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Benzene solutions of Me3SnCl when exposed to moisture yield the adduct Me3SnCl·Me3SnOH·H2O. This adduct represents an intermediate in Me3SnCl hydrolysis. The structure of Me3SnCl·Me3SnOH·H2O features an array of Me3Sn units connected alternatingly by bridging Cl and OH ligands.
Die "lyrische Operette" 'Semele' erscheint zum ersten Mal in der von Schiller anonym herausgegebenen Lyriksammlung 'Anthologie auf das Jahr 1782'. [...] Im Falle der Ovidschen Vorlage handelt es sich - zumal in der der Zeit um 1780 - um ein brisantes Thema, nämlich um die "Götterwollust" des Menschen. [...] Schiller [...] behält das brisante Problem bei, exponiert und steigert es sogar, um es erst danach im Menschheitlichen aufzuheben.
Im Folgenden möchte ich durch Einordnung von Brentanos "Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl" in eine Geschichte des Wissens (Medizin, Recht, Mythologie) zeigen, dass die Organisation der Erzählung der Dynamik zweier gegenlaufiger Textbewegungen geschuldet ist: erstens dem Ausbruch einer rechtlichen Krise als Folge einer fehlenden (in einem gewissen Sinne unmöglichen) sozialen Integration von Sexualität, Kriminalität und Psychopathologie, zweitens den Versuchen, mit einer neuen Ordnung auf diese Krise zu reagieren. Auf der einen Seite stehen die Verbrechen von Kasperl und Annerl, Selbstmord und Kindsmord, ihre psychische und (außer-)gesellschaftliche Genese sowie ihre Folgen, auf der anderen Seite die narrative Bewältigung der Ereignisse durch den Erzähler und die rechtliche durch den Fürsten.
Expansion in die Natur : zum Verhältnis von "ars" und "natura" bei Paracelsus und im Paracelsismus
(2005)
Wenn Paracelsus Naturwissenschaft oder magica als eine Handlung definiert, die "aus ihr", der Natur, ist, diese aber "mer, dan" ihr selbst "zu zu legen ist", steigert und "bessert", dann geschieht dies auf Basis aristotelischer Argumente, die im 13. Jahrhundert auf neuplatonische Weise so kombiniert werden, daß die aristotelischen Vorgaben mit der Vorstellung einer aktiven sympathetischen Teilhabe des Menschen am Kosmos harmonisieren. Diese Überformung wird in der Frühen Neuzeit noch einmal weiterentwickelt. Es sind die protestantische Mystik mit und gegen Luther und die Auslagerung ihrer häretischen Tendenzen in die Naturwissenschaft, die der Theorie von der Steigerung der Natur aus ihrer Mitte die Bedeutung einer wechselseitigen souverinen Teilhabe verleihen.
Multiple Magie : zur Verwandlung psychiatrischen Wissens in
Hofmannsthals "Andreas"-Fragmenten
(2005)
In diesem Aufsatz soll Hugo von Hofmannsthals "Andreas"-Projekt als Überlagerung eines psychiatrischen Diskurses durch einen magischen gelesen werden. Ich verfolge in den Fragmenten die Gedankenfigur der Persönlichkeitsspaltung, wie sie in der französischen und amerikanischen Psychiatrie des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts erarbeitet wurde, und versuche, deren Überschreibung durch Theoreme aus der natürlichen Magie bzw. deren Reformulierungen durch die Rosenkreuzer-Bewegung des 20. Jahrhunderts zu rekonstruieren. Diese Überlagerung, so meine These, ist als eine starke Aneignung der beiden Wissens-Formationen auf dem Boden der Klassischen Moderne zu verstehen: Beschrieben wird eine Transformation, der sowohl die Position eines eximierten Magiers/Psychotherapeuten wie auch die eines in sich geschlossenen metaphysischen bzw. therapeutischen Systems zum Opfer fallen.
Warten auf die Anthologie
(2005)
[...] "der Artushof" ist eine Passage, die als Verbindung zweier belebter Straßen in einem Hauptgeschäftsgebiet einer Stadt liegt, sie ist nur dem Fußgänger zugänglich und schützt ihn vor Witterungseinflüssen. Auch wenn im Artushof noch keine, die Passage des 19. Jahrhunderts prägende, nach Innen gekehrte Ladenstraße verwirklicht ist, so ist doch seine seit den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts nachweisbare Umwidmung vom Festsaal zur Börse ein Zeichen dafür, daß auch schon in der Danziger Passage "die Kunst in den Dienst des Kaufmanns" getreten ist.
