CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Suspense
(2016)
Überraschung und 'suspense' hebt Hitchcock anhand zeitlicher Kategorien voneinander ab. Dabei ist es ein Zukunfts- und ein Wissensmodell in einem, welches Überraschung und 'suspense' systematisch trennt, da Zukunftswissen ausschließlich den 'suspense' charakterisiert - und organisiert. Zeichnet sich 'suspense' als ein über einen Informations- und Wissensvorsprung (des Rezipienten) zeitlich wohl konstruiertes Interim (des Filmemachers) aus, das die Zukunft einer Explosion als vorhersehbaren Fluchtpunkt der Gegenwart festlegt, so hat die Überraschung nicht viel mehr als eine Art präsentische Ekstase zu bieten. Das Fehlen sowohl an Wissen als auch an Zukunft lässt sie in den Augen des Regisseurs zu einem dilettantischen und drittklassigen 'thrill' verkümmern. Zukunftswissen, verstanden als "Wissen in Zukunft", so wird man aus Hitchcocks Anekdote - zugleich aber auch über diese Anekdote hinaus - schließen dürfen, macht die Gegenwart unweigerlich zur Zwischenzeit. Als solche hat sie bei Hitchcock einen klar determinierbaren Anfang und ein ebenso klar determinierbares Ende.
Die hier versammelten Beiträge gehen wesentlich auf die internationale Tagung 'Geschichts(er)findungen. Felicitas Hoppe als Erzählerin zwischen Tradition und Transmoderne' zurück, die im Rahmen des Writer-in-Residence-Programms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) mit der Büchnerpreisträgerin Felicitas Hoppe vom 30. November bis 1. Dezember 2012 an der University of Oxford stattfand.
In diesem Aufsatz möchte ich untersuchen, wie die Rahmen- und Binnengeschichten in 'Marathon, Eis und Schnee', 'Safari' und 'Johanna' räumlich gestaltet sind, und welche Rückschlüsse die Gestaltung von Räumlichkeit in diesen Texten auf Felicitas Hoppes Poetologie erlaubt. Dabei gehe ich davon aus, dass sich eine Analogie ausmachen lässt zwischen der Raumordnung, der Zeitordnung und der narrativen Ordnung von Rahmen- und Binnenebenen, die auch für Hoppes übriges Werk charakteristisch ist: In allen diesen drei Aspekten bestehen Grenzen, die sich jedoch im Erzählen als zunehmend permeabel erweisen.
Wer durch eine Stadt wie Venedig geht, sieht, dass die Zeit überall ihre Spuren hinterlässt. Der britische Kunsthistoriker John Ruskin nennt diese Spuren in seinem 1851 bis 1853 publizierten Reisebericht 'The Stones of Venice' "time stains" und macht darin eindrücklich darauf aufmerksam, dass Spuren der Zeit ästhetisch betrachtet werden können, obwohl sie kein Produkt des Menschen, sondern zunächst einmal eines der Zeit sind. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, ob und inwiefern die Zeit als Gestalterin ästhetischer Objekte begriffen werden kann und wie sie dieses Potenzial in Konkurrenz zu kulturellen Gestaltungsabsichten erfüllt.
Zur Beantwortung dieser Frage lassen sich die im Kontext der Ruinenästhetik geführten Diskussionen und das seit einigen Jahren zu verzeichnende neue Interesse am Naturschönen folgendermaßen verbinden und zuspitzen: Die Zeit muss als gegenkulturelle Gestalterin der Lebenswelt genauer ins Visier und als ästhetisches Subjekt ernst genommen werden. Der Beitrag reiht sich damit in die seit einigen Jahren Konjunktur verzeichnende ästhetische Auseinandersetzung mit der Zeit ein. Dort ist bislang versäumt worden, dezidiert nach der ästhetischen Gestaltungskraft von Zeit zu fragen, während man die kulturelle Gestaltbarkeit von Zeit betont hat.
Micky Maus, Superman, Asterix, Popeye - zahlreiche Figuren aus Comics haben ein Eigenleben entwickelt und sich als Marke etabliert. Die Figuren halten die Fortsetzungsgeschichten zusammen und stellen entsprechend einen Wiedererkennungswert dar. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass sich die inzwischen doch einigermaßen etablierte Comic-Forschung der Betrachtung der Figuren nur am Rande gewidmet hat. Das gilt erst recht für jene Sonderform des Comics, die im Folgenden in den Fokus gerückt werden soll: die Graphic Novel.
"Ich habe kein Wort" : Betrachtungen zu einem Topos literarischer Texte über den Ersten Weltkrieg
(2014)
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit einem Topos, der einen literarischen Bezugsrahmen für Benjamins Befund sowie für psychohistorische Bestandsaufnahmen darstellt, nämlich der in (literarischen) Dokumenten von Kriegsteilnehmern immer wieder geäußerten Überzeugung, die 'wahre' Natur des Fronterlebnisses könne jenen nicht vermittelt werden, die diese Erfahrung nicht teilen. Dieser 'Unsagbarkeitstopos' erscheint paradox, steht er doch im Widerspruch zur schieren Fülle literarischer Zeugnisse über den Großen Krieg von 1914–1918, in denen überdies sehr häufig der Anspruch erhoben wird, die 'Wahrheit' über den Krieg zu berichten und so die falsifizierenden Bilder der Propaganda zu korrigieren. Auch widerspricht die Betonung der Nicht-Erzählbarkeit des Krieges der allgemeinen Erfahrung, wonach krisenhafte Erlebnisse zumeist einen 'narrative drive' generieren, also tatsächlich das Bedürfnis schaffen, sie zu erzählen. Im Fall von Memoiren und Romanen über den Ersten Weltkrieg bleibt dieser Widerspruch jedoch zumeist unaufgelöst.
Metahistoriographische Fiktion in Christoph Ransmayrs "Die Schrecken des Eises und der Finsternis"
(2016)
Die historischen Ereignisse, die in Christoph Ransmayrs 'Die Schrecken des Eises und der Finsternis' nach und nach aufgerollt werden, muten zunächst so an, als hätten sie sich Karl Kraus, Robert Musil und Fritz von Hermanovsky-Orlando gemeinsam an einem von vielen Flaschen Gumpoltskirchner befeuerten Abend ausgedacht. Sie sind, wie der als Chronist auftretende Ich-Erzähler selbst anmerkt, "so dramatisch, so bizarr und am Ende so unwahrscheinlich [...] wie sonst nur eine Phantasie". Es handelt sich um die 1872 unter dem Kommando von Carl Weyprecht und Julius Payer gestartete österreichischungarische Expedition im Nordpolgebiet, die den letzten weißen Fleck auf dem Globus erforschen wollte. Wie so viele habsburgische Unternehmungen endete auch dieses in einem grandiosen Fiasko: Das K.-u.k.-Expeditionsschiff, die Admiral Tegetthoff, saß nach bereits vier Wochen im Packeis fest. Mehr als zwei Jahre hielt die Besatzung in der Arktis aus, dann trat sie, unter unvorstellbaren Strapazen, den Heimweg nach Europa zu Fuß übers Eis an und wurde schließlich von russischen Transchiffen aufgelesen. Das einzig vorzeigbare Ergebnis der Expedition war die Entdeckung eines Archipels im Polarmeer, gelegen auf 79 Grad 43 Minuten nördlicher Breite und 59 Grad 33 Minuten östlicher Länge, etwa 60 von gewaltigen Gletschern überzogene Inseln aus rauem Urgestein, welche die österreichischen Kommandanten zu Ehren ihres Kaisers Franz-Joseph-Land nannten. Auch wenn das völlig unwirtliche Konglomerat aus Fels und Eis heute zu Russland gehört, der Name ist ihm geblieben (Semlja Frantsa Josifa lautet er auf Russisch), ebenso die anderen österreichischen Benennungen: Insel Klagenfurt, Insel Wiener Neustadt, Kap Tyrol und Kap Klagenfurt
"Ich mache die Orte zu meinen Sehnsuchtsorten, an die es mich zufällig verschlägt. Und ich lade diese Orte mit dem auf, was ich mitbringe – ganz ohne Erwartungen. So erstaunt es mich auch immer wieder, wie viel man aus einem Ort "herausholen" kann." So beschreibt Felicitas Hoppe im Interview mit dem Journalisten und Geografen Jens Nommel ihr Vorgehen bei der Konstituierung von Räumen in der diegetischen Welt. Diese Aussage ließe sich paradigmatisch auf das Gesamtwerk der Autorin übertragen, so sind es weniger Beschreibungen von realen Orten und Topografien, die sich hier finden, als vielmehr im Schreibprozess entstehende Imaginationsorte, die durch das Zusammentreffen eines den Orten Bedeutung zuweisenden Bewusstseins und der äußeren Beschreibung derselben entstehen. Dies geschieht, so die These dieses Beitrags, mithilfe einer Destabilisierung der strukturbildenden Elemente von Raum, Zeit und Kausalität, die in der Folge einen Vorstellungsraum öffnen, in dem physikalische Grenzen überwunden und im Modus der Gleichzeitigkeit alternative Seinsweisen erprobt werden können. Hoppe schließt dabei an die Darstellungstechniken der Literarischen Moderne an, greift die Diskussionen der Postmoderne vom Ende der großen Metaerzählungen, dem Tod des Subjekts und allgemeiner Geschichtslosigkeit auf und entwirft im Sinne einer Transmoderne alternative Darstellungsformen. […] Ziel des vorliegenden Beitrags ist demnach zunächst das Aufzeigen der Destabilisierungsprozesse in Bezug auf die genannten Elemente mithilfe einer textimmanenten Analyse der zeitlichen und räumlichen Struktur. Dabei werden, erstens, die verschiedenen Spielarten des Zeitbegriffs sowie Raumsemantiken auf der intradiegetischen Ebene in den Blick genommen, zweitens, Möglichkeiten der Zeit- und Raumgestaltung auf der Ebene des discours untersucht und schließlich der Prozess der Refiguration beleuchtet. Im Anschluss wird der Frage nach dem Funktionspotenzial der erarbeiteten Destabilisierungsprozesse sowie der Entwicklung derselben als ästhetisches Programm nachgegangen. Da die angeführten Destabilisierungsprozesse je nach thematischer Schwerpunktsetzung unterschiedliche Funktionen einnehmen, werden Hoppes Romane 'Pigafetta', 'Paradiese, Übersee', 'Johanna' und 'Der beste Platz der Welt' chronologisch analysiert und im Anschluss einem synthetisierenden Vergleich unterzogen.
