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Franz Kafkas Äußerungen zu seiner angeblichen Unmusikalität sind in der Kafka-Forschung hinlänglich bekannt. Weniger erforscht ist, wie diese spezifische Unmusikalität mit Kafkas poetologischem Konzept zu vereinen ist. Die Auffassung von Musik in seinen Texten, wie zum Beispiel in 'Josefine, die Sängerin' oder 'Das Volk der Mäuse', im Schluss des Romanfragments 'Der Verschollene' und in seinen Briefen und Tagebucheintragungen, verdeutlicht, dass er ein ganz anderes Verständnis von Musik hatte als etwa sein musikalischer Freund Max Brod. Vor dem Hintergrund von Brods Übersetzungsarbeit am Libretto von Leoš Janáčeks 'Jenůfa (Ihre Ziehtochter)' und von der Einführung der Oper auf die internationale Szene wird ein Zusammenhang zwischen Musikalität und Kafkas Auffassung von Literatur hergestellt.
Der Beitrag widmet sich den genderspezifischen Aspekten angesichts des Terrors und Totalitarismus in den Romanen 'Studenten, Liebe, Tscheka und Tod' (1931) von Alja Rachmanowa und 'Spaltkopf' (2008) von Julya Rabinowich. Anhand zweier Figuren - Griselda Nikolajewna (Rachmanowa) und Ada/Rahel (Rabinowich) - werden ganz unterschiedliche Verhaltensmuster weiblicher Gewaltopfer aufgezeigt: politische Verblendung und krankhaftes Morden, also Gewalt gegen andere (Griselda Nikolajewna) und Scham, Verdrängung und Verfälschung der eigenen Identität - Gewalt gegen sich selbst (Ada/Rahel). Von zentraler Bedeutung ist dabei die von beiden Frauen geteilte Gewalterfahrung in der Begegnung mit dem Fremden: Während Griselda Nikolajewna von ihrem chinesischen Ehemann misshandelt und halbtot verprügelt wurde, musste das kleine jüdische Mädchen Rahel zuschauen, wie sein Vater von Antisemiten umgebracht wurde.
Die Feminisierung der Migration ist trotz ihrer verspäteten öffentlichen Wahrnehmung kein neues Phänomen: Seit den Anfängen der Arbeitsmigration immigrierten Frauen nicht nur als 'Anhängsel' ihrer Männer, sondern auch selbständig in die deutschsprachigen Länder. In der Öffentlichkeit werden sie bis heute, von stereotypen medialen Zerrbildern beeinflusst, als Opfer wahrgenommen, als die fremde Frau, die sprach- und chancenlos ist. Der Beitrag untersucht vor diesem Hintergrund und am Beispiel von Julya Rabinowichs Roman 'Die Erdfresserin' (2012) die weibliche Identitätssuche unter den Bedingungen der nicht-privilegierten Formen der Migration nach Österreich und im Spannungsfeld von Ethnizität, Kultur, Geschlecht und Klasse.
"wir haben ein land aus worten." In Semier Insayif Roman 'Faruq' (2009) geht es um Worte und Erinnerungen, um das (Nicht-)Sprechen-Können und darum, Sprache und Gedächtnis zu verlieren. Es geht um das Schreiben, Sprechen und Rezitieren im Bereich des Dazwischen von Sprachen und Kulturen. Ausgehend von der Perspektive des Ich-Erzählers im Text entfalten sich die Nuancen und Facetten des Lebens als Geschichten, als Texturen der Erinnerung und als eine Art Sprach- und Klanggewebe. Bezugnehmend auf eben diese poetischen und rhetorischen Aspekte des Textes wird eine Lektüre unternommen, die auf postkolonialen und dekonstruktiven Ansätzen wie auch auf Gedächtnistheorien basiert. Die Lektüre versucht sowohl auf die Anforderungen und Besonderheiten des Textes in allen Facetten des Dazwischens zu reagieren als auch jene Perspektiven zu ergründen, die für die zeitgenössische Entwicklung der sogenannten Migrationsliteratur signifikant sind.
Noch vor 1900 wurde der Begriff 'Hermetismus' aus den spätantiken Geheimlehren auf die Literatur übertragen - um bald danach in der sog. hermetischen Lyrik eine negative Etikettierung zu erhalten. Vor allem die Dichter, die sich einer Poetik der Unverständlichkeit bedient haben, wurden somit kritisiert und zurückgewiesen. Dabei wurde oft übersehen, dass diese Unverständlichkeit keineswegs eine eitle Machart selbstbewusster Dichter war, sondern eine innere Notwendigkeit. Am Beispiel dessen, wie Paul Celan (1920–1970) und Nelly Sachs (1891–1970) die Shoah lyrisch verarbeiteten, sollen Gründe für die Wahl der hermetischen Ausdrucksweise gefunden werden: eine zu komplexe und widersprüchliche Wirklichkeit, die Angst vor der Gefährdung durch eine verständliche Aussage oder die Entscheidung für das 'offene Kunstwerk' mit beliebig vielen möglichen Interpretationen.
Anhand von zwei auf Deutsch verfassten essayistischen Texten von Jiří Gruša - 'Beneš als Österreicher' (2012) und 'Die Gebrauchsanweisung für Tschechien und Prag' (2003) - wird gezeigt, wie die Konzepte von Nationalgeschichte und Nationalliteratur an ihre Grenzen gebracht werden können: Durch vervielfältigende, ironisierende und verdichtende Verfahren werden nationale Selbst-Behauptungen entstellt, sowie die Konstitution und Funktion kollektiver Identitätsnarrative ausgestellt. Während in der Gebrauchsanweisung ausgerechnet ein 'pluralis nationalis' die Selbstvergewisserungen subvertiert, zeigt sich im bzw. durch den Beneš-Essay, wie die Erzählungen der Figur Beneš die Geister der Nation scheiden. Insofern werden die beiden Texte als Beispiele dafür gelesen, wie durch Schreibstrategien, aber auch angesichts editionsgeschichtlicher Zusammenhänge sowie im Hinblick auf die Rezeption eindeutige Zuweisungen zu einer Nationalliteratur oder Nationalgeschichte in Frage gestellt werden.
In diesem Beitrag wird der Sprach(en)gebrauch der venezianischen Juden im 16./17. Jhd. untersucht. Dabei geht es um die Sprachen der verschiedenen jüdischen Gruppen, die gemeinsam im neu eingerichteten Ghetto wohnten. Insbesondere wird der Frage nachgegangen, welchen Gebrauch sie von unterschiedlichen Sprachen/Varietäten in unterschiedlichen kommunikativen Situationen und zu unterschiedlichen Zwecken gemacht haben. Dabei traten selbstverständlich auch Sprachmischungen auf, die von unbewussten Interferenzen über Entlehnungen (aus dem Hebräischen/Aramäischen, aber auch aus dem Venezianischen und den anderen von Juden gesprochenen Sprachen), bis hin zu ganz bewusst verwendeter Zwei- und Mehrsprachigkeit in literarischen Texten z. B. mit sprachspielerischer Absicht reichen. Die verschiedenen Textsorten, die hierzu analysiert werden (etwa Texte religiösen Inhalts, Testamente, Grabinschriften und Gedichte), spiegeln auf vielfältige Weise zugleich das Sprach- und Sprachenbewusstsein der venezianischen Juden jener Zeit wider.