Die größeren deutschsprachigen Zeitungen enthielten in der Regel recht umfangreiche Nachrichten über deutsche und europäische Ereignisse und Entwicklungen, was offensichtlich einem starken Interesse der Leserschaft entsprach, Neuigkeiten über die alte Heimat und den europäischen Kontinent zu erfahren. Gleichzeitig spiegelte es auch ein Bedürfnis der eingewanderten Vormärzemigranten wider, den Lesern Informationen über die neuesten politischen Vorgänge in Europa zu vermitteln, um sie gegebenenfalls für eine Unterstützung demokratischer Bewegungen in der alten Heimat zu gewinnen, was auch materielle Zuwendungen einschließen konnte. Die deutschsprachigen Zeitungen in den USA besaßen zwar keine eigenen Korrespondenten in Europa – lediglich die "Alte und Neue Welt" hatte einen Mitarbeiter in Frankfurt/M., doch die in New York und Philadelphia erscheinenden Blätter erhielten größere Sendungen von europäischen Journalen, aus denen sie Auszüge abdruckten. Die Zeitungen des Binnenlandes wiederum kopierten dann diese Auszüge. Eine weitere Informationsquelle waren die vielfachen brieflichen Kontakte zwischen Deutschen in Amerika und Verwandten oder Freunden in der alten Heimat. Die Briefe wurden häufig ganz oder in Auszügen inverschiedenen Zeitungen abgedruckt, wenn sie im Hinblick auf einen interessanten Nachrichtenwert von öffentlichem Interesse waren.
Im Juli 1842 wanderte Johann Konrad Friederich nach Frankreich aus. Fortan lebte er knappe fünf Jahre in der französischen
Hauptstadt, bis zum Frühjahr 1847. Hier betätigte er sich, wie in Deutschland, weiterhin als Journalist und Schriftsteller. Er verfaßte oder stellte fertig u.a. das umfängliche Buch mit dem Reiz-Titel "Dämonische Reisen in alle Welt" sowie vermutlich den größeren Teil seiner reichhaltigen Memoiren (insgesamt rund 2000 Seiten). Im Frühjahr 1847 verzog er nach Ingouville bei Le Havre, wo er noch elf Jahre lebte und am 1. Mai 1858
verstarb. Ein Exilierter?
Als bevölkerungsstärkste Einwanderungsgruppe des 19. Jahrhunderts stellten deutsche Immigranten und Exilanten die Frage nach den Kennzeichen des amerikanischen Wertesystems besonders deutlich. Die eigene kulturelle Prägung diente bei der Suche nach Antworten als sowohl negative als auch positive Bezugsfläche. Nicht selten kam es bei der interkulturellen Begegnung zu Enttäuschungen, deren Ursachen in falschen Vorstellungen über die Realitäten des amerikanischen Wirtschafts-, Politik- und Gesellschaftssystems lagen. Bei der Wahl zwischen resignierender Anpassung an die neuen Verhältnisse oder aktiver Mitgestaltung der Wertegemeinschaft entschieden sich vor allem die Freiheitskämpfer des politischen Vormärz zugunsten einer reformerischen Haltung. Im Folgenden sollen daher nicht die ethnischen Kommunen untersucht werden, die sich um den Preis isolationistischer Vereinsmeierei der Bewahrung deutscher Traditionen, Gebräuche und Sprache verpflichteten, sondern jene Aktivisten, die in den USA ihre Vorstellung einer besseren, vorbildlichen Welt zu verwirklichen suchten. Die deutsch-amerikanische Geschichtsschreibung hat sich traditionell mit der Frage befasst, welche Beiträge deutsche Immigranten zur amerikanischen Kultur leisteten. Dabei ließen in der Vergangenheit viele Arbeiten einen wissenschaftlich analytischen Ansatz vermissen. Neue Zugänge zur von zwei Weltkriegen überschatteten deutsch-amerikanischen Einwanderungsgeschichte können, wie Werner Sollors betont, Analysen der internationalen, poly-ethnischen und multilingualen Kontexte eröffnen?
Im letzten Jahrbuch des Forum Vormärz Forschung veröffentlichte Werner Weiland einen Aufsatz, in dem er zwei Veröffentlichungen von mir kritisierte. In beiden Veröffentlichungen, die ich zunächst allein, dann gemeinsam mit Hubert Gersch und übrigens beide Male unter redaktioneller Beteiligung von Werner Weiland publizierte, ging es um den Versuch, den handschriftlich und fragmentarisch überlieferten "Lenz"-Text zu rekonstruieren. Weiland erklärt sich jetzt (2004) "zum Anwalt von Büchners Autorenehre sowie der artifiziell und literaturpolitisch vortrefflichen Komposition" des "Lenz", die ich verletzt und mißachtet hätte. Er beklagt meine "herausgeberische Eitelkeit, die sich ohne einen soliden Beweis lediglich hypothetisch auf Kosten des Autors zu profilieren sucht", und er meint, "[d]ie neuerliche Entpolitisierung des Büchnerbilds, die den Aufbruch von 1968 auf sich beruhen läßt und im neoliberalen Trend liegt", erreiche mit meinem Rekonstruktionsversuch "einen Höhepunkt". Im letzten Abschnitt setzte er mir die Pistole auf die Brust: "Ich erwarte von Dedner eine Replik". So muß ich denn wohl replizieren.