Gegenwärtige Geländebestimmungen zum Verhältnis zwischen Mensch und Natur sind durch eine Wiederkehr antiker Mythen geprägt. Dies ist kein Zufall. Offenbar hat der zunehmende Einfluss des Menschen auf die Atmosphäre, auf Ozeane, Eismassen, Wälder, Flüsse, Tiere und Pflanzen einen Punkt erreicht, an dem nicht mehr allein die materielle Beschaffenheit der Umwelt, sondern dieser Begriff selbst, die Logik eines vom menschlichen Zentrum zu unterscheidenden Hintergrunds in Frage steht. Die Natur ist unheimlich geworden.
Dietmar Dath steht als Autor deutschsprachiger Science Fiction Literatur spätestens seit der Aufnahme von Die Abschaffung der Arten auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2008 im Fokus der germanistischen Forschung. Dieser Beitrag widmet sich einer wiederkehrenden Korrelation in Daths Erzählwerk: Der zwischen einer unzuverlässigen Erzählweise und der Thematisierung von Körpern und Identitäten, die einen Transformationsprozess durchlaufen oder durchlaufen haben. In Daths Romanen schaffen diese Identitäten sowohl fiktionsintern als auch für den Rezipienten immer wieder Irritationsmomente. Das vorliegende Sonderheft versammelt eine Reihe von Überlegungen, die Unschärfe bzw. Irritation als typische Kennzeichen von Metamorphosen und Übergangsphänomenen beschreiben. Diesen Ansatz soll der Beitrag weiterverfolgen und im Zuge einer Analyse von Daths Erzählungen "Pulsarnacht" (2012) und "Feldeváye. Roman der letzten Künste" (2014) auf die aktuelle Debatte über technologische Eingriffe bzw. Manipulationen des humanen Körpers beziehen.
Im Rahmen meines Ansatzes möchte ich einen anderen Weg einschlagen und den autobiografischen Pakt (Lejeune) trotz besseren Wissens – das heißt trotz der Erkenntnis, dass es sich bei der literarischen Figur 'Felicitas Hoppe' offensichtlich um einen durch und durch konstruierten Charakter handelt – zunächst einfach akzeptieren. Deshalb soll (und muss) im Folgenden nicht trennscharf zwischen den Instanzen 'Felicitas Hoppe', 'Hoppe' und 'fh', so wie sie im Text in Erscheinung treten, differenziert werden. Vielmehr sollen diese verschiedenen, einer einzigen 'biofiktionalen' Person beziehungsweise persona zuschreibbaren Stimmen zusammengelesen werden, wobei in diesem Beitrag stets von 'Hoppe' gesprochen wird. Anders gesagt möchte ich den "Roman" – so die paratextuelle Genrebezeichnung des Titelblatts – Hoppe als mehrstimmige und traumlogische Inszenierung der Autorin Felicitas Hoppe lesen, wobei ich genauer der Rolle nachgehen möchte, die 'Hoppes' (fiktive) Mehrsprachigkeit innerhalb dieser Selbstinszenierung spielt.
Felicitas Hoppe entwickelt in ihrer fiktionalen Autobiografie 'Hoppe' (2012) ein komplexes Spiel mit Erzähl- und Erzählerkonventionen, Gattungs- und Leseerwartungen sowie mit Fakt und Fiktion. Offensichtlich changiert der Status dieses Textes: Für Fiktionalität sprechen etwa die paratextuelle Gattungskennzeichnung als "Roman", die Umschreibung auf dem Klappentext als "Traumbiographie" sowie die Rezeption als "Metaautobiografik". Auf Faktualität wiederum deuten eine ganze Reihe von epitextuellen und habituellen Inszenierungspraktiken hin, die den Text, gerade weil er gar nicht erst versucht, bloße Fakten zu schildern, als eine 'wahrhaftige' Autobiografie der 'realen' Autorin Felicitas Hoppes markieren. Der Text ist damit – wie es in Definitionen der Debatte um 'Autofiktion' heißt – von einer "oszillierenden Ungewissheit" zwischen autobiografischem und romaneskem Pakt, zwischen Fakt und Fiktion geprägt.
Felicitas Hoppes fiktionale Biografie 'Hoppe' (2012) soll [...] im Folgenden als Text vorgestellt werden, der das Spiel mit gesellschaftlichen und literarischen frames zu einem zentralen Gestaltungselement erhebt [...]. Die Kompromittierungen sozialer Erwartungsrahmen gegenüber Autorschaft und Autorperson, literarischer Fiktionalität und außerliterarischer Realität sowie zwischen Roman und Biografie lassen sich dabei als 'Sprünge' zwischen verschiedenen 'Rahmungen' beschreiben. Die zentrale Frage, ob moderne Ästhetik Einfluss auf die 'wirkliche Welt' nehmen kann, beantwortet Hoppe somit einerseits durch eine Art Rückeroberung und Wiederverrätselung der allzu 'öffentlich' gewordenen Autorinstanz und -biografie und andererseits durch ein Lektüreangebot, das den Leser in produktive Distanz zu gängigen Rahmungen setzen soll. Eine Schlüsselrolle spielen dabei Formen der literarischen Selbstthematisierung. Zunächst sollen zu diesem Ziel einige Aspekte der Goffman'schen Soziologie kurz rekapituliert werden.
Die Bedeutung des Raumes in literarischen Texten ist spätestens seit dem 'Spatial Turn' der Literatur- und Kulturwissenschaften unbestritten. Im Zuge jüngerer Debatten in den Geschichtswissenschaften haben sich parallel dazu Stimmen zu Wort gemeldet, die auf die Bedeutung des Raumes für historische Ereignisse und deren wissenschaftliche Darstellung hinweisen. Literatur, Literaturwissenschaft, Historiografie und Geschichtswissenschaft sind zudem disziplinär enger zusammengerückt, seit Hayden White auf die genuine Fiktionalität historiografischer Texte aufmerksam gemacht hat. Diese drei die Theoriebildung der Geisteswissenschaften betreffenden Aspekte sollen im Folgenden am Beispiel von Felicitas Hoppes Roman 'Johanna' (2006) zunächst zu einigen Beobachtungen hinsichtlich der Topografie des Raumes in historisch erzählenden Texten zusammengeführt und anschließend um einen Blick auf damit verbundene metafiktionale Aussagen ergänzt werden. Meine These lautet, dass die narrativ evozierten räumlichen Gegebenheiten der diegetischen Welt von Johanna die Erzählung grundsätzlich bedingen und metafiktional reflektieren. Die entworfenen Räume spiegeln nicht nur Geschehnisse auf zeitlich und räumlich getrennten Erzählebenen des Romans, sondern weisen auch poetologische Züge auf, indem sie das Potenzial von ‚Fiktionsräumen‘ ausloten.4 Mit der so gestalteten Fiktion setzt Hoppes Roman einen bestimmten Typus des Lesers voraus – einen postmodernen Idealleser, der der Polyfonie des Textes gewachsen ist, ja sich sogar aktiv auf das Spiel mit der rezeptiven Vieldeutigkeit einlassen kann, das der Roman erzeugt.
