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In dem vorliegenden Artikel untersuche ich [den] besonderen Fall von Wechselseitigkeit zwischen dem Körperlichen und dem Sprachlichen in Freuds "Zur Auffassung der Aphasien"; ich unternehme den Versuch zu zeigen, dass gerade in diesem frühen Text einerseits Freuds am äußersten Anfang stehendes und zuweilen noch unausgefeiltes Verhältnis zu Sprache, andererseits seine grundlegende Darstellung des Körpers und dessen Beziehung zum Sprachlichen zu finden sind.
"Zur Auffassung der Aphasien" dient dabei als mein Ausgangspunkt, von dem aus ich für eine entscheidende Verknüpfung zwischen diesem frühen Text und Freuds späterer psychoanalytischer Theorie, insbesondere seinen Arbeiten zum Gegenstand Trauma, argumentiere. Ich glaube, dass die Motivation für Freuds Übergang von seiner frühen neurologisch-physiologischen Phase zur späteren psychoanalytischen Arbeit an eben dieser besonderen Schnittstelle zwischen dem Sprachlichen und dem Körperlichen gefunden werden kann, so wie es sich in seiner Arbeit zur Aphasie niederschlägt.
Gilles Deleuze und Félix Guattari haben ein polemisches Buch geschrieben, das seinen Gegner im Titel benennt: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie. Man fände kein Ende, wenn man allen seinen Bezügen zur Psychoanalyse nachgehen wollte. Als es 1972 herauskommt, wird es als Rück fall hinter deren Errungenschaften kritisiert. André Green zieht einen Vergleich mit Sigmunds Freuds voranalytischen Schriften: [...] Worauf der Vergleich aus ist, ist ein Tertium comparationis, das in der Rolle der Naturwissenschaften für die Theorie des Unbewussten liegt. Obwohl der Anti-Ödipus keinen unmittelbaren Verweis auf die voranalytischen Schriften enthält, scheint der Vergleich gerechtfertigt, weil Deleuze und Guattari in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Biochemie und Molekularbiologie eine neuartige Konzeption des Unbewussten vorschlagen. Green sieht in der Attacke gegen den Ödipus-Komplex einen Angriff auf das Kernstück der Psychoanalyse: Ohne Ödipus gibt es nur mehr einen diffusen Nexus zwischen biologischem und psychischem Geschehen. Während Green oder Leopold Szondi versuchen, neuere biologische Forschungen in die Psychoanalyse zu integrieren, aber hierbei am Ödipus-Komplex festhalten, verfolgen Deleuze und Guattari einen »vagen Monismus«, indem an die Stelle eines durch den ödipalen Konflikt gebildeten Unbewussten ein molekulares Unbewusstes tritt.
Die Zukunft der Psychoanalyse scheint [...] von ihrer naturwissenschaftlichen Begründung abhängig zu sein. Ist dies das, was Freud sich für die Psychoanalyse erhofft hatte? Oder sollte man angesichts dieses Unterfangens nicht vielmehr erneut die Frage nach dem stellen, was weggelassen wurde?
Zur Beantwortung dieser Fragen werde ich zuerst exemplarisch zwei Passagen aus Freuds Werk, die als Beleg dafür dienen, dass Freud seine Hoffnung darin setzte, dass die Psychoanalyse einmal neurowissenschaftlich begründet werden könnte, einer genauen Lektüre unterziehen. In einem zweiten Schritt werde ich untersuchen, inwiefern die Psychoanalyse Freuds ein anderes Verhältnis zur Hoffnung auf Erfüllung von Wünschen unterhält, als die oben vorgestellte Argumentationsfigur impliziert. Dabei gehe ich auf die Funktion des Aufschubs in den Anfängen des Psychischen ein, sowie auf das Konzept der Kastration und auf die Figur der Reihenbildung. Vor diesem Hintergrund werde ich abschließend erneut nach der Bedeutung der Neurowissenschaften für Freud und für die Psychoanalyse fragen.