"Welch ein schönes Land und welche häßlichen Menschen" : Ludwig Börne in der vormärzlichen Schweiz
(2005)
Die Schweiz werde ich im folgenden, was im Vormärz naheläge, nicht eigentlich als Exilland ansprechen; vielmehr wird gefragt werden, wie ein Pariser Exilant in den Jahren nach 1830 die Schweiz als Tourist erlebte. In der noch immer bescheidenen Börne-Forschung ist diesem Aspekt bislang kaum Rechnung getragen worden.
Zu Beginn des Jahres 1848 erscheint unter dem Titel: "Nord und Süd, Monatsblätter für Unterhaltung und Zivilisazion" eine neue Monatszeitschrift für das deutsche Publikum, verlegt von Michael Schläpfer in Herisau. Bereits die zweite Nummer gerät in den Strudel der beginnenden Revolution, und nach etwa vier Monaten findet das Projekt ein Ende.
Eine Annäherung an die Sozialgeschichte der Exilliteratur muss verschiedene Faktoren beachten, die die Struktur des komplexen kommunikativen Systems der Exilliteratur bestimmen: erstens die Beziehungen zwischen den politischen Verlagen und den Exilautoren in der Schweiz; zweitens die Verbindungen innerhalb der Exilliteratenszene, zwischen den Verlagen und den Autoren sowie zwischen den Autoren und ihren Werken; drittens die Beziehungen zwischen den Massnahmen in den deutschen Staaten gegen den Schriftenschmuggel und den Folgen, die die Exilliteratur auf
die dortige Pressepolitik hatte; und viertens die innen- und aussenpolitischen Verflechtungen zwischen der Schweizer Flüchtlings- und Pressepolitik, den diplomatischen Druckversuchen des Auslands und den Vorgehensweisen der Kantone gegen die Verlage und die politischen Flüchtlinge. Diese Faktoren beeinflussen sich wechselseitig und bilden
ein "unendliches Netz spezifisch gesellschaftlicher Verflechtungen zwischen Autor und Verleger, Herausgeber und Kritiker, Verflechtungen der Autoren untereinander etc." [Bourdieu]. Im Folgenden sollen am Beispiel des "Literarischen Instituts" und der beiden Exilliteraten Freiligrath und Heinzen einige der eben aufgezählten Faktoren und Elemente des exilliterarischen Feldes aufgezeigt werden.
Auch in der Matratzengruft ist dem Dichter sein Exil noch ein notwendiges. Wenn er auch über die verbrannten Flügel jammert, so verleiht doch seine Sprachkunst dem Jammer Flügel. Dem Käfer sind die Flügel verbrannt, aber Pegasus hat die Kraft seiner Flügel durchaus nicht verloren. Der Autor reiht sich ja explizit mit Dante ein in die Reihe der großen sprachmächtigen Dichter. Heines kunstvoller Umgang mit der Sprache, der ihm vertrauten deutschen Sprache, macht das Gedicht selbst zu einer Libelle, die uns etwas vorgaukelt und die Schmerzen des Exils
mit "beflügelter Herrlichkeit" hinter sich läßt.
Bisher von der Forschung nicht oder kaum wahrgenommen ist das Bemühen von August Hermann Ewerbeck, mit seinen Publikationen und Artikeln in den 40er und 50er Jahren des 19. Jahrhunderts das französische Geistesleben mit dem deutschen Kulturgut des Vormärz vertraut zu machen. Umgekehrt vermittelte er in verschiedenen Schriften für
Deutschland Auffassungen sozialistischer und kommunistischer Strömungen Frankreichs. Darüber hinaus unternahm er, der als Deutscher Frankreich zu seiner Wahlheimat erkoren hatte, vielfach Initiativen, um ein festes politisches und organisatorisches Bündnis zwischen der deutschen und französischen Demokratie während der Revolution von 1848
herzustellen. Lässt man sein gesamtes Wirken Revue passieren, so hat er in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keinen geringen Beitrag für das gegenseitige Verstehen beider Völker geleistet. Dank ihrer literarischen
Ausstrahlung stehen als Repräsentanten hierfür Ludwig Börne und Heinrich Heine. Ewerbeck ist in seinem Eintreten für die Völkerverständigung beider Länder jedoch zu Unrecht vergessen worden.
Die Einsicht in die Notwendigkeit des Exils entsteht bei den meisten Autoren unter dem existentiell gewordenen Druck, einer Ausweisung zuvorzukommen. Die Furcht vor bevorstehender Inhaftierung, die Angst vor einem Berufsverbot oder vor einer schikanösen Zensurhandhabung veranlaßt jene Autoren, welche die politischen Ereignisse in Deutschland und Österreich-Ungarn kommentieren, ihre Heimatstaaten zu verlassen.
