CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Eines der größten Probleme, das sich im Umgang mit und in der Betrachtung von Katastrophen ergibt, ist die Tatsache, dass man auf sie im Grunde nur 'ex post' oder in mehr oder weniger genau berechenbaren Wahrscheinlichkeiten zugreifen kann. Trotz umfangreicher Untersuchungen zu den psychologischen, emotionalen und sozialen Auswirkungen von Katastrophen bleibt der akute Katastrophenfall unverfügbar. Fiktionale Darstellungen können hier Funktionen erfüllen, die weit über den ohne Frage unterhaltenden Charakter der Darstellung oder einen erzieherisch-informativen Effekt hinausgehen. Die Katastrophenfiktionen fallen dabei ebenso vielgestaltig aus wie die Textformen, die sie zum Gegenstand ihrer Darstellung machen: ob es nun literarische Texte oder Filme sind, ob Roman, Gedicht oder Hollywood- Blockbuster: gerade in fiktionalen Verhandlungen des Katastrophalen fällt auf, dass katastrophische Ereignisse nicht per se solche sind, sondern zunächst diskursiv als solche bezeichnet werden müssen. Ganz gleich, ob sich Fiktionen nun auf tatsächliche Katastrophen oder auf imaginierte Ereignisse beziehen, ermöglichen sie dennoch immer eine Reflexion der epistemologischen Bedingungen des verstehenden Zugriffs auf den Ausnahmezustand und die Konfrontation mit dem 'Realen'. Viele der hier versammelten Beiträge zeigen die Bandbreite der fiktionalen Inszenierungen von Katastrophen und untersuchen ihr Potential, die hier skizzierten Problemfelder zu reflektieren. Andere Beiträge beschäftigen sich gezielt mit solchen Texten, die nicht automatisch zu den fiktionalen Gattungen gezählt werden können, aber wiederum einen diskurskritischen Blick auf die Art und Weise lenken, wie das Katastrophale und das Reale gedacht und interpretiert werden – eine solche Reflexion kann in philosophischen sowie kultur- und medientheoretischen Texten, aber auch in essayistischen Berichten oder Textexperimenten zu tatsächlichen Katastrophen geschehen.
Genese und Genealogie : zur Bedeutung und Funktion des Ursprungs in der Ordnung der Genealogie
(2012)
"Genealogia" hieß auf Griechisch die Erzählung von der Geburt der Götter und der von ihnen erschaffenen Welt. Der griechische Kosmos, war eine genealogische Konstruktion, die ursprungsmythischem Denken ebenso entsprang, wie sie es abbildete. Als Urform des Weltverstehens hat die Genealogie Jahrhunderte lang die Ordnung der Dinge in der vormodernen Welt bestimmt.
Das vorliegende Buch erschließt das genealogische Denken vom Mythos des Ursprungs her. Protogonos - der "Erstgeborene" der orphischen Kosmogonie - ist ein urgöttliches Wesen, das in sich die Keime aller Seienden enthält, und immer wieder ist das Ursprüngliche ein paradigmatische Vorgänger, der die Zukunft weist und vorbestimmt. Am Ursprung durch die Genealogie verankert schufen die Menschen ihre ersten Gemeinschaften, die sich im Laufe der Geschichte bis zu den modernen Nationalstaaten entwickelten. Dabei scheint die Blutsverwandtschaften eine zweitrangige Rolle zu spielen, aber auch in der Zeit der Moderne ist die Menschheit nicht nur einmal in die "ursprungsmythische Geisteslage" vom "Blut und Boden" verfallen. 1933 schrieb Paul Tillich: "Der Ursprung enthält in sich das Gesetz des Kreislaufs: Was von ihm kommt, muss zu ihm zurück. Wo der Ursprung herrscht, kann es das Neue nicht geben. Die Herrschaft des Woher macht die Ernsthaftigkeit des Wozu unmöglich."
