CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Intersektionalität hält als Forschungsgegenstand, als Schauplatz theoretischer Diskussion und als Analyseperspektive seit Jahren verstärkt Einzug in unterschiedliche akademische Disziplinen und Bereiche. Es verwundert daher nicht, dass sich das Intersektionalitätsparadigma auch im Bereich der Literaturwissenschaft und -didaktiken zunehmend als produktiv erweist, wie wir mit dem Sammelband zeigen wollen, der intersektionale literaturwissenschaftliche und -didaktische Fallstudien aus unterschiedlichen Philologien versammelt und so ein Prisma der Erforschung literarischer Repräsentationen des Zusammenspiels von einander verschärfenden bzw. abschwächenden Diskriminierungskategorien bietet. Inwiefern die Einzelbeiträge kritische Reflexionen verschiedener Positionen der Intersektionalitätsforschung präsentieren und Beispiele für die vielfältige Ausgestaltung intersektional orientierter Textanalyse auf theoretischer und methodischer Ebene anbieten sowie didaktische Lesarten des Intersektionalitätsparadigmas aufzeigen, machen wir aufbauend auf einer ausführlichen Begriffs- und Theoriereflexion einleitend deutlich.
Der Artikel zeichnet im Anschluss an eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Erzähltheorie an Olivia Wenzels Roman "1000 Serpentinen Angst" (2020) die im Text entworfenen Familienbeziehungen nach. Fokussiert wird, wie die Erzählerin sich über das Erzählen selbst mit ihrer eigenen intersektionalen Identität als Schwarze ostdeutsche queere Frau auseinandersetzt. In Rückgriff auf zentrale Forschungsbeiträge zum Konnex von Gender, Erinnerungsstrukturen und Erzähltextanalyse wird erstens gezeigt, dass durch die Erzähltechnik Situationen und gesellschaftliche Herausforderungen wie z.B. auch die staatlich-systematischen Ungleichheitsbehandlungen im Falle von Personenüberwachung akzentuiert werden, mit denen die Frau konfrontiert wird. Wenzels Erzählweise lässt sich als serpentinenartiges Erzählverfahren beschreiben, das in Erzählschlaufen und über narrative Umwege funktioniert. So wird gerade durch die Darstellungsweise des Romans deutlich, welche Schwierigkeiten in der persönlichen wie kulturellen Verortung der Figur liegen. Der Text wird zweitens als Erinnerungs- und Familienroman gelesen. Die intersektionale Identität der Erzählerin lässt sich dabei über die verschiedenen Lebensgeschichten ihrer Familienangehörigen, und besonders in der Abgrenzung von diesen, wie auch über ihre eigene Schwangerschaft rekonstruieren. Es zeigen sich übergenerationale und sich gegenseitig bedingende Faktoren für Ausgrenzungen und Stigmatisierung, welche Interdependenzen zwischen Geschlecht, Körperlichkeit, Öffentlichkeit, Identität und nationaler Zugehörigkeit offenlegen.
Das Konzept der Intersektionalität hat sich in den letzten Jahrzehnten in den Geistes-, Sozial- und Lebenswissenschaften als überaus einflussreich erwiesen. Auch in der Literaturwissenschaft gewinnen Intersektionalitätstheorien zunehmend an Bedeutung. Der Beitrag geht von dieser Entwicklung aus und fragt zunächst allgemein danach, wie sich das Konzept für literaturwissenschaftliche Methoden und Fragestellungen fruchtbar machen lässt, in denen die Beschäftigung mit Intersektionalität über ein Verständnis dieser als reine Identitätstheorie hinausgeht. Die Analyse von Bernardine Evaristos preisgekröntem Roman "Girl, Woman, Other" (2019) führt anschließend vor, wie Identitätsfragen aus intersektionaler Perspektive nicht nur Interdependenzen der Ungleichheiten zwischen Figuren in den Blick nehmen, sondern auch die systemischen Grundlagen dieser Ungleichheiten sowie deren Einbindung in eine hegemoniale Kulturindustrie. Mit seiner Thematisierung von Intersektionalität als Thema auf mehreren Ebenen dient der Roman als Beispiel, wie das Konzept als Theorie und Methode die Literaturanalyse bereichern kann, und umgekehrt, welche Impulse sich aus der Beschäftigung mit Literatur und narratologischen Analysekategorien wie Perspektive und Perspektivenstruktur auch für die Intersektionalitätsforschung gewinnen lassen.
