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Sammelbände sind eine zweischneidige Angelegenheit. Soll man sie als Buch ansehen, eingeteilt in verschiedene Kapitel, die von mehreren Autoren stammen? Oder hat man viel eher eine Sammlung einzelner Aufsätze vor sich, die sich mehr oder weniger passend unter ein vom Herausgeber vorgegebenes Rahmenthema scharen? Beides trifft gleichermaßen zu, und das macht es so schwer, Werke dieser Gattung zu rezensieren. Geht man von einem geschlossenen Buch aus, fällt der Blick auf die Einleitung. Hier legen die Herausgeber jeweils ihre Überlegungen offen, die zu der nunmehr im Druck vorliegenden Tagung geführt hatten. Sie selbst ordnen die einzelnen Beiträge dann auch in die übergreifenden Ideen ein. Der Leser bekommt also einen Eindruck davon, wo der rote Faden verlaufen soll. Wer mit dieser Erwartungshaltung das Buch über Popular Justice aufschlägt, wird ein wenig enttäuscht. Gerade der Dreh- und Angelpunkt des Bandes, die Popular Justice, bleibt nämlich blass. Es geht irgendwie um die Beteiligung der Bevölkerung an der Rechtsdurchsetzung, um Laien, die Gerichtsbarkeit ausüben. Aber hier ist die Bandbreite groß, und deswegen sind genauere Zuspitzungen kaum möglich. Die Einleitung bietet einen bunten Strauß von Beispielen, die schnell und schlechthin als Volksjustiz erscheinen. Jedenfalls tauchen französische Jurys aus der Revolutionszeit auf, es geht um Reformen der Gerichtsverfassung in Spanien im 19. Jahrhundert zur Einführung der Jury, um spezifische Formen der Schiedsstellen für arbeitsgerichtliche Streitigkeiten in Italien, um sog. Katzenmusik und Charivari, um öffentliche Schändungen von Kollaborateuren in Frankreich, um deutsche und österreichische Volksgerichte nach dem ersten und zweiten Weltkrieg, um Volk und Gericht im Nationalsozialismus sowie um symbolische Gewalt gegen die SED-Herrschaft in der SBZ/DDR. ...
Ob wirklich alle Theorie grau ist, wie der Teufel in Goethes Faust einem "Freund" einflüstern will, wissen wir nicht. Doch dass der Blick ins Leben überall bunte Bilder zeigt, kann die Rechtsgeschichte vielfach bestätigen. Selbst das von Goethe zitierte grüne Leben taucht in der frühen Neuzeit wörtlich auf, nämlich als viridis observantia, als grünende Observanz. Die Rechtspraxis hat je nach Sichtweise verschiedene Farben oder eben verschiedene Körper. "Many bodies", wie der Titel des Sammelbandes verheißt, ist also nicht nur auf gleichzeitig vorhandene mehrere normative Rechtstexte bezogen, sondern auch auf das Verhältnis von Rechtsnorm und Rechtspraxis. Die Anlage des Buches, die Auswahl der Beispiele und die einzelnen Fallstudien rennen offene Türen ein. Wenn Seán Patrick Donlan und Dirk Heirbaut, die beiden Herausgeber, sich auf legal hybridity und jurisdictional complexity berufen, klingt das nach einer Anbiederung an überstaatliche Globalisierungen des modernen Rechts. Aber solche aufgesetzten Modernisierungen hat der sehr lehrreiche Band nicht nötig. Die Einleitung sagt genau, worum es geht. Auch die Rechtsgeschichte kann nämlich ihren eigenen Beitrag leisten, um weltweite Rechtsvielfalt näher zu untersuchen. Den Schwerpunkt legen die Herausgeber und die meisten Verfasser der Einzelbeiträge auf die frühe