Das folgende Transkript zweier Vorträge zum Thema der Ernährung mit anschließender Diskussion stammt aus einer Werkstattreihe am ZfL, die anlässlich dem sich konstituierenden Forschungszweig einer biomedizinischen Epigenetik programmatisch nach der Integration "kultureller Faktoren der Vererbung" in molekularbiologische Forschung fragt. Mit der Werkstattreihe sind zwei Anliegen verbunden: Erstens sollen die Veranstaltungen eine Plattform bilden, auf der die epistemischen, methodischen und kulturgeschichtlichen Voraussetzungen der aktuellen Inkorporierung kultureller Faktoren in die Biologie der Vererbung interdisziplinär diskutiert werden können. Wenngleich die heute messbaren, transgenerationalen Effekte solcher Einschreibungen bislang nur spekulativ sind: Offenbar sind biologische Vererbungsvorgänge angemessen nur zu erklären, wenn in deren Erforschung auch nicht-genetische, gleichwohl stabile und wiederholte Übertragungsprozesse entlang beispielsweise ethologischer, psychologischer, ökologischer und im weiteren Sinne soziokultureller Linien einbezogen werden. In dieser Hinsicht haben die Biowissenschaften tatsächlich - und programmatisch - damit begonnen, ein weit über die Biologie hinausweisendes, breites epistemisches Terrain mit den ihr eigenen methodischen Mitteln und Erklärungsmodellen zu erschließen. Daraus folgt zweitens, dass von kulturwissenschaftlicher Warte aus gerade auch die Methoden zu diskutieren sind, mittels derer epigenetische Forschung sich gegenwärtig kulturellen Phänomenbereichen nähert. Denn dieses biowissenschaftliche Neuland ist nicht unbesiedelt. Prozesse der Weitergabe von erbrelevanten Informationen zwischen Eltern und Kindern, der Interaktion zwischen auf unterschiedlichen Ebenen situierten Erbinformationen von Lebewesen und ihrer Umwelt, Prozesse der Tradierung von Lebensformen standen und stehen heute im Suchfeld unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen: von Armuts- über Bildungs-, Ernährungs- und Traumaforschung bis hin zu den Geschichts-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Aus den resultierenden Überlagerungen dieser wissenschaftlichen Zugänge folgt eine Reihe von unterschiedlichen methodischen, und epistemologischen, aber auch ethischen und handlungspraktischen Herausforderungen. Nicht nur müssen sich die Biowissenschaften in ihrem Versuch, Vererbung um 'kulturelle Faktoren' zu bereichern, am zeitgenössischen Verständnis von Kultur und Gesellschaft messen. Auch die den Geistes- und Sozialwissenschaften eigenen Antworten auf Fragen von Überlieferung, Übertragung und Vererbung sind erneut zu besichtigen.
Die Schlagworte "Balkanisierung" und "Zweites Beirut" stehen für auch untereinander austauschbare (Kriegs-)Schauplätze, die sich wie Jugoslawien und Libanon als Konglomerate von vielfältig definierten Zugehörigkeiten lesen lassen und die ihre Fortsetzung in mittlerweile intensiven und nicht selten künstlerischen Versuchen, die fragmentierten Kulturen zu konsolidieren, gefunden hat. Der vorliegende Band geht an Beispielen aus Literatur, Film, performativen Künsten und Musik gegenwärtigen (post-)jugoslawischen und libanesischen Zugehörigkeitsschreibungen und deren gleichzeitiger Infragestellung nach. Dabei richtet sich das Augenmerk ebenso auf neu und wieder entdeckte gemeinsame Bezugsgrößen wie das Osmanische Reich und den Kommunismus wie auch auf geteilte Möglichkeiten der Intervention, die über topographische, politische bis hin zu performativen Einsprüchen reichen.
Zwischen 1700 und 1850 erfährt der Begriff des Ausdrucks in Kunst und Wissenschaft eine deutliche Aufwertung und Verbreitung. Die damit einhergehenden praktischen und diskursiven Veränderungen unterschiedlicher Ausdruckskulturen erforscht der vorliegende Band in Form eines interdisziplinären Dialogs.
Ausdrucksphänomene werden dabei als Figuren des Wissens verstanden, zum einen als Darstellungsweisen des Schauspielers, Musikers, Malers, Rhetors oder Wissenschaftlers. Zum anderen als Denkfiguren, die das grundlegende Verhältnis von Affekt und Ausdruck, etwa die Probleme der künstlerischen Gestaltung in Malerei und Schauspiel oder die Systematisierungen der Rede durch die Rhetorik kulturwissenschaftlich erschließen. Erst durch eine Analyse seiner Formierungsprozesse wird die Erfolgsgeschichte des Ausdrucksbegriffs nachvollziehbar.
Dieser Band führt das Modell der 'Sakramentalen Repräsentation' ein als Werkzeug zur Beschreibung und Untersuchung frühneuzeitlicher Phänomene der Übertragung von sakramentalen Geltungs- und Bedeutungsmustern auf allgemeine kulturelle Phänomene. 'Sakramentale Repräsentation' meint dabei weder die Repräsentation sakramentaler Rituale oder Gegenstände, noch impliziert sie eine bestimmte Definition des Sakraments, etwa in Absetzung von 'sakramentaler Präsenz'. Vielmehr fragen wir, wie in Repräsentationen, Bedeutungsstiftungen und Deutungen der Vormoderne sakramentale Muster herangezogen werden, um einer Sache Geltung, Legitimation, Durchsetzungskraft oder auch so etwas wie poetische oder bildliche Wirksamkeit zu verschaffen.