Das Faktum, dass in der Komikproduktion "Türkisch für Anfänger" Verhaltens- und Sprachpraktiken des türkischstämmigen männlichen Jugendlichen namens Cem Öztürk als standardfern angesehen und so dargestellt werden, und der Betroffene demnach im komischen Modus stets mit dem Affen bzw. Affenmenschen verglichen wird, wurde für die Autorin der vorliegenden Arbeit zum Auslöser für den Vergleich seiner mit Bourroughs' Protagonisten Tarzan. Dies wiederum eröffnet Reflexion und Debatte über Machtverhältnisse/Positionierungen in der deutschen Einwanderergesellschaft einen freien Raum.
Eine immer dringlicher geforderte kultur- und medienwissenschaftliche Orientierung der interkulturellen Germanistik erfordert zugleich auch eine Auseinandersetzung mit neueren Konzepten, die differenzierende, dynamische und multiperspektivische Ansätze anbieten. So bemühen sich neuere kulturphilosophische Konzepte wie die Hyperkulturalität und Transdifferenz über rigide binäre Unterscheidungen zwischen "Eigenem" und "Fremden" hinauszugehen und der Durchlässigkeit der Grenzen und der internen Heterogenität von Gesellschaften im Zeitalter der Globalisierung in angemessener Weise gerecht zu werden. Vor diesem Hintergrund untersuche ich in meinem Beitrag den Film "Almanya – Willkommen in Deutschland" (Samdereli 2011) im Rahmen einer diskursiven Auseinandersetzung mit diesen Begrifflichkeiten. Entgegen bisheriger Darstellungen im so genannten türkisch-deutschen Migrantenkino fokussiert dieses Filmbeispiel verstärkt eine (postmigrantische) Perspektive, die mit tradierten Sichtweisen und Klischees bricht. Grundsätzlich soll herausgestellt werden, wie kollektive und individuelle Phänomene von Zugehörigkeit und Identitiätskonstruktion mit filmischen Mitteln dargestellt werden. Zur Diskussion gestellt soll dabei die Frage, inwiefern neuere kulturtheoretische Konzepte dabei greifen.
Bu çalışmada geleneksel Türk namus anlayışı, biçimleri ve toplumda ve ailede erkek ve kadının konumu ile görevleri üzerine etkisi tartışılacaktır. Burada özellikle, genel olarak ve göçmenlik yaşamında namus cinayetlerini teşvik eden ve bu suçun toplum tarafından görmezlikten gelinmesini sağlayan faktörler açığa çıkarılacaktır. Bu amaçla yazar, Feo Aladag'ın sosyal açıdan ilginç ve göçmenliği konu edinen ve böylece tartışmaların bir parçası olan "Die Fremde" adlı filmini ele alacaktır. Söz konusu film, gerçeğe yakın sahneleri ile gündemdeki olguyu objektif ve eleştirel olarak tartışmaktadır.
Bu makalede Şebnem İşigüzel ve Elfriede Jelinek'in kitaplarından yola çıkılarak annelerin anne – kız arasındaki ilişkinin niteliklerini nasıl ve ne yönde etkiledikleri karşılaştırmalı olarak ortaya konmaya çalışılmıştır. Her iki tarafın da dişil bir kimliğe sahip olmasına rağmen, annelerin baskın otoriteleri ile bu ilişkiye şiddeti dahil etmeleri sonucu bunun kendi kızları, dolayısı ile kadın bedeni ve iç dünyası üzerindeki yansımaları ve algılanışları kitaplardan alınan alıntılarla örneklendirilmiştir. Bu örneklendirme her iki kitabın romanların ana teması, figürlerin özellikleri, belirli imgeler ile yazarın üslup özellikleri gibi başlıklar rehberliğinde gerçekleştirilmiştir.
Trojanows Roman über den britischen Kolonialoffizier Richard F. Burton wurde als Beispiel einer neuen deutschen Literatur gefeiert, die endlich "Vielstimmigkeit" zu ihrem Programm erhoben habe. In diesem Beitrag wird der spezifische Einsatz von Polyglossie im "Weltensammler" untersucht. Dabei interessiert im (post-)kolonialen Kontext, in dem der Roman verortet wird, ob man tatsächlich von einer "Poethik [!] der Mehrsprachigkeit" (Schmitz-Emans) ausgehen kann, oder ob die "fremden Stimmen" der "Subalternen", die der Roman hören lässt, nur ein weiteres Mal exotische Fremdheit vorführen.
Der Beitrag untersucht Dantes Verhältnis zur Mehrsprachigkeit, indem er die in "De vulgari eloquentia" enthaltenen Reflexionen bezüglich des Gegensatzes zwischen Volkssprache und gramatica und bezüglich der Suche nach einer italienischen Literatursprache (volgare illustre) nachzeichnet. Obwohl Dante in "De vulgari eloquentia" die Volkssprache höher bewertet als die "gramatica", weil sie im Gegensatz zu dieser natürlich sei und allen Menschen zur Verfügung stehe, dient ihm die "gramatica" aufgrund ihrer Stabilität als Vorbild für die erst noch zu schaffende, allgemein verbindliche und zeitüberdauernde Volkssprache als Literatursprache. Nach seiner Vorstellung ist das "volgare illustre" eine Quintessenz aller italienischen Varietäten und somit im Prinzip schon ein mehrsprachiges Instrument. Die Sprache der Divina Commedia ist geprägt durch eine konstitutive Mehrsprachigkeit, welche sich einerseits aus den verschiedenen Varietäten des Italienischen speist und andererseits aus den anderen Dante verfügbaren Sprachen, insbesondere dem Lateinischen, dem Okzitanischen und dem Altfranzösischen. Im Gegensatz zu der bis dahin in mehrsprachigen literarischen Texten üblichen Abgrenzung der Sprachen kommt es bei Dante zu einer Verschmelzung der Sprachen, welche vor allem auf der von ihm geschaffenen Form der Terzine beruht.