Im Folgenden sollen deshalb zunächst vereinzelte Aussagen zusammengeführt werden, aus denen sich ein poetologisches Kernthema ihres Schreibens erschließt: Als Kunstideal gilt Hoppe eine spezifische Verbindung von 'Realität' und 'Imagination', die letztlich auch in der oxymoronischen Selbstbezeichnung ihrer Texte als 'ehrliche Erfindung' mitschwingt, die von Literaturkritik und -wissenschaft so häufig aufgegriffen wurde. In einem zweiten Schritt wird argumentiert, dass dieses ästhetische Ideal in den literarischen Texten mehrfach bildlich dargestellt ist. Nach dieser Präzisierung der poetologischen Zielsetzung stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die explizit-essayistischen und implizit-fiktionalen Reflexionen zur literarischen Praxis stehen. Daran schließt die Hauptthese dieses Beitrags an: Die Bildlichkeit von Hoppes Texten lässt sich zeichentheoretisch als 'ikonisches Erzählen' spezifizieren und hier liegt eine narrative Form vor, die die angestrebte Verbindung von 'Realität' und 'Imagination' umsetzt. Auf der Basis eines vom Symbolbegriff abgegrenzten Ikonbegriffs wird argumentiert, dass in Hoppes Texten die konkrete Ebene inhärente Ähnlichkeitsbeziehungen zu einer abstrakten Ebene aufweist. Bedeutungszuschreibungen, so die Folgerung, lassen sich entsprechend dem Autonomieanspruch der Autorin, für ihre Texte weitgehend durch Abstraktions- und Analogisierungsverfahren ableiten.
Ausgangspunkt der folgenden Argumentation ist die Beobachtung, dass die Spezifik dieser Poetik stärker als bisher erfasst, von kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, die jeweils komplex miteinander verknüpft sind und zugleich weit über sich hinausweisen, getragen wird. In Hoppes Texten, so die Annahme, ist das Wechselspiel zwischen Sinn- beziehungsweise Kohärenzbildung und -störung sowie der Zusammenhang intratextueller, autointertextueller und intertextueller Verweise auf spezifische Weise an Überlappungen semantischer Felder gebunden – eine Spezifik, die weiterer Untersuchung bedarf. Im Anschluss an eine durch diesen Rahmen perspektivierte Lektüre von Safari im ersten und Iwein Löwenritter im zweiten, möchte ich im dritten Teil Überlegungen zur Interdependenz von semantischen Feldern und intertextuellem Verweissystem beziehungsweise Zitaten in 'variierenden Wiederholungen' darlegen. Im vierten Teil werde ich dies im Hinblick auf folgende vier Fragen weiterführen: erstens, wie mittels gezielter Überlagerung semantischer Felder Ambivalenz und Kohärenz hergestellt werden, zweitens, wie Ordnungen entstehen und gestört werden, drittens, wie kleinere mit größeren Bedeutungseinheiten und -ebenen korrelieren und, viertens, wie Konventionalisiertes aufgerufen wird, um es zu durchkreuzen und anschlussfähig für neue Verknüpfungen zu machen.
Im Folgenden soll daher, mit Schwerpunkt auf dem Roman 'Paradiese, Übersee', die Struktur von Hoppes Texten vor dem Hintergrund ihrer literaturhistorischen Kontexte aufgeschlüsselt werden. Diese, von der Kritik als irritierend wahrgenommene Struktur basiert auf der Abkehr von üblichen chronologischen und kausallogischen Ordnungsschemata und der gleichzeitigen Hinwendung zu einer Erzählstruktur, die ihren Sinn über variierende Verbindungen einzelner Elemente generiert. In der vorliegenden Untersuchung wird dieses Narrationsschema auf seine historischen Vorbilder hin untersucht, um das schöpferisch 'Neue', die innovative Formensprache des Hoppe'schen Erzählens fassbar zu machen.
Der folgende Beitrag unternimmt damit den Versuch, die 'Geschichtsverwicklungen' eines 'erzählerischen Fundamentalismus' in Abgrenzung zu bisherigen Deutungen unter dem Aspekt des zyklischen Erzählens und der Wiederholung zu beleuchten. In einem ersten Analyseschritt wird das Verhältnis von Rahmenhandlung und Binnenerzählungen einer Klärung zugeführt, um im Folgenden eine präzisere Charakterisierung der Erzählerfiguren des Zyklus zu ermöglichen. Dabei wird vorgeschlagen, den Erzählvorgang als performativen Akt zu begreifen, der bei Hoppe als Reenactment inszeniert wird.
Das Spiel, die Maskerade und andere Elemente des Karnevals sind Fixpunkte in beinahe allen Texten von Felicitas Hoppe. Sie tauchen aber nicht nur auf inhaltlicher Ebene auf, sondern sie sind zudem wesentliche Bestandteile des ästhetischformalen Erzählprogramms der Autorin. Im vorliegenden Beitrag soll unter Berücksichtigung von Michail Bachtins Konzepten der Dialogizität und Polyfonie das karnevaleske Moment in Felicitas Hoppes Erzählwerk, vor allem in den Romanen 'Paradiese, Übersee' (2003), 'Johanna' (2006), und 'Hoppe' (2012) herausgearbeitet werden und zwar auf Ebene des Sujets, der Sprache und der Textgattung. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei vorangestellt, dass das Motiv des Karnevals von seiner Anlage her keine bewusste narrative Strategie darstellt (auch wenn es durchaus als solches eingesetzt werden kann). Statt einer autorzentrierten Interpretation soll daher die 'Karnevalisierung' der Literatur ganz im Sinne Michail Bachtins als Traditionslinie und Textdynamik begriffen werden, die flexibel ist und die Individualität der einzelnen Autorinnen und Autoren in keinster Weise tangiert beziehungsweise formal einengt.
[...] wie die 'Berliner Kindheit' oft als eine 'Erinnerungspoetik' bezeichnet wird, deren treibende Kraft die "Ich-Konstitution" sei, ließe sich Hoppes 'Picknick der Friseure' als 'Ver(w)irrungspoetik' beschreiben. Der Prozess des Erinnerns und sich (Wieder)findens ist bei ihr noch verdichteter im Sinne eines 'Dickichts der Texte', als bei Benjamin. Die konsequente Verweigerung einer "homogenisierte[n] Ich- Bildung" rückt bei beiden Schriftstellern "die Frage nach den noch verbleibenden Formen der Identitätsbildung in den Mittelpunkt des Schreibens." Vor dem Hintergrund einer als desolat erfahrenen Wirklichkeit scheinen die 'Berliner Kindheit' und 'Picknick der Friseure' die "Wahrheit so behutsam aus der Dichtung hervor[zu]ziehen […] wie die Kinderhand den Strumpf aus 'Der Tasche'". Oder wie es in Hoppes Schlussgeschichte 'Not und Tugend' heißt: "[A]m Ende, beim Öffnen der Säcke, kam alles zum Vorschein, Feigheit und Gier und schlechte Gewohnheit und daß wir zu spät und mit Dreck an den Stecken ans Tageslicht gekrochen waren". Doch, und das ist das Wesentliche, "hier ist das Buch unserer Rettung", sodass wir „alt [werden können] in Würde". Damit birgt, wie Adorno es für Benjamin formuliert, die "Allegorie des eigenen Untergangs", das zersplitterte Geschichtswerk, auch bei Hoppe die Möglichkeit zur Selbstbehauptung.
Robert Walser's text "The Walk" enacts a narrative that is genuinely describable as one 'on the border' to non-narrativity. This paper takes a look at how "The Walk" uses indicators of narrativity / narrativeness in order to subvert them, especially by dissolving narrative times. This leads to narrative performativity. Its narrative techniques are mirrored in the very Walserian self-description of eating a meal. In the central episode of the "The Walk" the protagonist eats "pieces" (German "Stücke"), what in Walser's terminology means both sweets and narratives ("Prosastückli"). This leads to a circle of intertextuality, in which the writer reads his own text and re-writes it at the same time. Nonetheless, "The Walk" is not a pure manifestation of self-reflexivity because its non-systematic narration is undeniable. Walser's "The Walk" formulates and follows a poetics of "narrating-as-writing" which highlights both performativity and materiality of the act of narration.
