CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
Refine
Year of publication
- 2011 (238) (remove)
Document Type
- Part of a Book (103)
- Article (79)
- Review (19)
- Conference Proceeding (15)
- Report (8)
- Book (7)
- Part of Periodical (3)
- Working Paper (3)
- Periodical (1)
Language
- German (191)
- English (37)
- Portuguese (9)
- Spanish (1)
Keywords
- Literatur (31)
- Rezeption (27)
- Benjamin, Walter (23)
- Dante Alighieri (20)
- Productive reception (18)
- Psychoanalyse (18)
- Freud, Sigmund (17)
- Rezension (17)
- Das Unheimliche (16)
- Überleben (15)
Institute
- Extern (10)
- Neuere Philologien (1)
Dem bemerkenswerten wissenschafts- und ästhetikgeschichtlichen Interesse an Friedrich Theodor Vischers Werk in der Gegenwart lässt sich ein weiterer Akzent hinzufügen, wenn man Vischers repräsentative Rolle sowohl im Vormärz wie im Nachmärz rekonstruiert und dabei vor allem auf seine Selbstkorrekturen und Revisionen die Aufmerksamkeit lenkt. In wissenschaftshistorischen Studien der jüngsten Zeit gewinnt die 'Historische Epistemologie' an Kontur.
In einer wissenspolitischen Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit gegenwärtiger Realismuskonjunkturen entfaltet Eva Geulen in ihrem exemplarisch kritischen Beitrag hermeneutische "Schwierigkeiten mit Raabes 'Frau Salome'". Um den Text mit seiner Abundanz willkürlicher Allusionen und Wissensreferenzen nicht einfach historistisch aufzulösen, hebt Eva Geulen das auf Goethe rekurrierende Motiv der Haut in seiner doppelten Determinierung durch Natur und Kultur heraus und analysiert es im Hinblick auf seine Konsequenzen innerhalb des literarischen Textes. Dort führt es zu einer Egalisierung der im Text versammelten Exzentriker, ein Befund, der, so die Bilanz der poetologischen Ökonomie Raabes durch Eva Geulen, in keinem vernünftigen Verhältnis zum literarischen Ergebnis steht.
Im Fall Sades stellt sich die Frage, ob er nicht als in seiner Zeit unmöglicher Romanautor letztlich einen Diskurs begründet hat, der weit über die Libertinage hinausgeht und eine "Ästhetik der Delinquenz", so Manfred Schneider, das philosophische wie literarische Schreiben über Sexualität, Verbrechen und Strafe in der Moderne bis zu Bataille und zu Foucault selbst entscheidend mitbestimmt hat. Um diese Problemstellung zu erörtern, geht der vorliegende Aufsatz zunächst auf Foucaults alles in allem zwiespältige Einschätzung des Sadeschen Werkes ein, um die Analyse in einem zweiten Schritt um die Vermittlungsfigur von Georges Bataille zu erweitern. Die exemplarische Analyse einer Passage aus Sades "La Nouvelle Justine" soll es darüber hinaus erlauben, das infame Netzwerk der Libertinage und den damit verbundenen Zusammenhang von Literatur und Institution näher zu bestimmen. Dass das Netzwerk der Libertinage, das Sade in seinem Doppelroman um die ungleichen Schwestern Justine und Juliette entfaltet, auf einer Logik des Tausches ruht, die mit Foucault zugleich als eine bestimmte Form der Infamie zu bestimmen ist, weist zugleich auf die enge Verknüpfung von Recht und Literatur, von ästhetischen und juristischen Diskursformen hin, die die historische Institution Literatur bis heute prägen.
