Literatur zum Film
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Ein Therapeut und Gentleman
(2009)
Beginnen wir mit einem Ende. Die Großaufnahme zeigt einen Mann mittleren Alters, der gerade ein Telefonat beendet. „I do wish we could chat longer,“ erklärt er höflich und gibt auch gleich den Grund für den Abbruch des Gespräches an: „I’m having an old friend for dinner.“ Die Doppeldeutigkeit dieser Bemerkung erschließt sich nur demjenigen, der um die Identität des Sprechers weiß. Der distinguierte Herr ist der Se-rienmörder Hannibal Lecter, genannt ‚Hannibal, the cannibal’. Dieser Spitzname ist Programm: Lecter plant nicht etwa, mit seinem Gast zu speisen. Er hat stattdessen vor, den Gast zu verspeisen.
Während die Erforschung der politischen und literarischen Utopien und Anti-Utopien im wissenschaftlichen Diskurs nach wie vor eine große Rolle spielt, wurde die Analyse von utopischen und anti-utopischen Aspekten im Medium Film bislang vernachlässigt. Eine mögliche Ursache könnte sein, dass die Existenz von genuinen filmischen (Anti-)Utopien bezweifelt werden kann. Seit der Verlagerung der literarischen (Anti-)Utopien vom Raum in die Zeit ist die Darstellung von Gesellschaftsmodellen zumeist auf die Zukunft bezogen; und die Zukunft wird oft mit den Mitteln der Science-Fiction ausgestaltet. Im Medium Film hat sich Science-Fiction als Genre etabliert und es stellt sich die Frage, ob über diese medialen Repräsentationen von Zukunft utopische oder anti-utopische Gesellschaftsentwürfe transportiert werden.
Gibt es im Film – wie in narrativen Texten der Literatur – einen Erzähler als fiktive und das Bild „produzierende“ Instanz oder sollte – wie beim Theater – von einem (idealen) Autor ausgegangen werden, der die Abbildungen arrangiert? Obwohl diese und ähnliche Fragen grundlegend für jede filmwissenschaftliche Erzähltheorie sind, haben sie bislang nur wenig Beachtung gefunden und wurden bis heute nicht zufrieden stellend beantwortet. Der folgende Beitrag bietet eine Momentaufnahme der aktuellen Debatte und will im Anschluss an Lotman eine filmische Erzählinstanz plausibilisieren.
Joseph Carey Merrick alias John Merrick galt bereits im Viktorianischen Zeitalter als Musterbeispiel des gesellschaftlichen Außenseiters, doch selbst im Werk von David Lynch, wo die Darstellung des Freaks gleichsam zum inhaltlichen Filminventar gehört, bedeutet er eine Ausnahmeerscheinung. Der folgende Beitrag widmet sich der Frage, warum es – gemäß der Lynch’schen Inszenierung – für den Elefantenmenschen kein Entrinnen aus der Rolle des Objektes der Schaulust gibt und welchen potentiellen Ausweg die Kunst dabei bietet.
Die postmoderne Scream-Trilogie schien das Horror-Genre dekonstruiert zu haben. Als jedoch ab 2003 eine neue Welle von Genre-Filmen ohne Jugendfreigabe die Kinosäle füllte, erwies sich der „harte Horror“ als populär wie nie zuvor. Der folgende Beitrag fragt, wie der Terrorfilm der Falle der Postmoderne entkommen konnte, und findet die Antwort in einer noch jungen Theorie der Postpostmoderne.
Fast 40 Jahre alt ist A Clockwork Orange, einer der berühmtesten und erfolgreichsten Filme der Filmgeschichte. Bis heute hat er seinen Platz in vielen internationalen Top-Ten-Listen. 1971 unter der Regie von Stanley Kubrick in Großbritannien produziert, wurde er 1972 für mehrere Oscars nominiert (beste Regie, bester Film, bestes adaptiertes Drehbuch, bester Schnitt). A Clockwork Orange erhielt mehrere bedeutende Preise. Dieser Film hat als Kultfilm durchaus Karriere gemacht: Andere Filme oder Fernsehserien zitieren ihn direkt oder indirekt (von Andy Warhols „Vinyl“ bis hin zu den „Simpsons“). Natürlich gibt es längst auch eine Musicalversion von A Clockwork Orange. Musikgruppen benennen sich nach dem Film und die „Toten Hosen“ veröffentlichen 1988 das Album Ein klein bisschen Horrorshow mit dem Titel Hier kommt Alex. Aufnäher, Anstecker, Tätowierungen, alles ist verfügbar. (Und es soll Skinhead-Szenen geben, die A Clockwork Orange ohne jeden Blick für die Satire, den Sarkasmus und die bittere Ironie des Films wieder einmal voll und dämlich ernst nehmen; aber denen ist sowieso nicht mehr zu helfen.)
