CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Sprachen, Epochen und Gattungen stellt die Literaturwissenschaften immer wieder vor die Frage, wie sie diese Entwicklung mitgestalten und zu ihrem Vorteil nutzen können. Dabei ist digital nicht gleich digital, sondern es existiert eine Vielzahl sehr unterschiedlicher, digitaler Repräsentationsformen von Text. Nur wenige dieser Repräsentationsformen werden literaturwissenschaftlichen Anforderungen tatsächlich gerecht, darunter diejenige, die den Richtlinien der Text Encoding Initiative folgt. Der vorliegende Beitrag vergleicht zunächst einige derzeit gängige digitale Repräsentationsformen von Text. Für literaturwissenschaftliche Forschung besonders geeignet erweist sich hierbei eine Repräsentationsform, die den Richtlinien der Text Encoding Initiative folgt. Daher informiert der Beitrag anschließend über deren Nutzen für die literaturwissenschaftliche Arbeit, sowohl im Bereich der wissenschaftlichen Textedition als auch im Bereich der Analyse und Interpretation von Texten. Nur wenn die Literaturwissenschaften in ihrer Breite den Nutzen von offenen, expressiven, flexiblen und standardisierten, langfristig nutzbaren Formaten für die Forschung erkennen, können sie sich mit dem erforderlichen Nachdruck für deren Verbreitung einsetzen und durch die zunehmende Verfügbarkeit von Texten in solchen Formaten für die eigene Forschung und Lehre davon profitieren.
Der Artikel stellt aktuelle stilometrische Studien im Delta-Kontext vor. Diskutiert wird, warum die Verwendung des Kosinus-Abstands zu einer Verbesserung der Erfolgsquote führt; durch Experimente zur Vektornormalisierung gelingt es, die Funktionsweise von Delta besser zu verstehen. Anhand von mittelhochdeutschen Texten wird gezeigt, dass auch metrische Eigenschaften zur Autorschaftsattribution eingesetzt werden können. Zudem wird untersucht, inwieweit die mittelalterliche, nicht-normierte Schreibung die Erfolgsquote von Delta beeinflusst. Am Beispiel von arabisch-lateinischen Übersetzungen wird geprüft, inwieweit eine selektive Merkmalseliminierung dazu beitragen kann, das Übersetzersignal vom Genresignal zu isolieren.
Ebenen : eine Skizze
(2001)
Ohne dass es tatsächlich notwendig wäre, kann die Frage gestellt werden, warum man es macht: Warum man wissenschaftlich tut – schreibt, spricht, arbeitet. Keine oder nicht nur Romane, Gedichte oder Theaterstücke schreibt, Berichte, Kritiken, feuilletonistische Essays verfasst. Nicht oder nicht nur moderiert, unterhält, Witze erzählt, lügt und verkauft. Nicht oder nicht nur einer geregelten Arbeit nachgeht mit geregelten Arbeitszeiten. Mit klaren Grenzen zwischen Arbeits- und Frei-Zeit. Warum man es sich antut, die gesamte Zeit damit zu verbringen, auch wenn man einen Großteil dieser Zeit nichts oder etwas anderes tut, wenn ein großer Teil dieser Zeit immer wieder, im Sinne eines nachweisbaren oder vorzeigbaren Ergebnisses, ergebnislos vergeht. Warum man mitunter am intensivsten daran arbeitet, die wesentliche Kontinuität des wissenschaftlichen Lebens als jene des Nichts-Tuns zu begreifen, mit dem Nicht-Tun-Können oder -Wollen zurecht zu kommen. Mit der fixen Idee, man sei damit allein, die Ausnahme der Regel, die uns im Kantschen Ideal vom metronomisch Arbeitenden als Vorbild vorgegeben ist. Nie, als impliziter Aspekt des kontinuierlichen Nichts-Tuns, werden die Dinge ohne Gewaltakt fertig. Was nicht heißt, dass es sie nicht gäbe, die Pünktlichen, Korrekten, Disziplinierten, die immer schon (vorzeitig) Fertigen.
