Linguistik
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"Naming Gender" von Susanne Oelkers (2003) ist die erste Studie, die sich eingehend mit der Geschlechtskennzeichnung von Rufnamen befasst. Für die Herstellung und Darstellung von Geschlecht stellt nicht nur Sprache generell, sondern zuvörderst das Namensystem ein zentrales Zeichensystem zur Verfügung. Namen haben damit beträchtlichen Anteil an Ordnungsstiftung und Komplexitätsreduktion. Die deutsche Onomastik hat sich bis 2003 kaum für die soziale Differenz Gender interessiert, sie hat die linguistische und soziologische Genderforschung nicht rezipiert. Umgekehrt haben auch Genderlinguistik und Soziologie die Personennamen weitgehend übersehen (von Lindemann 1996 und Gerhards 2003 abgesehen). Dies steht der Relevanz entgegen, die Namen für die Etablierung und Prozessierung der Geschlechterordnung haben. Selbst Sprachen ohne jegliche grammatische Genus- oder Gendermarkierung können mit ihren Rufnamen Geschlecht indizieren (z.B. Finnisch und Estnisch, die nicht einmal bei den Personalpronomen der 3. Person Geschlecht markieren).
Das Hauptziel dieses Beitrags besteht darin, anhand einer tiefergehenden prosodisch-phonologischen Analyse der häufigsten Rufnamen von 1945-2008 der Frage nachzugehen, ob im Laufe der Zeit eine Androgynisierung unserer Rufnamen dahingehend stattgefunden hat, dass Strukturen, die bislang dominant für das eine Geschlecht galten, zunehmend auch für das andere Geschlecht gewählt werden bzw. geschlechtspräferente Strukturen nivelliert oder gar abgebaut werden. Ein weiteres Ziel besteht darin, auf onymischer Ebene der These nachzugehen, dass in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen eine sog. Informalisierung und Intimisierung stattgefunden habe, die sich möglicherweise in heutigen Namen wie Lilly oder Nico statt früher Elisabeth und Nikolaus niederschlagen.
Im Folgenden soll kurz geklärt werden, was Genus ist (Kap. 2) und – auch wenn diese Frage nicht mit unserem derzeitigen Wissen beantwortbar ist – woher Genus kommen könnte (Kap. 3). Hauptsächlich stellt sich jedoch die Frage: Was tun mit Genus, das heute das Endstadium einer langen Grammatikalisierung darstellt (Kap. 4)? Hier wird die wichtigste Antwort lauten: Genus hat eine neue, eine syntaktische Nutzung erfahren, indem es maßgeblich daran beteiligt ist, unsere berühmten Nominalklammern zu bauen (4.1). Außerdem gibt es weitere "Recyclingmöglichkeiten" von Genus, nämlich: a) Objekte, die Namen tragen, zu klassifizieren (die Kaiser Wilhelm), b) Beziehungen zwischen namentragenden und namenverwendenden Personen zu qualifizieren (der Peterle, das Anna) oder sogar c) Personen zu degradieren (das Merkel). Mit Punkt a) begebe ich mich in die Onomastik, mit Punkt b) in die Dialektologie, und mit Punkt c) werde ich mit der Genderlinguistik enden.
In der emotional geführten Sprachverfallsdebatte wird besonders die Apostrophsetzung vor dem Genitiv- und dem Plural-s, vulgo Deppen-Apostroph, kritisiert und als vermeintliche Entlehnung aus dem Englischen stigmatisiert. Erst seit kurzem liegen mit Scherer (2010, 2013) korpusbasierte Untersuchungen vor, die eine angemessene Interpretation dieses graphematischen Wandels erlauben, der weitaus älter ist als gemeinhin vermutet. Generell erweist sich, dass viele als neu und bedrohlich empfundene Sprachveränderungen bereits vor über hundert Jahren meist ebenso emotional gegeißelt wurden. Der Beitrag befasst sich hauptsächlich mit der diachronen Entwicklung des phonographischen Apostrophs zu einem morphographischen, dessen Funktion nun nicht mehr darin besteht, nicht-artikulierte Laute zu markieren, sondern morphologische Grenzen (Uschi's, Joseph K.'s, CD's ). Deutlich wird, dass der Apostroph der Gestaltschonung komplexer Basen dient, deren Gros aus Eigennamen besteht. Anschließend wird in einem kürzeren Teil nach der Entstehung und Beschaffenheit dieser s-Flexive selbst gefragt. Diese sind ihrerseits Ergebnis flexionsmorphologischer Umstrukturierungen und garantieren maximale Konstanthaltung des Wortkörpers. Abschließend wird noch die neueste Entwicklung gestreift, die in der Deflexion ebendieser s-Flexive besteht und die sich wieder am deutlichsten bei den Eigennamen manifestiert. Diese haben als Quelle all dieser Entwicklungen zu gelten (vgl. des Irak, des Helmut Kohl, auch des Perfekt, des LKW, des Gegenüber ). Insgesamt ist festzustellen: Nicht nur die Apostrophsetzung vor s-Flexiven, sondern auch die s-Flexive selbst sowie ihr derzeitiger Abbau dienen ein und derselben Funktion: Der Schonung durch Konstanthaltung markierter Wortkörper, worunter mehrheitlich Eigennamen fallen, daneben auch Fremdwörter, Kurzwörter und Konversionen. Damit sind es die Eigennamen, die Ausgangspunkt und Ursache tiefgreifenden flexionsmorphologischen und graphematischen Wandels bilden.