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit Wim Wenders Film Hammett, wobei die im Film aufgeworfene Frage der Überlappung zwischen fikti-ver und realer Identität des amerikanischen Schriftstellers und Pinkerton-Detektivs Hammett fokussiert wird. Thematisiert wird die Künstlerprob-lematik in einem „Kunstwerk“ bzw. Kunstwerken. Denn Wim Wenders Filmkunstwerk Hammett handelt von einem Schriftsteller, der sich in ei-nem künstlerischen Produktionsprozess befindet. Müsste man dieses Phänomen mit einem Schlagwort zusammenfassen, dann könnte man von einer im Film und Hammetts Literatur auftauchenden und themati-sierten „Selbstreflexivität der Kunst“ sprechen. Ein wesentliches Thema im Wenderschen Schaffen, die Selbstreflexivität der Kunst, wird also im Film Hammett in den Mittelpunkt gerückt. In diesem Punkt ist ein gravie-render Unterschied zu den meisten anderen Filmen von Wim Wenders festzustellen: wird dort nur über das Medium des Films selbst reflektiert, so wird in Hammett der Produktionsprozess der erzählenden Kunst her-ausgestellt. Zu diesem Thema gehören auch im filmischen Medium die Aspekte der Inter- und Intratextualität. Im Zuge des Booms kulturwis-senschaftlicher Ansätze käme heute ggf. eine andere Terminologie zur Anwendung, man müsste von inner- und außerliterarischen bzw. –künstlerischen Kontexten zu Film und Texten sprechen.
Noch in den 1980ern waren filmische Darstellungen der psychischen Krankheit und der psychiatrischen Kliniken dominant politisch gefärbt. Psychiatrien galten dabei als Orte der Kontrolle, Repression und Ausgrenzung, All dieses ist in den letzten beiden Dekaden zurückgetreten gegen eine Gesellschaftsauffassung, in der Psychiatrie als me-dizinische Notfallversorgung bestehen bleibt, in der das Management der Krise aber dem einzelnen und seinem näheren Umfeld überlassen bleibt. Die großen gesellschaftli-chen Tendenzen der Individualisierung, Differenzierung und Entsolidarisierung fin-den sich so auch im Horizont der Psychiatriethemen. Die Einheit des Normalen wird durch eine Vielheit der Lebensorientierungen und Lebensweisen abgelöst. Die psychi-sche Krise wird so gelegentlich zum Ausdruck einer allgemeineren Sinnsuche, der Um-gang mit Verlust, Trauer, Demütigung und ähnlichem wird zu einem allgemeineren existentiellen Anliegen. Die Psychiatrie als Institution wird dabei deutlich entlastet.
2008 ist mit dem Film Nordwand ein spektakuläres Bergdrama über den Versuch der Erstbesteigung der Eiger Nordwand im Jahr 1936 in die Kinos gekommen. Der zitathaft an die filmischen Vorbilder der 20er und 30er Jahre anknüpfende Film hat das Genre des Bergfilms innovativ ästhetisch erweitert. In diesem Beitrag wird erläu-tert, wie sich„Nordwand“ aus dem Fundus der Kultur- und Mediengeschichte der Alpen bedient und kritisch eingeschätzt, wie sich dieser Film dadurch gegenüber sei-nem historischen Kontext situiert.
