralem).
Die Vogelperspektive lässt sich als ein experimenteller Standpunkt im Sinne des Erprobens eines den menschlichen Maßstäben nach ungewöhnlichen Blickes sowie eines Wagnisses fassen. Als solche hat sie sich nicht nur über weite Strecken der Literaturgeschichte, sondern auch für theoretische Annäherungen als Garant eines gesellschaftskritischen Standpunkts erwiesen, der ebenso dem Zirkus und v. a. seinen TrapezartistInnen und SeiltänzerInnen zugeschrieben wird. Durch Stichproben in Franz Kafkas, Erwin Herbert Rainalters und Milo Dors einschlägigen Texten wird im Beitrag diese kanonisierte Auffassung des 'Blicks von oben' auf den Prüfstand gestellt, und zwar wiederum im Sinne einer Versuchsanordnung.
"Tabu", "Verbot", "Grenze" - exakte definitorische Abgrenzungen der Begriffe erscheinen diffizil, ihre Übergänge dagegen mitunter fließend. Diese erste Bestandsaufnahme bedeutungsverwandter Wörter trifft die Frage nach der Konzeption des Tabus und seinem Gegenstandsbereich im Kern: Es geht um Grenzziehungen und um deren zeitgleiche Übertretungen, die in der Konzeption des Tabus - wie es im Folgenden konturiert werden soll - simultan angelegt sind. Leonie Süwolto gibt zur Definition des Begriffs zunächst über die Begriffsherkunft und -überlieferung Auskunft, bevor ein Überblick theoretischer Reflexionen des Tabus Aufschluss über seine Konzeption gibt. Ausgehend von der These, die im Verlauf des Textes entwickelt wird, dass Tabus als historisch und kulturell variable Grenzmarker Auskunft über gesellschaftliche Wertesysteme und ihren Wandel geben können und somit immenses kulturdiagnostisches Potential bergen, denkt Süwolto außerdem über ihre Bedeutung in der Gegenwartsgesellschaft und nicht zuletzt über das Verhältnis von Literatur, Kunst, Medien und dem Phänomen Tabu bzw. Tabubruch nach.
Die vorliegende Arbeit untersucht die Motivation des Wechsels von der Lyrik zur Prosa im Frühwerk von Thomas Bernhard und bemüht sich zu zeigen, wie sich die 'neue' Gattung als Experimentierraum sprachlicher Konstruierbarkeit einer literarischen Wirklichkeit und die Existenzialphilosophie als neues Ausdrucksmittel des leidenden Subjekts erweist. Beide bilden die Voraussetzungen für den neuen Bernhard'schen Ton, der sich im Roman 'Frost' (1963) zum ersten Mal zeigt. Das Experimentelle im Romanerstling Bernhards ist soziologisch motiviert und äußert sich sowohl erzähltechnisch als auch konzeptuell in der 'experimentellen Sprache' des Malers Strauch.
This chapter explores medieval exegetical and affective characterizations of the birthplace of Christ. It focuses in particular on evocations of this birthplace as an exposed, liminal location and argues that the radical exposure endured by Christ at the moment of his birth was crucial to medieval understandings of the significance of the Incarnation. But it also points out that its condition of openness is always in a dialectical relationship with its capacity to enclose and protect.
‚Institutionalität’ als leitender Konzeptbegriff zielt in dem hier gemeinten Sinn nicht auf eine Analyse von ‚Institutionen’ als historische Entitäten im Sinne von einzelnen ‚Organisationen’, ‚Körperschaften’, ‚Anstalten’. Es geht vielmehr um etwas, das sich das ‚Institutionelle’ an gesellschaftliche Strukturen des Kommunizierens und Handelns analysieren läßt: Formen der Geltungssicherheit und Stabilisierung, die in sozialen Ordnungen auch gewissermaßen ‚unterhalb’ der Ebene von durchgebildeten Organisationen oder Institutionen (im traditionellen Wortsinne) wie Ehe, Kirche, Staat, Universität usw. begegnen. (...)
