CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Ist von Polyglossie oder Multilingualität die Rede, so kann damit Verschiedenes gemeint sein: Erstens die literarische Mehrsprachigkeit einzelner Autoren oder Kulturgemeinschaften, die in verschiedenen Sprachen kommunizieren und Texte verfassen – ohne dass ein und derselbe "Text" notwendig mehrsprachig sein muss. Dabei handelt es sich um ein traditionsreiches Phänomen: Man denke nur an das jahrhundertelange Nebeneinander von Volkssprache und Latein in mehreren europäischen Kulturen zwischen Spätantike und Früher Neuzeit, an das Französische als Konversationssprache unter Adligen und Gebildeten bis ins 19. Jahrhundert hinein, an die Konkurrenz von indigenen und offiziellen Sprachen in kolonialen Kontexten sowie an Regionen und Nationen wie die Schweiz, Belgien und Kanada, in denen bis heute mehrere Sprachen gleichberechtigt oder aber qua Trennung von Schrift- und Umgangssprache in Gebrauch sind. Zählt man auch dialektale Varianten dazu, so gibt es wohl keine monolingualen Nationen und auch keine monolingualen Nationalliteraturen. Neben solchen regionalspezifischen und sprachpolitischen Konstellationen gibt es außerdem verschiedenste individualbiographische, aus denen mehrsprachige Autoren hervorgehen, die in mehreren Sprachen schreiben und publizieren – diese Sprachen aber nicht unbedingt in einem Text vermischen.
Kremnitz nähert sich dem Thema der Mehrsprachigkeit in der Literatur aus der Sicht des Sprachwissenschaftlers und Soziologen, worauf nicht zuletzt der Untertitel des Bandes verweist. Seine Arbeitsweise der "Soziologie der Kommunikation" richtet sich gegen die von ihm konstatierte Vernachlässigung der Kommunikation in der Sprachwissenschaft und strebt eine Verknüpfung zwischen interner (d. h. formaler) und externer Sprachbetrachtung an. Gerade für die kommunikative Erscheinung der Literatur würden externe Faktoren eine bedeutende Rolle spielen, die man zumal bei der Frage nach der Mehrsprachigkeit in der Literatur bzw. der Sprachwahl von AutorInnen nicht vernachlässigen sollte. In seinem knappen Literaturüberblick, der allerdings durch eine in der Neuauflage erweiterte und aktualisierte Bibliographie ergänzt wird, stellt Kremnitz einerseits einen Mangel an systematischen Untersuchungen zum Thema fest, der auch elf Jahre nach dem ersten Erscheinen seines Buches noch zu registrierensei. – Es überwögen Fallstudien zu einzelnen AutorInnen, die zudem meist rein literaturwissenschaftlich argumentierten und die Erkenntnisse der Sprachwissenschaft nicht berücksichtigten. Diesen Lücken in der Forschung setzt Kremnitz sein Buch entgegen, in dem er einerseits das Terrain von Mehrsprachigkeit in der Literatur mit einigen grundlegenden theoretischen Überlegungen abstecken möchte und andererseits sprachwissenschaftliche Erkenntnisse mit zahlreichen Autorenbeispielen (und damit literaturhistorischen Hinweisen) zusammenführt. Im Zentrum des Interesses stehen die Frage nach den Kriterien für die Sprachwahl von mehrsprachigen AutorInnen sowie der Versuch, aus den konkreten Aussagen einzelner AutorInnen zu verstehen, welche Bedeutung sie der Sprachwahl zumessen. In diesem Sinne ist das Buch auch strukturiert: Die Kapitel eins, drei und vier beschäftigen sich mit grundlegenden, theoretischen Fragen, während die Kapitel zwei, fünf und sechs historisch angelegt sind und Beispiele verhandeln.
This article analyses processes of collective and individual identity formation in European travel writing from the late eighteenth and the middle of the nineteenth century and argues that these processes are based not least on the national stereotypes described and performed in the texts. I explore how the genre-specific stylistic elements of multilingualism and intertextuality inform the performance of auto- and hetero-images and in doing so suggest converging travel writing studies and imagological studies. To illustrate my thesis, I analyse travelogues by Charles Dickens and Karl Philipp Moritz.
Werke der Konkreten Dichtung schaffen es – so eine in der Forschung verbreitete Annahme –, durch die Dekonstruktion des konventionellen Sprachsystems mehrere Sprachen in sich zu vereinen und dabei übersprachlich oder interlingual verständlich zu sein. Diese These wird anhand von ausgesuchten internationalen Beispielen und unter Berücksichtigung der Theorie der Konkretisten nachvollzogen und überprüft. Es zeigt sich, dass der utopische Anspruch zwar nicht vollständig erfüllt wird, die Konkrete Dichtung aber durch geschickte Verwendung intermedialer und semiotischer Prozesse die Beschränkungen der Standardsprache teilweise überschreiten kann und eine eigene polyglotte Ästhetik entwickelt.
"Vielfältige Konzepte - Konzepte der Vielfalt: Interkulturalität(en) weltweit". Internationale Tagung der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik e.V. (GiG) in Ústí nad Labem und Prag, 04.-09. Oktober 2016
Vom 4. bis 9. Oktober 2016 fand in Ústí nad Labem und in Prag die Jahrestagung der GiG in Zusammenarbeit mit dem Tschechischen Germanistenverband unter der Schirmherrschaft des Kulturministers der Tschechischen Republik Mgr. Daniel Herman, des Regionspräsidenten von Ústí nad Labem Herrn Oldřich Bubeníček, des Rektors der J. E. Purkyně-Universität in Ústí nad Labem doc. RNDr. Martin Balej, Ph.D., der Oberbürgermeisterin der Stadt Ústí nad Labem Frau Ing. Věra Nechybová und der Stadträtin der Hauptstadt Prag Ing. Irena Ropková statt. Die wissenschaftliche Leitung hatten Dr. habil. Renata Cornejo (Ústí nad Labem), Prof. Dr. Manfred Weinberg (Prag) und Prof. Dr. Gesine Lenore Schiewer (Bayreuth) inne.