Denn bei vielen Emigranten der schreibenden Zunft handelt es sich vor allem um 'Censur-Flüchtlinge' wie Rudolf Gottschall in seinem gleichnamigen Gedichtband die politischen Exulanten nannte. Diese sind nicht nur darum bemüht, in den Anrainerstaaten eine alternative Verlagslandschaft
zu organisieren, sondern verändern infolge des Blicks von außen auf die Geschehnisse im Heimatland ihre Sichtweisen auf die Politik. Mit dem Exil wandelt sich also nicht nur das berufliche und private Umfeld, sondern auch die politische Einstellung, sei es daß eine Politisierung erstmals stattfindet, daß bestehende Vorstellungen bestätigt oder radikalisiert werden oder daß die Ferne zur Heimat und die Erlebnisse in der Fremde eine Veränderung der politischen Auffassung, also einen Politikwechsel bewirken.
Stand die ältere Parteienhistoriographie vor dem Zweiten Weltkrieg noch weitgehend vor dem Problem der Trennung von politischen Ideen und Parteiengeschichte und der Etablierung eines eigenen Theorie- und Methodenansatzes, und konzentrierte sie sich hauptsächlich auf die einseitige Darstellung der großen politischen, männlichen Denker bzw. auf
die Persönlichkeiten, die Parteien-Geschichte schrieben, so profitierte die neuere Forschung nach 1945 von der allgemein positiveren Einschätzung von Parteien als verfassungsrechtlich geschützten, staatstragenden Elementen in pluralistischen Demokratien und wandte sich im Anschluß an die ab den 1960er Jahren in die bundesrepublikanische Geschichtswissenschaft Einzug haltende Sozialgeschichtsschreibung und deren Methodik auch der bisher vernachlässigten Strukturanalyse des Parteiensystems zu. Nachdem die auf diesem Felde liegenden Desiderata größtenteils ausgeräumt worden waren, erkannte die sich den Ursprüngen und Anfängen der deutschen Parteien widmende Fachhistorie, daß sie mit einer rein strukturgeschichtlichen Untersuchung und der damit häufig korrespondierenden Übertragung moderner Parteibegriffe, -verständnisse und einer aus der Gesellschaftsgeschichte abgeleiteten Klassenkampfterminologie auf eine noch vorindustrielle, traditionale Gesellschaft dem politischen Alltag und der gesellschaftlichen Realität des deutschen Vormärz wie den Wirkungsmöglichkeiten sozio-politischer Gruppierungen in dieser Zeit nicht gerecht wurde und diese auch nicht vollständig erfassen konnte. Denn das gesellschaftspolitische Denken der damaligen Gruppierungen orientierte sich noch an den zwischen 1815 und 1848 im
Deutschen Bund existierenden Herrschaftsordnungen. Angesichts des sich abzeichnenden Zerfalls dieser alten Machtstrukturen suchten die vormärzlichen Politiker und Theoretiker zwar fieberhaft nach neuen Ordnungsgefügen, Politikentwürfen und Handlungsräumen, doch aufgrund der obrigkeitlichen Willkür, staatlichen Verfolgungspraxis und Zensurmaßnahmen konnten sie diese kaum in der politischen Öffentlichkeit, sondern eigentlich nur im halböffentlichen Raum oder in dem
im Untergrund tätigen Assoziationswesen erproben.
Das Moment der Opposition gehört zu den Grundmerkmalen des Exils, beschreibt aber nur einen Aspekt seiner – erzwungenen oder eben freiwilligen – Notwendigkeit, in der sich Schriftsteller und Künstler, Juristen und Handwerker, Juden und Christen zu allen Zeiten gleichermaßen begegneten. Im Übrigen bleibt zu beachten, dass ebenso wenig wie von einer einheitlichen liberalen Gegenbewegung zum Metternich'schen System in ganz Deutschland die Rede von einer nur annähernd geschlossen auftretenden Opposition im Vormärz sein kann; eine solche konnte sich unter den politischen Bedingungen der Nachkriegsära nicht herausbilden. Opposition im Vormärz erstreckte sich bis in die zwischen konservativer Orthodoxie und innerkirchlichem Liberalismus zerrissenen Kirchen hinein, in denen liberale Gegenströmungen wie die "Lichtfreunde" und die "Deutschkatholiken" das Staatskirchentum der Amtskirchen in Frage stellten und so von hier aus die Revolution vorbereiteten. Ebenfalls nur eine der vielen Facetten des Exils erfasst die Koppelung des Begriffs an die Literatur, auch wenn die Erfahrung von Verfolgung und Vertreibung die Geschichte des geschriebenen Wortes seit der Antike begleitet.
