CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Die Frauen
(2017)
Bei "Die Frauen" handelt es sich um eine Vorlesung aus Bertha von Suttners "Maschinenalter" (in späteren Auflagen "Maschinenzeitalter"). Das vortragende Ich hält in einer fiktiven Zukunft, in welcher der Mensch höher entwickelt ist, eine Vorlesungsreihe über die gesellschaftlichen Zustände des 19. Jahrhunderts. Die einzelnen Vorlesungen bilden die Kapitel des Buches, welches nicht nur die gesellschaftlichen Missstände des 19. Jahrhunderts darlegt, sondern eine soziale, in sich stimmige Utopie erschafft. [...] Bertha von Suttners Soziologieverständnis war stark von Auguste Comtes positivistischer Sichtweise geprägt, die auf einem absoluten Glauben an Wissenschaft und Vernunft beruht. Dieses positivistisch geprägte soziologische Programm hatte um 1900 seinen Höhepunkt erreicht und war danach für Jahrzehnte unter den Generalverdacht der Faktenhuberei und der naiven Wissenschaftsgläubigkeit gestellt worden. Mit den Positivisten teilte Suttner ein monistisches Weltbild, sah das menschliche Zusammenleben als naturgesetzliches Ganzes an und negierte eine nomothetische Wissenschaftsauffassung. Für sie hatte die Soziologie - wie die Wissenschaft überhaupt - die Aufgabe, das menschliche Zusammenleben sowohl zu beschreiben als auch zu verbessern. Die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen betrachtete Bertha von Suttner auf Basis einer Theorie der Sozialisation. Für sie gab es keine spezifisch männlichen oder weiblichen Wesenszüge. Bei Frauen oder Männern vermehrt wahrgenommene Charaktermerkmale entstünden entweder durch Zuschreibung, oder sie seien "keine wesentlichen, im Organismus wurzelnden" Eigenschaften, sondern könnten "auf äußere Umstände und Einflüsse" wie "Erziehung und Lebensstellung" zurückgeführt werden. Diese soziologisch gefärbte Auffassung von Geschlecht ist detailliert in der fiktiven Vorlesung mit dem Titel "Die Frauen" ausgeführt. Im Text zeichnet Suttner das Bild einer zukünftigen Gesellschaft, in der Geschlecht nicht mehr als hierarchisierendes Ordnungsprinzip fungiert. Überhaupt billigte Suttner den Geschlechtern bis auf wenige physiologische Merkmale keine natürlichen Unterschiede zu. Eigenschaften wie körperliche Stärke, Mitgefühl und Mut sah sie bei beiden Geschlechtern gleichermaßen vorhanden. Suttners Auffassung stand im Gegensatz zu der allgemein vorherrschenden, welche auf Hierarchisierungen von Unterschieden beruhte. Suttner kritisiert die Zuordnung von geistigen und charakterlichen Eigenschaften zu physiologischen Eigenschaften, wie sie auch noch heute getroffen wird. Dabei geht sie wissenschaftlich-analytisch vor, indem sie Textstellen aus markanten Büchern, die 'Frauen' zum Thema haben, genau unter die Lupe nimmt und deren fehlende Objektivität und mangelhafte Argumentation darlegt. Dass bestimmte Eigenschaften bei den Frauen ihrer Zeit häufiger zu beobachten sind als bei Männern, verneint die Autorin nicht, doch erklärt sie diese Prägung mit der Sozialisation. Suttner macht aber nicht nur auf Paradoxe in der Argumentation aufmerksam, sondern zeigt die verschiedenen Formen auf, in welchen die Unterdrückung der Frau in verschiedenen Epochen zum Vorschein kommt: So argumentierten die VertreterInnen der Lehre von der Minderwertigkeit der Frau im 19. Jahrhundert nicht mehr theologisch, sondern philosophisch und 'wissenschaftlich'. Der Rang der Frau sei zwar nicht mehr der einer Sklavin, aber immer noch der einer dem Mann Untergebenen. Somit sei bloß die Form subtiler geworden, denn "die Unterordnung, die Abhängigkeit - die war geblieben." Diese Unterordnung der Frau unter den Mann als eine "Art Neben- oder vielmehr Unterabteilung des Menschentums" sieht Suttner auch in der Sprache gespiegelt: Der Begriff 'Mensch' umfasst im Maschinenzeitalter nur den Mann. Diese Reflexionen Suttners zur Sprache können als "Ansätze zu einer feministischen Sprachkritik" betrachtet werden.