Jacob Taubes (1923-1987) und Carl Schmitt (1888-1985) zählen zu den umstrittenen, aber auch faszinierenden intellektuellen Figuren der Bundesrepublik: hier der jüdische Denker und Religionsphilosoph, ausgewiesener Kenner der apokalyptischen Strömungen in Judentum, Christentum, Gnosis samt ihren Folgen, die - nicht nur im christlichen Sinn - Filiationen innerhalb der Antike und ihres Nachlebens darstellen, dort der katholische Autor und Staatsrechtler, bekannt als Wortführer politischer Theologie, berüchtigt für seinen "aufhaltsamen Aufstieg zum 'Kronjuristen'" (Mehring) des Nationalsozialismus - ein Umstand, der sein Werk bis heute tief verschattet. Taubes und Schmitt haben polarisiert und tun es immer noch. Zu Lebzeiten provozierten sie durch ein Verhalten, das vielen als gemein, willkürlich, oft auch irritierend erschien, weil es übliche akademische Kabalen und Winkelzüge auf brüske Weise überschritt. Auch ergriffen sie rücksichtslos Partei, selbst bis zur fast völligen Isolierung: etwa wenn sich Schmitt 1933 als einziger aus der Kölner Juridischen Fakultät weigerte, für den Kollegen Hans Kelsen zu sprechen, als dieser von den Nationalsozialisten entlassen worden war (vgl. Rüthers), etwa wenn Taubes sich in erbitterte, persönliche Verletzungen bereitwillig in Kauf nehmende, akademische Kämpfe verstrickte, die er Ende der 1970er Jahre am notorischen Fachbereich 11 der Freien Universität Berlin [im Folgenden: FU] gegen nahezu alle führte. Doch verstanden es beide auch, geistig anzuziehen und intellektuell anzuregen, wenn sie Debatten begannen oder in sie eingriff en und Ideen aufnahmen, eben eine akademische Kardinaltugend aufs Beste beherrschten: das Verknüpfen von Wissen zwischen den Fächern, um persönliche oder sachliche Verbindungen für neue Fragen produktiv zu machen. Gerade durch die Missachtung gesetzter Grenzen ihrer jeweiligen Disziplin vermochten sie zu einer reicheren Erkenntnis vorzudringen. Darin sind sie Pioniere: Schmitt am Schnittpunkt von staatlichem Recht und christlicher Religion, Taubes in den Konstellationen jüdisch-christlicher Debatten jenseits aller konfessionell betriebenen Bemühungen um Dialog und Versöhnung. Weil ihr Einsatz als Denker - ungeachtet von Eskapaden und Eklats - ein geistig-existentieller war, wirken ihre Impulse weiter, in den letzten Jahren sogar zunehmend, davon zeugen die amerikanischen Übersetzungen, die viele ihrer Schriften und Texte erfahren haben, davon zeugt das Interesse, das sie gerade bei Jüngeren in Europa, Israel und den USA finden, die Philosophie, Jüdische Studien, Kultur-, Literatur-, Religionswissenschaft betreiben.
Nestwärme mag sich nicht unbedingt als Begriff aufdrängen, um die Zugehörigkeit zu einer im Bürgerkrieg kämpfenden Zelle der kommunistischen Partei zu beschreiben. Auch der Hühnerstall mag nicht die allererste Wahl sein, um einer gefühlten Unbehaustheit ein Bild von Geborgenheit gegenüberzusetzen. Doch gerade mit solchen Assoziationen eröffnet Maher Abi Samra in seinem Dokumentarfilm 'Shuyu'iyin kinna' ('We were Communists') die Suche nach seiner verlorenen Zeit. In dem 2010 fertiggestellten, teils autobiographischen Film begibt sich der Regisseur auf eine Selbstfindungsreise, die gleichzeitig in die Vergangenheit und Gegenwart führt, und lässt dabei auch drei Mitstreiter ihren Lebensweg seit den 1980er Jahren Revue passieren. Zu Beginn des Films, als der einstige Kämpfer erstmals nach langem Auslandsaufenthalt in sein Appartement zurück kehrt, unter dem es früher einmal ein KP-Büro gab, stellt er fest: "This gave me a sense of security, [...] the security chicken feel in their coop." Doch dieses Gefühl wird nicht anhalten. Am Ende des Films sehen wir den Regisseur allein in seinem verschneiten, gespenstischen Heimatdorf davongehen und hören eine Tür knarrend zufallen: Es gibt keinen Weg zurück.