Neuzeit. Das ist angemessen, denn in der älteren Zeit ohne Staat stellten sich zahlreiche Fragen noch gar nicht. Doch beim Blick auf die frühneuzeitlichen Jahrhunderte kann die Rechtsgeschichte die Fremdheit der Vormoderne auf sich wirken lassen, die zeitgenössische Staatsgewalt angemessen relativieren und auch den Gegensatz zwischen Norm und Praxis gezielt erforschen. Pluralität war immer Teil der europäischen Rechtstradition, die kleinräumigen iura propria ergänzten immer das großräumige ius commune, wie immer man die Rechtsmassen auch bezeichnete. Vollständige staatliche Herrschaft über das gesamte Recht gab es nie, wie die Herausgeber mit überzeitlichem Wahrheitsanspruch verkünden (16). Der Blick auf die tägliche Praxis, vor allem auf die Untergerichte, sei zu lange vernachlässigt gewesen, meinen sie. Ein europäisches Ergebnis stellt sich bei diesem Ansatz nahezu von selbst ein. Die besondere Rolle Englands verflüchtigt sich nämlich mehr und mehr. Viele übergreifende europäische Erscheinungen lassen sich auch hier erkennen, wenn man nicht immer ausschließlich nach der "Geltung" einzelner Sätze des römischen Rechts fragt. Die Gemeinsamkeit der europäischen Rechtsgeschichte besteht bei einer solchen Sichtweise nicht vornehmlich in der Prägung durch eine gelehrte Rechtswissenschaft oder in der Strahlkraft des römisch-kanonischen Rechts, sondern im gleichzeitigen Mit- und Nebeneinander kleinräumiger und großräumiger Rechtsordnungen, verschiedenster Versatzstücke für Argumentationen, gelehrter und dinggenossenschaftlich geprägter Gerichte und so weiter. Mehrere damals wichtige Rechtsquellen- und Rechtsanwendungsfragen stellten sich in vielen europäischen Ländern in derselben Weise bis hin zu Beweisfragen auf der Suche nach dem einschlägigen geltenden Recht. ...
Denkt der Rechtshistoriker an etwas, das lange währte, fällt ihm neben anderem irgendwann das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ein. Auch die Gerichte dieses Reiches brachten es auf eine ansehnliche Lebensdauer, und die Prozesse, die vor dem Reichskammergericht ausgefochten wurden, zählten häufig ebenfalls zu dem, was lange währte. Langjährige seitenfüllende Erörterungen sind in abertausenden dickleibigen Akten überliefert. Wer sollte das damals alles lesen und bearbeiten? Was waren das für Männer, die sich im 18. Jahrhundert, dem "tintenklecksenden Säkulum" (Friedrich Schiller), in Wetzlar durch solch monumentale Schriftsätze fraßen und im Namen von Kaiser und Reich Recht sprachen? Das umfangreichste Werk, das seit dem Ende des Alten Reiches über das Reichskammergericht geschrieben wurde, gibt darauf Antwort. ...
Die Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich kreisten jahrelang um das Reichskammergericht (RKG). Dass sich das nun zu ändern beginnt, ist aus zwei Gründen ein Verdienst Eva Ortliebs. Zum einen verzeichnet sie in Wien die Akten des zweiten höchsten Reichsgerichts, des Reichshofrats (RHR), zum anderen beleuchtet sie in ihrer Dissertation einen zentralen Tätigkeitsbereich des RHR im 17. Jahrhundert, nämlich das Kommissionswesen. Aus der RKG-Forschung wusste man, dass Kommissionen im Rahmen von Beweiserhebungen eine wichtige Aufgabe im gemeinrechtlichen Zivilprozess erfüllten. ...