Das Weibliche als Natur, Rolle und Posse : sozio-theatrale Tableaus zwischen Shakespeare und Nestroy
(2011)
Es wäre viel zu einfach, die in einer bestimmten historischen Konstellation verbreitete Rede davon, was "weiblich" und was "männlich" sei (eine Rede, der die Alltagsrealität des Einzelnen ohnehin entgegengesetzt sein kann), und die in einem Bühnenstück vorgeführten Verhaltensweisen von Frauen und Männern in eins zu setzen. Zu bedenken ist vielmehr, was Walter Obermaier über die Frauen bei Nestroy schreibt: dass sie nämlich "generell einer Welt der Fiktion zugehörig [sind], in der Possentradition und Theaterkonventionen eine entscheidende Rolle spielen" - oder allgemeiner formuliert, dass Kunst, Alltagswissen und die Autorität wissenschaftlicher Rede je spezifische Funktionen für einen Diskurs besitzen und dabei in verschiedene Beziehungen zueinander treten können. Dies vorausgesetzt, möchte Marion Linhardt im Folgenden einem traditionellen Thema des komischen Theaters nachgehen: dem Aufeinandertreffen von geschlechtsbezogener Norm einerseits und Abweichung von dieser Norm andererseits. Das genre- wie geschlechtergeschichtliche Feld wird dabei durch William Shakespeares "The Taming of the Shrew" (um 1592) und Nestroys "Gewürzkrämer-Kleeblatt" (Theater an der Wien 1845) aufgespannt. Die Verschiebungen im Geschlechterdiskurs, die sich innerhalb dieses Feldes vollzogen, und das jeweilige Potenzial dieses Diskurses im Hinblick auf komische Genres lassen sich beispielhaft anhand der maßgeblichen Wiener Shrew-Adaption des 19. Jahrhunderts nachvollziehen: gemeint ist "Die Widerspänstige" (Burgtheater 1838) des Nestroy-Zeitgenossen Johann Ludwig Deinhardstein, ein Stück, das seinerseits nach zwei Richtungen hin kontextualisiert werden soll - zunächst durch einen Blick auf die im deutschsprachigen Raum viel gespielten älteren Shrew-Bearbeitungen von Johann Friedrich Schink und Franz Ignaz von Holbein, dann durch Beobachtungen zu einem programmatischen Stück aus dem unmittelbaren Umfeld der "Widerspänstigen", nämlich Wilhelm Marchlands Lustspiel "Frauen-Emancipation" (Theater in der Josephstadt 1839). Der Ausgangspunkt der Überlegungen ist ein doppelter: Es wird gefragt, wie sich die aus dem erwähnten Aufeinandertreffen von Norm und Abweichung resultierende Komik zur - historisch bedingten - Disposition von Genres verhält und welche Dimensionen das Phänomen des Rollenspiels in diesem sozio-theatralen Tableau gewinnt.
Adelina Debisow stellt in ihrer Einleitunt die übergreifende These des Sammelbandes "Geschlechter-Dramen: Literarische und filmische Inszenierungen von 1800 bis heute" vor, dass die Analyse von Geschlechter-Dramen ein bemerkenswertes Potenzial aufweist, insofern die Perspektive der Reziprozität von Gattung und Geschlecht in besonderer Weise erlaubt, gesellschaftliche und künstlerische Ordnungen in ihrer Dynamik und Historizität interdisziplinär in den Blick zu nehmen. Vor diesem Hintergrund wird der Begriff des dramatising gender vorgeschlagen und entfaltet, mit dem in Absetzung und Ergänzung zu den Begriffen des doing, staging und narrating gender die Inszenierung von Geschlechter-Dramen in den unterschiedlichen Gattungen künstlerischer Ausdrucksformen bezeichnet wird. Die Beziehung der unterschiedlichen Modellierungen von Geschlechter-Dramen zu sozialhistorischen Wandlungsprozessen bildet dabei eines der zentralen Probleme, die im Folgenden diskutiert werden sollen, indem die Funktionalität der Fiktion als Spielraum von "Probehandlungen" mit der Reziprozität von Gattung und Geschlecht zusammengedacht wird. Zuvor werden die möglichen terminologischen Bedeutungshorizonte des Geschlechter-Dramas im Detail vorgestellt und somit eine erste Stoßrichtung vorgegeben.