Der Wandel der Satire : über die Verschärfung literarischer Ironie in der deutsch-jüdischen Moderne
(2011)
In diesem Essay soll das Phänomen des Sarkasmus untersucht werden, und zwar unter der Voraussetzung einer durchaus gewagten These. Der Essay geht davon aus, daß ein genuin literarischer Sarkasmus in der deutschsprachigen Literatur erst mit dem Auftreten Heinrich Heines und Ludwig Börnes, also im 19. Jahrhundert entstand. Zwar kannte die Epoche der Aufklärung den Witz und die Romantik die Ironie. Aber erst mit Autoren wie Börne, Heine oder Moritz Saphir, Daniel Spitzer oder Alfred Kerr, Maximilian Harden oder Karl Kraus, Walter Mehring oder Kurt Tucholsky, Carl Einstein oder Alfred Döblin, Elias Canetti oder Albert Drach entwickelte sich ein literarischer Sarkasmus. Vorab möchte ich betonen, daß diese Art der Verschärfung der Ironie nicht verstanden werden kann ohne den Hintergrund der Stereotypisierung jüdischer Intelligenz im 19. Jahrhundert. Sarkastisch wird die Literatur Heinrich Heines oder Moritz Saphirs, Karl Kraus' oder Kurt Tucholskys, Alfred Kerrs oder Maximilian Hardens nicht aus sich selbst heraus. Vielmehr sind es die in der Romantik so populäre Mär vom "ewigen Juden" sowie das seit dem Auftreten Heines vor allem in Bayern und Preußen sich häufende Ressentiment gegenüber dem sogenannten "Judenwitz", aus denen der Sarkasmus hervorging. Ich möchte dies anhand zweier Zitate vorab verdeutlichen. Das erste ist eines der übelsten Dokumente antisemitischer Polemik des frühen 19. Jahrhunderts mit dem Titel 'Neueste Wanderungen, Umtriebe und Abenteuer des Ewigen Juden unter den Namen Börne, Heine, Saphir u.a.' Es stammt aus der Feder des Germanisten Heinrich von der Hagen, der im Jahre 1835 in den Werken der im Titel genannten Autoren folgendes erkannte: "[...] dieselbe freche Gotteslästerung, dieselbe Verhöhnung und Misshandlung des Weltheilands am Kreuze und seiner Diener, dieselbe Anbetung des Fürsten dieser Welt in der Gestalt des goldenen Kalbes, dieselbe bodenlose Verwirrung der göttlichen Weltordnung, dieselbe giftige Verhetzung gegen die Könige und Obrigkeiten und dabei hündische Feigheit, dieselbe Lebensentwürdigung und schmähliche Todesfurcht, dieselbe Gottvergessene Beschönigung der Zügellosigkeit, Unzucht und Lüge, derselbe boshafte, alles berechnende und verneinende Witz, derselbe ruchlose Missbrauch oder Besudelung aller heiligen und verehrten Namen und Worte."
Am 18.6.1906 schreibt ein junger Autor einen vierseitigen Brief an Houston Stewart Chamberlain. Ein Jahr zuvor ist dessen Kant-Buch erschienen, und die 'Grundlagen des 19. Jahrhunderts' gehen in die 8. Auflage; es sind viel diskutierte Publikationen. Die Grundlagen werden in den Augen der Zeitgenossen weniger als Rassentheorie, denn als sozialphilosophische Analyse wahrgenommen. Auch Chamberlains dickleibige Kommentare zu Wagner und Goethe werden gefeiert Nicht nur das deutsch-völkische Spektrum, sondern auch die jüdische aAvantgarde wie Karl Kraus und Martin Buber interessieren sich für den Mann. Er schafft den Sprung von der 'Fackel' zum 'Völkischen Beobachter'.
Den Brief an Chamberlain schreibt Arthur Trebitsch, der darin kundtut, daß er lange überlegt habe zu schreiben, weil er keine Berührung mehr mit den "officiellen Vertretern des philosophischen Denkens" wünsche. Die Professoren seien die, welche "sich hauptsächlich mit den Denkergebnissen anderer beschäftigen u. nicht selbst Denkergebnisse zu Tagen fördern".
Schach und Philosophie
(2011)
Schach ist von der Verbreitung und vom Nimbus her das Denkspiel schlechthin. Als höchste Tätigkeit des Denkens gilt traditionell die Philosophie, und so scheint eine Verbindung von Schach und Philosophie durchaus nahezuliegen. In der Form "Philosophie des Schachs" findet man jedoch kaum, und vor allem wenig ernst zu nehmende Arbeiten. Wenn Philosophie sich im Gegensatz zu sonstigen Wissenschaften auf das Allgemeine, die Voraussetzungen der Einzelgebiete richtet, müsste sie als Schachphilosophie die Grundlagen des Schachs thematisieren. Die Grundlagen des Schachs aber sind die Schachregeln, und zu ihnen lässt sich wenig sagen. Man kommt so nur auf Spielregeln oder auf Spiele oder Regeln im Allgemeinen zu sprechen. Eine Schachphilosophie scheint hingegen sachlich überflüssig.