Wenn man (...) fragte, welche Mechanismen es sind, die im Gegenzug zu (...) institutionellen Ungesichertheiten das Gelingen literarischer Kommunikation und die Wiederholbarkeit ästhetischer Rede am Hof gleichwohl möglich oder wahrscheinlich gemacht haben mochte, dann könnten jene Momente der Texte in den Vordergrund treten, von denen die folgenden Untersuchungen gleichfalls handeln: (...) [D]as [also], was (...) [Strohschneider] einmal die ‚Formiertheit’ höfischer Texte zu nennen versuchte. Gemeint sind Textmerkmale wie Schemata oder Topiken, welche die Rede gegenüber der Kontigenzen des Okkasionellen stabilisieren, welche kommunikative Wiederholbarkeit und Wahrscheinlichkeit von Dichtung dort produzieren, wo entsprechende außertextliche Institutionen noch fehlen.
Es fällt auf, dass eine ganze Reihe von Bekehrungsgeschichten in der frühen koranischen Rezeptionsgeschichte die Dichter und ausgewiesen rhetorisch Versierte zu Protagonisten haben. Kaum eindringlicher konnte die überlegene "Höherentwicklung" des Koran gegenüber der bloßen Poesie vorgeführt werden als durch die plötzliche, widerstandslose conversio derjenigen, auf deren Leistung sich die völkische Gemeinschaft der Araber begründete und denen man, da sie die Kunstsprache der Poesie ('arabīya) in Vollendung beherrschten, gewaltige magische Kräfte zurechnete.
Macht man sich diese aus Perspektive des christlichen Abendlandes überaus erstaunliche ästhethische Qualität und klangbasierte Wirkmacht des islamischen Offenbarungsmediums deutlich, tritt die Differenz zum Wesen der christlichen Offenbarung und zu ihren Basisbegründungen für Wahrheit und Wahrhaftigkeit erst so recht deutlich hervor. Und es stellt sich sehr schnell die für die christliche Verkündung sich nicht unmittelbar aufdrängende Frage nach ihrem Verhältnis zur poetisch-ästhetischen Rede und überhaupt nach dem Zusammenhang zwischen ihrem medialen und sakralen Status.
Pfeilzeichen sind im Alltag des postmodernen Menschen mindestens ebenso präsent, wie es die Pfeile im Leben unserer jagenden Vorfahren gewesen sein dürften. Sie übernehmen wichtige Funktionen bei der Orientierung im Raum, bei der Bedienung von Geräten und bei der Tradierung von Wissen. Pfeilzeichen finden sich draußen wie drinnen, in gedruckten wie in digitalen Medien, sie sind Bestandteile von Bildern, Texten und mathematischen Formeln und vermitteln in vielfältiger Weise zwischen Text, Bild und Zahl. Im Laufe der Zeit hat sich das Pfeilzeichen zu einer hochflexiblen Zeichenfamilie mit einem breiten Spektrum an Formen, Bedeutungen und Funktionen entwickelt. Diese "semiotische Karriere" des Pfeilzeichens möchten wir im folgenden Abschnitt an ausgewählten Beispielen aus Kunst, Literatur und Alltag nachzeichnen, um uns anschließend der erneuten Ausdifferenzierung des semiotischen Potenzials in den neuen Medien zuzuwenden. Die Pfeilzeichen dienen uns dabei als Beispiel, um drei Thesen über Prozesse semiotischen Wandels zu belegen: 1. Neue Zeichenfunktionen und -bedeutungen bilden sich stets auf der Basis bereits vorhandener Funktionen und Bedeutungen heraus. Dabei werden alte Bedeutungen in den seltensten Fällen ersetzt; vielmehr handelt es sich um Prozesse semiotischer Ausdifferenzierung, bei der "ältere" Funktionen und Bedeutungen mit verändertem Stellenwert erhalten bleiben. 2. Die Ausdifferenzierung erhöht die potenzielle Ambiguität von Zeichen und Zeichenkomplexen, sodass deren Interpretation den Zeichenbenutzern immer mehr abverlangt. Gerade am Beispiel der Pfeilzeichen lässt sich sehr gut zeigen, dass deren Funktion und Bedeutung in hohem Maße kontext- und mediengebunden ist und in neuen Medien oft neu erlernt werden muss. 3. Grundlegend für die semiotische Ausdifferenzierung des Pfeilzeichens ist der Stellenwert des Pfeils in einem komplexen Handlungsrahmen, auf den wir mit dem Ausdruck "Pfeil-Szenario" Bezug nehmen. Darin dient der Pfeil als Geschoss einer Waffe, z. B. eines Pfeil-Bogens, seltener auch einer Armbrust oder eines Blasrohrs. Der Pfeil ist ein Element der gesamten Waffe, die sich aus Pfeilspitze, Schaft, Federn (und Ritze) zusammensetzt.
