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Gegenstand meines Beitrags sind solche Satzgefüge, die einen Matrixsatz M und einen unmittelbar untergeordneten Nebensatz N enthalten, die folgende Bedingungen erfüllen: a) M muss in einem Vergangenheitstempus, N dagegen im Präsens bzw. Futur stehen; b) die Prädikate von M und N müssen in der dritten Person stehen; c) bei N muss es sich um einen Vergleichssatz handeln, dessen Prädikat als finites Verb das Modalverb 'suln ' enthält. Meine These lautet, dass sich mit Hilfe dieser verhältnismäßig einfachen Definition hinreichend präzise eine formelhafte Wendung erfassen lässt, die sich seit Hartmann von Aue in der mittelhochdeutschen erzählenden Literatur etabliert hat und überwiegend moraldidaktischen Charakter trägt. Ihre genauere Beschreibung ist das Ziel meines Beitrags, wobei ich, ausgehend von den ‘unscharfen Rändern’, in einer Art Spiralbewegung das Zentrum der besagten sprachlichen ‘Verdichtung’ einzukreisen hoffe. Mein Textkorpus umfasst rund 75 deutschsprachige erzählende Texte aus der Zeit von 1150 bis 1300, die den Bereichen der Heldenepik, der sogenannten Spielmannsepik, der Karlsepik, der höfischen Legendenepik, des Antikenromans, des Tristanromans, des Artusromans sowie des nichtarthurischen Liebes- und Abenteuerromans zugehören. Einschränkend ist hinzuzufügen, dass ich mich in meiner Untersuchung auf die Stimme des extradiegetischen Erzählers beschränke, Figurenrede also außer Acht lasse.
Spruchreihen im Lied
(2009)
In der Innsbrucker Handschrift der Lieder Oswalds von Wolkenstein steht als eines der letzten Lieder Kl. 115, eingetragen nach 1438, offenbar eines der spätesten Lieder Oswalds. Schon Wilhelm Grimm hat gesehen und Josef Schatz und Albert Leitzmann4 haben es im Einzelnen nachgewiesen, dass es sich bei diesem Lied um eine Umarbeitung von Freidank-Sprüchen in Liedstrophen handelt, die freilich als Oswalds eigene Lehre dargeboten werden […]. Die enge Anlehnung an die Quelle lässt erkennen, dass Oswald einer Handschrift folgte, die in etwa der von Hermann Paul als ursprünglich postulierten Anordnung von Freidanks Sprüchen entsprach. [...] Versucht man, Inhalt und Aussageweise des Lieds zusammenfassend zu charakterisieren, ist man auf höchst allgemeine Stichwörter angewiesen: Es handelt sich um elementares geistliches und weltliches Orientierungswissen und um konsensfähige Urteile, dargeboten in kurzen Sprüchen, prägnanten gnomischen Feststellungen. Derartige Sprüche hat Oswald auch sonst gern zitiert. Nirgends aber hat er diesen vielfältigen Weisheits- und Erfahrungsschatz so ausschließlich benutzt wie in dieser Bearbeitung von Freidanksprüchen, nirgends hat er so wenig auf Kohärenz der Aussagen geachtet. Haben die Zeitgenossen beim Vortrag dieses Liedes nicht ebenso wie wir die gedankliche Einheit vermisst?