In der anderen Form der Zusammenstellung - Schach in der Philosophie - wird man eher fündig, verweisen doch zahlreiche Philosophen immer wieder einmal auf Schach zur Verdeutlichung eines Gedankens. Das aber bleibt sporadisch - mit einer wichtigen Ausnahme: Ludwig Wittgenstein, bei dem Schach als Beispiel immer wieder die Eigenheiten der Sprache verdeutlichen soll. Allerdings könnte das auch Zufall sein. Gibt es einen sachlichen Grund, der das Schachbeispiel als besonders brauchbar für die Philosophie auszeichnet? Diese Frage ist auch deshalb angebracht, weil Wittgenstein oft zu konstruierten, teils abstrusen Beispielen greift und damit eine ungute Tradition begründete: Die analytische Philosophie gefällt sich darin, mit komplizierten, irrealen Geschichten, etwa mit nicht existierenden Lebensformen wie Superspartanern, Antipoden, Zombies ohne Bewusstsein, Sumpfmännern, Erzengeln, "chinesischen Zimmern" Gedankengänge zu "erläutern". Die einzig sinnvolle Reaktion hierauf ist nicht, deren Fragwürdigkeit aufzuzeigen - damit macht man den Unsinn nur mit - , sondern sie zu ignorieren und es mit dem Schachbeispiel besser zu machen. Dabei zeigen sich dann auch die Eigenheiten des Schachspiels, die Konturen einer Schachphilosophie.
'Geld regiert die Welt', so heißt ein Sprichwort, das jeder kennt, und das immer wieder aktuell ist. Wie viele Sprichworte hat es Elemente literarischer Form, und zwar nicht nur den schönen Reim und die Personifikation, die Geld zu einem Regenten macht. Seinen eigentlichen Gehalt bezieht das Sprichwort aus der Verbindung verschiedener Bildbereiche: Es ist eine Metapher, denn das Geld regiert eigentlich nichts, sondern herrscht eher, aber auch die 'Welt' passt nicht wirklich zum 'Regieren', denn grundsätzlich regiert man weniger Welten als Staaten oder vielleicht Institutionen. Noch eine 'Weltregierung' wäre eigentlich die Regierung eines Weltstaates, und wenn sich Politik um die ganze Welt kümmern muss, um das Klima etwa, so wird sie das indirekt tun - vielleicht durch Geldpolitik. Noch deutlicher wird die Verschiebung zwischen dem zweiten und dem dritten Term des Sprichworts, wenn man ein wenig der Etymologie von 'Welt' nachgeht, die nicht nur ein räumlicher, sondern auch ein zeitlicher Terminus war, nicht nur die Gesamtheit von allem bezeichnet, sondern auch das Vergängliche im Gegensatz zum Ewigen, nicht nur mundus, sondern saeculum. In der alteuropäischen Semantik regiert Gott die Welt, und das bringt ihn in beständige Spannung mit den weltlichen Regenten und erst recht mit dem Geld.
Das Sprichwort verbindet also ökonomische, politische und theologische Bedeutungen, die es in einer Figur zusammenfasst, die man nicht klar und nicht einfach paraphrasieren kann. Das ist typisch: Wenn über Geld nachgedacht wird, so geschieht das immer wieder rhetorisch und metaphorisch, und zwar oft am Grenzbereich verschiedener Semantiken. Das macht die Geldtheorie für Kulturwissenschaftler so interessant, denn diese interessieren sich eben gerade für diese Grenzbereiche, an der die säuberlich gezogenen Grenzen verschiedener kultureller Register oder gesellschaftlicher Funktionsbereiche überlappen.