Valery Larbaud, der unter anderem als Wegbereiter von Joyce in Frankreich gilt, ist als mehrsprachig kompetenter Autor von Werken mit fremdsprachigen Einlagerungen eine wichtige Vermittlerinstanz zwischen der standardisierten literarischen Polyglossie des 19. Jahrhunderts von Mérimée bis Loti und den vielfältigen neuen Varianten, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt haben. Noch deutlicher als an den Erzählungen und Gedichten zeigt sich das an seinen Reisetagebüchern, die jetzt in einer kritischen Gesamtausgabe vorliegen und durchaus als Literatur sui generis gelten dürfen. Mehrsprachig sind sie als Ganzes: zum einen in dem Sinn, dass ein beträchtlicher Teil von ihnen auf Englisch und nicht in Larbauds Muttersprache Französisch verfasst ist, seltsamerweise aber gerade nicht die in England geschriebenen Hefte; zum anderen durch die Übernahme von zahlreichen fremdsprachigen Wendungen in die jeweilige Trägersprache, so dass streckenweise geradezu der Eindruck einer individuellen französisch-englisch-spanisch-italienischen Mischsprache entsteht. Mit dieser Schreibpraxis verbunden und im Journal ebenfalls gut dokumentiert sind außerdem ein lebhaftes linguistisches Interesse am Sprachvergleich und ein eigenartiges, mit erkennbarer Lust betriebenes Versteckspiel mit der eigenen sprachlichen Identität gegenüber Dritten.
Werke der Konkreten Dichtung schaffen es – so eine in der Forschung verbreitete Annahme –, durch die Dekonstruktion des konventionellen Sprachsystems mehrere Sprachen in sich zu vereinen und dabei übersprachlich oder interlingual verständlich zu sein. Diese These wird anhand von ausgesuchten internationalen Beispielen und unter Berücksichtigung der Theorie der Konkretisten nachvollzogen und überprüft. Es zeigt sich, dass der utopische Anspruch zwar nicht vollständig erfüllt wird, die Konkrete Dichtung aber durch geschickte Verwendung intermedialer und semiotischer Prozesse die Beschränkungen der Standardsprache teilweise überschreiten kann und eine eigene polyglotte Ästhetik entwickelt.
"Kapabel, miserabel, aimabel" : Funktionen der französischen Sprachelemente in Heinrich Heines Lyrik
(2014)
Durch das gesamte Werk Heinrich Heines ziehen sich fremdsprachige Einstreuungen, wobei diejenigen in französischer Sprache das größte Gewicht einnehmen. Nach einem Rekurs auf Heines biographische Situation und sein Verhältnis zur deutschen und französischen Sprache werden Form und Funktion der französischen Einsprengsel – vor allem Adjektive, substantivierte Verben und Interjektionen – in Heines lyrischen Texten untersucht. Anhand zahlreicher Beispiele zeigt der Beitrag, dass die französischen Elemente offensichtlich bewusst eingesetzt wurden, um bestimmte semantische Strategien zu verfolgen. Dabei können vor allem sprach-spielerische und gesellschaftskritische Funktionen nachgewiesen werden.
Der Beitrag untersucht Polyglossie als eine Form der ästhetischen Polyphonie. Damit rücken die Aspekte der Vielstimmigkeit und Multiperspektivität in den Blick, poetologische Verfahren, die wesentlich die literarische Moderne des 20. Jahrhunderts prägen. Die zivilisatorische Moderne ist gekennzeichnet durch Dialogizität und Vielstimmigkeit, Dezentralisierung und Heterogenität, Simultanität und Interferenz. Über eine Ästhetik des Polyphonen re-lektieren literarische Texte so Merkmale einer modernen Lebens- und Erfahrungswelt, was anhand von Alfred Döblins modernem Großstadtepos "Berlin Alexanderplatz" veranschaulicht wird.
Nach einer Einführung zu den griechischen Literatursprachen zwischen dem 8. und 5. Jahrhundert v. Chr. geht dieser Beitrag den verschiedenen Formen und Funktionen der Verwendung von Dialekten und "foreigner talk" im griechischen Drama des 5. Jahrhunderts v. Chr. nach. Dabei lassen sich große Unterschiede für die Gattungen Tragödie und Komödie feststellen: Durch die Dosierung der lyrischen Partien der Tragödie werden diese von den in Attisch gehaltenen Dialogpartien unterschieden und ihnen wird eine herausgehobene, erhabene Bedeutung zugewiesen, die nicht allzu viel Fremdheit ausstrahlen soll. Dialekte und "foreigner talk" in der Komödie dagegen markieren Fremdheit und können vielfältige Funktionen erfüllen – vom Verweis auf sprachlichen Realismus bis hin zu kritischen, komischen oder parodistischen Zwecken.
Ist von Polyglossie oder Multilingualität die Rede, so kann damit Verschiedenes gemeint sein: Erstens die literarische Mehrsprachigkeit einzelner Autoren oder Kulturgemeinschaften, die in verschiedenen Sprachen kommunizieren und Texte verfassen – ohne dass ein und derselbe "Text" notwendig mehrsprachig sein muss. Dabei handelt es sich um ein traditionsreiches Phänomen: Man denke nur an das jahrhundertelange Nebeneinander von Volkssprache und Latein in mehreren europäischen Kulturen zwischen Spätantike und Früher Neuzeit, an das Französische als Konversationssprache unter Adligen und Gebildeten bis ins 19. Jahrhundert hinein, an die Konkurrenz von indigenen und offiziellen Sprachen in kolonialen Kontexten sowie an Regionen und Nationen wie die Schweiz, Belgien und Kanada, in denen bis heute mehrere Sprachen gleichberechtigt oder aber qua Trennung von Schrift- und Umgangssprache in Gebrauch sind. Zählt man auch dialektale Varianten dazu, so gibt es wohl keine monolingualen Nationen und auch keine monolingualen Nationalliteraturen. Neben solchen regionalspezifischen und sprachpolitischen Konstellationen gibt es außerdem verschiedenste individualbiographische, aus denen mehrsprachige Autoren hervorgehen, die in mehreren Sprachen schreiben und publizieren – diese Sprachen aber nicht unbedingt in einem Text vermischen.
Der Beitrag macht Polyglossie als wesentliche Komponente der kunstvoll literarisch gestalteten Redevielfalt deutlich, die allgemein als Kennzeichen von Fontanes Gesellschaftsromanen gilt. Polyglotte Rede umfasst in Fontanes Texten fremdsprachige Elemente, Dialekt und Soziolekt und betont so die soziale Funktion von Sprache. An konkreten Textbeispielen, insbesondere aus den Romanen Irrungen, Wirrungen, Frau Jenny Treibel und Quitt, wird gezeigt, wie variabel Fontane Sprachenvielfalt einsetzt: als Polyphonie der sozialen Stimmen und als Spiegel einer komplexen modernen Realität, die in vielfältige soziale, kulturelle und geographische Teilräume zerfallen ist.
