CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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In den zahllosen Untersuchungen zu Benjamins Gedächtnis und Geschichtskonzeption spielt das 'Nachleben' nur eine untergeordnete Rolle; wo es eigens in den Blick genommen wird, wird es durch andere Konzepte wie 'Zitat' oder 'Erbe' perspektiviert; insbesondere wird das naheliegende Verhältnis des 'Nachlebens' zum 'Leben' nur am Rande berührt, obwohl die Rede vom "Leben und Fortleben der Kunstwerke" gerade diesen Zusammenhang zu betonen scheint. Wenn man aber diese Beziehung außer Acht lässt, erscheint 'Nachleben' fast notwendig als relativ beliebige Metapher, die man dann selbst wiederum schmückend zitieren kann, ohne die sie eigentlich fundierende Problematik nachzuvollziehen. Dabei lässt sich gerade am Schritt vom 'Leben' zum 'Nachleben' nicht nur zeigen, auf welche zeitgenössischen Diskurse Benjamin Bezug nimmt und wie er mit ihnen umgeht; dieser Schritt macht auch zuallererst erkennbar, worin die eigentliche Prägnanz der Benjamin'schen Rede vom 'Nachleben' besteht und welchen Status sie hat: Es handelt sich weder um einen Terminus noch um einen beliebigen Ausdruck, sondern um eine 'Denkfigur', die auf rhetorischen Operationen wie der erwähnten Verschiebung und deren präzisem Vollzug in Benjamins Texten beruht. Im Folgenden soll daher zunächst (1) an einem konkreten Einzelfall die zeitgenössische Bedeutung von 'Nachleben' und (2) der diskursive Hintergrund der 'Lebensphilosophie' umrissen werden, dann (3) die Bedeutung des 'Lebens' im Übersetzeraufsatz untersucht werden, um darauf aufbauend (4) die argumentative Verschiebung vom 'Leben' zum 'Überleben' nachzuzeichnen sowie (5) die religiöse Dimension des 'Nachlebens' und (6) die von ihm implizierte zugrundliegende Zeitlichkeit zu erörtern.
Wer nach positiven Bestimmungen der Desorientierung sucht, wird bei Benjamin schnell fündig. So ist der Flaneur, eine zentrale Figur im Passagen-Projekt, nicht zu denken, ohne die Fähigkeit, sich zu desorientieren. Beim Flanieren wird die Stadt erkundet, ohne den jeweils eigenen Standort genau bestimmen zu können (vgl. z. B. GS V, 524 f. u. 1052 f.). Die Probleme, die mit Benjamins "Irrkünsten" (GS VI, 469) einhergehen, werden von ihm kaum expliziert, sondern zeigen sich lediglich in der Praxis. Am Beispiel einer Handschrift der Vorrede zum Trauerspielbuch lässt sich nachzeichnen, wie Benjamin trotz des emphatischen Plädoyers für eine "Kunst des Absetzens" (GS I, 212, 931) die Desorientierung beim Schreiben als Problem ausmacht, das praktische Lösungsmöglichkeiten erfordert.