In Württemberg unterstützte der Kultusminister Karl von Wangenheim den Reformprozess. Er war auf den jungen, pragmatischen und scharfsinnigen Beamten Friedrich List aufmerksam geworden. Dieser kannte die Verwaltungssysteme von der Kommunalebene bis zu den zentralen Staatsorganen und konnte sowohl im Detail als auch in institutionellen Zusammenhängen denken. Als nach 1819 die Restaurationswelle Europa überrollte, gewannen die altständischen Kräfte die Initiative zurück. Von Wangenheim wurde als württembergischer Gesandter des Bundestags nach Frankfurt versetzt. Lists Eifer wurde nicht mehr gebraucht. Seine kleinbürgerliche Herkunft und sein temperamentvoller Charakter störten die Gediegenheit des wieder funktionierenden traditionellen Machtapparates. Als Abgeordneter hielt er im württembergischen Landtag eine zu kühne Rede, die sein Schicksal besiegelte. Er wurde aus Württemberg ausgewiesen und verbrachte sein Leben im Exil. Als einer der wenigen Vormärzdeutschen mit industriellen, medientechnischen und parteipolitischen Erfahrungen in der Schweiz, in Frankreich, Belgien, England und den Vereinigten Staaten von Amerika ist er im Zeitalter der beschleunigten Globalisierung eine besonders interessante Figur.
Am 15. Dezember 1967 hielt Jochen Bleicken seine Frankfurter Antrittsvorlesung zu dem ihn in den kommenden Jahren beherrschenden Thema "Staat und Staatsrecht in der römischen Republik". Geleitet vom Dekan zog er zur akademischen Stunde mittags 12 Uhr cum tempore in die Alte Aula der jungen Frankfurter Universität ein – ohne Talar: für die noch existierende Philosophische Fakultät Grund für Gespräche im Vorfeld. Dabei akzeptierte Bleicken, daß der ihn geleitende Dekan den Talar trug. ...
In Namibia, der ehemaligen deutschen Kolonie Südwestafrika, findet alljährlich ein großes Spektakel statt: Die Gemeinde der deutschen Namibier feiert in der Hauptstadt Windhoek Karneval. Während dieser "fünften Jahreszeit", die nota bene in den Monat Mai fällt, geht es ähnlich närrisch wie in Deutschland zu. Es gibt eine Karnevalsgesellschaft, ein Prinzenpaar nebst Prinzengarde, Festsitzungen mit Büttenreden und natürlich einen Straßenumzug. In den letzten Jahren nahmen daran im Schnitt an die 30 Wagen teil, von denen es "Kamelle" und "Strüßche" regnete ("Bonbons" und "kleine Blumengebinde"). Die "tollen Tage" von Windhoek sind eine Miniaturausgabe des Kölner Modells. Für einige Tage dreht sich alles um Tanz und Tabubruch. ...
Für den Politikwissenschaftler Herfried Münkler ist Solidarität das "Stiefkind der Moralphilosophie, aber auch der Gesellschaftstheorie". Die Sache, so Münkler in dem von Beckert, Eckert, Kohli, Streeck vorzüglich edierten Tagungsband, sei offenbar "nicht sonderlich theoriefähig". So habe Kant, der Philosoph der Französischen Revolution, kurzerhand die Brüderlichkeit aus der Trias Liberté, Egalité, Fraternité entfernt und durch den schnöden Besitzindividualismus der Selbständigkeit substituiert. Genauso in der Theorie der Gesellschaft, in der die Prominenz des Solidaritätsbegriffs bei "Émile Durkheim (…) eine der wenigen Ausnahmen" darstelle. ...
Es gibt technische, intellektuelle, soziale Erfindungen, die ungewöhnlich großen Erfolg haben, so großen Erfolg, dass sie über Jahrhunderte und Jahrtausende beibehalten, gepflegt und ausgebaut werden, ja aus der Gesellschaft nicht mehr leicht wegzudenken sind. Zu solchen evolutionären Errungenschaften gehören das Rad, das Geld, die Schrift, das Eigentum, die Straßen und manches mehr, namentlich auch der Vertrag, ohne dessen Konstruktion und Gebrauch erhebliche Teile der Kommunikationen und Funktionen in der Gesellschaft zusammenbrächen. Ob Ehevertrag oder Kaufvertrag, ob Ausbildungs-, Arbeits-, Beförderungs-, Lizenz-, Tarifoder Staatsvertrag – so gut wie nichts funktioniert in kleinsten bis hin zu großen sozialen Systemen ohne die Begründung wechselseitiger Rechte und Pflichten und ohne die in pacta sunt servanda zementierten normativen Erwartungen. ...
Einleitung
(2005)
Es mag mit der Erfahrung erhöhter Geschwindigkeit und Dichte von weltweiten Kommunikationen zusammenhängen, es mag Resultat lebhafter Austauschbeziehungen in Wirtschaft, Kunst, Politik sein, es mag Folge der Ahnung sein, dass vor unseren Augen eine "Weltgesellschaft" entsteht – Anlass genug gibt es jedenfalls, genauer zu beobachten, wie und zu welchem Ende Produkte und Imaginationen, Technik und Visionen, Waren und Wissen Grenzen überschreiten, um in einem entgrenzten Raum zu zirkulieren und ihr Eigenleben zu entfalten. Grenzen, das sind nicht nur, aber immer noch, nationale Grenzen. Begrenzt sind jenseits von Nationalitäten ganze Kulturen durch ihre historisch bedingten Strukturen, die wohl vieles, aber eben nicht alles zulassen. Durch Grenzen etablieren sich auch die sozialen Systeme der Gesellschaft, womit das Kreuzen der Grenzen nicht ausgeschlossen, aber ein heikler, die Autonomie der beteiligten Systeme tangierender Vorgang ist. ...