Innerhalb der barocken, von der Rhetorik dominierten Poetik gilt Sprachmischung als Abweichung von der puritas und folglich als ein Fehler (vitium), weshalb sie auch als "barbarolexis" bezeichnet wird. In Andreas Gryphius' Scherzspiel "Horribilicribrifax Teutsch" (1663) wird diese Fehlerhaftigkeit nicht bloß ausgestellt, sondern zugleich ethisch instrumentalisiert. Es kommt so zu einer Spannung zwischen den guten und sprachlich reinen Charakteren auf der einen Seite und den schlechten, sprachlich verunreinigten Charakteren auf der anderen Seite. Die Struktur der Sprachmischung macht dabei das Konzept des verunreinigten Charakters sichtbar. Gryphius entwickelt anhand des Liebeswerbens der soldatischen Maulhelden und des Gelehrten, die als Komödientypen die barbarolexis verkörpern, das Prinzip der Hybris als des Grenzen verletzenden Hochmuts. Dieser bedroht Sprache und Erotik gleichermaßen, kann aber vom impliziten Autor des Stückes abgewehrt werden. Mittels der Überblendung ethischer, erotischer und linguistischer Verunreinigung entfaltet der barocke Autor eine purgatorische Komik und geht mit dieser dichterischen Lösung der "barbarolexis" über die bloße sprachpuristische Polemik hinaus.
Donald Siegel's 1971 film entitled "The Beguiled" is compared to Tale 1 of Day 3 from Giovanni Boccaccio’s "The Decameron". Both stories are about a man who arrives in a garden setting and finds nine sexually starved women. In Boccaccio's tale, a male gardener finds himself in a convent occupied by nine nuns with whom he proceeds to have sexual relations to everyone's satisfaction. Siegel's film is about a wounded soldier taken in at a girls' finishing school whose nine female residents become the objects of the hero's amorous attention. While Boccaccio adopts a philogynist tone with respect to the material, "The Beguiled" appears to be a virulently misogynist film projecting its female characters as jealous demons who end up mutilating and then killing their male suitor. Findings from evolutionary psychology pertaining to female jealousy and reproductive strategies are used to consider the respective attitudes toward women in the medieval tale and the twentieth-century film. Conclusions are drawn about the difficulty of placing either of the stories within a clear-cut philogynist or misogynist category.
Dieser Beitrag stellt das sowohl auf Serbisch als auch auf Deutsch verfasste Werk von Ivan Ivanji vor und bezieht es auf Fragestellungen zur trans- bzw. interkulturellen Literatur. Als Schwerpunkt dabei wird die Konstruktion von kultureller Identität untersucht, die seinem Werk zugrunde liegt. Ivanji zeichnet ein transkulturelles Bild seiner Herkunftsregion Banat und thematisiert Mehrsprachigkeit als Normalität. Doch das Werk entzieht sich weitgehend einer Einordnung in Kategorien der sogenannten Migrations- bzw. interkulturellen Literatur. Nicht einmal eindeutig beantwortet werden kann, ob Ivanji in seiner Muttersprache schreibt. Die Texte verzichten auf eine verfremdende Einarbeitung der Mehrsprachigkeit und auf Distanz zur und Brüchen mit der deutschen literarischen Tradition. Manche Schwierigkeiten der Begrifflichkeiten und Kategorien wie 'Migrations-' oder 'interkulturelle Literatur' können so mit einer Betrachtung von Ivanjis Werk sichtbar gemacht werden.
The Rubin vase and duck-rabbit have two things in common: not only are they famous multistable figures, or 'Kippbilder', but before being discovered by scientists and philosophers, they both started their career as simple jokes. In contrast to usual understandings of 'Kippbilder', this paper will try to demonstrate that 'Kippbilder' can be a helpful model for understanding better dramatic, existential, and even religious events and their consequences. Multistable figures or 'Kippbilder' combine reversibility and irreversibility in an interesting way. While the so called first aspect change introduces an irreversible split, all subsequent aspect changes can be understood as an endless chain of reversible changes. After discussing the specificity of the Rubin vase and its aspect changes and focussing then on the distinction between first and further aspect changes, Di Blasi suggests the productive potential of the multistable figure as model for eventful events in discussing the conversion of Paul and his 'hōs mē' ('as if not').
We study the effects of the recent economic crisis on firms׳ bidding behavior and markups in sealed bid auctions. Using data from Austrian construction procurements, we estimate bidders׳ construction costs within a private value auction model. We find that markups of all bids submitted decrease by 1.5 percentage points in the recent economic crisis, markups of winning bids decrease by 3.3 percentage points. We also find that without the government stimulus package this decrease would have been larger. These two pieces of evidence point to pro-cyclical markups.
Late stage cancer is often associated with reduced immune recognition and a highly immunosuppressive tumor microenvironment. The presence of tumor infiltrating lymphocytes (TILs) and specific gene-signatures prior to treatment are linked to good prognosis, while the opposite is true for extensive immunosuppression. The use of adenoviruses as cancer vaccines is a form of active immunotherapy to initialise a tumor-specific immune response that targets the patient’s unique tumor antigen repertoire. We report a case of a 68-year-old male with asbestos-related malignant pleural mesothelioma who was treated in a Phase I study with a granulocyte-macrophage colony‑stimulating factor (GM-CSF)-expressing oncolytic adenovirus, Ad5/3-D24-GMCSF (ONCOS-102). The treatment resulted in prominent infiltration of CD8C lymphocytes to tumor, marked induction of systemic antitumor CD8C T-cells and induction of Th1- type polarization in the tumor. These results indicate that ONCOS-102 treatment sensitizes tumors to other immunotherapies by inducing a T-cell positive phenotype to an initially T-cell negative tumor.
The Tarim River Basin, located in Xinjiang, NW China, is the largest endorheic river basin of China and one of the largest in whole Central Asia. Due to the extremely arid climate with an annual precipitation of less than 100 mm, the water supply along the Aksu and Tarim River solely depends on river water. This applies for anthropogenic activities (e.g. agriculture) as well as for the natural ecosystems so that both compete for water. The on-going increase of water consumption by agriculture and other human activities in this region has been enhancing the competition for water between human needs and nature. Against this background, 11 German and 6 Chinese universities and research institutes formed the consortium SuMaRiO (www.sumario.de), which aims at gaining a holistic picture of the availability of water resources in the Tarim River Basin and the impacts on anthropogenic activities and natural ecosystems caused by the water distribution within the Tarim River Basin. The discharge of the Aksu River, which is the major tributary to the Tarim, has been increasing over the past 6 decades due to enhanced glacier melt. Alone from 1989 to 2011, the area under agriculture more than doubled. Thereby, cotton became the major crop and there was a shift from small-scale farming to large-scale intensive farming. The major natural ecosystems along the Aksu and Tarim River are riparian ecosystems: Riparian (Tugai) forests, shrub vegetation, reed beds, and other grassland. Within the SuMaRiO Cluster the focus was laid on the Tugai forests, with Populus euphratica as dominant tree, because the most productive and species-rich natural ecosystems can be found among those forests. On sites with groundwater distance of less than 7.5 m the annual increments correlated with river runoffs of the previous year. But, the further downstream along the Tarim River, the more the natural river dynamics ceased, which impacts on the recruitment of Populus euphratica. Household surveys revealed that there is a considerable willingness to pay for conservation of those riparian forests with the mitigation of dust and sandstorms considered as the most important ecosystem service. This interdisciplinary project will result in a decision support tool (DST), build on the participation of regional stakeholders and models based on results and field experiments. This DST finally shall assist stakeholders in balancing the water competition acknowledging the major external effects of any water allocation.