Erzählte Welten als soziale Wirklichkeiten denken: Dieser Beitrag skizziert ein Modell zur Untersuchung von Intersektionalität in multiperspektivisch erzählten Texten. Multiperspektivität wird als Erzählform stark gemacht, die in der Lage ist, die Machtverhältnisse und Diskurse der außertextlichen Realität aus der Vogelperspektive zu reflektieren. Aus einem narratologischen Blickwinkel wird hier der Frage nachgegangen, welchen Mehrwert die intersektionale Untersuchung von literarischen Perspektivenstrukturen für eine intersektional orientierte Literaturwissenschaft bietet, und mit welchen Begriffen und Konzepten eine solche Untersuchung durchgeführt werden kann. Es geht darum, die strukturellen Verhältnisse zwischen Einzelperspektiven zu den (sozialen) Hierarchien ihrer fiktionalen Wirklichkeit in Bezug zu setzen und zu untersuchen, welche Perspektiven diese Wirklichkeit schaffen und welche außen vor bleiben. Am Schluss steht eine exemplarische Textanalyse von Sibylle Bergs Roman "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot" (1997), die deutlich macht, wie die Beziehung zwischen Sozial- und Textstrukturen gedacht werden kann.
Der Artikel diskutiert die Arbeit von Paläopathologen, die diverse Krankheiten von Menschen der Vormoderne mittels mikroskopischer Untersuchungen an ihren Skeletten nachweisen können. Anhand der Befunde eines 4300 Jahre alten Skelettes erzählt die SZ-Autorin eine überraschend detaillierte, wenn auch knappe Lebensgeschichte eines Menschen - sie bettet die wissenschaftlichen Ergebnisse in ein Narrativ ein.
Es ist oft gesagt worden: Das Komische ist das Eigene des Menschen, nur der Mensch - und kein anderes Wesen - lacht. Begründet wurde dies häufig durch die Kennzeichnung des Menschen als Doppelwesen, das sich selbst widersprechen kann. Der Mensch gilt als Wesen, das gleichermaßen über einen Körper und einen Geist verfügt, als Wesen, das vom Zufall heimgesucht wird, aber auch zum Erhabenen fähig ist, oder als Wesen, das durch eine "individuelle[ ]" und eine "soziale[ ] Existenz" ausgezeichnet ist und deshalb "mit irgendeiner Norm" in Konflikt geraten kann. Jeweils ist es die Kollision der beiden Seiten, die nach den verschiedenen theoretischen Ansätzen zur Hervorbringung des komischen Phänomens führt und so - als Reaktion auf die Wahrnehmung des komischen Phänomens - das Lachen verursacht.