"Wie der Geist zum Kamele ward" : Zu einem Leitmotiv in Jonas Lüschers 'Frühling der Barbaren'
(2016)
This paper deals with the semantics of 'barbarism' in Jonas Lüscher's novella "Frühling der Barbaren" (2013). It aims to show that the text incorporates the concept of 'barbarism' into what Lüscher himself calls a "narratology of social complexity": a narrative mode that enables literary texts to serve as platforms for the reflection of moral problems. Lüscher achieves this by referring to specific intertexts by Friedrich Nietzsche and Ingeborg Bachmann while subtly modifying and distorting them. In doing so, "Frühling der Barbaren" acquires a diagnostic and genuinely critical quality: with this sleight of hand, which could be considered a prime example of 'barbarian theorizing' (Walter Mignolo, Maria Boletsi), the novella evokes existing narratives only to recode them into a sardonic critique of global capitalism.
Es ist oft gesagt worden: Das Komische ist das Eigene des Menschen, nur der Mensch - und kein anderes Wesen - lacht. Begründet wurde dies häufig durch die Kennzeichnung des Menschen als Doppelwesen, das sich selbst widersprechen kann. Der Mensch gilt als Wesen, das gleichermaßen über einen Körper und einen Geist verfügt, als Wesen, das vom Zufall heimgesucht wird, aber auch zum Erhabenen fähig ist, oder als Wesen, das durch eine "individuelle[ ]" und eine "soziale[ ] Existenz" ausgezeichnet ist und deshalb "mit irgendeiner Norm" in Konflikt geraten kann. Jeweils ist es die Kollision der beiden Seiten, die nach den verschiedenen theoretischen Ansätzen zur Hervorbringung des komischen Phänomens führt und so - als Reaktion auf die Wahrnehmung des komischen Phänomens - das Lachen verursacht.
Der Artikel diskutiert die Arbeit von Paläopathologen, die diverse Krankheiten von Menschen der Vormoderne mittels mikroskopischer Untersuchungen an ihren Skeletten nachweisen können. Anhand der Befunde eines 4300 Jahre alten Skelettes erzählt die SZ-Autorin eine überraschend detaillierte, wenn auch knappe Lebensgeschichte eines Menschen - sie bettet die wissenschaftlichen Ergebnisse in ein Narrativ ein.
Lexika wie Zedlers Universal-Lexicon gehen von einer scharfen Trennung zwischen Objekt und Subjekt aus, Schreibwerkzeuge werden darin immer auf die Objektseite geschlagen. Sprechende und damit subjektivierte Federn gibt es hingegen schon, seit Federn in Gebrauch sind. Sie tun dies vor allem in literarischen Texten, wo sie als dingliche Objekte Subjektstatus einnehmen und dadurch die Dichotomie von Subjekt und Objekt unterlaufen. Wenn die Feder zum sprechenden Subjekt wird, werden die von ihr beschriebenen Menschen zum Objekt, wobei sich die Feder dann für Benachteiligte und Unterdrückte einsetzt und dadurch diese wiederum zu Subjekten erhebt. Innerhalb der It-Narratives nehmen erzählende Federn eine Sonderstellung ein, weil sie erstens die materielle Vorbedingung des Schreibens sind, weil sie zweitens den Schwellenraum von Mündlichkeit und Schriftlichkeit besetzen, indem sie paradoxerweise das, was sie sprechen, auch gleichzeitig ins Schriftliche transponieren und dort festschreiben, sowie weil sie drittens poetologisch das hinterfragen, was geschrieben wird und werden soll
Dinge in Texten haben maßgeblich an der Konstruktion imaginärer Welten teil. Sie kommen zu allen Zeiten und in allen literarischen Gattungen vor, in der Heldenepik ebenso wie in Aphorismen, im Mittelalter wie in der Moderne. Dinge treiben Handlungen voran, stören, wenn sie nicht funktionieren, und sie schaffen und zerstören Ordnungen - auch solche der Worte. Im Gegensatz zur Ethnologie oder Museologie hat es die Literaturwissenschaft stets mit Zeichen zu tun - es stellt sich also die Frage, wie das Verhältnis von res und verba analysiert und beschrieben werden kann. Der vorliegende Band versammelt Beiträge, die sich, angefangen bei der antiken Rhetorik über mittelalterliche Literatur bis hin zum 20. Jahrhundert, mit Dingen in und neben Texten beschäftigen.
Dinge in Texten haben maßgeblich an der Konstruktion imaginärer Welten teil. Sie können intradiegetisch angefasst werden, sie riechen, haben ein spezifisches Gewicht und doch sind sie für die Leser in erster Linie: durch Zeichen repräsentierte Dinge. So einfach und so komplex lässt sich die doppelbödige Ausgangslage beschreiben, auf der die folgenden Überlegungen gründen. Denn auf diese Beobachtung kann Literaturwissenschaft in unterschiedlicher Weise reagieren: An einem Ende der Skala beschäftigt sie sich hauptsächlich mit der Zeichenhaftigkeit von repräsentierten Dingen, den Verweischarakteristiken, Funktionen und Bedeutungen, am anderen mit der Materialität, der Stofflichkeit und Widerständigkeit. Beide Pole haben ihre Verfechter, jeder der Ansätze seine Tradition und Konjunkturen. Bevor dieser Hintergrund, die Begrifflichkeit und der Forschungsstand erläutert werden, stehen in der Folge zwei literarische Beispiele im Zentrum, an denen gezeigt wird, welche Fragen sich mit literarischen Dingen stellen. Ludwig Tiecks 'Des Lebens Überfluß' (1838) und Ilija Trojanows 'Auf der Flucht' (2017) entstammen ganz unterschiedlichen Epochen und Kontexten, deshalb lässt sich an ihnen auch eine Bandbreite von Fragestellungen aufzeigen.
Moses stirbt nicht nur an einer zentralen Stelle in der biblischen Geschichte - an der Schwelle zum Heiligen Land -, sein Tod strukturiert auch die biblische Überlieferung in besonderer Weise, indem er die ersten fünf Bücher der Bibel - in christlicher Terminologie: die mosaischen Bücher - von deren Rest unterscheidet und damit dem biblischen Korpus eine wichtige Struktur vorgibt. Eine genauere Lektüre dieser Szene kann dabei zeigen, dass Moses' Tod nicht nur auf exemplarische Weise jene Grenzziehung zwischen Leben und Tod konfiguriert, sondern auch die Frage aufwirft, wie die Grenze von Tod und Leben eigentlich erzählt werden kann. Denn diese Frage ist nicht erst in der Moderne mit dem Problem konfrontiert, dass man jene Grenze nicht einfach narrativ überschreiten kann und dass der Tod ein Aussetzen der Narration zu implizieren scheint. Auch innerhalb der religiösen Tradition kann - aus ganz anderen Gründen - der Tod nicht einfach als ein Ereignis innerhalb eines linearen Zusammenhangs erzählt werden, sondern es bedarf komplexer narrativer Verfahren, durch die dann auch die Übergangszone von Tod und Leben kulturell besonders aufgeladen wird. Um das zu zeigen, wird im Folgenden nach einem (1.) Rekurs auf Sigmund Freuds Frage nach dem Nachleben Moses’ und dem eigenartigen Ausfall von Moses’ Tod darin (2.) die Erzählung dieses Todes in Deuteronomium 34 und ihre Deutung in der Tradition, d.h. in den Midraschim und bei den Kirchenvätern diskutiert, (3.) die religionsgeschichtliche Frage nach der Kultur des Lebens und des Todes im biblischen Israel berührt und (4.) die narrative Funktion des Todes im Kontext des Deuteronomium und der Exoduserzählung sowie (5.) die damit verbundene mediale Reflexion über Schrift und Wort als Medium untersucht, bevor abschließend (6.) noch einmal kurz auf die Freud’sche Frage nach dem Nachleben eingegangen wird.