It was long assumed that translation initiation in prokaryotes generally occurs via the so-called Shine Dalgarno (SD) mechanism. Recently, it became clear that translation initiation in prokaryotes is more heterogeneous. In the haloarchaeon Haloferax volcanii, the majority of transcripts is leaderless and most transcripts with a 5′-UTR lack a SD motif. Nevertheless, a bioinformatic analysis predicted that 20–30% of all genes are preceded by a SD motif in haloarchaea. To analyze the importance of the SD mechanism for translation initiation in haloarchaea experimentally the monocistronic sod gene was chosen, which contains a 5′-UTR with an extensive SD motif of seven nucleotides and a length of 19 nt, the average length of 5′UTRs in this organism. A translational fusion of part of the sod gene with the dhfr reporter gene was constructed. A mutant series was generated that matched the SD motif from zero to eight positions, respectively. Surprisingly, there was no correlation between the base pairing ability between transcripts and 16S rRNA and translational efficiency in vivo under several different growth conditions. Furthermore, complete replacement of the SD motif by three unrelated sequences did not reduce translational efficiency. The results indicate that H. volcanii does not make use of the SD mechanism for translation initiation in 5′-UTRs. A genome analysis revealed that while the number of SD motifs in 5′-UTRs is rare, their fraction within open reading frames is high. Possible biological functions for intragenic SD motifs are discussed, including re-initiation of translation at distal genes in operons.
Einleitend zum Schwerpunktthema "Geld und Ökonomie im Vormärz" soll anhand ausgewählter Forschungsliteratur ein ökonomiehistorischer Bogen von der frühindustriellen Mechanisierung des Textilgewerbes bis zum maschinisierten Fabriksystem im späten Vormärz gespannt werden, der technologischen und politischen Grundzüge der beginnenden Kapitalverwertung als transeuropäischen Prozess nachzeichnet. Dabei soll deutlich werden, dass die mit der Durchsetzung der kapitalistischen Lohnform verbundene Monetarisierung des Alltags, welche am Ende jede Lebensäußerung der in diese Transformation gezwungenen Subjekte bestimmt, keineswegs "ohne Mittel der Gewaltherrschaft" vor sich ging und dass die "Überlassung wertvoller Güter ohne Kampf, Raub und Krieg" am Ende des Zeitraums gerade nicht "wahrscheinlicher" geworden war.
In "'Geld, Geld. Wer kein Geld hat'. Ökonomien des Mangels und Dramatik der Knappheit im Vormärz" untersucht Patrick Fortmann anhand ausgewählter österreichischer und deutscher Bühnendramatik die Popularisierung der Geldherrschaft in der modernen Gesellschaft und die Vermittlung des geldförmigen Verkehrs in den Alltag. Dabei verpflichtet die Dramatik der Wiener Volksbühne unter Einsatz des tradierten Motivs des okkulten Geldzaubers letzlich auf eine moderne Affekt- und Bedürfniskontrolle sowie auf Arbeitsfleiß und -disziplin, die als Konstituens des ökonomischen Menschen eine beschauliche, biedermeierliche Mittellage zwischen unermesslichem Reichtum und unermesslicher Armut garantieren. Anders dagegen Georg Büchner und Sigismund Wiese, die die "sinnlichen Dispositionen des Einzelnen" und die soziale Arbeitsorganisation in einer dramatischen Strategie konstellieren, welche elementarste Daseinsvollzüge der nahezu sprachlosen Subjekte in den "Ökonomien der Peripherie" auf die Bühne bringen: "Physisch und psychisch deformiert werden sie zu den Tauschvorgängen und Arbeitsprozessen auf Distanz gehalten. So sind sie dazu gezwungen, das Abjekte zu bewirtschaften."
Unter dem Aspekt der universellen Kommodifizierung der modernisierten Herrschafts- und Geschlechterverhältnisse im Fabriksystem beschäftigt sich Mirjana Vukovic in ihrem Beitrag "Ich lasse mich nicht verhandeln gegen schnödes Geld" mit dem emanzipatorischen Lebensentwurf der Protagonistin in Louise Astons Roman "Aus dem Leben einer Frau" (1847). Johanna, Tochter eines verbitterten Pfarrers aus ärmlichen Verhältnissen, wird an den reichen Fabrikanten Oburn verheiratet, erkennt aber schließlich, dass sie lediglich als Handelsobjekt zwischen Vater und Ehemann fungieren solle. Sie verwertet die Schmuckgeschenke ihres Ehemannes, um die entmenschlicht gezeichneten Hungergestalten in Oburns Fabrik zu einem menschenwürdigen Lohn zu verhelfen. Gegen die klassische Autonomie-Ästhetik schreibe Louise Aston sich in ein Literatur- und Kunstkonzept ein, in dem die fragmentarisierte Wirklichkeit in "Form und Inhalt der Fiktion einfließen" solle; ihre Legitimation bezieht diese Auffassung aus den obsessiven Revolten, die nahezu das gesamte 19. Jahrhundert prägen. In dieser Perspektive lässt "Aus dem Leben einer Frau" sich gegen die letztlich erfolgreichen Kanonisierungsbestrebungen Fontanes als politische Geschichte weiblicher Emanzipation aus der Allmacht des Geldes lesen, die größere wissenschaftliche Beachtung verdient hätte.
Patrick Eiden-Offe beginnt in "'Weisse Sclaven': Oder wie frei ist die Lohnarbeit? Freie und unfreie Arbeit in den ökonomisch-literarischen Debatten des Vormärz" mit einer Übersicht über die verschiedenen Reflexionsweisen freier und unfreier Arbeit in der Sozialtheorie des Vormärz: bei Weitling, bei Heß und im "Gesellschaftsspiegel". Es wird gezeigt, wie genau die verschiedenen Formen von Arbeit registriert werden, wie wenig aber auch noch eine präzise Begriffssprache für diese Phänomene existiert - die erst mit Karl Marx ausgearbeitet wird, der "Lohnarbeit" und "Kapital" als relationale Begriffe sowie als gesellschaftliche Formbegriffe entwickelt. Anknüpfend an die Kritik der New Labour History gelte es festzuhalten, dass bei der begrifflichen Klärung der Blick auf die historisch-empirisch im Vormärz oft noch ungeklärte Situation verloren geht, weshalb Marx etwa die Sklaverei seiner Zeit nicht als funktionales Komplement, sondern lediglich als Residuum überkommener Arbeitsverhältnisse deuten könne. Empirische oder theoretische Annäherungen an das Problem seien also notwendig mit Ausschlüssen und partiellen Blindheiten verbunden. In einer Betrachtung von Ernst Willkomms Roman "Weisse Sclaven" konstatiert der Autor, dass Willkomm in seinem Entwurf eines soziales Kontinuums von freier und unfreier Arbeit die funktionale Bezogenheit der verschiedenen Formen aufzeigt und dabei eine erstaunliche Hellsicht für globale Zusammenhänge beweist. Dies sei, so die These, allerdings allein im Medium Literatur möglich, indem die begriffliche Unschärfe produktiv gemacht und Zusammenhänge aufgezeigt würden, die theoretisch zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht eingeholt werden konnten.
