Geographie
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„Gehört die Stadt überhaupt? Wir wollen mit der Frage die Möglichkeiten, die eine Stadt bietet, ausfindig machen und vor allem die Grenzen, die die gesamte Stadt durchziehen, benennen und angreifen.“ (Wem gehört die Stadt?-Netzwerk 2008)
Die Frage, ob eine Stadt im Allgemeinen und Frankfurt im Besonderen überhaupt gehört, muss eindeutig mit „ja“ beantwortet werden. Unter kapitalistischen Bedingungen und insbesondere im Zuge der globalen Enteignungsökonomie (Zeller 2004) und der Neoliberalisierung des Städtischen (Heeg, Rosol 2007; Mullis 2011) befinden sich städtische Räume – von der Wohnung bis zum öffentlichen Raum – im Privateigentum und sind zunehmend der Profitorientierung unterworfen. Einher gehen damit massive Ausschlüsse von den städtischen Qualitäten all derer, die gemäß dieser Logik nicht als nützlich, kreativ, angepasst – sprich: verwertbar – gelten.
Während diese Ausschlüsse global zu beobachten sind, ist ihre jeweilige Manifestation pfadabhängig von lokalen Kräfteverhältnissen und Entwicklungen. Exemplarisch lassen sich für die Metropolregion Rhein/Main und insbesondere die Kernstadt Frankfurt fünf zentrale Felder skizzieren, auf denen sich Ausgrenzungsprozesse manifestieren. So gehört erstens das Frankfurter Wohnungsangebot zum teuersten der Bundesrepublik. Der komplette Innenstadtbereich ist durchgentrifiziert und erlebt mittlerweile – wie bspw. im Nordend und in Bockenheim– eine „Supergentrifizierung“ (Holm 2010). In der Folge werden subalterne Bevölkerungsschichten aus diesen städtischen Vierteln verdrängt oder müssen mit immer höheren Belastungen kalkulieren. Die Bugwelle der Gentrifizierung pflügt in den letzten Jahren auch durch ehemals noch relativ bezahlbare Stadtteile – Bahnhofsviertel3, Gallus4, Mainfeld5 und Ostend6 sind hier aktuelle und gravierende Beispiele (Schulze 2012; MHM 2010).
Der Mietspiegel ist ein Instrument im deutschen Vergleichsmietensystem, mit dem die Mietpreise auf dem privaten Wohnungsmarkt reguliert werden sollen. Frankfurt am Main war Pionier bei der Durchsetzung des Mietspiegels in der Bundesrepublik: Bereits in den 1960er Jahren wurden Mietprognosen von der Vereinigung der Haus-, Grund- und Wohnungseigentümer (Haus & Grund) veröffentlicht, die bei Rechtsstreitigkeiten schlichtende Funktion erfüllen sollten; 1974 kam es zur Bildung einer Kommission, in der neben der Stadt Frankfurt u.a. Repräsentant_innen der beiden Mietparteien vertreten waren und die den ersten Mietspiegel herausgab (vgl. Lammel 2007: 4); 1990 kam es schließlich zur bundesweit ersten Erstellung eines Mietspiegels mittels der Regressionsanalyse – einer Methode, die damals von Seiten der Vermieter_innenverbände heftig angefeindet wurde (vgl. ebd.: 6ff., Hummel 1993), mittlerweile jedoch allgemein als anerkannt gilt (vgl. BMVBW 2002: 39). In Frankfurt kommt diese Methode bis heute zur Anwendung, obwohl sie nach wie vor in der Kritik der Vermieter_innenverbände steht (vgl. exemplarisch Ridinger 2011). Entsprechend lehnten diese bspw. den Mietspiegel 2008 geschlossen ab, während die Mieter_innenverbände ihm durchweg zustimmten (vgl. Amt für Wohnungswesen 2008: 4). Haus & Grund äußerte sich damals in Vertretung der Kleineigentümer_innen wie folgt:
„Der einseitig von der Stadt aufgezwungene Mietspiegel kann seinen Hauptzweck, nämlich für eine Befriedung zwischen Mietern und Vermietern zu sorgen, nicht erfüllen“ (Haus & Grund 2009).
