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Die Gattung Lobrede zwingt zur Einseitigkeit. Deshalb ist sie der Paradefall für den Konflikt zwischen Rhetorik und Wahrhaftigkeit, Paradefall damit für den Streit um Glanz und Elend der Redekunst. Der Glanz schöner Worte und das Elend von Schmeichelei und Lüge können nirgendwo so eindrucksvoll erscheinen wie in der Lobrede. Archetypisch zeigt dies der Gegensatz zwischen den Sophisten und Sokrates: Lob ist das Schaustück, an dem die einen die Macht und der andere die Falschheit der Redekunst erweisen. Doch nicht nur der Streit um die Rhetorik überhaupt, sondern auch die Geschichte der Rhetorik selbst, der historische Wertewandel innerhalb der rhetorischen Theorie wechselt bei der Lobrede in extremes Für und Wider. Das hat eine politische Dimension. Denn nach der Aristotelischen Trias ist die epideiktische Gattung ja die Form fragloser Rede. Im Gegensatz zur Gerichts- und Beratungsrede geht es in ihr nicht um Strittiges, sondern um feststehende Urteile und Ansprüche, die - anstatt zu diskutieren - nur vorzuführen sind. Als politische Dimension entspricht dem der Unterschied von Meinungsstreit und Herrschaftsrepräsentation. [...]Wie die Gattung Lobrede heute politisch konnotiert ist, läßt sich indirekt an der hohen Konjunktur des Wortes "Streitkultur" ablesen. Der deutlichste germanistische Beitrag dazu war die Lessing-Tagung 1991, die unter dem Titel "Streitkultur" den Kritiker, den Polemiker, den in argumentativer Schärfe auf produktiven Widerspruch setzenden Lessing als Vorbild für die eigentliche öffentliche Rede würdigte.
Der Zusammenhang zwischen (...)[Geschichte und Erinnerung] ist spannungsvoll und von einer komplexen, sich historisch wandelnden Problemlage, daß er selbst wieder einen eigenen Gegenstand historischer Forschung darstellt. Man könnte eine Geschichte des Verhältnisses von Geschichtswissen und Erinnerungskultur schreiben. Das eine ist der Anspruch rein sachbezogener Rekonstruktion, die andere lebt vom eigenen Bezug, von der eigenen aktuellen Verwendung von Vergangenheit, es ist, mit Jan Assmanns Formulierung, „Gedächtnis, das Gemeinschaft stiftet“. Geschichtswissen und Erinnerungskultur sind keine klar getrennten Abteilungen, vielmehr sind mit diesen Begriffen Pole eines Spannungsfeldes zu markieren, in dem sich Geschichtsschreibung bewegt. Am Beispiel von Friedrich Schlegel, einem der Väter der historischen Methode in den Geisteswissenschaften, möchte (...) [Stefan Matuschek] in dieses Feld hineinführen und die Spannungen in ihm sichtbar machen.
Poesie und Prosa der Europa-Idee. Novalis' "Die Christenheit oder Europa" und seine modernen Leser
(2003)
An (...) [Novalis’ ‚Die Christenheit oder Europa’] ist alles problematisch: seine Fassung, sein Titel, seine Gattung und der damit vom Text selbst erhobene und reflektierte Geltungsanspruch, seine Begriffe von Religion und Politik sowie schließlich, und darin liegt ja die Brisanz des Ganzen, das Verhältnis von beiden. ‚Die Christenheit oder Europa’ formuliert auf der Grundlage eines idealisierten mittelalterlichen Katholizismus eine aktuelle europäisch-politische als religiöse Heilserwartung. (...) [Auch ist dieser Text] ist ein Lehrstück dafür, dass literarische Texte nicht von sich aus ohne weiteres, sondern immer in bestimmten Funktionszusammenhängen gegeben und verstehbar sind.