Carlos Spoerhase wendet sich dem Verhältnis von Teil und Ganzheit im Denken der literarischen Form zu. Für die Imagination ganzheitlicher Werke - als Paradebeispiel dient Spoerhase die Shakespeare-Apologie der Romantik - sei nicht allein die Vollständigkeit der Teile und ihr ausgewogener Bezug zum Ganzen, sondern auch die Beziehung der Teile untereinander zentral. Zwar erfolgten literarische Ganzheitsvisionen immer wieder über Analogien mit dem Menschen, der Architektur oder biologischen Systemen. In der Regel garantiere aber ein "nichtsinnliches Prinzip, das im Innern des Werkes situiert wird", erst dessen "ganzheitliche Formstiftung". Anders als es etwa die Prominenz der stabilen Unterscheidung zwischen 'System' (als Musterbeispiel geschlossener und einheitlicher Ganzheit) und 'Aggregat' (im Sinne einer lockeren Anhäufung) in der Dichtungstheorie um 1800 suggeriere, würden literarische Werke zwangsläufig keineswegs mit "maximalen Einheitlichkeitszuschreibungen" versehen. An Goethes Poetik etwa lasse sich das Bemühen um eine "Gradierung von Ganzheit" ablesen. Ganzheit ist demnach weniger eine den Teilen vorangehende oder übergestülpte Totalität. Vielmehr sind es die unterschiedlichen und vielfältigen Verknüpfungsweisen der Teile, die über Art und Konzeption der Ganzheit literarischer Werke entscheiden.
Im elften Buch seines Adelsspiegels (1591) kommt Cyriacus Spangenberg der Wigalois des Wirnt von Grafenberg in den Sinn, weil darin etlicher Ritter von der Tafelrunde gedacht werde, insbesondere des Herren Gwy von Galois, "sonst Ritter Wiglois vom Rade genandt", und eines "Grauen Hoiers von Manßfeldt des roten". Das alte Buch, das einst Herzog Albrecht von Braunschweig in Auftrag gegeben hatte, habe er von einer adeligen Witwe erhalten, später aber an die Grafen von Mansfeld weitergegeben, die sich sehr für die Rolle ihres Vorfahren in diesem Roman interessiert gezeigt hätten.
Das Werk der österreichischen Autorin Brigitta Falkner beruht auf einem unerschöpflichen Prozess der Grenzüberschreitung und der Hybridisierung. Daraus folgt u. a. eine Erweiterung der Grenzen des Literarischen: Biologie, Mathematik, Physik und andere Wissenschaften werden überraschende Akteurinnen in der neuen 'Ordnung der Dinge', die Falkner in ihren Produktionen verwirklicht.
Wie Enzensberger […] verdeutlicht, eröffnen literarische Texte […] einen Raum, in dem unterschiedliche und kontroverse wissenschaftliche Theorien […] miteinander kollidieren, wodurch ihre Bedingtheit und Relativität erkennbar wird. Die modernistische […] Vorstellung, Literatur sei subversiv, stelle in Frage, was immer sich als absolute Wahrheit ausgebe, relativiere die Ordnungen des Wissens und insbesondere alle sich verbindlich gebenden Theorien über den Menschen und die natürliche Welt, hat an Aktualität nicht verloren. […] Philosophen und Literaturtheoretiker verschiedenster Denkrichtungen kommen […] darin überein, daß Literatur subversiv ist: Gegen falsche Sicherheiten und gegen die Illusion absoluter Wahrheit gerichtet, deutet sie auf die Vieldeutigkeit aller Dinge und die Vielzahl inkompatibler Betrachtungsperspektiven hin, indem sie selbst vieldeutige und multiple Welten erzeugt. In dieser Eigenschaft ist das literarische Schreiben durch keinen anderen Diskurs ersetzbar. Die ihr hier zugeschriebene subversive Rolle als Instanz kritischer Reflexion über Begriffe, Theoriebildungen und Wissenschaft kann die Literatur allerdings nur dann spielen, wenn sie in engem und dauerhaften Kontakt zu den Wissenschaften bleibt. Die Kritik an Wissensdiskursen setzt einen ständig zu aktualisierenden .Informationsstand voraus: über die jeweils dominanten wissenschaftlichen Paradigmen, Kernbegriffe und Moden, die Strategien wissenschaftlicher Konstruktion und Darstellung dessen, was ist.