2010 wendete sich das Bild: Während die Vermieter_innenverbände dem neuen Mietspiegel mehrheitlich zustimmten, stimmte ein Mieter_innenverband dagegen und zwei enthielten sich der Stimme. Beispielhaft auch hier die Erklärung von Haus & Grund:
„Frankfurter Vermieter können aufatmen. Der neue Frankfurter Mietspiegel 2010 ermöglicht Mietsteigerungen um durchschnittlich 4,4 Prozent. (...) Die Innenstadt wurde durch die Einführung von zwei neuen Wohnlage-Kategorien stark aufgewertet, die Liste der Durchgangsstraßen wurde merklich reduziert, und der restaurierte Stilaltbau erhält endlich die Zuschläge, die ihm gebühren. Freuen dürfte viele Vermieter zudem, dass auch Balkone, Terrassen, Loggien und Rollläden wieder Zuschläge erhalten, ebenso wie modernisierte Bäder“ (Haus & Grund 2011a).
In der Folge kam es zu teilweise drastischen Mieterhöhungen, die zum Protest verschiedener Stadtteilinitiativen führten (FR 2011b, 2011c). In der Diskussion um die Fortschreibung des Mietspiegels 2010 wurde von der IG BAU seine Abschaffung gefordert (vgl. FR 2012d).
Mobilität ist Kultur“ – mit diesem Motto wird seit mehreren Jahren für das Verkehrs- und Mobilitätskonzept der Stadt Zürich geworben. Das Ziel dieses Züricher Konzepts ist die lang-fristige Etablierung einer nachhaltigen Mobilitätskultur. Eine wesentliche Teilstrategie bei der Umsetzung des Konzepts ist dabei neben verkehrsplanerischen Aspekten (z.B. die gezielte Förderung bzw. der Ausbau des ÖPNV sowie des Fuß- und Radverkehrs) die umfassende und frühzeitige Information der Bevölkerung über Verkehrsplanungsverfahren und die Beteili-gung an den entsprechenden Entscheidungen. Weiterhin wird hervorgehoben, dass bereits die Mobilitätsstrategie selbst das Ergebnis eines gemeinsamen Meinungsbildungsprozesses von Bevölkerung, Planung, Politik und Wirtschaft ist. In Zürich wird nachhaltige Mobilitätskultur demnach nicht nur als neues Leitbild der Verkehrsplanung, sondern als umfassender Pla-nungs-, Kommunikations- und Kooperationsansatz verstanden (Ott 2008: 1ff.; Schreier 2005: 127ff.; Tiefbau- und Entsorgungsdepartment der Stadt Zürich 2005: 1ff.).
Gerade im Zusammenhang mit Konzepten zu nachhaltiger Mobilität wird die Notwendig-keit der Kommunikation mit den Bürgern nicht nur in Planungen einzelner Kommunen, son-dern auch in theoretischen Beiträgen häufig thematisiert. So hebt beispielsweise Banister (2008: 80) hervor, dass bei Verkehrsplanungsmaßnahmen die Kommunikation – also die In-formation und Beteiligung der Bevölkerung – aber auch ein entsprechendes Marketing we-sentliche Elemente zur Steigerung der Akzeptanz nachhaltiger Mobilitätspolitik sind. Auch Beckmann (2005: 10, 16f.) betont die Notwendigkeit der Kommunikation mit den Bürgern und zivilgesellschaftlichen Gruppen, um die Akzeptanz und Wirksamkeit verkehrsplane-rischer Maßnahmen, aber auch soziale Lernprozesse im Bereich der Mobilität zu fördern. Bedingt durch die besondere Stellung direktdemokratischer Elemente im politischen Sys-tem der Schweiz hatte die Bevölkerung dort bereits lange vor der Einführung solch moderner Planungsansätze weitreichende Möglichkeiten zur Einflussnahme auf politische Entscheidun-gen (Linder 2009: 574ff.). So hebt z.B. Bratzel (1999: 183ff.) die Ablehnung der städtischen U-Bahn-Planung durch die Züricher Bevölkerung als wegweisende Richtungsänderung hervor und bewertet die Möglichkeiten zur Interessenartikulation und auch deren Durchsetzung sei-tens der Bürger als wichtigen Einflussfaktor der Entwicklung des städtischen Verkehrs. Dabei stellt sich die Frage, ob der Einfluss der Züricher Bevölkerung auf die städtische Verkehrspolitik und damit auch auf die Entwicklung der lokalen Mobilitätskultur eher einen Sonderfall darstellt, oder ob auch in anderen Städten die Bürger in ähnlicher Weise die Mobi-litätskultur mit geprägt haben. Im Rahmen dieser Arbeit wurde deshalb näher untersucht, welchen Einfluss die Bevölke-rung einer Stadt über ihr eigenes Verkehrsverhalten hinaus auf die Herausbildung der jeweili-gen Mobilitätskultur