Rechtstransfer
(2005)
Anlass zu beschreiben, was Rechtstransfer bedeutet, sieht nicht nur die gegenwärtige juristische Gesellschaft. Erheblicher Bedarf an Erklärungsmodellen bestand auch im 19. Jahrhundert. Eine der größten Migrationswellen, die so genannte Rezeption des römischen Rechts, hatte Europa während mehrerer Jahrhunderte überflutet. Aus dieser Flut, kaum hatte sie ihren Höchststand erreicht, reckten sich nun allerorts nationale Gesetzgebungsprogramme und ganze Kodifikationen hervor. Das Verhältnis von rezipiertem, römischem Recht – das längst ganz "eigen" und "heutig" geworden war – zu den das ius commune störenden oder sogar zerstörenden Eingriffen nationaler Gesetzgeber galt es zu klären und zu erklären. Nur wenn es für den einstigen Transfer des römischen Rechts in germanische Gefilde plausible und irreversible Gründe gab, gab es auch Gründe, die kecken Vorstöße des nationalen Gesetzgebers zurückzuweisen und der Positivität des Rechts Einhalt zu gebieten. Das war die Position eines Savigny und seiner Gesinnungsgenossen. ...
"Mit Bettina und Savigny in traulich scherzendem Gespräche den Sonnenuntergang betrachtet. Savigny heim, wir allein zurük und gute Nacht, Hand in Hand, in denen die ersten Küsse glühen, tief bewegt zu Bette…" Das notierte Philipp Hössli, Gast auf dem Landsitz der von Arnims in Wiepersdorf, in sein Tagebuch am 21. September 1822. Im Frühjahr 1821 war der 21jährige Philipp Hössli aus Nufenen, Graubünden, in Berlin zum Studium eingetroffen, hatte sich umgehend bei Wilhelm von Humboldt und Carl Friedrich von Savigny vorgestellt und wurde von diesem herzlich willkommen geheißen. Savigny machte ihn mit seiner Familie, darunter auch seiner Schwägerin, Bettina von Arnim, bekannt. "Die Frau von Arnim begleitet", "Bald weg zu Frau von Arnim", "Zu Madame von Arnim", "Bei Frau von Arnim" – fast für jeden Tag findet sich ab Juni 1822 ein solcher Eintrag in Hösslis Tagebuch. Im Juli heißt es dann: "Zu Bettina. Wunderbare Stunden!" Eine glühende Liebesgeschichte zwischen Bettina und ihrem 15 Jahre jüngeren "Schweizerknaben" nimmt ihren Lauf. "Nach dem Essen an die Castanien.…Dann auf die Bäume gestiegen. Wonniges Gefühl…" "Dann eilen wir in ihr Zimmer aufs Sopha. … In reinster, innigster Liebe beisammen. Über Freundschaft gesprochen." ...
Punktierkunst
(2005)
Ach, Festschriften. Was soll man zu diesem weiter und weiter vor sich hinwesenden Wesen noch sagen? Unwesen? Nun, es gibt natürlich Ausnahmen von der Sitte, mehr oder weniger lieblos herausgekramte oder lieblos verfasste Schreibversuche von Kollegen, Schülern, Freunden, oder solchen, die sich dafür halten, als Hommage für einen mehr oder weniger alt gewordenen Mann zusammenzudrucken. Eine solche Ausnahme zu sein versprechen Titel, Umfang und Adressat einer 2004 im Heidelberger Synchron Verlag erschienenen, von Rüdiger Campe und Michael Niehaus herausgegebenen Festschrift. Der Titel: "Gesetz. Ironie". Eine feine Symmetrie. Sechs Buchstaben auf der linken, sechs Buchstaben auf der rechten Seite. C’est chic. Und die Worte sind gut, und gut gewählt. Wer wird schon an einem Buch vorbeigehen, das ein solch schönes Wortpaar ziert. Und dann auch noch ein rätselhafter Punkt in der Mitte, der erst recht Neugierde weckt. Der Umfang: Einvierteltausend Seiten, also ein Viertel des Üblichen. Im fettsüchtigen Zeitalter des Quadriple-XLFood ein Leichtgewicht. Der Adressat: Manfred Schneider, 60 Jahre, und in seiner Wissenschaft, dem Nachdenken über Literatur, so etwas wie ein Garant für das Zusammentreffen von Strenge und Ironie, wie die Herausgeber zu Recht hervorheben. Also, drei Gründe, die Festschriftsache etwas näher zu betrachten. ...