Tamar Herzog arbeitet seit Jahren an einer Rechtsgeschichte der Praxis. In ihren Publikationen zur Strafrechtsgeschichte im frühneuzeitlichen Quito beschrieb sie das Funktionieren der Strafjustiz anhand zahlreicher Fallstudien und strich dabei die nicht-juristischen Faktoren als entscheidende Orientierung für die Entscheidungsfindung heraus (zuletzt in Upholding justice, 2004). In Defining Nations (2003) rekonstruierte sie das System der Bestimmung von Zugehörigkeit und ergo der Zuweisung von materiellen und immateriellen Ressourcen auf ähnliche Weise. Auch dort hat sie die komplexe Interaktion zwischen Normsetzung und -aneignung unterstrichen und damit die Rechtsgeschichten der Staatsangehörigkeit in imperialen Räumen neu akzentuiert. Das Besondere an ihren Arbeiten liegt nicht zuletzt darin, dass sie ihre Beobachtung stets in eine unaufgeregte Theorie des frühneuzeitlichen Rechts einordnet. Recht gibt für sie schlicht einen großen Teil der Regeln vor, in deren Horizont die Akteure handeln. Es sind nicht die einzigen, aber es sind wichtige Teile des normativen Universums. Die Spieler mögen sich – so ein in der Zusammenfassung benutztes Bild (264) – an diese Regeln halten, ihre eigenen Strategien im Umgang mit ihnen entwickeln oder sie schlicht missachten. Doch ganz unabhängig von diesen Regeln wird niemand sein Spiel treiben können. Der Zuschauer, der die Regeln kennt, kann das Ergebnis ebenfalls nicht vorhersagen. Er wird auch ratlos sein, wenn seine Mannschaft verliert. Aber er versteht das Spiel besser. Wer die Regeln nicht kennt, sieht nur Bewegung. In Frontiers of Possession bleibt Herzog dieser Methode treu. Sie schaut ins Archiv, auf den Einzelfall, von dort auf das Recht. Sie blickt von innen nach außen, kommt deswegen zu teilweise anderen Befunden als die Forschung und zeichnet damit ein klares – und zugleich komplexes – Bild. ...
Es gehört zu den Gemeinplätzen der frühneuzeitlichen Historiographie, auf die schier unglaubliche Ausdehnung der spanischen Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert hinzuweisen – im Reich des Kaisers Karl V., dessen Politik aus nicht-mediterraner Sicht vor allem mit dem Kampf um die Reformation verbunden ist, ging bekanntlich nie die Sonne unter. Doch die Auswirkungen dieser imperialen Dimension auf Verfassung, Institutionen, Verfahren und Praktiken der frühneuzeitlichen Großmächte sind der Rechtsgeschichtsschreibung nur wenig präsent, trotz der Konjunktur von transnationaler Geschichtsschreibung und trotz wichtiger Synthesen zum Imperienvergleich. ...
The key is in semantics, and not in philology, in the science of meaning and not of stemming (27); There is no good European History without non-European histories (46); Humanity cannot be conceived by only a part of it (49). Dieses Buch ist voll von solchen Postulaten, die banal scheinen mögen – und die dennoch von der Rechts- und Verfassungsgeschichtsschreibung kaum beherzigt werden. ...
Zweihundert Jahre Erbrechtsgeschichte Deutschlands, Frankreichs und der USA, rekonstruiert anhand von Gesetzgebung und Diskursen zu Testierfreiheit, Familienerbrecht, Fideikommiss und Erbschaftssteuerrecht: jedes Thema für sich ein rechtshistorisches Schwergewicht. Und im Vorwort zu den kaum mehr als 300 Seiten wird die Frage aufgeworfen, "was wir daraus über die Evolution normativer Strukturen moderner Gesellschaften, und insbesondere über das Verhältnis von Individuum, Familie und Gesellschaft lernen können" (9). ...
Fragen der Aneignung und Effektivität von Normen haben sich zu wesentlichen erkenntnisleitenden Perspektiven der rechtshistorischen Forschung zur Frühen Neuzeit entwickelt. Es ist dabei deutlich geworden, dass sich die Diskrepanz von zentraler Normsetzung und deren lokaler Umsetzung nicht als bloßes Vollzugsdefizit, sondern vor allem als Folge einer besonderen kulturellen Praxis begreifen lässt, die unserem an Gesetzesvollzug und Kodifikation geschultem Denken fremd ist. Im Zusammenhang damit kommt den Rechtsgewohnheiten eine besondere Bedeutung zu. Sie lassen sich nicht einfach als »Gewohnheitsrecht« in das moderne Rechtsquellensystem einpassen, sondern stellen ein anderes Prinzip der Rechtsfindung dar, mit dem Umstände des Einzelfalls erfasst und die neben der juristischen liegende soziale Normebene einbezogen werden konnte. ...
Eine echte rechtshistorische Überraschung legt Karl Kroeschell vor – die erste Landesrechtsgeschichte seit rund hundert Jahren, sieht man von der etwas anders gelagerten Schweizer Literatur ab. Folgt Kroeschell damit dem jüngeren Historikertrend, mehr auf Regionen als auf Staaten zu blicken? Die Entstehung spricht dagegen. ...