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[Volker Mertens greift] (…) auf die von Rainer Warning formulierte „doppelte Rollenhaftigkeit“ des lyrischen Ichs zurück (…), [die er] Performanz-Ich und Text-Ich (…) [nennt]. (…) Beide Ichs stehen in Spannung zum (biographischen)Autor (…), wobei seine Nähe zum Performanz-Ich dann besonders groß ist, wenn er selbst als Sänger seiner eigenen Lieder auftritt. Der Autor ist in hohem Maße sozial eingebunden, das Performanz-Ich fügt sich in eigene Traditionen und Konventionen, besitzt aber weitgehende Lizenzen im Vergleich zur sozialen Realität; am freiesten von äußeren Bedingungen ist das Text-Ich. Ein Beispiel aus Walthers Minnesang kann das verdeutlichen (…).
Literarische Fiktion beim Wort genommen ist in den zitierten Fällen eine geläufige Technik, um Komik zu erzeugen, wobei hier diese Wirkung doch nur dann eintritt, wenn z.B. die Werbungssituation als im Minnelied präsent empfunden, sie weder als Allegorie für den Bewußtseinsstand einer Aufsteigerschicht (...) verstanden wird, (...) noch als gesellschaftliches Verhaltens – „Programm“, das durch den Mitvollzug des Liebesliedes durch das Publikum in der Aufführung eingeübt wird.
[Volker Mertens nimmt] (...) zwei jüngere Arbeiten zum Minnesang, die sich mit eben diesen Problemen auseinandersetzen, zum Anlaß, die Frage nach Thematik und Pragmatik der mittelhochdeutschen Lyrik zunächst grundsätzlich zu diskutieren und sie dann an drei Liedern Walthers von der Vogelweide (11ß,24; 53,25; 74,20) als interpretatorisches Instrument zu benutzen.
[Franz Josef] Worstbrocks Artikel mit seinen Argumenten für einen Hiltbold zwischen 1190 und 1210 war der Aufgangspunkt für (...) [Volker Mertens], Hiltbolds Oeuvre erneut zu untersuchen, seine Eigenart zu erfassen und – vielleicht – zu einer Entscheidung in der strittigen Datierungsfrage zu kommen, zumindest aber, die Valenz der Worstbrockschen Begründungen zu überprüfen.
Walthers Strophen im sog. „Leopoldston“ (‚Erster Thüringerton’, ‚Zweiter Atzeton’), die sich auf den Minnesänger Reinmar namentlich beziehen (L, 82,24 und 83,1, Ausgabe Cormeau Nr. 55, II, III), bereiten der Forschung nicht geringe Verlegenheit. Entweder man charakterisiert sie (...) als perfide, gehässig, scheinheilig, spricht von Rache und Haß, oder man entschuldigt den vermeintlich aggressiven Ton mit dem Temperament Walthers, hält das Ganze auch für einen Nachruf zu Lebzeiten, der allein den Untergang von Reinmars Kunst beklage. (...) [Volker Mertens] Beitrag unternimmt eine umfassende Kontextualisierung der Strophen in der handschriftlichen Überlieferung, im Zusammenhang des Tons und im Oeuvre beider Sänger als Vorbereitung einer detaillierten Textanalyse. Abschließend wird die Rezeption betrachtet um die zeitgenössischen Verständnismöglichkeiten abzusichern. Dabei (...) [kommt] eine relativ genaue Datierung der Strophen gewissermaßen als Nebenprodukt heraus (...).
Ausgangspunkt (...) [der] Überlegungen ist die Beobachtung, daß der Münchner Hofmaler Ulrich Füetrer in seinem ‚Buch der Abenteuer’ aus den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts diese Erzähltechnik verwendet, die bisher vor allem am ‚Nibelungenlied’ beobachtet worden ist. Schon im Jahre 1953 hat Hugo Kuhn von der ‚Szenenregie’ in der ‚Nibelungendichtung’ gesprochen und damit ein Stichwort aufgegriffen, das von Andreas Heusler stammt. (...) Er sieht die Gebärde der Mündlichkeit zugeordnet, ihre Kontextualisierung in der Szene hingegen als Kompensationsversuch der Schriftlichkeit, wo die verlorene oder gefährdete räumliche Verortung, die durch die Situativität des mündlichen Vortrags gegeben sei, sozusagen ausformuliert wird im schriftlich konzipierten Text. Das ist ein Vorgang, den wir ähnlich in der Minnelyrik beobachten können, etwa einhundert Jahre nach dem ‚Nibelungenlied’ bei Johannes Hadloub.
Mit etwa siebzig Liedern „nach“ den Minnesängern, darunter etwa die Hälfte nach Walther von der Vogelweide, ist Gleim der produktivste Rezipient mittelalterlicher Lyrik im 18. Jahrhundert, weit vor den Dichtern des Göttinger Hains. Seine erste Nachschöpfung erschien bereits im Jahre 1749 in ‚Lieder’ in Halberstadt (...) das Gedicht „Daphne“, das er dann in den „Petrarchischen Gedichten“ von 1764 unter dem neuen Titel „Ismene“ wieder aufnahm, jedoch als „Daphne“ im 1. Teil der „Sämtlichen Schriften“, Reutlingen 1779, S. 52f. wieder abdruckt.
Fragmente eines Erzählens von Liebe : Die Konstruktion von Subjektivität bei Heinrich von Morungen
(2005)
[Volker Mertens] Untersuchungen knüpfen (...) [an die Einwände von Dagmar Hirschberg, Hans Irler und Arthur Groos] an, indem sie (...) Eigenart [der höfischen Literatur] als spezifische Variation traditioneller poetischer Verfahrenweisen deutet mit dem Ziel, Subjektivität zu inszenieren. Da dieses Vorgehen prinzipiell für den Minnesang gilt, (...) [wirft Volker Mertens] zunächst einen Blick auf die Tradition. Nach einer relativ offenen Phase des Experimentierens mit verschiedenen Liedtypen – Werbelied, Klagelied, Frauenlied, Wechsel u.a. – wird in der zweiten Phase mit der selektiven Übernahme okzitanischer Muster das minneanalytische Lied favorisiert.
Johann Jakob Bodmer verdanken wir die Wiederbelebung der mittelhochdeutschen Literatur. (...) [Volker Mertens] interessiert die Erweckung des Minnesangs aus etwa dreihundertjährigem Schlaf. (...) Die Rezeption geht im 19. Jahrhundert in zwei Formen auseinander: in die maßvoll der zeitgenössischen Sprache angepaßte Übersetzung wie bei San Marte und Simrock oder in die der tatsächlichen oder erschlossenen Sprachgestalt des 12./13. Jahrhunderts verpflichteten Ausgaben etwa Karl Lachmanns oder Moritz Haupts. (...) Tiecks Minnelieder-Ausgabe stellte seinerzeit einen Befreiungsschlag dar, der die Hermetik des Handschriftendrucks einerseits und die Neutralisierung des eigentümlichen poetischen Potentials durch die galante Vereinnahmung andererseits durchbrach. Sie war ein buchhändlerischer und dichterischer Erfolg und läutete Mennesangs zweiten Frühling ein.