Paris je t´aime so lautet der Titel einer 18-teiligen Kurzfilmreihe des Jahres 2008, deren Filme jeweils nach einem Stadtteil von Paris benannt sind. Dieses außerordent-liche Filmprojekt, zu dem 21 internationale Regisseure ihren persönlichen Blick auf die Stadt der Liebe beitrugen und das vergleichsweise wenig Beachtung fand, kann mit einigen hervorragenden Kurzfilmen aufwarten. Besonders der fünfminütige Film 14ème Arrondissement von Alexander Payne, in dem eine amerikanische Touris-tin in einem Pariser Stadtpark einen emphatischen Liebesmoment erlebt, ist – so die These – ein anschauliches Beispiel, das die konstitutive Wechselbeziehungen von Me-dialität und Liebe illustrieren lässt. Im Folgenden wird dabei untersucht, welche (Medien-)Strategien der Nähe- und Distanzerzeugung dieser Kurzfilm einsetzt und so zwei in sich verschränkte Rezeptionsweisen provoziert.
300 todesmutige Spartaner metzeln in endloser stereotyper Wiederholung böse Perserhorden, bevor sie selbst den Heldentod erleiden. Daneben gibt's noch ein bisschen Liebe und Verrat. Zack Snyders Film 300 (2006) erzählt – ohne jegliche political und ohne jede historical correctness – eine Episode aus den Perserkriegen, nämlich die Geschichte der Schlacht bei den Thermopylen im Jahre 480 v Chr., bei der angeblich 300 Spartaner einem übermächtigen Heer von Persern bis zuletzt Widerstand geleistet haben.
Dass der Film eine enge Beziehung zum Mythos oder genauer: zu mythi-schen Erzählungen verschiedenster Art und Herkunft unterhält, ist be-kannt. Um sich klarzumachen, wie eng diese Beziehung im Einzelfall tat-sächlich sein kann, genügt es, an ein Projekt wie Star Wars zu denken, das sich sowohl offenkundig mythischer Muster als Modell für seine plots be-dient – so begegnet etwa der Kampf des Sohnes mit dem Vater schon in der griechischen und auch in der germanischen Mythologie –, als auch selbst einen neuen Mythos gestiftet hat. Oder man denkt an die in jüngster Zeit so beliebten Filme, die ganz explizit als Mythenverfilmun-gen angelegt sind wie Troy oder Beowulf. Oder aber man denkt an die zahllosen Beispiele für Filme, die die modernen Mythen der Popkultur wieder- und weitererzählen, wie zuletzt The Dark Knight und Quantum of Solace, oder, als mittlerweile klassisches Beispiel, Kill Bill. Insgesamt wird man sagen können, dass der Film einen nicht geringen Teil seiner Stoffe, Figuren und plots aus den verschiedenen Mythologien dieser Welt be-zieht, dass diese also gleichsam zu seinen wichtigsten Energiequellen ge-hören, und zwar in einem wahrscheinlich höheren Maße, als dies bei der Literatur des 20. Jahrhunderts der Fall ist.
Wenn von Stanley Kubricks Lolita als Skandal-Film die Rede sein soll, dann ist es unvermeidlich, zunächst einen anderen Skandal ins Auge zu fassen, und zwar einen, der den durch den Film ausgelösten an Intensität bei weitem übertrifft: den Skandal um das Buch nämlich, das dem Film zugrundeliegt, also Vladimir Nabokovs Roman Lolita. Der Skandal, den dieses Buch entfesselte – Nabokov selbst sprach von dem „Wirbelsturm Lolita“ –, war unter den nicht eben wenigen Skandalen in der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts einer der größten und wirkungsreichsten. Welcher Roman sonst hätte es geschafft, dass nach seinem Erscheinen der Pfarrer einer Kleinstadt, die zufällig denselben Namen trägt wie der Roman, einen Antrag auf Namensänderung – der Stadt, nicht des Romans – gestellt hätte?
Während die Mehrzahl der Literaturwissenschaftler die Postmoderne, oder sogar schon die Post-Postmoderne, als Erklärungsmodell für zeitgenössische Texte verwenden, greifen andere Wissenschaftler die Möglichkeit des Barock im Zeitalter der Moderne auf. Die daraus resultierende Ästhetik ist die des Neobarock, die sich zwar auf ihren historischen Vorgänger beruft, diesen aber gerade wegen seiner antiquierten Stilistik ablöst. Um ein solches neues Literaturkonzept zu etablieren, bedarf es der Analyse von Primärtexten, die dieses Erklärungsmodell rechtfertigen. Ein solcher Text ist Gore Verbinskis Pirates of the Caribbean-Trilogie, die nicht nur ein Verbindungsglied zwischen barocker und neobarocker Ästhetik darstellt, sondern das Spektrum der neobarocken Theorie erweitert.