Eine in gewisser Weise auf die Spitze getriebene visuelle Inszenierung von Geschlechter-Dramen bildet die Grundlage des Beitrags von Anda-Lisa Harmening "Mopa - Serielle und visuelle Geschlechter-Dramen in "Transparent" von Jill Soloway", dessen Gegenstand die ersten beiden Staffeln der seit 2015 erscheinenden Dramedy-Serie bilden. Visuell steht zunächst das Coming-out eines Familienvaters im Fokus, der sich seiner Familie erstmals als Frau präsentiert und somit seine Transsexualität enthüllt. Dieses Ereignis scheint im Laufe der Serie die Krisenhaftigkeit der Geschlechtsidentitäten sämtlicher Familienmitglieder freizusetzen und diese in der Serialität in unterschiedlichen Variationen zu erproben. Harmening stellt anhand der Leitbegriffe Visualität, Maskerade und Serialität in ihrer Analyse heraus, dass die konflikthaften Geschlechterkonstitutionen und -konstruktionen im privaten Bereich der Familie durchgespielt werden, gleichzeitig aber entscheidend mit der Historizität öffentlich wahrnehmbarer (Trans-)Gender-Debatten verbunden werden, die Geschlechter-Dramen also sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makro-Ebene inszeniert und vor allem dramatisiert werden.
Salina Reinhardt setzt sich mit dem Thema der krisenhaften Männlichkeit am Beispiel des seit den 1990er Jahren zum Kultroman avancierten "Fight Club" von Chuck Palahniuk auseinander. Der Konflikt des weißen, heterosexuellen Mannes konkretisiert sich in dem Protagonisten und lässt durch dessen Persönlichkeitsspaltung gegenläufige Rollenerwartungen sowie fehlende Neuentwürfe aufeinanderprallen und in einer Überkompensation eines hypermaskulinen, sich von jeder Form weiblicher Zuschreibung loslösenden Männlichkeitsentwurfs gipfeln, der in seiner Mythenhaftigkeit nicht nur thematisiert, sondern vor allem als ein in den Wahnsinn führendes Problem inszeniert wird. Den Konflikt zwischen dem Protagonisten und seiner abgespaltenen Persönlichkeit schließt Reinhardt mit dem Erzählmodus des Romans kurz, der in seiner Aufspaltung den Geschlechter-Kampf der schizophrenen Figur mit sich selbst reproduziert und diesen beinahe in einer Eigendynamik zu überhöhen scheint.
Ronja Hannebohm nimmt den im Jahr 1985 erschienen Roman "The Handmaids Tale" zur Grundlage ihres Beitrags, um die in einer Dystopie verorteten Geschlechterrelationen in den Fokus zu stellen, die auf den ersten Blick binär und in dieser Form starr erscheinen, jedoch anhand einer eingehenden Analyse relativiert werden können. In den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellt der Beitrag die Gegenüberstellung von starken, machtvollen Männern und schwachen, unterworfenen und auf ihre Gebärfähigkeit reduzierten Frauen, den sogenannten Handmaids. Diese scheinbar stabilen Verhältnisse werden - dies hebt Hannebohm bereits mit dem Titel ihres Beitrags "Geschlechter-Macht-Binarismen relativiert: Margaret Atwoods Männerdarstellungen in "The Handmaid’s Tale"" hervor - in der Erzählung durch Ambivalenzen ersetzt, die erstens, den aktuellen Forschungstendenzen folgend, anhand der Beschreibungen der Handmaids ausgemacht werden, zweitens aber auch durch die männlichen Figuren, die im Roman als in ihrer Macht enthoben dargestellt werden, nachgewiesen werden können.