We may consider narratology - the structural study of narratives - in two ways, each of them implying a slightly different 'before' and 'after'. First, this important endeavor in 20th century literary studies may be regarded as the study of a specific narrative 'logic', the formal structures that unite all narratives, fictional and factual, literary and non-literary. Secondly, narratology may be regarded as the study of specific 'texts' with specific cultural functions - storehouses of 'memory' on the one hand and, on the other, 'meaning-generating devices' integrating human action with time and place, ending up in cognition, identity, values, pragmatic norms, etc. In spite of the fact that both trends diminish the role of the specific medium of a given narrative, focusing instead on a general logic or on general functions, both of them refer 'de facto' to literature as a primary field of study; moreover, they are both children, twins one might argue, of the linguistic turn at the turn of the last century, and they both 'de facto' constantly refer to language as a primary field of study. This paradigmatic shift emphasized a specific medium and its specific logic in a general perspective without losing grip of the specificity. A lesson may be learned if we quickly repaint the history and perspective of this turn in a few broad strokes.
Rezension zu Matias Martinez/Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. München (Beck) 1999. (= Reihe Studium). 198 Seiten.
Genettes Erzähltheorie genießt gerade unter jüngeren deutschsprachigen Wissenschaftlern, die sich mit narratologischen Fragestellungen befassen, eine immer größere Popularität. Diese Tendenz dokumentiert nun auch eine 'Einführung in die Erzähltheorie', die gemeinsam von Matias Martinez (wissenschaftlicher Assistent für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität München) und Michael Scheffel (Privatdozent für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Göttingen) verfaßt worden ist.
I shall take a look at a cluster of problems: the relation between fictional and actual worlds, between fictionality and narration, between action and rationality, between action and agent or subject, and between world, enunciation and subject in light of two important theoretical works, both from 1991. My choice of references is not entirely arbitrary: their basic approach shows certain similarities that underline the shortcomings of both in dealing with literature, in spite of the stimulating arguments they unfold. But they also show marked differences that allow us to develop their argument further. The books are Paisley Livingston's 'Literature and Rationality' and Marie-Laure Ryan's 'Possible Worlds, Artificial Intelligence, and Narrative Theory'.
Sammelrezension zu David Herman, Manfred Jahn u. Marie-Laure-Ryan (Hg.): Routledge Enryclopedia of Narrative Theory. London/New York (Routledge) 2005.
James Phelan u. Peter J. Rabinowitz (Hg.): A Companion to Narrative Theory. London (Blackwell) 2005.
Wer ein Nachschlagewerk auf dem aktuellen Stand der internationalen Erzähltheorie sucht, muss zweifellos von nun an zur hervorragenden 'Routledge Encyclopedia of Narrative Theory' greifen. Die Herausgeber David Herman, Manfred Jahn und MarieLaure-Ryan wählten die Form eines reinen Begriffslexikons mit längeren (1000-3000 Wörter), mittleren (200-500 Wörter) und kurzen (wenige Zeilen) Artikeln. Das Lexikon soll über den Bereich der literaturwissenschaftlichen Narratologie hinaus alle Disziplinen berücksichtigen und bedienen, die sich überhaupt mit dem Phänomen des Erzählens beschäftigen.
]ames Phelans und Peter J. Rabinowitz' 'Companion to Narrative Theory' ist anders angelegt. Es handelt sich nicht um ein Lexikon, sondern um einen umfangreichen Sammelband mit 35 Aufsätzen verschiedener Beiträger über Geschichte, Grundbegriffe und aktuelle Probleme der Erzähltheorie.
Rezension zu Martin Schüwer: Wie Comics erzählen. Grundriss einer intermedialen Erzähltheorie der grafischen Literatur. Trier (WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier) 2008 (= WVT-Handbücher und Studien zur Medienkulturwissenschaft; Bd. 1). 574 S.
Mit seiner 2006 an der Universität Gießen eingereichten Dissertation, die hier in der Druckfassung vorliegt, hat sich der Verf. nicht weniger zum Ziel gesetzt als die Formulierung einer "modifizierten Erzähltheorie, mithin einer Theorie nicht mehr des sprachlichen, sondern des visuellen Erzählens" anhand des Mediums Comic.
Rezension zu Markus Kuhn: Filmnarratologie. Ein erzähltheoretisches Analysemodell. Berlin, New York (de Gruyter) 2011 (= Narratologia; 26). 410 S.
Die Zahl der Publikationen zur Narratologie ist in den letzten Jahren auf ein nahezu unüberschaubares Maß angewachsen und wächst stetig weiter. Umso wichtiger erscheinen Bücher, die gleichsam innehalten und den aktuellen Forschungsstand festhalten und dabei einen summarischen, systematischen und anwendungsorientierten Überblick liefern. Eben dies ist der Anspruch, den Markus Kuhn mit seiner 2008 an der Universität Hamburg vorgelegten und mit dem Absolventenpreis 2009 der Studienstiftung Hamburg ausgezeichneten Dissertation verfolgt.
Im Folgenden soll das Potential eines interdisziplinären narratologischen Theorietransfers an autobiographischen Holocausterzählungen unter Verwendung von Konzepten aus psychologisch orientierten Theorien erprobt werden: der Begriff der Positionierung aus der psychologischen Konversationsanalyse (discoursive psychology) und das Konzept der Glaubwürdigkeitsmerkmale aus der Gerichtspsychologie. Mit diesen Ansätzen sollen zwei charakteristische Merkmale autobiographischen Schreibens beschrieben werden, nämlich seine Zeitstruktur und sein Faktualitätsanspruch.
At first glance, "The Name of the Wind" and "The Wise Man's Fear", volumes I and II of Patrick Rothfuss' as yet incomplete trilogy "Kingkiller Chronicles", appear to fulfill many conventions of heroic fantasy. The books are set in a world called the Four Corners (of civilization), consisting mostly of feudal states, a mostly rural and agrarian landscape. This world has a distinct but slightly vague "old-timey" atmosphere – there is little technology, transport is mainly by horse-power, there seem to be no fire-arms and no media. However, a form of postal service exists, science and medicine are taught at university and women have access to university education, so it is hard to place this fictional universe within a "real-life" historical epoch.
Bernhard Hennens zeitgenössischer Roman "Nebenan" erzählt über einen Zeitraum von einigen Monaten hinweg die Geschichte einer Gruppe von Studenten der Universität zu Köln, die – nach der Öffnung eines Tors in die als "Nebenan" bezeichnete Anderswelt – im Mittelpunkt des Konfliktes zwischen "guten" fantastischen Wesen – Heinzelmännchen, die unter der Universität wohnen, und deren Verbündeten, die die reale Welt vor negativen Einflüssen aus der fantastisch-magischen Sphäre "Nebenans" schützen – und "bösen" fantastischen Wesen wie den aus "Nebenan" nach Köln entrückten Erlkönig und Grafen Cagliostro stehen. Dieser Konflikt kulminiert in einem Krieg in der realen Welt, der von den Studenten gemeinsam mit den Heinzelmännchen und anderen Parteien gewonnen wird, wodurch die reale Welt vor einer Invasion von Wesen – von Drachen bis hin zu Riesen – aus der Anderswelt und deren Machtübernahme bewahrt wird.
Der Roman zeichnet sich unter anderem durch einen mehrfachen parallelen Diskurs aus, der die beiden Ebenen des realen und fantastischen Raumes kontinuierlich miteinander kombiniert. Im Zentrum der narrativen Struktur steht das räumliche und zeitliche Nebeneinander von Fantasie und Realität, deren Ebenen nicht zu trennen sind und die nicht ohne einander existieren können. Der Wegfall der einen Ebene würde den Zusammenbruch der Handlung, der Ästhetik, der tieferen Bedeutung der Fiktion etc. bedeuten – kurzum: Der Wegfall einer Ebene würde dem Wegfall der epischen Relevanz des Textes gleichkommen.
Dieser Paralleldiskurs äußert sich in einem Verschwimmen der Grenzen, denn solche werden im Roman auf primärer Ebene kaum gezogen. So ist beispielsweise der Technisierungsgrad der Heinzelmännchen bemerkenswert, die sich als mahnende Quälgeister mit magischen Fähigkeiten und Gegenständen in die Realität einmischen, wenn esgeboten erscheint – das heißt, dass sich fantastische Wesen ganz unproblematisch, fast "natürlich", realer Technologien bedienen können, und andersherum ist nicht nur die Existenz realen Lebens in der märchenhaften Anderswelt denkbar, sondern eindeutig möglich: Die Studentengruppe rund um den Träumer Till bewegt sich ohne physische Einschränkungen oder dauerhaft Schaden zu nehmen in der völlig anders organisierten und strukturierten Welt von "Nebenan".