Gegen meine Gewohnheit beginne ich mit einer Art von Vorbemerkung, wie ich sie sonst zu vemeiden suche: Ich muß zunächst sagen, was ich "nicht" leisten kann, was "nicht" von mir zu erwarten ist: Es wäre vemessen, wollte ich in einem kurzen Vortrag generell die Rolle nachzuzeichnen versuchen, die die NFG (also die Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar) in der Erbepflege der DDR spielen sollten und gespielt haben.[...] Es ist nicht meine Absicht, hierzu einen substantiellen Beitrag zu leisten. Was ich anbieten kann, sind einige unsystematische, bewußt subjektiv bestimmte Überlegungen, sind Gedanken und Erinnerungen eines Dabeigewesenen zum Thema "Gewinn und Verlust" dieser Epoche in der Archäologie unserer Stadt. [...] Jedem, der hier [in Ostdeutschland] vor und nach der Wende von 1989 gelebt hat und tätig war, ist selbstverständlich bewußt, daß es dabei Gewinn "und" Verlust zu registrieren gibt und daß beides vielfach in der gleichen Erscheinung zutage tritt. Das gilt natürlich auch im Falle der NFG, und es dürfte sich lohnen, hier einmal genauer und differenzierter über diese Bilanz nachzudenken. Ich bin weit davon entfernt, sofort den Saldo ziehen zu wollen. Als Vorarbeit dazu möchte ich lediglich den Blick auf einzelne Rechnungsposten legen, die mir besonders wichtig und interessant erscheinen. Ich erwarte dabei keine ungeteilte Zustimmung: für andere, ebenso Dabeigewesene wird sich in manchem Punkt ein anderes Bild ergeben. Ich nehme aber das Recht in Anspruch, die Maßstäbe zur Beurteilung aus den gegebenen Bedingungen des Lebens in der DDR zu nehmen.
Für eine Literatur, die sich im Interim von Territorien und kulturspezifischen Denkstilen bewegt, ist das verbindende Dazwischen von anthropologischen Themen wie Heimat, Geschlecht, Tod, Identität etc. ebenso von Bedeutung wie Reflexionen über ihre literarische Gestaltung. In dieser Hinsicht gehören die Romane der Schriftstellerin und Übersetzerin Esther Kinsky "Am Fluss" (2014) und "Hain: Geländeroman" (2018) sicherlich zu den aktuell sehr interessanten und facettenreichen Texten. Der River Lea wird in Esther Kinskys Roman "Am Fluss" zur Grenzmarkierung und zugleich zu einem Wegweiser für zahlreiche Erzähltraditionen. Gleiches gilt für die Kleinstadt Olevano, die die Ich-Erzählerin in "Hain: Geländeroman" bereist. Der Beitrag möchte der Frage nachgehen, worin in beiden Texten Anteile eines gestalteten sowie gestaltenden Schreibens im Zusammenhang von Migration als einem literarästhetischen Experimentierfeld zu suchen sind.
Schleppen und Schleifen
(2015)
Schleppen und Schleifen sind einander etymologisch verwandt. Seit dem 13. Jahrhundert soll die Ähnlichkeit von Schleppen und Schleifen bereits in der Deutschordensdichtung belegt sein; das Grimm'sche 'Wörterbuch' notiert, dass "die identität von schleppen und schleifen" um 1430 erkannt und erstmals in Wörterbüchern erfasst wurde. Nun sind Schleppen und Schleifen nicht nur Verben für den mehr oder weniger identischen Vorgang, etwas unter Mühe langsam, schwerfällig und mit großem Kraftaufwand am Boden entlang zu ziehen, sondern auch Pluralformen von Substantiven. Die Schleppe und die Schleife bezeichnen dabei geradezu das Gegenteil der verbalen Bedeutung: Anders als die Verben 'schleppen' und 'schleifen' sind sie nicht mit Mühe, Last und Erschöpfung konnotiert, sondern stehen vielmehr für Luxus und Verschwendung - für die unendliche Leichtigkeit des Seins.