Im Jahre 1721 setzt der preußische König Friedrich Wilhelm I. für das Herzogtum Preußen ein sogenanntes "Landrecht" in Kraft. Anders als der moderne Gesetzgeber begnügt sich der König dabei nicht mit der bloßen Publikation des Gesetzes, sondern er fügt dem Gesetzestext am Schluss ein ausdrückliches, an die Gerichte gewendetes Anwendungsgebot bei. Damit soll augenscheinlich eine bestimmte Argumentationslinie, mit der die Gerichte die Nichtanwendung des Gesetzes begründen könnten, von vornherein abgeschnitten werden: Der Einwand mangelnder Observanz, so heißt es in diesem Anwendungsgebot, sei kein Grund, das Landrecht nicht anzuwenden. Mangelnde Observanz entbinde die Richter keinesfalls von der Pflicht, das Landrecht ihrer Urteilstätigkeit zugrunde zu legen. Denn es sei gerade die Schuldigkeit der Richter, "unsere Gesetze zur Observanz zu bringen". Derartige Anwendungsgebote sind häufig anzutreffender Bestandteil vor allem der frühneuzeitlichen "Landrechte" und "Reformationen". In der Regel beinhalten sie ein in erster Linie an die Rechtsstäbe gerichtetes Gebot, das betreffende Landrecht "gleich nach beschehener Publication aller Orths ad observantiam" zu bringen – so die Formulierung etwa im Trierer Landrecht von 1668. Häufig ist dies dann verbunden mit dem Verbot, weiterhin neben oder gar an Stelle des neu ergangenen Landrechts das bislang gerichtsgebräuchliche Gewohnheitsrecht anzuwenden. In diesem Muster hält sich auch das eingangs zitierte Anwendungsgebot König Friedrich Wilhelms I., nur dass hier überdies ganz gezielt ein bestimmter Gegeneinwand von Seiten der Gerichte vorweggenommen wird: der Einwand nämlich, dass ein Gesetz – und sei es auch nach allen Regeln promulgiert und bekanntgemacht – so lange keine Wirksamkeit entfalten könne, als es nicht zur "Observanz" gelangt sei. In den reichskammergerichtlichen "Decisiones" Johann Meichsners etwa findet sich dieses Argument wie eine unbestrittene Selbstverständlichkeit vorgetragen: "Statutum enim, quod non est receptum in observantia, licet fuerit publicatum, nullas habet vires, ideo ligare non potest." ...
Als am späten Abend des 25. Juni 1935 die Lichter gelöscht und die Türen des Pariser Versammlungsgebäudes der Mutualité geschlossen sind, ist der Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur nicht Vergangenheit. Um seine Bedeutung zu begreifen wie um zu verstehen, warum sie sich so schnell verflüchtigen konnte, genügt die Betrachtung des Ereignisses nicht. Wie ist er von denen aufgenommen worden, die ihn nicht aktiv gestaltet haben oder am Rande bleiben mußten? Wie haben die Akteure ihr Engagement und ihre Divergenzen fortgesetzt? Was hat die Schriftstellervereinigung, die in Paris gegründet worden ist, getan und was ist aus ihr geworden bis zum Beginn jenes Krieges, der aus heutiger Sicht das Jahrzehnt so weitgehend bestimmt und den - bei allem, was auf ihn hindeutet - die Kongreßteilnehmer noch zu verhindern, nicht leben zu müssen hoffen? Auf diese drei Fragen sollen im folgenden Antworten versucht werden.
Auf der Grundlage einer Textauswahl von 110 Werken der einschlägigen Literatur wird versucht, das okkulte Schrifttum des 18. Jahrhunderts zu ordnen und die einzelnen Genres, die sich herausstellen lassen, durch exemplarisch zu verstehende Texte zu charakterisieren. Eine Ausnahme bilden die alchemistischen und theosophischen Veröffentlichungen, die lediglich erwähnt werden.
Die ältere Bezeichnung "okkult", das "Okkulte", wird beibehalten und den Begriffen "Esoterik" und "esoterisch" vorgezogen. "Okkultismus", zu sehr an die entsprechenden Bestrebungen des 19. Jahrhunderts gebunden, wird nur in diesem spezifischen Sinne gebraucht. "Esoterik bzw. esoterisch" haben sich zwar als Begriffe in der neueren Aufklärungsforschung eingebürgert - man vergleiche dazu die Veröffentlichungen der letzten Jahre -, doch erscheinen mir diese neuen Bezeichnungen noch schwammiger als die alten. Sie lassen gegenwärtig die heterogensten Elemente im Begriffsfeld zu. Ein Ausweg wird gesucht, indem man - wie in einem Ausstellungskatalog - die Begriffe ganz eng auf geheime Gesellschaften einschränkt, so wie auch in den genannten Beiträgen der Germanistik das Schwergewicht auf Logen und geheimen Verbünden liegt. Das Dilemma beschreibt Antoine Faivre und sucht festen Boden zu gewinnen, indem er "Esoterik" als "Denkform" mit vier, bzw. sechs "Komponenten" beschreibt und auf inhaltliche Abgrenzungen verzichtet. Diese Komponenten sind auch auf den Begriff "okkult" anwendbar. Sie sind Definitionen wie der folgenden: "Okkultismus ist das Sammelwort für die Fülle der geheimnisvollen Kräfte und Beziehungen, die im Bereich der Seele, im Haushalt der Natur und zwischen diesen beiden wirken" insofern überlegen, als sie das Wesen des "Geheimnisvollen" und "Dunklen" mit begrifflich faßbaren Sachverhalten beschreiben.