hat. Für die Analyse wurde ein Vergleich der Entwicklung der Mobili-tätskulturen in Zürich und Frankfurt am Main vorgenommen, wobei der Einfluss der Bevölke-rung auf zentrale Debatten und Entscheidungen im Mittelpunkt stand. Frankfurt ist als Ver-gleichsstadt in besonderer Weise geeignet, da Frankfurt einerseits im Hinblick auf die Stadt- und Wirtschaftsstruktur sowie die Herausforderungen im Verkehrsbereich teilweise große Ähnlichkeiten zu Zürich aufweist (Langhagen-Rohrbach 2003: 40, 44ff., 60ff.). Andererseits bestehen im Hinblick auf das politische System bzw. die politische Kultur aber auch charakte-ristische Unterschiede (Linder 2009: 567ff.; Dreßler 2010: 165ff.). Von Interesse bei der Un-tersuchung war insbesondere auch die Frage nach den Motiven für die Beteiligung der Bevöl-kerung, d.h. ob die eigentliche Intention bei der Beeinflussung städtischer Verkehrspolitik durch die Bürger die bewusste Gestaltung von Verkehr und Mobilität in der Stadt war, oder ob andere Beweggründe im Vordergrund standen. Dabei galt es ebenso herauszuarbeiten, in-wiefern die Entwicklung der Mobilitätskultur einer Stadt auch mit einer bestimmten politi-schen Kultur der Beteiligung oder einem speziellen gesellschaftlichen Kontext verknüpft ist.
Für die Untersuchung wurde, aufbauend auf einer eingehenden Analyse des Begriffs „Mobilitätskultur“ selbst und möglicher Einflussfaktoren auf die urbane Mobilitätskultur, zunächst ein Vergleich der aktuellen Mobilitätskulturen in Zürich und Frankfurt vorgenom-men. Im Anschluss an eine Gegenüberstellung der jeweiligen Rahmenbedingungen der Ent-wicklung wurde dann abschließend eine vergleichende Analyse des Einflusses der Bevölke-rung auf zentrale Debatten und Ereignisse bei der Entwicklung der lokalen Mobilitätskultur durchgeführt. Bei der Analyse der Züricher Mobilitätskultur im Rahmen der Vergleiche wur-de lediglich auf die bereits vorhandene theoretische Literatur und statistische Erhebungen zurückgegriffen. Für die Untersuchung der Frankfurter Mobilitätskultur wurden zur Ergän-zung dieser Quellen zwei Experteninterviews und eine fallbezogene Analyse einschlägiger Artikel einer Frankfurter Tageszeitung durchgeführt.
Leuchtturm statt AfE-Turm : hegemoniale Kämpfe im Umzugsprozess der Goethe-Universität Frankfurt
(2011)
Im Kontext des Bildungsstreiks 2010, bei welchem die Leitung der Frankfurter Goethe-Universität das von Studierenden friedlich besetzte Casino auf dem IG-Farben-Campus polizeilich räumen ließ, formulierten wir als Studierende am Institut für Humangeographie eine Protestnote, in der wir uns vor allem für ein selbstbestimmtes und kritisches Lernen aussprachen.
Das in der Folge entstandene autonome Projektseminar ist aus unserer Unzufriedenheit mit den im Vorlesungsverzeichnis angebotenen Seminaren motiviert und darüber hinaus mit dem Wunsch verbunden, aus den „klassischen“, frontal organisierten Seminarstrukturen auszubrechen und andere Formen des Arbeitens zu erproben. Der vorliegende Projektbericht ist der Nachweis, dass dies am Institut für Humangeographie möglich ist. Für diese Möglichkeit sind wir dem Institut im Ganzen und den Vielen, die trotz enger Zeitbudgets die Rahmenbedingungen ermöglichten, zu Dank verpflichtet.
Zugleich ist dieser Bericht allerdings auch der Nachweis, dass der Autonomie unter gegebenen Bedingungen Grenzen gesetzt sind, dass sich autonome Initiativen an der Universität in einem „kontrollierten Möglichkeitsfeld“ (Schreibwerkstatt des AK Kritische Geographie 2011) bewegen. Um unsere Arbeit entsprechend der Studienordnung in die heilige Kuh der bolognareformierten Abschlüsse – den Credit Points – eintauschen zu können, mussten diverse formale Voraussetzungen erfüllt werden. Dazu gehörte, dass wir einen vorgegebenen workload erbringen mussten und am Ende ein zu bewertendes Ergebnis stand. Schließlich war eine mit den nötigen Befugnissen ausgestattete Person erforderlich, die jene zu beurteilen und zu bescheinigen in der Lage war – der Dank geht in diesem Falle an Bernd Belina.