Die postmoderne Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben und die daraus resultierende Frage, wieviel Wirklichkeit ein Roman verträgt, wird verstärkt von den Gerichten beurteilt und nicht von Literaturwissenschaftlern und Kritikern. Das in der Praxis schon übliche Gegenlesen von Manuskripten durch die Verlagsjustitiare auf die potentielle Verletzung Rechte Dritter birgt in sich die Gefahr einer ›Vorzensur‹. Die zunehmende Verrechtlichung und die damit einhergehende Regulierung ist eine bedenkliche Entwicklung, die schleichend zu einer Unterwanderung der Kunstfreiheit führen könnte. Besonders dringlich erscheint eine zunehmende Beteiligung von Literaturwissenschaftlern an dem Diskurs. Ein Ringen im Einzelfall scheint aus Mangel an generellen Lösungen und Definitionen, in literaturwissenschaftlicher sowie juristischer Hinsicht, auch in Zukunft unumgänglich zu sein.
[...] Kaum ein anderer zeitgenössischer Künstler verkörpert die Leidenschaftskomponente des französischen Wagnerismus mit ihrer Verquickung von Ablehnung und Bewunderung, von partieller Unwissenheit und tiefer geistiger Verbundenheit besser als Stéphane Mallarmé. […] [S]ein Wagner-Tableau scheint symptomatisch einerseits für die Übertragungsmechanismen jener elektrisierenden künstlerischen Substanz aus Deutschland und andererseits für die Modalitäten ihrer Integration in eine ihr fremde intellektuelle Landschaft. Aus diesem Grunde ist es auch nur schwer nachvollziehbar, dass bis heute die Beziehung des französischen Dichters zum Parsifal-Komponisten den weniger bekannten Seiten der Geschichte des Wagnerismus in Frankreich zuzurechnen ist. Die „Rêverie d’un poète français“ und die „Hommage à Wagner“ haben sich in der Wagner-Forschung nie jener Beliebtheit erfreut, die ein Thomas Mann oder […] Baudelaire, in den letzten Jahrzehnten genossen haben. Die hermetische Dignität der Texte Mallarmés mag hierfür sicherlich eine Erklärung sein. Dennoch wäre es bedauerlich, Mallarmé nur einigen wenigen Lyrik-Spezialisten zu überlassen, die sich oft damit begnügen müssen, die Missverständnisse des Dichters zu perpetuieren, ohne dabei nach tieferen Zusammenhängen suchen zu können, deren Bedeutung jedoch, gerade im Hinblick auf die unterschiedlich gearteten intellektuellen und kulturellen Kontexte beider Künstler, besonders aufschlussreich sein könnten. Dementsprechend soll im weiteren Verlauf versucht werden, den »gravierenden Konflikt« (Philippe Lacoue-Labarthe) zwischen Wagner und Mallarmé neu zu deuten und besonders den ästhetischen Standpunkt des Komponisten zur Geltung kommen zu lassen. Hierdurch kann schließlich vermieden werden, dass, wie so oft, die Auseinandersetzung des französischen Dichters mit der Kunst Richard Wagners zur Philippika gegen die Anmaßungen des deutschen Gesamtkünstlers umfunktioniert wird.
Im Mittelalter war der Begriff der Nation zwar schon klar umrissen, aber die Nation in unserem Sinne gab es nicht. Das Wort ›Nation‹ ist entlehnt aus dem Lateinischen nâtio (-ônis), einer Ableitung von nâscî (nâtus sum), geboren werden, das mit dem lateinischen genus‚ Geschlecht, Art, Gattung verwandt ist. Das Wort bezeichnet seiner Etymologie nach eine Gemeinschaft von Menschen derselben Herkunft, die durch gemeinsame Abstammung verbunden sind; dann anschließend eine Gemeinschaft von Menschen gleicher Kultur, Sprache. Demgemäß bezeichnete lat. natio schon in der Antike und noch lange im Mittelalter die Abstammung oder den Herkunftsort einer Person und zwar in Bezug auf politisch nicht organisierte Bevölkerungen. Anfangs bezeichnete also die Nation die Herkunft einer Gruppe von ausgewanderten Menschen, die sich mit der Bevölkerung vermengte, in die sie sich eingliederte. So wurde das Wort besonders gebraucht, um die Herkunft der Studenten einer Universität zu bezeichnen: es ist die Rede von ›Universitätsnationen‹, wobei »mit diesem Wort […] ursprünglich eher Himmelsrichtungen als Nationen im späteren Sinne gemeint«
waren. Es entstand in Paris die Einteilung in vier Nationen: Gallikaner oder Gallier, zu denen auch Italiener, Spanier, Griechen und Morgenländer zählten, Picarden, Normannen und Engländer, die auch die Deutschen und weitere Nord- und Mitteleuropäer beinhalteten. […] Es gab an der 1348 gegründeten Universität Prag ebenfalls vier gleichberechtigte ›Nationen‹, in die sich die einzelnen Studenten organisierten. Die polnische Nation umfasste die Studenten aus Preußen, Schlesien oder aus einer polnischen Stadt mit deutscher Bevölkerung, d. h. aus dem gesamten östlichen Raum; zur böhmischen Nation gehörten die Böhmen, die Tschechen, die Ungarn und die Südslaven, zur bayerischen Nation die Schwaben, die Bayern, die Franken, die Hessen, die Rheinländer und die Westfalen, zur sächsischen Nation die Norddeutschen, die Dänen, die Schweden und die Finnen. So hatte der mittelalterliche Nationbegriff nichts zu tun mit dem modernen, seit der Französischen Revolution in den Vordergrund getretenen, und noch weniger mit dem Nationalismus.