Der Beitrag untersucht die verschiedenen Funktionen literarischer Mehrsprachigkeit in Francesco Colonnas "Hypnerotomachia Poliphili" (1499) und François Rabelais' "Pantagruel" (1532) und "Gargantua" (1535), die auf Colonna zurückgreifen. Er unterscheidet die Wirkungen der Sprachmischung (im Sinne einer Hybridisierung der Sprache, in der erzählt wird) von den Wirkungen, welche die Polyglossie (im Sinne der Pluralität der in einem Werk verwendeten Sprachen) hervorbringt. Daraus ergeben sich auf der Ebene der Narration wie auf der von Syntax und Lexikon unterschiedliche Ästhetiken, die, indem sie den Autor in der von ihm verwendeten artifiziellen Sprache zum Verschwinden bringen, im Diskurs des Textes die Stimme des Anderen hörbar machen.
Der Aufsatz analysiert die 1867 herausgegebene Schrift "Austria Polyglotta" von Jan Evangelista Purkyně. Der aus Böhmen stammende Gelehrte beschäftigt sich anhand wissenschaftlich gesammelter Daten und mit Hilfe wissenschaftlicher Methodik mit der heute aktuellen Frage, wie das "Miteinander-Leben" in einer multilingualen Gesellschaft gestaltet werden kann, so dass sie durch den Druck der schon etablierten Sprach-Nationalismen nicht auseinanderbricht. Dabei verliert er aber auch das andere damit zusammenhängende Problem nicht aus den Augen: Wie wird dabei gegen die Nivellierung bzw. den Verlust von "nationalen Besonderheiten" gesteuert. Wie wird also eine nationale Identität in einem übergeordneten multikulturellen politischen Gebilde gewahrt? Der zentrale Schlüsselbegriff der Studie, wie schon der Titel verrät, ist die Sprachenproblematik und die damit verbundenen Fragen des Spracherwerbs. Die aus eigener Erfahrung resultierenden Ansichten Purkyněs können gerade heute anregend wirken.
Die Studie skizziert ein mobiles Sinnbildfeld zentraler Figuren und Konzepte weltliterarischer Mehrsprachigkeit, einschließlich der wechselseitigen Beziehungen, die sich zwischen den Figuren einerseits und zwischen Figuren und Konzepten anderseits entwickeln. Ein bildbegriffliches Feld mit den Konturen einer fluiden 'imago mundi'. Zunächst werden archaische Sprachgottheiten und Sprachmythen verschiedenster Kulturkreise im Dialog und Konflikt miteinander als prototypische Figuren von Viel-, Ein- und Allsprachigkeit vorgestellt. Dann wird deren weltliche und literarische Rekonfigurierung an der Schnittstelle zwischen Antike und Moderne aufgezeigt. Eine bedeutsame Konfiguration bilden die urbanen und die kosmischen Figuren des Babelturms und des Sprachenbaums samt dessen rhizomatischem Widerpart; außerdem die Figuren der kosmischen und der nautischen Meer- und Mehrsprachigkeit. Abschließend werden interlinguale Sprachfiguren 'in actu' vorgeführt, auf dem Weg zu einem globoglotten Interlekt.
Der Beitrag untersucht Dantes Verhältnis zur Mehrsprachigkeit, indem er die in "De vulgari eloquentia" enthaltenen Reflexionen bezüglich des Gegensatzes zwischen Volkssprache und gramatica und bezüglich der Suche nach einer italienischen Literatursprache (volgare illustre) nachzeichnet. Obwohl Dante in "De vulgari eloquentia" die Volkssprache höher bewertet als die "gramatica", weil sie im Gegensatz zu dieser natürlich sei und allen Menschen zur Verfügung stehe, dient ihm die "gramatica" aufgrund ihrer Stabilität als Vorbild für die erst noch zu schaffende, allgemein verbindliche und zeitüberdauernde Volkssprache als Literatursprache. Nach seiner Vorstellung ist das "volgare illustre" eine Quintessenz aller italienischen Varietäten und somit im Prinzip schon ein mehrsprachiges Instrument. Die Sprache der Divina Commedia ist geprägt durch eine konstitutive Mehrsprachigkeit, welche sich einerseits aus den verschiedenen Varietäten des Italienischen speist und andererseits aus den anderen Dante verfügbaren Sprachen, insbesondere dem Lateinischen, dem Okzitanischen und dem Altfranzösischen. Im Gegensatz zu der bis dahin in mehrsprachigen literarischen Texten üblichen Abgrenzung der Sprachen kommt es bei Dante zu einer Verschmelzung der Sprachen, welche vor allem auf der von ihm geschaffenen Form der Terzine beruht.
Trojanows Roman über den britischen Kolonialoffizier Richard F. Burton wurde als Beispiel einer neuen deutschen Literatur gefeiert, die endlich "Vielstimmigkeit" zu ihrem Programm erhoben habe. In diesem Beitrag wird der spezifische Einsatz von Polyglossie im "Weltensammler" untersucht. Dabei interessiert im (post-)kolonialen Kontext, in dem der Roman verortet wird, ob man tatsächlich von einer "Poethik [!] der Mehrsprachigkeit" (Schmitz-Emans) ausgehen kann, oder ob die "fremden Stimmen" der "Subalternen", die der Roman hören lässt, nur ein weiteres Mal exotische Fremdheit vorführen.