Teilen Juden und Christen einen erheblichen Teil ihrer heiligen Texte, kommt das Abgrenzungsbedürfnis bei der Kommentierung dieser Texte umso stärker zum Tragen. Die rabbinische Bibelinterpretation der Spätantike scheint sich in der Methodik radikal von der christlichen Auslegungsweise zu unterscheiden. Neben inhaltlichen Unterschieden spielt dabei insbesondere die eigentümliche Methodik der rabbinischen Schriftauslegung eine Rolle, wie sie uns im Midrasch, der wichtigsten Gattung rabbinischer Bibelauslegung, begegnet. Obwohl es keine einheitlich christliche Auslegungsmethodik gibt, ist die Auslegung, die dem rabbinischen Midrasch für gewöhnlich gegenübergestellt wird, die Allegorie. Die aus der stoischen Interpretation Homers hervorgegangene Allegorese kommt als Methode der Bibelauslegung bereits in den Arbeiten des alexandrinischen Juden Philon zu ihrer ersten Blüte. Während die rabbinische Auslegungstradition allerdings Philon völlig unbeachtet lässt, wird er zum Vorbild der patristischen Bibelinterpretation.
Vorgänge der Kommunikation und solche der medialen Vermittlung sind an Prozessen von Marginalisierung oder auch Zentralisierung beteiligt. Die Neukonstruktion und Neukategorisierung des Raums wird daher an sprachlichen Zeugnissen (briefliche Selbstauskünfte, Lyrik, Publizistik) nachgezeichnet. Der Beitrag verfolgt die allmähliche kulturelle Entperipherisierung der pommerschen Insellandschaft und insbesondere Rügens, indem drei Phasen unterschieden und behandelt werden: 1. die mittelalterliche und frühneuzeitliche Abwertung oder Bewertung des Nordens unter dem Blickpunkt christlicher Mission und biblischer Ordnungsvorstellungen, 2. das Entstehen einer Kunstmythologie um 1800, die sich auf Shakespeare, Rousseau, Ossian sowie die germanisierte skandinavische Überlieferung berief und Pommern zur utopisch idyllischen wie zur unwirtlich-wilden, das heißt auch erhabenen Landschaft formte und 3. die Durchdringung Gesamtpommerns durch die Zentralitätsstruktur preußischer Institutionalisierungs- und Ordnungsprozesse nach 1815.
Die Beziehung von res und verba ist ihrem Grunde nach eine sprachphilosophische. Sie handelt von jenen Dingen, die überhaupt der Sprache zugänglich sind, bzw. von jenen Gegenständen, welche durch ihre Artikulation erst zu Dingen der Sprache werden. Der Fokus der Überlegungen konzentriert sich auf die Organisation des Verhältnisses von res und verba, für das über Jahrtausende hinweg in erster Linie die Rhetorik zuständig gewesen ist. Diesem liegen allerdings tatsächlich zwei sprachphilosophische Annahmen zugrunde, die von gegensätzlichen Voraussetzungen ausgehen.
In dieser Studie wird Ernst Jandls experimentelle Dichtung unter Einbeziehung seiner komplexen Sprachwelt und verschiedener Interpretationsansätze beschrieben. Um seine poetologischen Überlegungen und Schreibverfahren zu erfassen, werden einige zum Kanon gehörende Texte vorgeführt. Dabei wird von den selbstreferenziellen Positionen des Autors und den diversen Untersuchungen aus der Sekundärliteratur ausgegangen, die vordergründig die innovatorischen Qualitäten der Dichtungen hervorheben.