„Man kann zu keinem gebildeten Deutschen von Dantes göttlicher Komödie sprechen“, sagt der Romanist Karl Voßler, „ohne ihn an Goethes Faust zu erinnern.“ Und weiter: „Die Zusammenstellung des größten italienischen mit dem größten deutschen Gedicht ist uns seit den Tagen der Romantik zur Gewohnheit geworden und hat ihre Berechtigung: aber nicht so sehr in einer tatsächlichen und quellenmäßig erweisbaren, als in einer inneren und eben darum tieferen Verwandtschaft der beiden Werke.“ (Karl Voßler: Die Göttliche Komödie. 1. Bd. Heidelberg: 1925, S. 1.)
(...) Was den Begriff ‚Weltliteratur’ betrifft, kann die aktuelle Goethe-Philologie indes geltend machen, daß die von Voßler bezeugte monumentale Auslegung weiter von Goethe entfernt ist als das prozessual-kommunikative Verständnis, das die neuere Forschung herausstellt. (...) Im Kompositum ‚Weltgedicht’ sind (...) im Blick auf Goethes Drama beide Singulare unpassend. (...) So wie in diese, Gedicht eine Pluralität von Dichtungen herrscht (...), so ist das Dargestellte nicht mit dem totalisierenden Singular ‚Welt’, sondern besser mit dem Plural zu benennen. Diese Vielfalt auf die Einheit ‚Weltgedicht’ zu bringen ist (...) der Versuch, Goethes „Faust“ Katholizität zuzusprechen. Dieser Versuch ist heute als Wirkungsgeschichte der suggestiven, doch unpassenden Dante-Analogie zu beschreiben und zu beenden.“
Solange es nur um die großen Namen unter ihren Beiträger geht, gehört die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ zum Prominentesten in Literatur und Philosophie um 1800: Kant und Fichte zählen dazu, Schiller und August Wilhelm Schlegel. Auch sind, obwohl es sich hier ausschließlich um Rezensionen, also Sekundärliteratur handelt, einige ihrer Beiträge in den Kanon eingerückt: allen voran Schillers Bürger-Rezension. Ebenso ist Kants Besprechung von Herders „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ über den Kreis der Kant-Spezialisten hinaus gegenwärtig. Dass hier bedeutende Namen über bedeutende Werke schreiben: das hielt die Erinnerung an die „A. L. Z.“ in einer an Namen und Werken orientierten Literatur- und Philosophiegeschichtsschreibung wach. Allerdings nur als Quellenangabe. Denn die Texte selbst liest man längst in den Werkausgaben, in die all das eingegangen ist, was der Germanistik und der akademischen Philosophie an der „A. L. Z.“ wichtig erschien. Die Zeitschriftenforschung, die alternativ zur Personen- und Werkgeschichte nach der eigenen Kontur dieses Mediums fragt, hat sich die „A. L. Z.“ noch kaum vorgenommen. Noch die jüngeren Beiträge, die ausdrücklich über diese Zeitschrift und nicht nur über deren berühmte Beiträger reden wollen, halten sich an Namen. So ist sie zum einen als Promulgator des Kantianismus vorgestellt worden, zum anderen als Kontrasthintergrund, von dem sich die Polemik der Brüder Schlegel abhebt.
Die Rede von einer ‚Berliner Frühromantik’ ist falsch, wenn damit das ‚Athenaeum’ der Berliner Salonkultur angegliedert und die frühromantische Forderung nach Urbanität mit der zeitgenössischen Berliner Wirklichkeit verbunden werden sollen. Das ‚Athenaeum’ ist vielmehr ein Zeugnis akademisch gelehrter Schriftsteller, deren eigene Formen der Geselligkeit – die Berliner Wohngemeinschaft und der gemeinsame Jenaer Hausstand – nichts mit großstädtischer Salonkultur zu tun haben, sondern ganz im Gegenteil homogene Exklusivgemeinschaften sind: ein einseitiger, enger Umgang, müsste man mit Nicolai und Garve sagen, der das kleinstädtische Risiko trägt, sich an sich selbst zu ermüden und zu frustrieren. So ist es dann ja auch gekommen.