Gibt Geld Geltung?
(2014)
Mit Luhmanns autopoietischem Begriff des Geldes, Hörischs Thesen zum Literatur-Geld als Transsubstantiationsmedium und Baeckers Verweis auf den potenziell umstürzlerischen "Unruhefaktor" des Geldes in einer pauperisierten Bevölkerung zeigt Hans-Joachim Hahn das Ausmaß der teils aus nackter Not gebotenen quasi-religiösen Fetischisierung des Geldes im fortgeschrittenen Vormärz auf. In einem Großteil der herangezogenen Schriften von Friedrich Engels über Georg Büchner, Annette von Droste-Hülshoff, Moses Hess und weiteren werden dem Geld in je verschiedenen Konstellationen unmoralische Eigenschaften und die Verursachung allgemeinen Sittenverfalls zugeschrieben. Insbesondere bei Droste und Hess figuriere Geld als "satanischer Mammon", während Marx und Büchner zwischen dem Tauschwertcharakter des Geldes und seiner Spekulationsfunktion zu unterscheiden wüssten. Nicht nur die unablässige Zirkulation, sondern vor allem auch der Mangel an Geld könne zum "Unruhefaktor" werden - sofern nicht, wie in einem anonym erschienenen Artikel vorgeschlagen, durch Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus oder eine politisch zu erkämpfende Distributionsgerechtigkeit Abhilfe geschaffen werde.
In "Vom Bund der Geächteten (1834-1836) zum Bund der Gerechten (1836-1840): Anomie und Ausnahmezustand im Vormärz" untersucht Lena Christolova die sozialrevolutionären Kämpfe desintegrierter Arbeiter anhand des Anomie-Begriffs von Emile Durkheim und des Ausnahmezustandes bei Giorgio Agamben. Die vormärzliche "Anomie" sei aus der Auflösung der subsistenzwirtschaftlichen Lebenszusammenhänge während der frühindustriellen Durchsetzung der Lohnform entstanden, in der nach Liquidation der tradierten rechtlichen Bindungen das Existenzrecht der billigen Arbeitskräfte dem ökonomischen Imperativ der Kapitalakkumulation unterlegen gewesen sei. Dagegen spreche aus den Lohnforderungen der "Geächteten" nicht nur der Anspruch auf angemessene Existenzsicherung, sondern darüber hinaus auch ein Widerstand gegen die Entwertung des "nackten Lebens", das in der Phase der Produktion des absoluten Mehrwerts "nicht unter dem marktbestimmten Gesetz der Arbeitskraft subsumiert war." Der "Bund der Gerechten" und sein 1847 gegründeter Nachfolger "Bund der Kommunisten" hingegen können nach dem Streit zwischen Marx und Weitling in Bezug auf den systematischen Ort der Lohnfrage als Versuch der Integration der "Geächteten" in eine moderne Arbeitsordnung gelesen werden, in der nicht nur die als Anarchismus verunglimpften Forderungen Weitlings aus der künftigen Revolutionsprogrammatik ausgeschlossen wurden, sondern "[] darüber hinaus auch die Verbannung des 'nackten Lebens' aus der politischen Ökonomie durch das Arbeitswertgesetz von Marx [besiegelt]."
In "Von der Religionskritik zur Ökonomiekritik. Der Weg von Marx und Engels bis 1846" rekonstruiert Tobias Reichardt die Anfänge der Ausarbeitung einer Kritik der bürgerlichen Ökonomie bei Marx und Engels. Eine besondere Rolle spiele dabei die junghegelianische Religionskritik, deren Aufklärungspotenzial nicht zuletzt durch die Rezeption der frühen Ökonomie-Schriften von Friedrich Engels schließlich in eine andere Richtung gelenkt werde. Trotz eines noch philosophisch und nicht ökonomisch bestimmten Begriffs von bürgerlicher Gesellschaft liege den "Deutsch-Französischen Jahrbüchern" ein klares Bekenntnis zur Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft und des bürgerlichen Staates vor. Dies habe sich auch in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten noch nicht grundlegend geändert; Marx behelfe sich hier mit der religionskritischen Figur der Entfremdung und dem damit verbundenen Begriff des menschlichen Wesens. Der Bruch mit dem kontemplativen Weltverhältnis der Philosophie und darin die Begründung eines zunächst eher plakativ formulierten "historischen Materialismus" erfolge in der "Deutschen Ideologie", doch da die Kritik der klassischen Ökonomie erst im anbrechenden Jahrzehnt beginnt, müsse der historische Materialismus naturgemäß noch im Rahmen "vager programmatischer Absichtserklärungen" verbleiben.
In seinem Beitrag "Von der Idealisierung der apostolischen Armut zur kirchlichpaternalistischen Fürsorge. Kirchliche Reaktionen auf das Arbeiterelend in der Zeit des Vormärz" beschäftigt Jörg Füllgrabe sich mit den differierenden Fürsorgekonzeptionen der christlichen Kirchen in Deutschland. Auf der Basis eines protestantischen Arbeitsethos verbinde Johann Hinrich Wichern die Linderung der Arbeiternot mit der Inneren Mission als einem umfassenden Programm christlicher Versittlichung; dieser Programmatik liege ein Paradigmenwechsel in der Armutskonzeption zugrunde, demzufolge die moderne Armut als Resultat subjektiven Unvermögens und Unwillens zur Arbeit selbst verschuldet sei. Der Katholizismus hingegen, der über die allgemeine Umwälzungen zu Beginn der Moderne hinaus auch noch die materiellen Einbußen durch die napoleonische Säkularisation zu bewältigen hatte, setze auf eine sozialdisziplinierende Einbindung der Armutspopulation in die christlich-bürgerliche Gemeinschaft, wodurch eine gesonderte Instituionen der Armutsfürsorge obsolet erscheine und zugleich die Position der Kirche im säkularen Staat gesichert sei. Spätere Ansätze aus dem ultramontanen Lager plädieren für eine korporatistische Korrektur der aufgeklärt-liberalen Gesellschaftsentwicklung, die sich vor allem in einer Adressierung des prekarisierten Handwerksstandes ausdrückt.
