Refine
Year of publication
Document Type
- Article (237)
- Part of a Book (182)
- Review (166)
- Part of Periodical (79)
- Book (35)
- Report (14)
- Conference Proceeding (11)
- Periodical (5)
- Preprint (3)
- Other (2)
Language
- German (737) (remove)
Keywords
- Literatur (737) (remove)
Institute
Spiele und ihre Räume
(2023)
Beim Spielen kommt es offenbar aufs Maß an und auf die Umstände. Nicht oder nur schlecht spielen zu können gilt als Schwäche; umgekehrt erscheint es als riskant oder gefährlich, zu viel zu spielen, sich in Spielereien zu verlieren oder sogar ein falsches Spiel zu treiben. In der positiven Vorstellung des maßvollen, regelbewussten Spielens wirken bis heute Grundzüge anthropologischer Selbstbeschreibungen des 18. Jahrhunderts nach. In dieser Zeit rückte der Spielbegriff in den Fokus neuer ästhetischer Theorien, bevor er sich im 19. Jahrhundert als Gegenkonzept zu Ernst und Arbeit weiterentwickelte. Das Spiel wurde zum Aushandlungsort bürgerlichen Selbstverständnisses und gesellschaftlicher Regeln, zum Gegenstand von Theorie und Literatur.
Das politische Interesse am menschlichen Leben durchdringt nicht nur Wissenschaften, Ökonomie und Ethik, sondern auch die Künste. Die fiktionalen Welten von Literatur, Film und Serie fungieren als Aushandlungs- und Reflexionsräume von Biopolitik(en): Menschliche Figuren werden innerhalb biopolitischer Strukturen modelliert, um den Menschen als Individuum sowie als Teil einer Gemeinschaft zu reflektieren; menschliche Lebensweisen werden in vielzähligen Varianten durchgespielt und in ihrer Bedeutung ausgelotet, um ein spezifisches Wissen über den Menschen zu generieren, das kritisch zum biopolitischen Diskurs beiträgt. Es ist ebenjener kritische Diskursbeitrag von Literatur, Film und Serie, der uns im vorliegenden Band interessiert. Dieser Sammelband, der auf einen von Studierenden des Fachbereichs Komparatistik / Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Paderborn organisierten wissenschaftlichen Workshop im September 2021 zurückgeht, wagt, sich diesen Aushandlungen und Reflexionen von Biopolitik(en) in Literatur, Film und Serie zu stellen und sie produktiv zu diskutieren.
Brecht zufolge birgt die Frage nach den Verpflichtungen der Kunst eine unauflösbare Dialektik: Kunst und politischer Zweck sind einander nicht äußerlich, ihre Beziehung ist nicht durch Konflikt oder gegenseitigen Ausschluss gekennzeichnet, sondern vielmehr durch das Versprechen schöpferischer Reibung und gegenseitiger Bereicherung. Dies entspricht nicht der Art und Weise, in der die Literaturwissenschaft traditionell über die Beziehung der Literatur zur Sphäre der Politik nachgedacht hat. Sie hat vielmehr dazu geneigt, den Versuch, Kunst als politische Arbeit zu begreifen, als Kategorienfehler zubetrachten - als eine von außen herangetragene Zumutung, die beiden schadet: der Kunst und der Politik. [...] Wenn wir verschüttete literaturgeschichtliche Genealogien wiederherstellen, um der theoretischen Untersuchung alternative Wege aufzuzeigen, orientieren wir uns an neueren Bemühungen, ausgewählte Episoden politisierten Schreibens nicht als literaturgeschichtliche Anomalien zu betrachten, sondern als Schlüsselmomente in der Konfiguration der Beziehung zwischen Literatur und Politik - als einflussreiche Epizentren interventionistischer Kunst, von denen aus Debatten über Literaturpolitik und Praktiken engagierten Schreibens in neue und global ausgedehnte Kontexte ausstrahlen können. Die von uns vorgeschlagene Periodisierung verbindet experimentell drei Perioden intensiv politisierter und aktivistischer Kunst und Schriftstellerei: die Zwischenkriegszeit, die langen 1960er Jahre und die Gegenwart. Damit sollen alternative Traditionen sichtbar gemacht werden, die Raymond Williams zufolge oft an den Rändern des Jahrhunderts zurückgelassen wurden. Diese Periodisierung verzichtet auch bewusst darauf, eine einzige oder eindeutige Geschichte politisierter Literatur nachzuzeichnen.
Der aus Ungarn stammende israelische Satiriker Ephraim Kishon (1924–2005) gilt als ‚Versöhnungsfigur‘ zwischen Deutschen und Jüdinnen und Juden im bundesdeutschen Nachkriegsdiskurs. Seine „israelischen Satiren“ erfreuten sich in der freien Übertragung durch Friedrich Torberg vor allem in den 1960er bis 1990er Jahren enormer Beliebtheit. Dabei wurde zunächst verdrängt, dass Kishon selbst Überlebender der Schoah war und seinen Humor als Überlebensstrategie entwickelt hatte. Bisher wurde die Bedeutung der Schoah für Kishons Schreiben nur unzureichend berücksichtigt.
Birgit M. Körner beleuchtet das Phänomen von Kishons Erfolg in der Bundesrepublik nun von drei Seiten: von der Seite des Autors und Schoah-Überlebenden Kishon, von der Seite des Mitschöpfers und Übersetzers Friedrich Torberg und von der Seite der Rezeption durch ein postnationalsozialistisches deutschsprachiges Publikum.
Im Fokus steht zunächst die Rekonstruktion von Kishons Verfolgungs- und Überlebenserfahrung anhand bisher unbekannter Akten und der Nachweis, dass sich deren Spuren in Kishons Satiren finden lassen. Kishon und Torberg konstruieren einen „israelischen Humor“, der maßgeblich auf den europäischen jüdischen Humortraditionen – dem ostjüdischen Witz und der jüdischen Tradition des literarischen Sarkasmus – sowie auf Kishons Schoah-Überleben basiert. Deutlich wird dabei Torbergs Tendenz, das deutschsprachige Publikum zu ‚schonen‘ und explizite Stellen zu streichen, u.a. um eine positive Haltung zu Israel zu fördern. Kishon selbst stand seiner Rolle als ‚Versöhnungsfigur‘ für ein westdeutsches Publikum durchaus ambivalent gegenüber.
Die Weimarer Beiträge sind eine Zeitschrift für Literaturwissenschaft, aktuelle ästhetische Theorie und Kulturwissenschaft. Zu Ihren Schwerpunkten gehören moderne Literatur im Rahmen anderer Künste und Medien, die Wechselbeziehungen von Literatur, philosophischer und ästhetischer Reflexion sowie die kritische Analyse der Gegenwartskultur.