Unter Zuhilfenahme der Lotmanschen Raumtheorie, deren Prägnanz für die Beschreibung fantastischer Literatur nicht neu ist, sondern von Marianne Wünsch, Hans Krah und Henning Kasbohm bereits beschrieben wurde, werden in vorliegendem Aufsatz die Grenzen der literarischen Fantastik abgesteckt. Im Anschluss hieran bleibt zu erörtern, wie sich das Moment der Unschlüssigkeit, also die "Unordnung der Räume", wie Kasbohm es formuliert hat, einstellt.
Dass der Erzähler hierbei eine immens wichtige Rolle einnimmt, haben Thomas Wörtche und Uwe Durst bereits angenommen. Gegenstand des zweiten Abschnittes ist die Frage, welche Aufgabe ihm genau zukommt.
Dabei wird erläutert, wieso die These vom destabilisierten Erzähler als "inszenatorische Grundlage der phantastischen Literatur" derartige Anerkennung findet. Nach einer Beschreibung dessen, was mit Destabilisierung genau gemeint ist, ist die Annahme zu plausibilisieren, dass für eine exaktere Bestimmung der Art der vorliegenden Fantastik mithilfe der Raumtheorie eine Verbindung mit der Theorie der erzählerischen Unzuverlässigkeit gewinnbringend sein kann. Abschließend finden die raumtheoretischen Folgerungen, die aus den ungleichen Möglichkeiten der Evokation des Moments der Unschlüssigkeit resultieren, Erwähnung. Ich werde mithin der Frage nachgehen, wer hier auf der Schwelle steht, wer der Grenzgänger in fantastischer Literatur ist.
Es gehört zu den besonderen Merkmalen fantastischer Literatur und Kunst, fiktive Welten hervorzubringen, deren Entwurfscharakter Modellhaftigkeit und spielerische Experimentierfreudigkeit ebenso implizieren kann wie Perspektiven des Utopischen. Die Beiträge des Sammelbands gehen auf Vorträge der Jahrestagung der Gesellschaft für Fantastikforschung im September 2013 zurück, die unter dem Motto "Writing Worlds" stand. Sich Welten zu erschreiben, zu erzählen oder zu erträumen ist zweifellos ein zentraler Bestandteil und eine wichtige Motivation zur Kreativität, die sich insbesondere im Genre der fantastischen Literatur beobachten lässt. In der Gegenwart lässt sich die spatiale Ebene, die Welten und Räume konstruierende Dimension des Fantastischen, allerdings nicht weniger ausgeprägt in den neueren Medien des Rollenspiels und des Films entdecken. So eröffnen die Aufsätze des Themenhefts ein weites Spektrum, das von Modellierungen mittelalterlicher Sujets über expressionistische Städte-Visionen und Batmans Metamorphosen bis hin zu neueren U.S.-amerikanischen Fernsehserien um das Jahr 2000 reicht.
Taking as starting point some collective volumes since the year 2000 which aspire to provide new views on narratology, this essay discusses the problem of how to conceive the history of narratology in a way that is more enlightening than the linear narrative used so far to tell this story. It lists some aspects which are neglected by the usual narrative and favors a decentered conception of narratology’s development.
In his book "Fiction and Diction", Gerard Genette bemoans a contradiction between the pretense and the practice of narratological research. Instead of studying all kind of narratives, for Genette, narratological research concentrates de facto on the techniques of fictional narrative. Correspondingly, Genette speaks of a "fictional narratology" in the pejorative sense of a discipline that sets arbitrary limits on its area of study. In his objection, the narratology that literary scholars practice considers fictional narrative to be at least the standard case of any narrative. In other words, what is merely a special case, within a wide field of narratives, is here elevated to narrative par excellence. According to Genette, narratology does not omit the domain of non-fictional narratives from its investigations with any justification, but rather annexes it without addressing its specific elements.
What are possible ways in which this perspective, which Genette criticizes as truncated, can be set right? Can the problem, as outlined, simply be solved by expanding the area of study in narratological research? Or are there not, perhaps, important differences between fictional and nonfictional narratives which seem to encourage narratological research, understood as a fundamental discipline of literary study, under the heading of "fictional narratology"?
In order to come to an answer here, we will first discuss the problem of differentiating between fictional and non-fictional narratives, as well as the possibility of a connection between narrative and fictionality theory. Second, we will expand our considerations to encompass pragmatic and historical aspects of narratives in order to delineate the scope of our proposal.
Figur
(2011)
Wenn literarische Geschichten ('mythoi') gemäß der Bestimmung des Aristoteles "menschliche Handlungen" darstellen ('mimesis praxeōs'; Aristoteles 1982, 1449b), dann sind die Akteure dieser Handlungen zweifellos ein zentrales Element von Erzählungen, genauer gesagt: eine Grundkomponente der erzählten Welt (Diegese). Die Bewohner der fiktiven Welten fiktionaler Erzählungen nennt man 'Figuren' (engl. 'characters'), um den kategorialen Unterschied gegenüber 'Personen' (oder 'Menschen') hervorzuheben. Autoren fiktionaler Texte erfinden Figuren, Autoren faktualer Texte berichten von Personen. Aus diesem Unterschied folgen einige Besonderheiten, die Figuren. Fiktionaler literarischer Welten sowohl von der Darstellung realer Personen in faktualen Texten wie auch von der Wahrnehmung realer Personen in unserer Alltagswelt unterscheiden.
Figuren müssen nicht menschlich oder menschenähnlich sein. Viele literarische Akteure besitzen phantastische Qualitäten, die mit dem Begriff einer Person unvereinbar sind – man denke an die tierischen Handlungsträger in Fabeln. Selbst unbelebte Dinge wie Roboter in der Science Fiction oder die titelgebenden Protagonisten des Grimmschen Märchens "Strohhalm, Kohle und Bohne" können in der Fiktion zu Handlungsträgern und damit zu Figuren werden. Gibt es überhaupt eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Textelement als eine Figur gelten kann? Das einzige unerlässliche Merkmal für den Status einer Figur ist wohl. dass man ihr Intentionalität, also mentale Zustände (Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle, Wünsche, Absichten) zuschreiben können muss.
Erzählen
(2011)
Was ist Erzählen? Erzählen ist eine sprachliche Handlung: Jemand erzählt jemandem eine Geschichte. An dieser Handlung lassen sich – in Analogie zu der linguistischen Grundeinteilung zwischen der Pragmatik, Semantik und Syntax der Sprache – drei Dimensionen unterscheiden.
(a) Erstens ist das Erzählen eine Sprachhandlung, die in einem bestimmten Kontext zwischen einem Erzähler und einem oder mehreren Rezipienten stattfindet. Diese Kommunikation kann unterschiedlich gestaltet sein, beispielsweise als mündliches Erzählen mit kopräsenten Gesprächsteilnehmern oder zerdehnt als schriftlicher Kontakt zwischen räumlich und zeitlich voneinander entfernten Autoren und Lesern. Die Praxis des Erzählens kann unterschiedlichen Funktionen dienen: Man kann erzählend informieren, unterhalten oder belehren, moralisch unterweisen, geistlich stärken oder politisch indoktrinieren, Erzählgemeinschaften bilden, individuelle oder kollektive Identität en stiften usw. Pragmatische Aspekte des Erzählens stehen insbesondere bei der Untersuchung nicht-literarischer ›Wirklichkeitserzählung en‹ (Klein/Martínez 2010) im Vordergrund, also beim Erzählen in institutionellen, quasi-institutionellen und alltäglichen Situationen, etwa Gerichtserzählungen, Predigten, Krankheitsgeschichten beim Arzt oder Therapeuten, journalistischen Reportagen oder dem Klatsch unter Arbeitskollegen.
(b) Eine zweite Dimension der Erzählhandlung umfasst das, was mitgeteilt wird: den Erzählinhalt, nämlich bestimmte Figuren, Schauplätze und Ereignisse, die sich zu einer Geschichte zusammenfügen.
(c) Drittens schließlich ist das ›Wie‹ des Erzählens von Interesse, die Gestaltungsweise der Erzählung. Dazu gehören rhetorische und stilistische Mittel, aber auch die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten der Erzählstimme, etwa der aus dem Text erschließbare ›Standort‹ des Erzähler s (der sich innerhalb innerhalb oder außerhalb seiner eigenen Geschichte befinden kann), das Verhältnis zwischen dem Zeitpunkt des Erzählens und dem Zeitpunkt der erzählten Handlung oder auch die Perspektive der Darstellung. Während die erste Dimension den pragmatischen Kontext des Erzählens umfasst, betreffen der Erzählinhalt (das ›Was‹) und die Erzählweise (das ›Wie‹) textinterne Aspekte.