Die vorliegende Arbeit liefert ein Kurzportrait von Botrychium simplex und beschreibt zunächst die biologischen Besonderheiten und die Verbreitung in Deutschland. In einem dritten Teil wird eine demographische Studie vorgestellt und über Langzeitbeobachtungen an der aktuell einzigen deutschen Population (in der Senne, Nordrhein-Westfalen) berichtet. Wie bei allen Mondrauten keimen bei B. simplex die Sporen im Boden, und die Gametophyten entwickeln sich nur weiter, wenn sie von einem arbuskulären Mykorrhizapilz infiziert wurden; auch die Sporophyten sind mykotroph. Typisch sind ein- oder auch mehrjährige Ruheperioden, in denen bei einzelnen Pflanzen keine oberirdischen Organe gebildet werden. Als kleinwüchsige und konkurrenzschwache Art ist B. simplex auf lückige und kurzrasige Pflanzengesellschaften angewiesen. Die morphologische Variabilität der Blätter ist ungewöhnlich groß, und vor allem die Form des sterilen Abschnitts ist vielgestaltig. Von den mehreren in Nordamerika unterschiedenen Varietäten kommt neben der häufigeren var. simplex auch var. tenebrosum in Mitteleuropa vor. Botrychium simplex ist eine Art der gemäßigten bis kühl-gemäßigten Zone mit einem Areal, das Europa, Nordamerika sowie Indien und Japan einschließt. In Deutschland sind Vorkommen aus 3 Jahrhunderten und auf 12 Messtischblättern belegt. Die Funde konzentrieren sich auf das 19. Jahrhundert; aus dem 20. Jahrhundert stammen lediglich 5 Angaben.
The cattle egret (Bubulcus ibis) has recently colonized Brazil. This process offers an excellent opportunity for the study of colonization and dispersal patterns across extensive areas by non-native birds. The aims of the present investigation were a) to determine the genetic diversity of the cattle egret in Brazil and Africa, b) evaluate genetic differentiation between populations in different regions of Brazil and Africa, and c) detect genetic signs of demographic expansion in these two areas. Mitochondrial DNA (mtDNA) Control Region (CR) sequences were obtained from 112 cattle egrets in four Brazilian and four African (Kenya, Ghana and Nigeria) populations. Genetic diversity (H, h, θ) and population structure (AMOVA, Fst) were assessed and the populations were tested for signs of recent demographic expansion. A total of 35 haplotypes were found: 22 exclusive to Africa, 10 exclusive to Brazil and three shared by both samples. The degree of genetic diversity, determined by mtDNA analysis, was similar between Brazil and Africa, demonstrating that the successful colonization of the non-native area occurred with no significant loss of diversity. The pairwise Fst values among the Brazilian and African populations were all significantly different. The population in southern Brazilian exhibited the lowest degree of differentiation with respect to the African population, followed by the southeastern and northeastern populations of the country. The genetic differentiation data suggest that the colonization of Brazil by the cattle egret began in the southern region and expanded to the southeastern and northeastern regions of the country. This genetic differentiation pattern is in accordance with the higher number of cattle per grazing area in southern Brazil, which may have favored the onset of the successful establishment of the species. The findings indicate that mtDNA genetic diversity was retained during the colonization process and colonization began in the southern region of the country. Moreover, signs of demographic expansion were detected in the African sample.
Heinrich Kalteisen
(2014)
Top-down influences on ambiguous perception: the role of stable and transient states of the observer
(2014)
The world as it appears to the viewer is the result of a complex process of inference performed by the brain. The validity of this apparently counter-intuitive assertion becomes evident whenever we face noisy, feeble or ambiguous visual stimulation: in these conditions, the state of the observer may play a decisive role in determining what is currently perceived. On this background, ambiguous perception and its amenability to top-down influences can be employed as an empirical paradigm to explore the principles of perception. Here we offer an overview of both classical and recent contributions on how stable and transient states of the observer can impact ambiguous perception. As to the influence of the stable states of the observer, we show that what is currently perceived can be influenced (1) by cognitive and affective aspects, such as meaning, prior knowledge, motivation, and emotional content and (2) by individual differences, such as gender, handedness, genetic inheritance, clinical conditions, and personality traits and by (3) learning and conditioning. As to the impact of transient states of the observer, we outline the effects of (4) attention and (5) voluntary control, which have attracted much empirical work along the history of ambiguous perception. In the huge literature on the topic we trace a difference between the observer's ability to control dominance (i.e., the maintenance of a specific percept in visual awareness) and reversal rate (i.e., the switching between two alternative percepts). Other transient states of the observer that have more recently drawn researchers' attention regard (6) the effects of imagery and visual working memory. (7) Furthermore, we describe the transient effects of prior history of perceptual dominance. (8) Finally, we address the currently available computational models of ambiguous perception and how they can take into account the crucial share played by the state of the observer in perceiving ambiguous displays.
Background: Hereditary angioedema (HAE) due to C1 inhibitor deficiency is a rare but serious and potentially life-threatening disease marked by spontaneous, recurrent attacks of swelling. The study objective was to characterize direct and indirect resource utilization associated with HAE from the patient perspective in Europe.
Methods: The study was conducted in Spain, Germany, and Denmark to assess the real-world experience of HAE via a cross-sectional survey of HAE patients, including direct and indirect resource utilization during and between attacks for patients and their caregivers over the past 6 months. A regression model examined predictors of medical resource utilization.
Results: Overall, 164 patients had an attack in the past 6 months and were included in the analysis. The most significant predictor of medical resource utilization was the severity of the last attack (OR 2.6; p < 0.001). Among patients who sought medical care during the last attack (23%), more than half utilized the emergency department. The last attack prevented patients from their normal activities an average of 4-12 hours. Patient and caregiver absenteeism increased with attack severity and frequency. Among patients who were working or in school (n = 120), 72 provided work/school absenteeism data, resulting in an estimated 20 days missing from work/school on average per year; 51% (n = 84) indicated that HAE has hindered their career/educational advancement.
Conclusion: HAE poses a considerable burden on patients and their families in terms of direct medical costs and indirect costs related to lost productivity. This burden is substantial at the time of attacks and in between attacks.
Linear Ubiquitin chain Assembly Complex (LUBAC) is an E3 ligase complex that generates linear ubiquitin chains and is important for tumour necrosis factor (TNF) signaling activation. Mice lacking Sharpin, a critical subunit of LUBAC, spontaneously develop inflammatory lesions in the skin and other organs. Here we show that TNF receptor 1 (TNFR1)-associated death domain (TRADD)-dependent TNFR1 signaling in epidermal keratinocytes drives skin inflammation in Sharpin-deficient mice. Epidermis-restricted ablation of Fas-associated protein with death domain (FADD) combined with receptor-interacting protein kinase 3 (RIPK3) deficiency fully prevented skin inflammation, while single RIPK3 deficiency only delayed and partly ameliorated lesion development in Sharpin-deficient mice, showing that inflammation is primarily driven by TRADD- and FADD-dependent keratinocyte apoptosis while necroptosis plays a minor role. At the cellular level, Sharpin deficiency sensitized primary murine keratinocytes, human keratinocytes, and mouse embryonic fibroblasts to TNF-induced apoptosis. Depletion of FADD or TRADD in Sharpin-deficient HaCaT cells suppressed TNF-induced apoptosis, indicating the importance of FADD and TRADD in Sharpin-dependent anti-apoptosis signaling in keratinocytes.
