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Abstraktion, Stilisierung, Symbolisierung, mit diesen Begriffen lässt sich die formale Eigenart der Goetheschen Festspiele annähernd bezeichnen. Hinzu kommt, mit Goethes eigenen Worten, das „Generische”, die zur Gattung hin verdichtete Individualität. Goethe hat allerdings nicht nur die Festspiele im Auge gehabt, sondern zugleich – oder darüber hinaus – das gesamte Spätwerk, schließlich das Charakteristische ‘später’ Werke überhaupt. Die Dramaturgie des Festspiels überlagert sich mit einer Poetik der Spätzeitlichkeit. In einem weiteren Schritt wird der Gegensatz der frühen und späten Zeit auf die Folge der Epochen angewendet, so dass die Explikation des Generischen sich als eine Erläuterung des Klassischen (bzw. der Klassik im Gegensatz zum Sturm und Drang) ausnimmt. Auf allen drei Ebenen – der formalen, der temporalen und der epochalen – zeigt sich das Generische als Visierung des Allgemeinen.
Goethes Sommerreise 1805
(2005)
Lernet-Holenias „Wahrer Werther“ (1959) ist eine Montage: Der größte Teil des Buches besteht aus einer Wiedergabe der 1774 anonym erschienenen ersten Fassung von Goethes »Leiden des jungen Werthers«. Vorangestellt ist eine aus Heinrich Gloëls Buch »Goethes Wetzlarer Zeit« (1911) kompilierte Einleitung, in der die stofflich-biographischen Hintergründe des Romans aus Goethes Wetzlarer Zeit erzählt werden. Die Montage belegt, dass die Gegenreaktion gegen den „Werther“ auch in der Mitte des 20. Jahrhunderts noch nicht verstummt ist. Nicht Entgrenzung, nicht Formulierung eines Unbedingtheitswillens – wie im »Werther« –, nein: Ordnung und Begrenzung ist Lernet-Holenias nicht nur poetisches Programm. Die »Brandraketen«, die Goethe noch 1824 im »Werther« fürchtete, bei Lernet-Holenia dürfen sie nicht zünden, sondern werden entschärft.
Das gelähmte Genie : Versuch einer Deutung von Goethes Gedicht Der Adler und die Taube (1772/73)
(2005)
Das im Jahrgang 1774 des Göttinger "Musenalmanachs" erstmals erschienene Gedicht "Der Adler und die Taube" nimmt aufgrund seiner fabelähnlichen Struktur eine Sonderstellung in Goethes Sturm-und-Drang-Lyrik ein. Im Unterschied zu fast allen übrigen Texten aus diesem Zeitraum, die – was Thematik, Aufbau oder Handlungsstruktur angeht – meist von äußerster Komplexität sind, steht hier eine überschaubar wirkende gleichnishafte Situation im Mittel-punkt, die unverkennbar auf Auslegbarkeit hin entworfen ist. Diese Konstellation hat zu einer Reihe von Interpretationen geführt, die allerdings größtenteils unbefriedigend ausgefallen sind. Der vorliegende Beitrag begreift sich deshalb als Versuch, die bisherigen Deutungen kritisch auf ihren Aussagegehalt hin zu überprüfen, um darauf aufbauend einen erweiterten Verstehensansatz vorzustellen.
"Beykommendes wünsche für den Damenkalender geeignet." Mit diesen lapidaren Worten übersandte Goethe seinem Verleger Johann Friedrich Cotta am 8. Juli 1808 die erste Erzählung aus "Wilhelm Meisters Wanderjahre". Der Abdruck des Textes leitete eine sich (mit einer längeren Unterbrechung) über zehn Jahre hinweg erstreckende Veröffentlichungstätigkeit ein, während der Goethe einzelne Partien seines Romans im "Taschenbuch für Damen" vorabdrucken ließ. Diese Vorabdrucke waren Bestandteil einer gezielten Publikationsstrategie zur Gewinnung der Leser. Es soll deshalb hier gezeigt werden, wie Goethe versuchte, durch eine geschickte Lesersteuerung das Interesse an seinem Roman bleibend wachzuhalten. Zugleich gilt es, den Nachweis zu erbringen, daß Goethe die "Wanderjahre" nicht nachträglich aus den Almanachdrucken zusammengestellt, sondern daß er die Beiträge für das "Taschenbuch für Damen" aus dem im Entstehen begriffenen Romankomplex ausgekoppelt und im Hinblick auf dessen baldiges Erscheinen vorab veröffentlicht hat.
In der Balladenforschung besteht Konsens darüber, daß die Kunstballade in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begründet wird. Strittig scheint nur, wem man die Priorität zuweist: Gleim oder nicht doch eher Bürger. Freilich ist die Gattung der Wenn Goethe, um dessen Balladendefinition es im Folgenden genauer gehen soll, die Ballade mit Bezug auf ein dreigliedriges Gattungssystem definiert, dann hat dies auch den skizzierten gattungstheoretischen Zusammenhang. Goethe vereinfacht das Gattungssystem. Er sieht klar, daß die grundlegenden ästhetischen Möglichkeiten, die die Poesie bietet, durch die drei Hauptgattungen hinreichend beschrieben sind. Eine Kategorie "beschreibende bzw. didaktische Gattung" stünde zu diesen ästhetischen Kategorien von Epik, Lyrik, Dramatik geradezu quer! Denn beschreibend und didaktisch kann jede Form von Literatur sein; jede Form kann solche Elemente in sich aufnehmen. Zugleich unterläuft Goethes Definition aber auch das in der Gattungspoetik um 1800 verbreitete triadische Gattungsmodell, das Epik und Lyrik als Gegensätze begreift, die in der Dramatik "aufgehoben" werden. Sie kehrt dieses, auch geschichtsphilosophisch begründete, Modell geradezu um: In der Ballade ist zu einer organischen Einheit zusammengezogen, was sich nun von hier aus differenzieren kann. So ist Goethes Balladendefinition auch ein Versuch, ein ästhetisches Einheitskonzept zu formulieren angesichts fortschreitender kultureller und sozialer Differenzierung.
In der Geschichte der Literatur ist eine Schaltstelle dafür die Konstituierung der Volkspoesie durch Herder und Goethe in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Diese programmatische Neuorientierung der Literatur in der sog. "Sattelzeit" (Koselleck) der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts berührt sich mit der Frage, ob, wie und wann sich Elite-Kultur und Volks- bzw. neutraler: populäre Kultur differenzieren, insofern sich entsprechende Wahrnehmungsmuster herausbilden. Sie berührt sich auch mit dem komplizierten Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Zuge der allmählichen Durchsetzung des Buchdrucks. Und sie berührt sich schließlich mit der Frage nach der Entstehung moderner Unterhaltungskultur. Um diese Aspekte soll es im Folgenden gehen.
Die Faust-Illustrationen erschienen 1828 mit der französischen Übersetzung von Albert Stapfer. Im November 1829 zeigte Eckermann Goethe zwei Skizzen dieser Lithographien: Faust und Mephisto auf den Sturmpferden und die Trinkszene in Auerbachs Keller. „Goethe war von Delacroix’ ungestümem Strich mehr beeindruckt als begeistert, blieb aber durchaus verbindlich: Der Zeichner sei >ein großes Talent<, sagte er zu Eckermann, „das gerade am >Faust< die rechte Nahrung gefunden hat. Die Franzosen tadeln an ihm seine Wildheit, allein hier kommt sie ihm recht zu statten.<“ (Die Gazette, Nr.17, September 1999)