Der vorliegende Essay möchte die Verbindung von Philosophie und Religion näher ausführen und sie exemplifizieren anhand der Exegese der Bibel im 'Stern der Erlösung'. Hierfür sollen zunächst ein paar einleitende Worte zur Biographie Rosenzweigs angeführt werden, da bei diesem Denker, wie bei kaum einem zweiten der jüdischen Moderne, Leben und Werk eng aufeinander bezogen sind. Daran anschließend konzentriere ich mich auf den 'Stern', um herauszuarbeiten, wie Rosenzweig die Bibel benutzt, um gewisse für sein Denken zentrale philosophische Sachverhalte anhand von Bibelstellen zu erläutern.
Der folgende Beitrag will anhand der exemplarischen Lektüre zweier Aufsätze zeigen, was Lou Andreas-Salomés beschäftigte, wie und in welche Diskussionen sie sich einmischte und warum die Rezeption ihrer Texte schwierig ist; er will aber auch die Richtung andeuten, in der sich Fragen und Auseinandersetzungen Lou Andreas-Salomés bis in die Gegenwart fortgeschrieben haben. Am Beispiel der beiden beinahe zeitgleichen, thematisch so verschiedenen Texte "Grundformen der Kunst" (1898) und "Der Mensch als Weib" (1899) soll im folgenden Lou Andreas-Salomés Stimme, wie sie in der Polyphonie der Jahrhundertwende erklang, wieder zu Gehör gebracht werden. Daß die Aufsätze trotz ihres thematischen Unterschieds in denselben lebensbejahenden Versuch nach anthropologischer Selbstbestimmung münden, macht sie zu exemplarischen Texten für ihr Werk insgesamt.
"Übersetzt", "eingeleitet", "herausgegeben von Marie Herzfeld" - so oder ähnlich steht es auf zahlreichen Titelblättern der Jahrhundertwende. Was sich dahinter verbirgt, ist eine kleine Bibliothek literarischer und kulturhistorischer Texte aus verschiedenen Sprachen, welche die Schriftstellerin Marie Herzfeld (1855-1940) einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat; vornehmlich skandinavische Literatur und Texte der italienischen Renaissance. Wenn der Name Jacob Burckhardts für eine "große Erzählung" der Renaissance steht, so betreibt Herzfeld mit ihren "Quellentexten zur Geschichte der italienischen Kultur", zwischen 1910 und 1927 im Eugen Diederichs Verlag erschienen, eine Art kleine kulturgeschichtliche Archäologie. Sie präsentiert frühneuzeitliche Originale und bietet den Lesern einen unverstellten Blick auf deren Fremdheit; andererseits gibt sie Verständnishilfen, holt das Vergangene gleichsam zoomartig heran und "verlebendigt" es durch ihren Kommentar. Ihr Focus ist ein kulturwissenschaftlicher - auch im heutigen Sprachgebrauch. Die Spurensicherung dieser Imellektuellen ohne akademische Ausbildung im engeren Sinn und ohne institutionellen Status wirft die Frage auf, wie kulturwissenschaftliche Gegenstände von Positionen der Randständigkeit entstehen können. So gefragt, ist es weder naiv noch vermessen, Marie Herzfeld für die Anfänge der Kulturwissenschaften in den Dienst zu nehmen. Allerdings bleibt das Problem, mit einem Begriff hantieren zu müssen, der nicht nur unscharf ist, sondern auch oder gerade deswegen gegenwärtig beinahe inflationär gebraucht wird – ein Schicksal, das er mit dem der "Cultur" im "fin de siècle" teilt.
Trotz einiger vorliegender Arbeiten zu Hofmannsthals Kunstrezeption ist die Frage nach der spezifischen Art seiner Wahrnehmung von "Bildern" und deren Bedeutung für sein Werk noch weitgehend unbeantwortet. Hier setzen die folgenden Überlungungen ein. Hoffmannsthals Interesse an bildender Kunst zeigt sich schon zu Beginn seines literarischen Schaffens: in seinem Prosagedicht "Bilder" von 1891, den Ausstellungsbesprechungen und Rezensionen [...]; später dann in seinen Einleitungen zu Mappenwerken wie Ludwig von Hofmanns "Tänzen" (1905) oder den Handzeichnungen aus der Sammlung seines Rodauner Nachbarn Benno Geiger (1920). Auch in seine Versen zu "lebenden Bildern", in den lyrischen Dramen und den Libretti, sogar in einzelnen Gedichten ist eine besondere "ikonographische" Komponente erkennbar; sie gilt im besonderen Maße für die Balette, etwa den "Triumph der Zeit", was bislang noch kaum gesehen wurde. Schließlich spiegelt sich das vitale Interesse an Kunst in den Reiseaufsätzen, in Vorträgen, Briefen und Notizen. In vielen seiner persönlichen Beziehungen (von den deutschen Zeitgenossen insbesondere zu Harry Graf Kessler, Eberhard von Bodenhausen, Alfred Walter Heymel, Julius Meier-Graefe) ist die bildende Kunst ein wichtiges kommunikativ-verbindendes Element.