Wesentlich wichtiger aber war für uns seine inhaltliche Begleitung des Seminars. In Absehung akademischer Statusgruppenunterschiede und einer „klassischen“ Seminarleiter_innenposition nahm er als zwar erfahrenerer aber gleichberechtigter Diskussionsteilnehmer an unseren Debatten teil und gab uns manche hilfreiche Anregung. Ein ähnlicher Dank geht an Sebastian Schipper, der uns in den Untiefen der Diskursanalyse ein guter Lotse war.
Bereits zu Beginn des autonomen Projektseminars einigten wir uns darauf, ein gemeinsames Endprodukt zu erstellen, welches auch Anderen, die sich mit dem Umzug und dem organisatorischen Umbau der Goethe-Universität kritisch auseinandersetzen, als Material zugänglich sein sollte. Dieser Wunsch erfüllt sich dankenswerterweise darin, dass unser Abschlussbericht hier im Forum Humangeographie publiziert ist. Zugleich hat aber auch diese Möglichkeit ihre Grenzen. So dürfen unsere Inhalte zwar veröffentlicht und zur Diskussion gestellt werden, aber nur unter der Bedingung, dass ein_e Professor_in des Instituts die Publikation begleitet und die Verantwortung für die formale und stilistische Richtigkeit trägt. Zudem ist der Anlass dieser Publikation, unsere Ergebnisse zur Diskussion zur Verfügung zu stellen und damit auch dem neoliberalen Geist an der Goethe-Universität etwas entgegenzusetzen. Unter Bedingungen der neoliberalisierten Lehre und Forschung verwandelt sich eine solche Publikation aber auch zum affirmativen Eintrag im Lebenslauf. Unter den gegenwärtigen Strukturen können wir dem nichts als unsere Reflexion und Kritik entgegenstellen.
Die Erkenntnis, dass wir uns in solcherlei kontrollierten Möglichkeitsfeldern bewegen, hat im Verlauf des autonomen Projektseminars zu Diskussionen um die auftretenden Widersprüche geführt. So war es bspw. für einige weniger problematisch als für andere, dass die Publikation eine_n professorale_n Betreuer_in benötigt. Ein anderer Diskussionspunkt war der Zwang, ein den akademischen Standards entsprechendes Endprodukt zu erstellen, welches zudem bewertet werden musste. Während für einige die Möglichkeit wichtiger war, dass die Veranstaltung überhaupt stattfinden konnte, empfanden es andere als starke Einschränkung einer selbstbestimmten Arbeitsweise. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass Kompromisse unabdingbar sind, wenn eigener Anspruch und kontrolliertes Möglichkeitsfeld aufeinanderprallen. Ergänzt werden diese „äußeren“ Widersprüchlichkeiten durch „interne“ divergente Interessenspositionen. Auch hier waren Kompromisse unabdingbar. Diese spiegeln und reproduzieren zugleich gesellschaftliche Machtverhältnisse als interne Gruppendynamiken. Trotzdem liegt der zentrale Vorteil unseres Projektseminars gegenüber einer „klassischen“ Universitätsveranstaltung gerade darin, dass wir permanent versuchten, solche Widersprüchlichkeiten und machtförmigen Kompromisse offenzulegen und zu diskutieren.
Schließlich wollen wir mit dem vorliegenden Bericht zeigen, dass Studierende in der Lage sind, erkämpfte und zuerkannte Freiräume zu nutzen und diese mit Inhalten zu füllen. Wir wollen Andere dazu ermuntern uns zu folgen. Auch Ihr werdet an die Grenzen der kontrollierten Möglichkeitsfelder stoßen und einen Weg finden (müssen), mit diesen umzugehen oder sie zu überwinden. Nichtsdestotrotz lohnt sich der Aufwand!
Mit der Unterzeichnung des Vertrages von Lissabon im Dezember 2009
haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen weiteren Schritt
getan, um die EU als einheitlichen geopolitischen Akteur zu positionieren.
Allerdings werden die verschiedenen außenpolitischen Strategien
häufig ausschließlich in Brüssel und ohne Einbeziehung der Sichtweisen
derer, an die sich diese Strategien richten, formuliert. Das Projekt »Euro-
Gaps«, initiiert von Veit Bachmann und Martin Müller, untersucht in den
nächsten drei Jahren, inwiefern Lücken zwischen den offiziellen EU-Darstellungen
und den Vorstellungen und Erwartungen der externen Kooperationspartner
in Subsahara-Afrika und der Schwarzmeer-Region bestehen.