Dieser Beitrag untersucht das Verhältnis von Intimität und Sexualität, Freundschaft und Liebe in der mittelalterlichen Adelsdichtung. Er zeigt, dass das Konzept der höfischen Liebe, das im 12. Jahrhundert entwickelt wurde, unter dem Einfluss des antiken Freundschaftsdiskurses steht. Im Grunde ist die höfische Liebe des Mittelalters als heterosexuelle Transformation eines Freundschaftsethos zu verstehen, das ursprünglich für Männer reserviert war. Diese Konstellation, in der Sexualität eine prekäre Rolle einnimmt, wird mit Hilfe der Thesen erläutert, die Niklas Luhmann in seinem Buch "Liebe als Passion" (1982) formuliert hat. Luhmann unterscheidet drei historische Stufen des Liebesdiskurses: die höfische Liebe des Mittelalters, die passionierte Liebe der frühen Neuzeit und die romantische Liebe des 19. Jahrunderts, die bis heute den Liebesdiskurs prägt. Im Gegensatz zur Luhmanns These des Nacheinanders zeigt der Beitrag, dass in der mittelalterlichen Poesie alle drei Formen der Liebe gleichzeitig vorhanden waren.
Als Weltautor ist der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe mit seinen Werken "Werther" und "Faust" unumstritten ein weit beliebter und prominenter Autor des 18. Jh.s. Ein ebenso beliebtes Werk des Autors ist die Ballade vom "Erlkönig", eine typisch lyrische Gattung der deutschen Dichtung der Romantik. Dass es sich hierbei nicht um ein rein zum Tanzen gesungenes Lied handelt, sondern vielmehr eine in sich geschlossene Welt von Symbolen dargestellt wird, ist bereits dem Titel zu entnehmen.
Begriff, Bedeutung und Funktion der Figuration "Erlkönig" stehen so als Thema und Fragestellung im Mittelpunkt der Diskussion des Beitrags. Handelt es sich bei dem benannten Begriff und Titeltext um eine Inspiration Goethes aufgrund einer missverstandenen Übersetzung Herders? Oder ist unter dieser Begrifflichkeit doch ein Geisterwesen, gar ein König der Geister zu verstehen, was wiederum die Bedeutungsvielfalt und die Symbolwelt des Volkstümlich-Mythologischen als Grundwissen voraussetzt. In diesem Sinne kommt der gesamte Bedeutungskomplex des Textes dem türkischen Volksglauben vom Alkarısı (wörtlich "Rote Frau") einerseits und Karabasan (wörtlich "Schwarz-Druck") andererseits nahe, zumal der Text mit dem tragischen Schicksal des fiebernden und halluzinierenden Kindes ein Ende nimmt.
Ziel des Beitrages ist so die Aufdeckung der verschlüsselten Botschaften des Textes; Symbole, kulturelle Werte und Handlungsmuster der Textstruktur sollen im Rahmen der volkskundlich-kritischen Textanalyse unter Einbeziehung der Hermeneutik anhand von Fallbeispielen der deutschen und türkischen Volksdichtung herausgearbeitet werden.
Background: Fatigue is a common symptom of chronic hepatitis C virus (HCV) infection and a frequent side-effect of peginterferon/ribavirin (PR) therapy for HCV. This study evaluated the impact of adding the oral HCV NS3/4A protease inhibitor simeprevir to PR on patient-reported fatigue and health status among patients with chronic HCV genotype 1 infection enrolled in the Phase IIb PILLAR and ASPIRE trials [NCT00882908; NCT00980330].
Methods: Treatment-naïve patients (PILLAR, n = 386) and treatment-experienced patients (ASPIRE, n = 462) were randomized to simeprevir plus PR (simeprevir/PR) or placebo plus PR (placebo/PR). In PILLAR, duration of PR treatment in the simeprevir/PR groups was determined using response-guided therapy (RGT) criteria. PR could be terminated at Week 24, instead of Week 48, if HCV RNA was <25 IU/mL by Week 4 and then undetectable at Weeks 12, 16, and 20. In both studies, patients completed the Fatigue Severity Scale (FSS) and EQ-5D quality-of-life questionnaire in their native language at baseline and throughout the studies up until Week 72.
Results: During the first 24 weeks of treatment, mean FSS total score was increased to a similar degree compared with baseline among patients receiving simeprevir/PR or placebo/PR in both studies indicating increased fatigue severity. Mean FSS scores returned to values comparable with baseline among patients receiving simeprevir/PR after Week 24 in PILLAR (after treatment completion for the majority of patients) and in ASPIRE (after Week 48), consistent with RGT enabling early termination of all treatment at Week 24 in 82.2% of simeprevir/PR-treated patients in the PILLAR study. Similar results were observed for EQ-5D, with simeprevir/PR-treated patients experiencing less time with worse health problems according to EQ-5D scores compared with placebo/PR groups in both studies, and more rapid improvement in health status associated with shorter treatment duration in the PILLAR study.
Conclusions: Combination of simeprevir with PR did not increase patient-reported fatigue severity or health status impairments beyond that reported by patients treated with PR alone. Many patients treated with simeprevir/PR returned to pretreatment fatigue and health status levels sooner due to increased treatment efficacy that enabled shorter duration of all therapy, compared with PR alone.
Über die seit dem Altertum übliche Verwendung der Knollen von Orchis morio und verwandter Arten (Salep) wird aus kulturhistorischer Sicht berichtet. Dabei wird auf die Gewinnung von Salep und seine Bedeutung als Aphrodisiakum, als pharmazeutische Droge und technisches Hilfsmittel eingegangen. Es folgen Ausführungen zur Bestandssituation von Orchis morio im Altmarkreis Salzwedel.
U radu se analizira Klaićev Rječnik stranih riječi iz 1983. godine koji je priredio Željko Klaić, sin Bratoljuba Klaića, i koji je izdan u godini smrti Bratoljuba Klaića i Novi rječnik stranih riječi iz 2012. godine koji potpisuju Bratoljub Klaić i Školska knjiga. Analiza se temelji na rječničkim člancima natuknica koje nose terminološke oznake gram., lingv. i fon. Posebna se pozornost posvećuje ustroju rječničkoga članka, definicijama koje se uz te natuknice donose te donošenju istoznačnica. Analizira se glasovno nazivlje, padežno nazivlje, pravopisno nazivlje te nazivlje jezikoslovnih grana, disciplina i pristupa.