"Gewiß ist die Zerstörung der deutschen Judenheit, die wir staunend an uns selber miterleben, wir Zeitgenossen des Frühjahres 1933 - gewiß ist die Unterdrückung, Beschmutzung, wirtschaftliche Vernichtung eines schöpferischen Bestandteiles der deutschen Bevölkerung [...]." Mit dieser Gewißheit machte sich Arnold Zweig unmittelbar nach dem Reichstagsbrand - schon auf der Flucht über die Schweiz und Frankreich nach Palästina - daran, eine Bilanz der deutschen Judenheit zu ziehen, so der 1934 in Amsterdam erschienene Essay, in dem er die Leistung der deutschen Juden in Wirtschaft, Technik und vor allem in Wissenschaft und Kultur aufzeigte. Zweigs Perspektive ist symptomatisch für die Selbstwahrnehmung der unmittelbar betroffenen deutschen Juden angesichts des Jahres 1933. Sie ist geleitet von zwei Elementen: erstens dem rasch sich einstellenden Bewußtsein eines endgültigen Endes des jüdischen kulturellen Lebens in Deutschland nach der Machtergreifung der Nazis 1933, wie Zweig auch im ernüchternden Satz "Die Sache der deutschen Juden [...] ist rund, abgeschlossen darstellbar" unterstreicht; zweitens - und von diesem Standpunkt aus gesehen - der Aufgabe eines erinnernden Rückblicks auf die 150 Jahre zwischen Aufklärung und Weimarer Republik als einer denkbar kreativen Phase jüdischer Geschichte in der Diaspora.
"Unsere Väter hatten vielleicht noch die Zeit, sich zu beschäftigen mit den Idealen einer objektiven Wissenschaft und einer Kunst, die um ihrer selbst willen besteht. Wir dagegen befinden uns ganz eindeutig in einer Lage, in der nicht dieses oder jenes, sondern in der die Totalität unseres Lebens in Frage steht." - Diese Zeilen, die eine tiefe historische Kluft behaupten, welche die gefährliche Gegenwart der Moderne von der sekurierten Welt der Väter trennt, stammen aus dem 1932 veröffentlichten Buch 'Der Arbeiter. Gestalt und Herrschaft". Ihr Verfasser, der ehemalige Frontkämpfer und Autor Ernst Jünger, zieht in dieser in Kreisen der sogenannten "Konservativen Revolution" - diskursiv einflußreichen Schrift eine vorläufige Bilanz seiner nunmehr über zehn Jahre währenden Auseinandersetzung mit der Frage nach den Lebensbedingungen in der von ihm mit einer "mit Blut gespeisten Turbine" gleichgesetzten Moderne. Ihren Ausgangspunkt bei der Beschreibung und Analyse moderner Lebensverhältnisse nehmen Jüngers Überlegungen in dem mehr als dreihundert Seiten umfassenden Essay im Ersten Weltkrieg, jener epochalen "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" mit ihrem für das deutsche Selbstverständnis so verheerenden Ausgang. Dieser Krieg wurde in Jüngers wie auch in vielen anderen deutschsprachigen Texten der nachwilhelminischen Ära - zu denken ist hier zum Beispiel an Thomas Manns 'Der Zauberberg', an Robert Musils 'Der Mann ohne Eigenschaften' oder auch an Oswald Spenglers 'Der Untergang des Abendlandes' - als eine tiefgreifende Schwellenerfahrung gedeutet, die das lange 19. Jahrhundert vom nun angebrochenen 20. Jahrhundert trenne und die gezeigt habe, daß das in den letzten beiden Jahrzehnten von soziokulturellen und politischen Umwälzungen schwer gezeichnete Europa in ein neues, postliberales Zeitalter eingetreten sei. "Dem Zustand, den der Krieg hinterlassen hat," so Jüngers Resümee in der Endphase der Weimarer Republik, "ist ein seltsamer Gegensatz eigentümlich zwischen der Lage des Menschen und den Mitteln, über die er verfügt. Man hat sich daran gewöhnt, in Erscheinungen wie der Arbeitslosigkeit, der Wohnungsnot, dem Versagen der Industrie und Wirtschaft eine Art von Naturereignis zu sehen. Diese Erscheinungen sind jedoch nichts anderes als Symptome für den Verfall der liberalen Ordnung."