Alle germanischen Sprachen haben in den nachchristlichen Jahrhunderten eine phonologische Umlautphase durchlaufen, allerdings mit je unterschiedlichen Resultaten. Dieser Umgang mit den Umlautprodukten wurde bisher nie vergleichend in den Blick genommen; vielmehr bekommt man in jeder Einzelphilologie den Eindruck, als habe die Umlautentwicklung nur so und nicht anders verlaufen können. Erst die historisch-kontrastive Perspektive erweist, dass sich drei Pfade systematisieren lassen: Der Umlaut wird konserviert (Isländisch), er wird eliminiert (Englisch, Niederländisch) – Schwedisch nimmt hier eine Zwischenposition ein –, oder er wird funktionalisiert (grammatikalisiert) und damit morphologisch ausgedehnt (Deutsch, Luxemburgisch).
Im Folgenden werden diese drei Wege nicht nur beschrieben, sondern auch begründet. Der konsequente Sprachwandelvergleich ermöglicht dabei das Verständnis von Zusammenhängen und erlaubt es, aus den Einzelphilologien abgeleitete Annahmen zu revidieren.
Ich möchte […] drei Beispiele für den produktiven Dialog zwischen Historischer Sprachwissenschaft und Sprachtypologie liefern: 1. Den phonologisch-typologischen Wandel des Deutschen von einer Silben- zu einer Wortsprache, 2. die frühnhd. 'Justierung' der Abfolge grammatischer Kategorien am Verb gemäß der universellen Relevanzskala, und 3. die Entwicklung unseres Höflichkeitssystems am Beispiel der Anredepronomen. Weder liefere ich Neues noch kann ich ins Detail gehen. Es geht hier nur darum, für die gegenseitige Wahrnehmung und Zusammenarbeit linguistischer Disziplinen zu werben.
Auf dem Weg zu Nicht-Flektierbaren : die Deflexion der deutschen Eigennamen diachron und synchron
(2012)
Im heutigen Deutsch sorgt die Flexion von Eigennamen im Genitiv für einen echten Zweifelsfall, mehr noch bei geographischen Namen als bei Personennamen, vgl. des Orinoko(s), des Iran(s), des vereinigten Deutschland(s), ebenso im Plural: die beiden Deutschland(s). Personennamen werden, wenn ihnen ein Artikel (mit oder ohne Adjektiv) vorangeht, in aller Regel schon nicht mehr flektiert, vgl. die 1. Auflage (1774) von "Die Leiden des jungen Werthers" mit Genitivendung mit der 2. Auflage (1787), wo diese Endung schon fehlt. Heute dominiert die Nichtflexion: der Geburtstag des kleinen Julian, des Helmut Kohl. Aus diachroner Sicht stellt dieses Stadium nur einen weiteren Schritt in Richtung onymische Deflexion dar. Dieser Deflexion und ihren Gründen soll in diesem Beitrag nachgegangen werden. Flektierten Eigennamen im Althochdeutschen noch ausgiebig (in mehreren Flexionsklassen), so haben sie im Laufe der Zeit ihre Flexion in zweierlei Hinsicht stark eingeschränkt: a) paradigmatisch durch den Abbau an Allomorphie und die Durchsetzung sog. überstabiler Marker, die oft erstes Indiz für den Beginn von Deflexion sind; b) syntagmatisch durch den sukzessiven Abbau von Flexiven am Wortkörper. Neben Kasus und Numerus haben sich auch bei Genus tiefgreifende Veränderungen vollzogen: Genus wird zunehmend pragmatisch "von außen" fixiert, d.h. immer mehr von Eigenschaften des Referenzobjekts gesteuert.