Sozialgeschichte des Theaters - das soll im folgenden bedeuten: eine Geschichte der Berührungen der Institution und des Mediums Theater mit "Gesellschaft". Diese Formel lenkt den Blick auf zwei Sachverhalte, nämlich zum ersten auf die Gruppe(n) derjenigen, die Theater rezipieren, also auf bestimmte Gesellschaftsausschnitte, aus denen sich gewissermaßen Publikum konstituiert, zum zweiten auf die Reflexion sozialer Konstellationen und Prozesse im Rahmen des künstlerischen Produkts "Theater", etwa auf der Ebene der behandelten Themen und Stoffe. Beide Sachverhalte sind nicht zu trennen von der grundsätzlichen Frage nach der gesellschaftlichen Funktion von Theater. [...] Nähert man sich Wien und seinem Theater über Konzepte wie Identität oder Image, so erhebt sich die Frage, wie sich dieses "Wien" eigentlich fassen lässt. Wien als räumliches und soziales Gebilde besaß und besitzt eine überaus komplexe Struktur. [...] Um sich diesen Sachverhalten immerhin anzunähern und Wien als einen in einzigartiger Weise geordneten Raum des sozialen Miteinanders, des Wohnens, des Arbeitens und des Vergnügens zu erschließen, bietet sich das Modell einer kulturellen Topographie an. [...] Mit den Begriffen Identität und Topographie sind jene beiden Kategorien benannt, an denen sich die folgenden Ausführungen zum Wiener Theater vornehmlich orientieren. Diese Zugangsweise erhebt ebenso wenig Anspruch auf Objektivität wie die Auswahl der Aspekte der Wiener Theatergeschichte, die aus der vorgegebenen, drei Jahrhunderte umfassenden Zeitspanne herausgegriffen und diskutiert werden. Einige hauptsächliche Prämissen der Darstellung seien gleichwohl benannt: Erstens wird im Sinne einer integralen Theatergeschichtsschreibung die dem Miteinander und Gegeneinander der Disziplinen (Sprech-)Theaterwissenschaft und Musikwissenschaft nach wie vor zugrunde liegende, vom historischen Theateralltag aber nicht gedeckte Trennung von Sprechtheater und musikalischem Theater aufgegeben, fallweise auch die Trennung von institutionalisiertem Theater und semitheatralen Formen. Zweitens werden - entsprechend der im vorliegenden Kontext erforderlichen Entprivilegierung (hoch-)kultureller Erscheinungen - populäre, auf ein breites Publikum zielende Genres besondere Berücksichtigung finden, Genres, die übrigens fast durchwegs dem musikalischen Theater angehören. Drittens wird es im Hinblick auf die Berührung zwischen der Gesellschaft bzw. ihren Teilen und dem Theater vorrangig um Zugänge und um Zugänglichkeiten gehen: das Stichwort "Zugänge" bezieht sich auf Räume für Theater, und zwar auf Räume der Stadt, die dem Theater erschlossen werden, und auf die eigentlichen Theatergebäude / Institutionen als Orte des Aufeinandertreffens von Theaterspiel und Zuschauer; mit "Zugänglichkeiten" sind jene Bereiche der Theatergesetzgebung (inklusive herrschaftlicher Einzelentscheidungen) gemeint, die gleichsam die Rezeption von Theater steuern, wie etwa das Konzessions- und Privilegienwesen und die Zensur.
"… lebe fleißig Dein gutes neues Leben" : Rainer Maria Rilke als Gesundheits-Ratgeber seiner Mutter
(2012)
Im Gespräch Rainer Maria Rilkes mit seiner Mutter scheint deren körperlich-seelisches Befinden zu allen Zeiten eine zentrale Rolle gespielt zu haben, zumindest enthalten nahezu alle Briefe, die der Dichter an seine Mutter zwischen dem 5. Dezember 1896, einen Tag nach seinem 21. Geburtstag, und dem 29. November 1926, einen Monat vor seinem Tod, schrieb (wie übrigens auch die noch unveröffentlichten Jugendbriefe) Reaktionen auf dieses 'Befinden', das überwiegend wohl ein zu wünschen lassendes war. Es mag der allein lebenden Sophie Rilke ein besonderes Bedürfnis gewesen sein, sich über ihren Gesundheitszustand mit ihrem Sohn auszutauschen, doch auch Rilke selbst ermunterte, ja ermahnte seine Mutter, ihm hierauf bezogen nur nichts zu verschweigen: "ich bitte Dich immer ausführlich und aufrichtig davon zu erzählen", schrieb er ihr, denn "schließlich" sei das Befinden "die Grundlage von allem und der Hintergrund für jedes Ereignis und jede Freude".
Wechselseitige Infiltration von Grenzregion und Interieur in Joseph Roths "Das falsche Gewicht"
(2012)
Es existieren viele Leitworte in der Erzählung "Das falsche Gewicht". Dominant und führend ist das Wort 'Zuhause'. [...] Die Geschichte "Das falsche Gewicht" stellt einen Auszug von 'Zuhause' dar, einen Weggang von 'Zuhause' in Etappen und dem Versuch ein oder zwei oder drei 'Ersatzzuhause' zu finden.
Der Ansatz, dass Katastrophen als diskursive Produkte immer auch ein Symptom der Sinnsuche sind, wird auch in Bernhard Strickers Aufsatz 'Hiob - unser Zeitgenosse?' aufgegriffen. Die Unglücksfälle, die Hiob im Alten Testament widerfahren, können als eine Akkumulation persönlicher Katastrophen gedeutet werden, die sich zunächst durch ihre scheinbare Sinnlosigkeit auszeichnen. Stricker vergleicht zwei zeitgenössische filmische Neugestaltungen der Hiob-Geschichte ('A Serious Man' und 'Das Leben ist zu lang'), die ein ironisches Spiel mit den narrativen Strategien der Sinnstiftung im Angesicht des Realen in Form der Katastrophe treiben.