Benns literarische Tätigkeit nimmt ihren Ausgang im avantgardistischen Aufbruchszenario der Künste und inmitten der theoretischen Umwälzungen in der Wissenschaft um 1910. Sie findet in der expressionistischen Dekade zu ihrer aggressiven Stimme durch eine Radikalisierung von ästhetizistischer Stimmung mit ihrer idiosynkratischen Mischung aus kultivierter Weltdistanz und introspektiver Selbstauflösung. In der Vielschichtigkeit stilistischer Strömungen der Jahrhundertwende waren allenfalls unterschwellig Einheitsmomente eines Epochengefühls wirksam. Ex negativo etwa eine Aushöhlung des religiösen Glaubens, das Poröswerden moralischer Verbindlichkeit, die Diskreditierung sittlicher Vernunft, Zweifel am wissenschaftlichen Fortschritt oder an sprachbasierter Kommunikations- und Erkenntnisfähigkeit. Unwägbar Diffuses wie allgemeine Krisenstimmungen, soziale Anomien, entfremdetes Zeitgefühl wurde seit 1900 wieder diskursfähiger, einmal mehr kursierten in Europa Phantomschmerzen über den Verlust ganzheitlicher Existenzbindungen und gesamtkultureller Einheit. Die Gründe hierfür wurden sowohl im Unglaubwürdigwerden überkommener Gottesvorstellungen oder im Nichtankommen des (neu)romantischen kommenden Gottes gesucht als auch in den Folgen umgreifend gewordener Industrialisierung, Urbanisierung und Verwissenschaftlichung. Der von Döblin als "abtrünnigen Christen" identifizierte Benn wird in der berühmten Akademierede 1932 vom "Realitätszerfall seit Goethe" sprechen.
Kleists kürzeste Novelle vermag bis heute eine "verstörende, die Erwartungshaltung der Leserschaft irritierende Wirkung" zu entfalten! Auch für Wissenschaft und Unterricht bleibt sie eine harte Nuss. Diese im schulischen Literaturunterricht zu knacken, fordert von Lehrenden wie Lernenden viel Frustrationstoleranz.
Davon gibt das folgende Gedicht bitteres Zeugnis:
Kleist, erster Versuch
1
Das Bettelweib von Lugano oder wo
also damit soll ich doch bitte nicht kommen
also wenn ich mal wirklich Gespenstergeschichten
dann könnte ich mich doch beraten lassen
oder mit Ehegeschichten und wie
einer verrückt wird und sonst was
2
wer da, ruft einer und haut
um sich herum
in allen Ofenecken
ein Grinsen
Im Gegenzug zu dem resignierenden Unterton in diesem Gedicht eines erfahrenen Deutschlehrers präsentiert der vorliegende Versuch über Kleists Mini-Novelle Argumente, die im Laufe vieler Jahre literaturwissenschaftlichen Unterrichts zusammengekommen sind, in dem mit Hunderten von Studierenden Probleme der Textanalyse, Interpretation und Kritik an Kleists kleiner Erzählung besprochen wurden.
Dem Islam ist die Neigung zu einer problematischen Glaubenshaltung des verantwortungslosen Fatalismus, der die Fatalität indes forciert, zuletzt so häufig vorgeworfen worden, dass man zunächst (unter anderem mit Bischof Manfred Scheuer) betonen muss, der Islam sei wohl nicht prinzipiell "gewaltanfälliger als andere Religionen". Der Islamismus, der wohl zu Recht mit Brachialgewalt und autoritärem Gehabe assoziiert werden kann, ist schließlich, so könnte man in Anspielung an den Konflikt rund um (so schäbige wie dilettantische) Karikaturen Mohammeds in einer dänischen Zeitung sagen, doch von allen verzerrten Bildern dieses Glaubens das schlimmste, blasphemischer als all das, wogegen er sich aus Frömmigkeit terroristisch wendet. Vor diesem Hintergrund ist freilich noch immer nicht mit Salman Rushdie zu schließen, es brauche "noch mehr Cartoons wie die in Dänemark." Dies abgesehen von anderem übrigens schon dadurch, dass der Islam einen Humor-lmport, wie ihn Rushdie andeutet, auch insofern nicht nötig hat, als es eine Tradition des Humors hier sehr wohl gibt, "auch der Prophet sei - allen fanatischen Imamen und heuchlerischen Mullahs zum Trotz - zum Scherzen aufgelegt gewesen", wie etwa Ulrich Marzolph darlegte, bis heute ist "im arabischen Raum [...] der schwarze Humor durchaus präsent", der sich besonders schlecht mit Fanatismus vertragen dürfte.