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Wie können nun die vielfältigen Ergebnisse zur Einkommens- und Vermögensverteilung im Hinblick auf die Frage, ob es eine soziale Polarisierungstendenz gibt, zusammengefaßt werden? Angesichts des unklaren Begriffs der Polarisierung und der begrenzten Aussagekraft des Datenmaterials ist dies schwierig, zumal die empirische Analyse nicht nur Fragen beantwortet, sondern auch neue Fragen aufgeworfen hat und die vorliegenden Daten nicht sehr zeitnah sind. Trotz aller Einschränkungen lassen sich aber vielfältige Anzeichen einer Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse einzelner Bevölkerungsgruppen feststellen. Diese äußern sich weniger in zusammenfassenden Verteilungsmaßen wie beispielsweise dem Gini-Koeffizienten als vielmehr in disaggregierten Betrachtungsweisen. So hat in Westdeutschland zwischen 1978 und 1993 sowohl der Bevölkerungsanteil, der in relativer Einkommensarmut lebt, als auch der Anteil der Reichen zugenommen. Dies könnte man als Polarisierungstendenz bezeichnen, wenn man Polarisierung allgemein als Prozeß der Herausbildung bzw. Vergrößerung von zwei weit auseinanderliegenden Einkommensgruppen versteht.32 Von der zunehmenden relativen Verarmung sind hauptsächlich Arbeitslosenhaushalte sowie Familien mit Kindern, insbesondere Alleinerziehende, betroffen, steigende gruppenspezifische Reichtumsquoten sind vorwiegend bei Selbständigen-, Angestellten- und Beamtenhaushalten sowie bei Paaren ohne Kinder zu beobachten. Die Gruppen der Alleinstehenden sind sehr heterogen, da sich hier sowohl überdurchschnittliche Armuts- als auch - mit Ausnahme der alleinstehenden älteren Frauen - überdurchschnittliche Reichtumsquoten zeigen; die Armutsquoten der jüngeren Alleinstehenden, insbesondere der Frauen, sind im Beobachtungszeitraum aber drastisch gestiegen, die Reichtumsquoten bei allen Alleinstehenden tendenziell gesunken. Neben diesen Tendenzen beinhaltet das nach wie vor starke West-Ost-Gefälle im Lebensstandard ein nicht zu unterschätzendes gesellschaftliches Spannungs- und Spaltungspotential. Die große Ungleichheit in der Einkommensverteilung wird von der Vermögensverteilung bei weitem übertroffen. Wenn man sich auf das Nettogrund- und Nettogeldvermögen (ausschließlich Zeitwerte der Kapitalversicherungsguthaben) beschränkt, verfügten 1988 die obersten 10% der Haushalte über fast die Hälfte des Gesamtvermögens, während die untere Hälfte der Haushalte weniger als 4% des Gesamtvermögens besaß. Diese krassen Gegensätze zeigen sich, obwohl die reichsten Haushalte in der Datenbasis nicht erfaßt sind. Für die Entwicklung der Konzentration der Vermögen zeigt sich im Zeitablauf keine eindeutige Tendenz. Die Ergebnisse für einzelne Jahre sind wegen unterschiedlicher Begriffsabgrenzungen nicht unmittelbar vergleichbar, die Erfassung des Vermögens ist generell unvollständig. In der Literatur wird eher von einer zunehmenden denn von einer abnehmenden Konzentration ausgegangen. Die bisher vorliegenden empirischen Verteilungsergebnisse decken allenfalls den Zeitraum bis 1993 ab. Seither hat sich die gesamtwirtschaftliche Situation aber deutlich verschlechtert. Die andauernden Arbeitsmarktprobleme und Kürzungen im Sozialleistungsbereich einerseits sowie "explodierende" Aktienkurse andererseits bergen zunehmende Gefahren einer nachhaltigen Spaltung der Gesellschaft. Es ist zu befürchten, daß unstetige Erwerbsverläufe mit der Folge unzureichender Sozialversicherungsansprüche künftig noch häufiger vorkommen werden und daß die Ungleichheit der Arbeitnehmereinkommen - auch durch die beobachtbare Zunahme untertariflicher Bezahlungen - steigen wird mit der Folge einer weiteren Verarmung insbesondere von Familien mit Kindern. Hinzu kommt, daß die von längerer Arbeitslosigkeit betroffenen Haushalte ihre Vermögensbestände aufzehren müssen oder sich gar verschulden, so daß ein Wiederaufstieg deutlich erschwert wird und auch die Vermögensverteilung noch ungleichmäßiger werden dürfte. Der Verteilungskonflikt wird sich darüber hinaus durch die in Gegenwart und Zukunft zu erwartenden Vererbungsvorgänge verschärfen. Hiervon profitieren nicht alle Haushalte gleichermaßen. Aufgrund sinkender Kinderzahlen ist mit einer Kumulierung von Vermögenswerten zu rechnen.33 Die in einigen politischen Kreisen befürwortete stärkere Einbeziehung der privaten Vermögensbestände zur Risikovorsorge, insbesondere für das Alter, ist angesichts der starken Vermögenskonzentration für den größten Teil der Bevölkerung wohl kaum eine realistische Alternative.
Die langfristige Entwicklung der personellen Einkommensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland
(1998)
Die Verteilungssituation in Deutschland ist durch ein zunehmendes Maß an Ungleichheit gekennzeichnet. Das Wohlstandsgefälle zwischen West- und Ostdeutschland - 1993 lag das durchschnittliche Nettoäquivalenzeinkommen in den neuen Ländern nach Kaufkraftbereinigung um ca. ein Viertel unter dem Westniveau - birgt sozialen Sprengstoff. Hinzu kommt eine Verschärfung des Verteilungsproblems auch innerhalb der alten Bundesländer. So ist der Anteil der Personen (in Haushalten mit deutscher Bezugsperson) mit weniger als der Hälfte des im Westen erreichten durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens von 1988 bis 1993 um 1,7 Prozentpunkte auf 10,5% gestiegen. Die Dynamik in der Verteilungsentwicklung hat sich gegenüber dem vorangegangenen Fünfjahreszeitraum (1983 bis 1988) verstärkt. Angesichts einer weiter gestiegenen Arbeitslosigkeit, Einschränkungen bei den Lohnersatzleistungen und Arbeitsförderungsmaßnahmen sowie ausbleibender Anpassungen von Wohngeld und Sozialhilfe an die Preisentwicklung muß davon ausgegangen werden, daß sich die Verteilungssituation für einen weiten Bevölkerungskreis seit 1993 noch zugespitzt hat. Dies sollte bei allen Überlegungen zu steuer- und sozialpolitischen Reformen berücksichtigt werden.