Sedimentbilanzen haben sich als Methode zur Quantifizierung von Sedimentflüssen in Raum und Zeit in den Geowissenschaften etabliert. Sie eröffnen die Möglichkeit, differenzierte Aus¬sagen über die Erosions- und Sedimentationsdynamik von Einzugsgebieten zu treffen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die holozäne Erosions- und Sedimentationsentwicklung im mesoskaligen Mittelgebirgseinzugsgebiet des Speyerbachs im Pfälzerwald zu erfassen, und räumlich und zeitlich möglichst differenziert darzulegen. Um Langzeit-Sedimentbilanzen für den Speyerbach zu berechnen wurden verfügbare Daten zum Boden, eine eigene Kartierung der Erosion und Sedimentation sowie eine intensive (OSL und 14C-) Datierung zweier Stand¬orte durchgeführt. Die Sedimente wurden durch eine direkte Kartierung erfasst. Die Erosions¬tiefe errechnet sich aus der Subtraktion der aktuellen Mächtigkeit der Hauptlagen und der Parabraunerden vom initialen Zustand (= Berechnungsgrundlage).
Die Sedimentbilanz I basiert auf öffentlich zugänglichen bodenkundlichen Punkt- und Flächendaten und hat eine Erosion von ~27 Mio. m³ mit einem Einzugsgebiets-Sedimentaus¬tragsverhältnis (CSDR) von 31,5 % ergeben. Die Sensitivitätsanalyse belegt eine hohe Abhängigkeit des Ergebnisses von der Wahl der Berechnungsgrundlage. Aufgrund fehlender Daten sind eine höhere räumliche Auflösung sowie Aussagen zur zeitlichen Entwicklung nicht möglich.
Die Berechnung der Sedimentbilanz II erfolgte auf der Grundlage eigens erhobener Punkt- und Flächendaten, womit die Anwendung eines nested approach möglich wurde: Neben der Gesamtbilanz für den Speyerbach (sechste Strahler-Ordnung) wurden Bilanzen für Teilein¬zugsgebiete erster und vierter Strahler-Ordnung erstellt, anhand derer die Skalenabhängigkeit der Sedimentdynamik diskutiert werden konnte. Es wurden ~109 Mio. m³ und ein CSDR von 5 % errechnet und ebenfalls eine hohe Sensitivität gegenüber der Änderung der Erosionstiefen festgestellt.
Die erfolgreiche Datierung von periglazialen Deckschichten zweier Bodenprofile unterstützt die Ergebnisse der Landnutzungsrekonstruktion aus Literaturdaten und historischen Karten und zeigt, dass in den Tälchen erster Ordnung Erosion verstärkt in der Neuzeit stattfand. Nur in den lösslehmbeeinflussten Gebieten hat sich die Besiedlung im Frühmittelalter in der Ablagerung von Bodensedimenten abgebildet. Es wurden frühholozäne Umlagerungsprozesse am Hang identifiziert. Aufgrund der guten Datierungseigenschaften der sandigen periglazia¬len Lagen wäre das Untersuchungsgebiet geeignet, der Frage nach der Parallelisierung der frühholozänen Umlagerungen von Hangsedimenten mit Klimaschwankungen nachzugehen.
Die vorliegende Arbeit liefert mit den erstellten Sedimentbilanzen und der Darlegung der Landnutzungsverhältnisse ein regionales Beispiel für Mittelgebirgsräume im Rhein-Einzugs¬gebiet. Die mikro- bis mesoskaligen Ergebnisse folgen der generellen Tendenz anderer welt¬weiter Studien, wonach die Sedimentaustragsverhältnisse mit steigender Einzugsgebietsgröße abnehmen. Die Werte der Sedimentbilanz II liegen jedoch deutlich unter denen der Lössge¬biete und belegen, dass sich die Zwischenspeicherung in der Mittelgebirgsregion höher ist. Die räumliche Differenzierung zeigt regionale Unterschiede, die auf der Zugänglichkeit, der administrativen Zugehörigkeit und die naturräumliche Ausstattung zurückzuführen sind. Arbeiten in anderen Sandsteinregionen Deutschlands sind derzeit im Gange und werden in Zukunft eine Einschätzung der vorliegenden Untersuchung zulassen.