Judas Ischariot, hebr. יהודה אישׂ־קריות (Yəhûḏāh ʾΚ-qəriyyôt), der im Neuen Testament als einer der zwölf Nachfolger Jesu von Nazareth erscheint, die dieser persönlich als Apostel berief, ist in der europäischen Kultur- und Religionsgeschichte seit der Antike auf viele verschiedene Weisen betrachtet und dargestellt worden. Auf die vier kanonisch gewordenen Evangelien des Neuen Testaments und das apokryphe Judasevangelium folgen patristische Erklärungen und Präsentationen des Judas in der Malerei des Mittelalters und der frühen Neuzeit und schließlich eine Fülle literarischer, bildlicher und musikalischer Darstellungen in Moderne und Gegenwart.
Lesen wir diese Zeugnisse zusammen, erhebt sich uns aus der Vielzahl der Exegesen, Porträtierungen und Inszenierungen eine schillernde Gestalt, die in ihrer Widersprüchlichkeit faszinierender kaum sein kann: Der Jünger, der seinen Herrn um dreißig Silberlinge mit dem sprichwörtlich gewordenen 'Judaskuss' ausgeliefert und sich dann aus Reue über seine Tat erhängt haben soll, erscheint als stereotype Negativfigur, als Inkarnation des Bösen, als exemplarische Verkörperung des Verräters und wird zugleich in positivem oder zumindest weitaus günstigerem Licht präsentiert. Letztere Darstellungen füllen die Figur psychologisierend mit Leben, indem sie den Menschen mit Blick auf seine Tat transparent machen, ihm ein individuelles Gesicht geben und ihn individual- und sozialethisch zu rehabilitieren suchen. Sie deuten sein Handeln als notwendige Voraussetzung für die Erfüllung der Heilsgeschichte, exkulpieren es als Verzweiflungsakt eines enttäuschten Patrioten, der sich vom Messias Widerstand gegen die römischen Besatzer erwartet hatte, oder stilisieren es zur Heldentat. In jüngster Zeit wird Judas auch als der engste spirituelle Freund Jesu gehandelt. Seit 2006 mit erheblicher Medienpräsenz zu Ostern große Teile des aus dem Koptischen übersetzten Manuskripts des Judasevangeliums publiziert wurden, das bis vor kurzem als verschollen galt, konstruieren Literaten, Esoteriker und Verschwörungstheoretiker das Bild eines Vertrauten Jesu, den dieser in tiefste Geheimnisse eingeweiht habe: über Gott, die Schöpfung und darüber, wie geistliche Verwirklichung durch Hervorbringung des vollkommenen Menschen zu erreichen sei.
Das Spannungsverhältnis zwischen poetischer Einbildungskraft und positivistischer Wissenschaft, zwischen Imagination und Evidenz, wird wohl an keinem anderen literarischen Genre des 19. Jahrhunderts so augenfällig wie am historischen Roman. Schon in der Gattungsbezeichnung verbinden sich die Lizenzen der Fiktionalität, die der Roman gewährt, mit einem wie auch immer gearteten Anspruch auf historische Faktizität. Die unüberschaubare Menge der historischen Romane, die im 19. Jahrhundert entstand, spiegelt in den vielfältigen Sujets und Figuren nicht nur die Interessen- und Problemlagen ihrer Entstehungszeit wider, sondern liefert im Zeitalter des ästhetischen Historismus ganz unterschiedliche Beispiele von textuellen Verfahren, die das Verhältnis von Imagination und Evidenz sichtbar machen.