Die Reflexion der Grenze zwischen Text und Nicht-Text findet zumeist ‚am Rahmen’, nämlich im Paratext, statt. Insbesondere die „Vorredenreflexion“ […] will bei den Lesern das „Fiktivitätsbewußtsein“ […] für den nachfolgenden Text wecken. Ich möchte im Folgenden der Frage nachgehen, wie dieses Grenzbewusstsein entsteht. Dabei gehe ich von der Prämisse aus, dass Paratexte – vor allem Vorworte – einen Zugang zum Haupttext eröffnen, indem sie sich selbst als Übergangszone in Szene setzen: als Übergangszone, in der die Grenzen zwischen all dem, was fiktiver Text ist und all dem, was nicht fiktiver Text ist, verhandelt werden. Die Rede vom Paratext als Übergangszone impliziert neben dem Gesichtspunkt der Räumlichkeit auch eine Form der Bewegung, durch die diese Übergangszone überhaupt erst konstituiert wird. Es handelt sich […] um eine „Praktik im Raum“ […] durch die der Leser – die Leserin – den Weg aus der realen Lebenswelt in die fiktionale Welt des Textes finden soll. Dieses paratextuelle travelling möchte ich im Rekurs auf Jean Paul beschreiben – ein Schriftsteller, der wie kein anderer eine Vielzahl spielerischer Praktiken im paratextuellen Raum entwickelt hat. Mitunter hat man sogar den Eindruck, dass Jean Paul mehr Wert auf seine Paratexte als auf seine Texte legt. Zugleich, und dies scheint mir für das Thema Raum und Bewegung in der Literatur interessant zu sein, fällt auf, dass Jean Paul im Rahmen seiner Paratexte ostentativ Raummetaphern bemüht.
Dilettantische Konjekturen
(2009)
»Und wer also nicht die Fähigkeit besitzt«, schreibt Max Weber in […] »Wissenschaft als Beruf«, »sich einmal sozusagen Scheuklappen anzuziehen und sich hineinzusteigern in die Vorstellung, daß das Schicksal seiner Seele davon abhängt: ob er diese, gerade diese Konjektur an dieser Stelle dieser Handschrift richtig macht, der bleibe der Wissenschaft nur ja fern.« […] Anstatt zu fragen, wann eine Erkenntnis als »wissenschaftlich qualifiziert« gelten kann […] beschreibt Weber die Einstellung […] des Wissenschaftlers […]: Ein leidenschaftliches Erkenntnisinteresse für seinen Untersuchungsgegenstand haben – ist das nicht genau die Haltung, die den Enthusiasten, den Liebhaber, den Amateur, sprich, den Dilettanten auszeichnet? […] Inwiefern kann Leidenschaft zum Beruf des Wissenschaftlers qualifizieren? […] »Nun ist es aber Tatsache: daß mit noch so viel von solcher Leidenschaft, so echt und tief sie sein mag, das Resultat sich noch lange nicht erzwingen läßt. Freilich ist sie eine Vorbedingung des Entscheidenden: der ›Eingebung‹«. […] Offenbar verwendet Weber die Formulierung ›Eingebung‹ synonym mit dem Begriff ›Einfall‹, dessen Resultat die ›Konjektur‹ ist. Im Anschluss an die beiden Zitate aus Webers Aufsatz stellt sich in meinen Augen nicht nur die Frage, welche Rolle die Leidenschaft für den berufenen Wissenschaftler spielt, sondern auch inwiefern der Umgang mit Konjekturen und Einfällen zugleich den Unterschied zwischen Fachmann und Dilettant markiert. Diese Frage steht im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen.
Der goldene Topf
(2009)
E.T.A. Hoffmanns Der goldene Topf, ein "Märchen aus der neuen Zeit", wie es im Untertitel heißt, erschien 1814 als dritter Band der "Fantasiestücke in Callot's Manier". Der Goldene Topf ist ein "Entwicklungsroman in Märchenform", in dem das Verhältnis von 'bürgerlicher' und 'wunderbarer' Welt in Form einer Liebesgeschichte erzählt wird, die sich als merkwürdige Dreiecksbeziehung entpuppt: Protagonist ist der Student Anselmus, der, hin- und hergerissen zwischen der bürgerlichen Veronika und der wunderbaren Serpentina, im Verlauf der Handlung seine 'romantische Metamorphose' vom Schreiber zum Schriftsteller erfährt. Anselmus hat eine Begabung zur Kalligraphie, zur Schönschrift also, und so macht er das Kopieren zum Beruf – doch seine Berufung ist die Poesie: die sublimierte Kalligraphie, bei der die schöne Schrift zu wahrer Schrift veredelt wird.