Lexika wie Zedlers Universal-Lexicon gehen von einer scharfen Trennung zwischen Objekt und Subjekt aus, Schreibwerkzeuge werden darin immer auf die Objektseite geschlagen. Sprechende und damit subjektivierte Federn gibt es hingegen schon, seit Federn in Gebrauch sind. Sie tun dies vor allem in literarischen Texten, wo sie als dingliche Objekte Subjektstatus einnehmen und dadurch die Dichotomie von Subjekt und Objekt unterlaufen. Wenn die Feder zum sprechenden Subjekt wird, werden die von ihr beschriebenen Menschen zum Objekt, wobei sich die Feder dann für Benachteiligte und Unterdrückte einsetzt und dadurch diese wiederum zu Subjekten erhebt. Innerhalb der It-Narratives nehmen erzählende Federn eine Sonderstellung ein, weil sie erstens die materielle Vorbedingung des Schreibens sind, weil sie zweitens den Schwellenraum von Mündlichkeit und Schriftlichkeit besetzen, indem sie paradoxerweise das, was sie sprechen, auch gleichzeitig ins Schriftliche transponieren und dort festschreiben, sowie weil sie drittens poetologisch das hinterfragen, was geschrieben wird und werden soll
Dinge in Texten haben maßgeblich an der Konstruktion imaginärer Welten teil. Sie kommen zu allen Zeiten und in allen literarischen Gattungen vor, in der Heldenepik ebenso wie in Aphorismen, im Mittelalter wie in der Moderne. Dinge treiben Handlungen voran, stören, wenn sie nicht funktionieren, und sie schaffen und zerstören Ordnungen - auch solche der Worte. Im Gegensatz zur Ethnologie oder Museologie hat es die Literaturwissenschaft stets mit Zeichen zu tun - es stellt sich also die Frage, wie das Verhältnis von res und verba analysiert und beschrieben werden kann. Der vorliegende Band versammelt Beiträge, die sich, angefangen bei der antiken Rhetorik über mittelalterliche Literatur bis hin zum 20. Jahrhundert, mit Dingen in und neben Texten beschäftigen.
[...] wie die 'Berliner Kindheit' oft als eine 'Erinnerungspoetik' bezeichnet wird, deren treibende Kraft die "Ich-Konstitution" sei, ließe sich Hoppes 'Picknick der Friseure' als 'Ver(w)irrungspoetik' beschreiben. Der Prozess des Erinnerns und sich (Wieder)findens ist bei ihr noch verdichteter im Sinne eines 'Dickichts der Texte', als bei Benjamin. Die konsequente Verweigerung einer "homogenisierte[n] Ich- Bildung" rückt bei beiden Schriftstellern "die Frage nach den noch verbleibenden Formen der Identitätsbildung in den Mittelpunkt des Schreibens." Vor dem Hintergrund einer als desolat erfahrenen Wirklichkeit scheinen die 'Berliner Kindheit' und 'Picknick der Friseure' die "Wahrheit so behutsam aus der Dichtung hervor[zu]ziehen […] wie die Kinderhand den Strumpf aus 'Der Tasche'". Oder wie es in Hoppes Schlussgeschichte 'Not und Tugend' heißt: "[A]m Ende, beim Öffnen der Säcke, kam alles zum Vorschein, Feigheit und Gier und schlechte Gewohnheit und daß wir zu spät und mit Dreck an den Stecken ans Tageslicht gekrochen waren". Doch, und das ist das Wesentliche, "hier ist das Buch unserer Rettung", sodass wir „alt [werden können] in Würde". Damit birgt, wie Adorno es für Benjamin formuliert, die "Allegorie des eigenen Untergangs", das zersplitterte Geschichtswerk, auch bei Hoppe die Möglichkeit zur Selbstbehauptung.
Das Spiel, die Maskerade und andere Elemente des Karnevals sind Fixpunkte in beinahe allen Texten von Felicitas Hoppe. Sie tauchen aber nicht nur auf inhaltlicher Ebene auf, sondern sie sind zudem wesentliche Bestandteile des ästhetischformalen Erzählprogramms der Autorin. Im vorliegenden Beitrag soll unter Berücksichtigung von Michail Bachtins Konzepten der Dialogizität und Polyfonie das karnevaleske Moment in Felicitas Hoppes Erzählwerk, vor allem in den Romanen 'Paradiese, Übersee' (2003), 'Johanna' (2006), und 'Hoppe' (2012) herausgearbeitet werden und zwar auf Ebene des Sujets, der Sprache und der Textgattung. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei vorangestellt, dass das Motiv des Karnevals von seiner Anlage her keine bewusste narrative Strategie darstellt (auch wenn es durchaus als solches eingesetzt werden kann). Statt einer autorzentrierten Interpretation soll daher die 'Karnevalisierung' der Literatur ganz im Sinne Michail Bachtins als Traditionslinie und Textdynamik begriffen werden, die flexibel ist und die Individualität der einzelnen Autorinnen und Autoren in keinster Weise tangiert beziehungsweise formal einengt.