Von den Evidenzen der Kunst
(2008)
Vom Enden der Kunst heute spreche ich unvermeidlich im Anschluss an Dieter Henrich. In seinem Zugriff schlägt das Fragen nach dem Enden von Kunst und Subjektivität in hochreflexiver Weise selbstwiderlegend aus. Henrich bindet die Kunst an das Subjekt. Damit entsteht sie in einer Dynamik zwischen beschränkter, endlicher Suche und der Möglichkeit des Erfahrbarmachens eines kleinen oder, logisch und erfahrungsmäßig, auch unverhältnismäßig großen Abschnitts des unendlichen Unausgeschöpften. Subjektivität bestätigt Henrich als Modus des (endlichen) Lebensvollzugs, der ›in einem Wissen von sich selbst steht‹ und dessen ›Aktionen unter der Voraussetzung eines solchen Wissens von sich‹ organisiert sind. Der Grund des Selbstbewusstseins bleibt jedoch dunkel und das Subjekt somit der Selbstdeutung bedürftig. Als ein Modus der Selbstverständigung mit bestimmten Eigenschaften wird die Kunst verankert.
Der mythische-sakrale Bericht scheint dazu bestimmt zu sein, eine Verkörperung zu finden, die der zu Grunde liegenden Vorstellung eine größere Anziehungskraft verleiht, wobei beides, Verkörperung und Vorstellung, nur eng miteinander verbunden ihre religiöse Wirkung erlangen können. Das sehen wir am Beispiel einer Pilgerfahrt, bei welcher die Pilger danach streben, ihrem ›Heiligen Objekt‹ körperlich wie geistig näher zu sein. [...] Unter dem ›Rätsel der Mythologie‹, sofern davon die Rede sein kann, würden wir eine Art Bewegung der Mythologie verstehen, die darin besteht, die sakralen Werte für bestimmte Institutionen wie Religion oder Politik festzulegen und ebenso in einer zweiten Phase ihrer Selbstbewegung die eigene ›Identität‹ als Mythologie aufzugeben und unter anderen ›Gestalten‹ in Erscheinung zu treten: Sie heißt ab jetzt nicht mehr ›Mythologie‹, sondern ›heilige Geschichte‹ oder ›nationale Identität‹.
Wenn es Aufgabe der Literaturwissenschaft ist zu erforschen, „in welchem Maße Literaturen an den Kämpfen um kulturelle Hegemonie beteiligt sind“ (Kirsch), so gilt das besonders für historische Romane, die nationale oder regionale Geschichte rekonstruieren. Solche Romane schreiben entweder die Opposition von Siegern und Besiegten fest oder stellen Geschichte als shared history der beteiligten Akteure dar. Auch innerhalb Europas gibt es Kultur- und Sprachräume, die die letzten Jahrhunderte im Status kolonialer Abhängigkeit verbracht haben und über diese langen Zeiträume hinweg kulturellen Hybridisierungsprozessen ausgesetzt waren. Eine solche Erfahrung hat die Mittelmeerinsel Sardinien zutiefst geprägt; Sardinien ist „eine der ältesten und dauerhaftesten Kolonien der Welt“ (Day). Die heutige sardische Literatur trägt daher alle Züge einer postkolonialen Literatur. Sie präsentiert sich als kulturelles und sprachliches patchwork, als individuelle und kollektive Suche nach dem, was sardische Identität nach dem Durchgang durch den Kolonisationsprozeß ist und sein kann, als Basteln einer imagined community im Zeitalter von Massentourismus und Globalisierung. Mit Sergio Atzeni ist ein Autor angesprochen, der es bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1995 als seine Aufgabe angesehen hat, Sardiniens Geschichte(n) Schriftform zu geben.