Der Science-Fiction-Film „Matrix“ lässt sich als „Verfilmung“ der verschiedensten philosophischen Theoreme interpretieren. Dazu zählen auch die Ideen Jean Baudrillards – und wohl nicht zufällig, gehört doch eines seiner Bücher zu den Requisiten des Films. Dem wechselseitigen Verhältnis dieser Philosophie einerseits und „Matrix“ andererseits versucht der Essay auf die Spur zu kommen.
In den letzten Jahren zeigte sich in der amerikanischen Filmindustrie eine Tendenz dazu, mit alten Erfolgen erneut Kasse machen zu wollen. Dabei war vor allem das Remake bestimmend, also einen alten Film erneut zu verfilmen, und diesen dabei dem veränderten Zeitgeist anzupassen. Gus Van Sant nahm für sein Remake des Hitchcock-Klassikers Psycho den Begriff wörtlich und imitierte den Film nahezu eins zu eins bezüglich Kamera, Arbeitsbedingen, Drehbuch, Musik, etc. Durch die veränderten Sehgewohnheiten im Kino, ist damit keinesfalls nur eine Farbversion des Films entstanden, sondern vielmehr sein subtiler Filmessay über das Filmemachen und die veränderte Rezeption von Filmen.
Der Kampf gegen die Scheinwelt der "Matrix", der im Film The Matrix thematisiert wird, muss immer scheitern: Zum einen fordern die dispositiven Machtstrukturen der technischen Geräte im Film, auch wenn sie für den Widerstandskampf eingesetzt werden, Gesten der Unterwerfung. Zum anderen ist vor dem Hintergrund von Deleuze' Konzept der Kontrollgesellschaft der Freiheitskampf selbst auch nur ein Teil der Matrix, der das System mit konstituiert und teilweise sogar festigt, anstatt es zu zerstören. In Form des Konsums macht er dabei die Kontrolle, die von ihm ausgeht, unsichtbar.
Der folgende Artikel geht umfassend auf die Verfilmung des ersten Teils von Tolkiens "Herrn der Ringe" ein und untersucht entlang der wichtigsten Parameter den Weg vom Buch zum Film. Insbesondere werden dabei sowohl Buch-Film-Textvergleiche angestellt, produktions- und Rezeptionsfaktoren erörtert, Specials-Effects durchleuchtet und sogar eine Beispielsequenz besprochen.
DOGMA 95 als Genre
(2003)
In letzter Zeit ist es erstaunlich ruhig um DOGMA 95 geworden – jene Bewegung, die kurzfristig zu einer der wichtigsten Erneuerungsbestrebungen des europäischen Films avanciert war. Anfang des Jahres 2003 erschien im Spiegel ein großer Artikel, in dem Urs Jenny einen Abgesang auf DOGMA 95 anstimmte. Susanne Biers Film Open Hearts (2002) wurde zur gleichen Zeit vor allem deshalb wahrgenommen, weil der Film als vermeintlich letzter DOGMA-Film promotet wurde. Die Gründungsregisseure Lars von Trier und Thomas Vinterberg arbeiten längst an neuen Projekten, die mit dem "Schwur der Keuschheit" kaum noch etwas zu tun haben: Von Trier drehte mit Björk das Musical Dancer in the Dark (2000) und arbeitet nun für seinen neuen Film Dogville mit Hollywood-Ikone Nicole Kidman zusammen; Vinterberg hat gerade mit It's all about Love (2002) einen ästhetizistischen Science-Fiction-Film vorgestellt. Bereits im Sommer 2002 haben die beteiligten dänischen Produktionsfirmen ihr "DOGMA-Sekretariat" geschlossen. Als Grund wurde, neben den Kosten, die Herausbildung eines DOGMA-Genres genannt. Die dominante Rolle der DOGMA-Brüder bei der Interpretation der Regeln sei daran mitschuldig und solle durch ihr Verstummen aufgegeben werden.