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Einen wesentlichen Einfluss auf die Ästhetik des cinéma vérité hatte die Entwicklung tontauglicher Handkameras, die den Filmemachern die ästhetische Möglichkeit einer Manipulation und Differenz (im Sinne einer bewussten, eingreifenden Dissoziation und Disjunktion) von Akustischem und Visuellem eröffnete. Anhand ausgewählter Szenen von CHRONIQUE D’UN ÉTÉ möchte ich im Folgenden zeigen, wie sich diese Bewegung auf ästhetischer Ebene darstellt. Im Mittelpunkt soll der Akt des Offenlegens und Reflektierens des filmischen Schaffensprozesses stehen, der als wesentlicher Aspekt filmischer Modernität bezeichnet werden kann. Zu weiten Teilen folge ich dabei den Schriften von Jean-Louis Comolli und Gilles Deleuze, insbesondere was die prominent beschriebene Durchdringung von dokumentarischem und fiktionalem Stil betrifft, die sich in CHRONIQUE D’UN ÉTÉ nicht nur auf bildlicher, sondern auch und gerade – und das ist das Wesentliche an meiner Argumentation – auf akustischer Ebene nachweisen lässt.
Vom klassischen Film zur Zweiten Moderne : Überlegungen zur Differenz von Bild und Ton im Film
(2008)
Michel Chion, einer der wichtigsten Filmtontheoretiker der Gegenwart, geht in seinem Werk L´audio-vision (1990) davon aus, dass Bild und Ton hinsichtlich eines „audiovisuellen Kontrakts“ zwar keine natürliche Beziehung zueinander unterhalten, der Rezipient jedoch eine symbolische Beziehung zwischen beiden sieht, die aus Bild und Ton eine Einheit werden lässt. In der Filmtheorie steht diesem synthetisierenden Modell von Akustischem und Visuellem ein differentieller Denkansatz entgegen, der das audiovisuelle Zusammenspiel im Film nicht als Synthese, sondern als Kräftefeld unterschiedlicher Bestandteile begreift, die zwar einen Bezug zueinander haben, aber dennoch technisch wie ästhetisch getrennt und heterogen sind.
Alan Croslands Film THE JAZZ SINGER wird in zahlreichen wissenschaftlichen Abhandlungen zum Übergang vom Stumm- zum Tonfilm als der Film beschrieben, der dem Tonfilm endgültig zum Durchbruch verhalf (vgl. Dibbets 1998, 197; Nowell-Smith 1998, 193; Henzel 2006, 47). Doch obwohl THE JAZZ SINGER maßgeblich dazu beigetragen hat, das neue Medium Tonfilm am Markt zu etablieren, handelt es sich bei diesem Film nicht um den ersten Tonfilm, wie gelegentlich behauptet wird (vgl. Ferrari 2004, 70), sondern lediglich um einen „Stummfilm mit einigen vertonten Einschüben“ (Dibbets 1998, 197). THE JAZZ SINGER ist ein so genannter part-talkie, ein Film also, der nur zum Teil vertont wurde. An ausgewählten Stellen enthält er „lippensynchrone Lieder und Dialog“ (Dibbets 1998, 197). Das expressive Spiel der Figuren und der Einsatz von Zwischentiteln hingegen erinnern an den Stummfilm. Doch nicht nur die Tatsache, dass THE JAZZ SINGER kein hundertprozentiger Tonfilm ist, steht laut Christoph Henzel einer Definition als erstem Tonfilm entgegen. Darüber hinaus ist er auch nicht der erste Film, der technisch in der Lage war, Bild und Ton zu synchronisieren. Vielmehr positioniert er sich als ein Ereignis unter vielen, als ein Glied innerhalb einer ganzen Reihe technischer Entwicklungen vom Stumm- zum Tonfilm (vgl. Henzel 2006, 48/49).