Christin Harpering setzt sich in ihrem Beitrag mit der Entwicklung der Bond-Girls in den populären Kinofilmen um den von Ian Fleming erfundenen Geheimagenten James Bond auseinander. Dabei setzt sie mit Dr. No (1962) bereits bei dem ersten Film der Bond-Reihe an und geht anhand ausgewählter Beispiele zu den jüngsten Bond-Verfilmungen, um die Geschlechterkonzeption(en) der Bond-Girls in den Fokus ihrer Analyse zu stellen. Die Verfasserin geht davon aus, dass die Inszenierung der Bond-Girls in den populären Strandszenen an das rinascimentale Bild der Venus von Botticelli angelehnt sind, diese sich aber in Folge der Serialität und der damit verbundenen Weiterentwicklungen in ihren Weiblichkeitsdarstellungen transformieren. Im Zusammenhang mit der Veränderung des männlichen Helden James Bond führt Harpering den Nachweis, dass die erstarkenden Bond-Girls nicht etwa zu einer Marginalisierung der Männlichkeit Bonds führen, sondern mit den jüngeren Filmen ein hypermaskuliner Bond auf die Kino-Leinwand gebracht wird, so dass die Transformation der weiblichen Geschlechterkonzeptionen in einer Wechselwirkung mit männlichen Geschlechterkonzeptionen verstanden werden kann.
Annkatrin Buchens Beitrag mit dem Titel " Wenn es aber... bei mir anders wäre? Geschlechter-Rollen-Spiele und alternative Rollenentwürfe in Arthur Schnitzlers "Reigen"" setzt am Ehe- und Sexualitätsdiskurs an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert an. Der Hauptaugenmerk liegt auf den im Reigen inszenierten Geschlechterverhältnissen und den hierin geschaffenen Spielräumen. Die Verfasserin stellt fest, dass Schnitzler in seinem zyklisch angelegten Drama eine bemerkenswerte Beobachtung über den Umgang mit Sexualität und die damit verbundene Reziprozität männlicher und weiblicher Rollenentwürfe präsentiert. Dabei greift Schnitzler auf stereotypisierte Figuren zurück, die die moralische Repression von Sexualität mit der männlichen Dominanz respektive der weiblichen Unterlegenheit verbinden. Gleichzeitig stellt er diesen Figuren zum Teil radikale Gegenentwürfe weiblicher Frauenfiguren gegenüber und zeigt auf diese Weise die Problematisierung männlicher und weiblicher Rollenentwürfe zu einer Zeit auf, in der die explizite Thematisierung von Sexualität auf der Theaterbühne wie im Fall des Reigen zu einem öffentlichen Skandal führte.
Lukas Betzler beschäftigt sich mit der Dominanz weiblicher über männlichen Identitätsentwürfen, indem er die Gegenüberstellung von Femme fatale und Homme fragile als entscheidendes Charakteristikum der Erzählung "Der kleine Herr Friedemann" von Thomas Mann aus dem Jahr 1898 voraussetzt, die Interpretation dieses nur allzu binär wirkenden Geschlechterverhältnisses jedoch deutlich relativiert. Zu diesem Zweck schließt er diese Überlegungen mit dem Konzept der "hegemonialen Männlichkeit" kurz und kommt dabei zu dem Schluss, dass sich die im Fokus stehende Geschlechterbeziehung mit den Symptomen der Krise der Geschlechterordnung um 1900 verbinden lässt. In dem Beitrag zeigt Betzler auf, dass sich die Inszenierung der Femme fatale als Schreckensvision von Weiblichkeit an einen dezidiert männlichen Blick des Protagonisten rückbinden lässt, der durch die Unzuverlässigkeit und die ironische Distanzierung des Erzählers wiederum ambivalent erscheint.