Contemporary German abounds in doubtful cases where linking elements alternate with zero elements, such as Seminar(+s?+)arbeit 'term paper', Respekt(+s?+)person 'person who commands respect'. This variation indicates a profound language change in the course of which the linking +s+ has spread continuously since Early New High German and is replacing the zero element more and more often. Today, +s+ is the most productive, progressive and most frequently occurring linking element. In this paper, we provide an explanation for the doubtful cases. Most often, the linking +s+ depends directly on the phonological quality of the first part of the compound: the worse its phonological structure, the more likely the occurrence of the linking +s+. It occurs most regularly after first parts of compounds containing a suffix or an unstressed prefix (Verkáuf+s+gespräch 'sales conversation'), while words with an ideal phonological structure (monosyllabic or trochaic words) rarely attract the linking +s+. The variation concentrates on compounds whose first parts feature a stressed prefix (Éinkauf(+s?+)führer 'shopping guide'). There is, however, a further factor which leads to fluctuation in the occurrence of the linking +s+. In cases where the second part of synthetic compounds such as Auftrag(+s?+)geber 'client' contain a high degree of verbality, the linking +s+ blurs the syntactic relation between the immediate constituents, strengthening the morphological character of the compound.
Zu dem Strauß der Bindestrichlinguistiken gesellt sich derzeit ein weiteres, besonders interessantes und vielversprechendes Exemplar, die sog. Zweifelsfall-Linguistik. Ihre Entstehung kann man mit dem "Linguistik online"-Heft "Sprachliche Zweifelsfälle. Theorie und Empirie" [...] auf das Jahr 2003 datieren. [...]
Aus historisch-linguistischer Perspektive handelt es sich sehr häufig um Fälle sich gegenwärtig vollziehenden Sprachwandels, d.h. was heute an seismischen Bewegungen registriert wird, hat seinen Herd, um in diesem Bild zu bleiben, oft im Frühneuhochdeutschen oder noch früher. [...] Gerade für die zukünftigen LehrerInnen ist es wichtig, von der richtig/falsch-Zentriertheit von Zweifelsfällen wegzukommen und stattdessen der Ratio dieses Phänomens näherzukommen (um dann bessere Anleitungen geben zu können). In Veranstaltungen zu Zweifelsfällen erlangt man übrigens eine beträchtliche diachrone Tiefe, d.h. die Bereitschaft, sich in das Problem, seine Genese und seine Hintergründe einzuarbeiten, ist erfreulich hoch. Interessant (und noch nicht erforscht) ist dabei die unterschiedliche Salienz grammatischer Zweifelsfälle: Während die Fugensetzung sofort als Zweifelsfall erkannt und bestätigt wird, ist es bei der schwankenden Flexion zweier koordinierter Adjektive im Dativ ohne Determinans ("unter großem finanziellem?/finanziellen? Aufwand") anders. Auch wenn die Korpora die Schwankung zwischen Parallel- und Wechselflexion zweifelsfrei als Zweifelsfall ausweisen (ca. zwei Drittel Wechselflexion, ca. ein Drittel Parallelflexion), so erreicht diese Flexionsunsicherheit keinen hohen Bewusstheitsgrad. Die höchste Salienz erreichen übrigens orthographische Zweifelsfälle [...], danach Wortbildungsprobleme wie die (Un-)Trennbarkeit von Präfixen vom Typ "gedownloadet/downgeloadet".
Auto - bil, Reha - rehab, Mikro - mick, Alki - alkis : Kurzwörter im Deutschen und Schwedischen
(2001)
Das Kurzwort wird nach BELLMANN 1980 und KOBLER-TRILL 1994 definiert als eine sowohl graphisch als auch phonisch realisierte gekürzte Form, die aus einem längeren sog. Basislexem (einschließlich eines Wortgruppenlexems) hervorgeht (im Folgenden auch Vollform genannt). Dabei besteht zwischen Kurzwort und Basislexem, die weiterhin nebeneinander bestehen, eine Synonymie-Beziehung, d.h. beide referieren auf das gleiche Objekt (vgl. Limo und Limonade, Kripo und Kriminalpolizei).