Erzählt wurde und wird überall. Erzählen ist eine Grundform unserer Wirklichkeitserfassung. Das Zentrum für Erzählforschung (ZEF) der Bergischen Universität ist deshalb interdisziplinär ausgerichtet. Drei Beispiele aus Kunstgeschichte, Journalismus und Rechtsprechung: Der Teppich von Bayeux (11. Jh.) benutzt bei seiner bildlichen Darstellung der Eroberung Englands durch den Normannen Wilhelm Abweichungen von der Chronologie, um die Sympathien der Betrachter zu lenken. Die pietätlose Hast des angelsächsischen Kontrahenten der Normannen, Harold, sich nach dem Tod seines Vorgängers krönen zu lassen, wird visuell durch die unmittelbare Konfrontation der Krönungsszene mit dem Bild des kranken Edward angezeigt. In solchen erzählerischen Kunstgriffen zeigt sich politische Wirkungsabsicht. Zweitens: Fußballspiele stellen den Live-Reporter vor große erzählerische Herausforderung. Er muss eine Geschichte erzählen, deren Ende er nicht kennt. Dafür verwendet er prospektiv Plotstrukturen, die dem disparaten Spielgeschehen Sinn verleihen, die aber auch gegebenenfalls ad hoc abweichendem Spielverlauf anzupassen sind. Drittens: Vor Gericht wird die Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen u. a. nach erzählerischen Kriterien wie Detaillierungsgrad und Inkontinenz beurteilt. Wer besser erzählt, gewinnt.
These […] stories are chosen from anthologies with texts called 'urban legends' (sometimes they are also referred to as 'contemporary legends', or 'urban myths'). Bearing this name in mind, we tend to read these texts as 'Iegendary' narratives that relate ficticious stories of events which never happened. But what if somebody told you these stories as factual accounts of events that really happened to the friend of a friend: wouldn't you believe them to be true – or at least consider seriously the possibility of their truthfulness? Before entering in a discussion of this question, I want to introduce in more detail the kind of narrative I am seeking to analyze.
Bakhtin and Dostoevsky shared the conviction that human life must be understood in terms of temporality. Both thinkers were obsessed with time’s relation to life as people experience it. For each, a rich sense of humanity demanded a chronotope of open time. In many respects, the views of Bakhtin and Dostoevsky coincide. Theologically speaking, one could fairly call them both heretics, as we shall see. Their differences reflect their different starting points. Bakhtin began with ethics, whereas Dostoevsky thought about life first and foremost in terms of psychology. For Bakhtin, any viable view of the world had first of all to give a rich meaning to moral responsibility. Dostoevsky could accept no view that was false to his sense of how the human mind thought and felt.
As Bakhtin noted, chronotopes arise from the density and fusion of temporal and spatial indicators. In prose narrative, the density of temporal and spatial indicators arises as a natural consequence of setting scenes and explaining action, and those indicators are fused by the centripetal forces of plot, character and so on that encourage us to read the various elements of the text as aspects of a coherent story and world. In non-narrative poetry, however, there is no story to drive the setting of scene or generation of character; there may not even be scene or character. As a result, temporal and spatial indicators can be quite sparse, and there may be little centripetal force to encourage their fusion. In a textual environment bereft of character, plot, scene, in which even the centripetal forces of syntax are frayed by linebreaks and other poetic devices, how can chronotopes form and function? [...] In the centripetal environment afforded by most prose narratives, the stable chronotopes and the relationships among them define consciousness, world and values. In the centrifugal environment of non-narrative poetry, chronotopes flicker and flow in a series of hints, glimpses, dissolves, defining consciousness, world and values via evanescence rather than stability. However, as I hope to show below, the evanescence of chronotopes in non-narrative poetry can be as central to the vitality and meaning of those texts as the stability of chronotopes is to the vitality and meaning of prose narratives.
In this contribution, I would like to examine the way in which Bakhtin, in the two essays dedicated to the chronotope, lays the foundations for a theory of literary imagination. […] His concept of the chronotope may be interpreted as a contribution to a tradition in which Henri Bergson, William James, Charles Sander Peirce and Gilles Deleuze have been key figures. Like these four authors, Bakhtin is a philosopher in the school of pragmatism. His predilection for what Gary Saul Morson and Caryl Emerson have called “prosaics” puts him right at the heart of a philosophical family that calls forth multiplicity against metaphysical essentialism, and prefers the mundane to the universal. It seems wise to proceed carefully in the attempt to reconstruct Bakhtin’s theory of imagination. In this contribution to the debate, I choose to develop a philosophical dialogue between Bakhtin and the above-mentioned philosophical family. More specifically, it seems to me that the ideal point of departure for examining the way in which Bakhtin attempts to get to the bottom of the mysteries of literary imagination is Gilles Deleuze’s synthesis of Bergson’s epistemological view on knowledge as “the perception of images”, as well as Peirce’s theory of experience based on a typology of images. In the following, I show that Bakhtin’s view of the temporal-spatial constellations in literature demonstrates a strong affinity to the Bergsonian view that perception of the spatial world is colored by the lived time experienced by the observer. Based on this observation, I then develop a typology of images which places the concept of the chronotope in a more systematic framework.
The Fugue of Chronotope
(2010)
As the survey by Nele Bemong and Pieter Borghart introducing this volume makes clear, the term chronotope has devolved into a veritable carnival of orismology. For all the good work that has been done by an ever-growing number of intelligent critics, chronotope remains a Gordian knot of ambiguities with no Alexander in sight. The term has metastasized across the whole spectrum of the human and social sciences since the publication of FTC in Russian in 1975, and (especially) after its translation into English in 1981. As others have pointed out, one of the more striking features of the chronotope is the plethora of meanings that have been read into the term: that its popularity is a function of its opacity has become a cliché. In the current state of chronotopic heteroglossia, then, how are we to proceed? The argument of this essay is that many of the difficulties faced by Bakhtin’s critics derive from ambiguities with which Bakhtin never ceased to struggle. That is, instead of advancing yet another definition of my own, I will investigate some of the attempts made by Bakhtin himself to give the term greater precision throughout his long life. In so doing, I will also hope to cast some light on the foundational role of time-space in Bakhtin’s philosophy of dialog as it, too, took on different meanings at various points in his thinking.
Bakhtin argues that each literary genre codifies a particular world-view which is defined, in part, by its chronotope. That is, the spatial and temporal configurations of each genre determine in large part the kinds of action a fictional character may undertake in that given world (without being iconoclastic, a realist hero cannot slay mythical beasts, and a questing knight cannot philosophize over drinks in a café). Recent extensions of Bakhtin’s theory have sought to define the chronotopes of new and emergent genres such as the road movie, the graphic novel, and hypertext fiction. Others have challenged Bakhtin’s characterization of certain chronotopes, such as those of epic and lyric poetry, arguing that these genres (and their chronotopes) are far more dynamic and dialogic than Bakhtin’s analysis seems at first glance to allow. Rather than taking issue with Bakhtin’s characterization of particular genres here, however, I wish to argue that we should pay closer attention to the heterochrony, or interplay of different chronotopes, in individual texts and their genres. As Bakhtin’s own essay demonstrates, what makes any literary chronotope dynamic is its conflict and interplay with alternative chronotopes and world-views. Heterochrony (raznovremennost) is the spatiotemporal equivalent of linguistic heteroglossia, and if we examine any of Bakhtin’s readings of particular chronotopes closely enough, we will find evidence of heterochronic conflict. This clash of spatiotemporal configurations within a text, or family of texts, provides the ground for the dialogic inter-illumination of opposing world-views.
This paper proposes a reflection on the potential of the chronotope as a heuristic tool in the field of adaptation studies. My goal is to situate the chronotope in the context of adaptation studies, specifically with regard to perhaps the most central treatise in the field of literary adaptation, Gérard Genette’s “Palimpsests: Literature in the Second Degree”, and to draw attention to perhaps one of the most overlooked works in the field of adaptation studies, Caryl Emerson’s chronotope-inspired “Boris Godunov: Transpositions of a Russian Theme”. I will demonstrate how the chronotope might be used in the study of literary adaptation by examining the relationships between Daniel Defoe’s “Robinson Crusoe”, its historical sources, and Michel Tournier’s twentieth-century adaptation of the Robinson story, “Friday”. My analysis draws upon three of the semantic levels of the chronotope presented in the introduction to this volume: (1) chronotopic motifs linked to two opposing themes: enthusiasm for European colonial expansionism and skepticism regarding the supremacy of European culture; (2) major chronotopes that determine the narrative structure of a text; and (3) the way in which such major chronotopes may be linked to broader questions of genre.
In this contribution we try to probe the generic chronotope of realism, which, judging from its astonishing productivity in the nineteenth century and the profound impact it has had on literary evolution and theory ever since, can be designated nothing less than a hallmark in the general history of narrative. Although we are primarily concerned with the description of the principles of construction underlying the realistic, “documentary”, chronotope, we would also like to touch upon some of its rather evident, but still somewhat under-discussed similarities with the genre of historiography. For, despite an abundance of what could be called “touches of realism” in a plethora of literary texts and genres (both narrative and poetic) since the very beginnings of literary history itself, the direct germs of realism as it developed into a particular narrative genre or generic chronotope during the nineteenth century may well be situated in “prescientific” historiographical works such as those of Gibbon or Michelet.
The aim of this introductory article [to the volume of the same title], firstly, is to recapitulate the basic principles of Bakhtin’s initial theory as formulated in “Forms of Time and of the Chronotope in the Novel: Notes toward a Historical Poetics” (henceforth FTC) and “The Bildungsroman and its Significance in the History of Realism (Toward a Historic Typology of the Novel)” (henceforth BSHR). Subsequently, we present some relevant elaborations of Bakhtin’s initial concept and a number of applications of chronotopic analysis, closing our state of the art by outlining two perspectives for further investigation. Some of the issues which we touch upon receive more detailed treatment in other contributions to this volume. Others may offer perspectives for future Bakhtin scholarship.
One of the most fundamental problems of systemic approaches to literature is the question of how systemic principles might be translated into a manageable methodological framework. This contribution proposes that a combination of functionalistsystemic theories (in casu Itamar Even-Zohar’s Polysystem theory – especially the textually oriented versions – and the prototypical genre approach proposed by Dirk De Geest and Hendrik Van Gorp 1999) with Mikhail Bakhtin’s chronotope theory shows great promise in this respect. Since I am primarily interested in literary genres, the prototypical genre approach assumes a central position in my theoretical framework. My main argument is that Bakhtin’s chronotope concept offers interesting perspectives as a heuristic tool within a functionalist-systemic approach to genre studies, enabling the study not only of the constitutive elements of genre systems, but also of their mutual relations. Bakhtin’s own vague definitions of the concept somewhat hamper the process of putting it into practice for this purpose, but with the aid of the distinction between generic and motivic chronotopes, that problem can be solved. A detailed, comprehensive account of the theoretical premises underlying my proposal can be found in Bemong (under review); here I restrict myself to the basics.
This paper forms part of a larger, ongoing project, to investigate how certain narrative possibilities that seem to have crystallized for the first time in the ancient Greek novel have proved persistent and productive over time, undergoing subtle transformations during formative later periods in the history of the genre, notably the twelfth century (simultaneously in Old French and in Byzantine Greek) and the eighteenth (the time when, according to a narrower definition, the novel is said to originate). For the present, my more limited aim is to revisit the two main essays in which Bakhtin’s theory of the chronotope (and of the “historical poetics” of the novel) are developed, and to extrapolate what seem to me to the most significant and productive lines of his approach, both in general, and with specific reference to the ancient Greek novel. I will then attempt simultaneously to apply and to modify Bakhtin’s model, in the light of a reading of Achilles Tatius’ Leucippe and Clitophon and with reference to previous critiques. The final part of the paper examines how this approach can be productive for a reading of a much later text, often regarded as “foundational” for the modern development of the genre, especially in English, Fielding’s Tom Jones (1749).
This edited volume is the first scholarly tome exclusively dedicated to Mikhail Bakhtin’s theory of the literary chronotope. This concept, initially developed in the 1930s and used as a frame of reference throughout Bakhtin’s own writings, has been highly influential in literary studies. After an extensive introduction that serves as a ‘state of the art’, the volume is divided into four main parts: Philosophical Reflections, Relevance of the Chronotope for Literary History, Chronotopical Readings and Some Perspectives for Literary Theory. These thematic categories contain contributions by well-established Bakhtin specialists such as Gary Saul Morson and Michael Holquist, as well as a number of essays by scholars who have published on this subject before. Together the papers in this volume explore the implications of Bakhtin’s concept of the chronotope for a variety of theoretical topics such as literary imagination, polysystem theory and literary adaptation; for modern views on literary history ranging from the hellenistic romance to nineteenth-century realism; and for analyses of well-known novelists and poets as diverse as Milton, Fielding, Dickinson, Dostoevsky, Papadiamandis and DeLillo
The essay raises the question of what it actually means to work with concepts of intermediality in literary studies. It uses as an example a Ph.D project which compares story-telling in literary texts and videographed testimonies by Shoah survivors. It soon becomes clear that that a strictly "intermedial" approach does not fully serve the purpose. Instead, one should try to maintain a literary studies perspective even on other forms of media. To illustrate this, the essay presents an analysis of videographed testimonies using categories taken from literary narratology. It thereby shows the problems as well as the merits of such an approach, at the limits of the discipline.
En el relato periodístico retrospectivo de un partido de futbol –el de Chile contra México por la Copa América, el 30 de junio de 1999- se puede observar el uso de diversos elementos narratológicos que lo vuelven interesante. Los reportajes de distintos diarios chilenos contienen crónicas, historias y esquemas narrativos construidos a partir del antagonismo entre adversarios, el protagonismo de ciertos personajes y los puntos culminantes que ellos viven. Además, hay en los relatos una identificación con el punto de vista del equipo chileno. El resultado son construcciones variadas de una misma realidad, cuya elaboración explica, al menos en parte, el interés del público por acceder a ellas. Incluso cuando esos lectores han asistido al estadio o han conocido el encuentro por radio o televisión, buscan historias para entender mejor y mas completamente lo ocurrido.
Allwissendes Erzählen
(2004)
›Allwissendes Erzählen‹ und ›allwissender Erzähler‹ gehören zu den literaturwissenschaftlichen Begriffen, die viel gebraucht, aber selten definiert werden. Wer in den einschlägigen erzähltheoretischen Hand- und Einführungsbüchern nach diesen Stichworten sucht, tut es häufig vergebens. [...] Einerseits wird der Begriff des allwissenden Erzählens im literaturwissenschaftlichen Sprachgebrauch offenbar in einem erkenntnistheoretischen Sinne verwendet – es geht um ein durch keine empirischen Bedingungen begrenztes Wissen. Wenn allwissendes Erzählen aber in systematischer Verknüpfung (oder gar synonym) mit auktorialem Erzählen gebraucht wird, dann steht in der Regel ein anderer Aspekt im Vordergrund […]. Der Ausdruck ›auktorialer Erzähler‹ bezeichnet seit Stanzel einen persönlichen heterodiegetischen Erzähler, d.h. 'einen Erzähler, der zwar nicht der erzählten Welt angehört, aber eine individuelle Einschätzung und Bewertung des Erzählten zum Ausdruck bringt und dadurch ein bestimmtes ideologisches oder moralisches Profil gewinnt.' […] Trotz [einer] zeitweisen historischen Koppelung von allwissendem und auktorialem Erzählen handelt es sich jedoch um zwei systematisch voneinander unabhängige Aspekte, die in der Literaturgeschichte keineswegs immer gemeinsam auftreten. Im folgenden gehe ich nicht auf die moralischen Aspekte auktorialer Erzählerfiguren ein, sondern beschränke mich auf die erkenntnistheoretischen Besonderheiten allwissenden Erzählens.
Narrative Kommunikation
(2004)
"Eine engere Zusammenarbeit von hermeneutischen und stärker empirischexperimentell ausgerichteten Humanwissenschaften scheint endlich möglich geworden zu sein. Liegt ein sprachliches Phänomen vor, das mit rhetorischen Begriffen als Metonymie bezeichnet wird, so kann die Produktion und Verarbeitung eines solchen Textelements mit kognitionswissenschaftlichen Methoden untersucht und können die komplexen Inferenzprozesse rekonstruiert werden, die das Verständnis von den sehr unterschiedlichen Phänomenen, die darunter fallen, erst genauer ermöglichen. Dies führt notgedrungen zu einer immer stärkeren Verlagerung der Aufmerksamkeit vom Text zur Rezipientenseite, ist also Teil eines allgemeineren Trends, der auch die Literaturwissenschaft seit der Rezeptionsästhetik prägt."