BDSL-Klassifikation: 02.00.00 Deutsche Sprachwissenschaft > 02.11.00 Deutsche Mundarten
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Der Präteritumschwund dürfte eine der markantesten morphologischen Entwicklungen des Alemannischen (bzw. Oberdeutschen) bilden. Sein Verlauf in schweizerdeutschen Dialekten ist mit der Arbeit von JÖRG (1976) dokumentiert und ungefiibr ins 16. Jahrhundert zu datieren. Konsequenz der Aufgabe dieses synthetischen Verfahrens war die Verlegung der Vergangenheitskategorie in die Syntax. Dies hat zu einer starken typologischen Drift des Alemannischen in Richtung eines analytischen und zusätzlich klammernden Sprachtyps geführt: Das Perfekt ist zweigliedrig (finites Auxiliar + infinites Vollverb), das Plusquamperfekt sogar dreigliedrig (sogenanntes doppeltes Perfekt). Finites und infinites Verb können durch ganze Satzglieder, Adverbien etc. voneinander getrennt sein, sind also unter Umständen weit voneinander entfernt, was das Ausdrucksverfahren nicht gerade vereinfacht. Der Präteritumschwuud kontrastiert in eigentümlicher Weise mit dem Erhalt, ja sogar dem sekundären Ausbau synthetischer Konjunktivformen (sowohl Konjunktiv I als auch II), die weiteres morphologisches Charakteristikum des Alemannischen sind, doch nicht Thema dieses Beitrags (hierzu s. NÜBLING 1997).
In keinem anderen deutschen Dialektraum, nicht einmal in irgend einer anderen germanischen Sprache ist das Präteritum mit einer solchen Ausnahmslosigkeit geschwunden wie im Oberdeutschen und hier insbesondere im Alemannischen. Zwar haben (wie das Alemannische auch) alle diese Sprachen und Dialekte ein analytisches Perfekt ausgebildet; in einigen Sprachen (wie dem Englischen und Schwedischen) treten Präteritum und Perfekt in eine aspektuelle Opposition zueinander.
Die hochdeutschen Dialekte sind gemeinhin dafür bekannt, beim Ausdruck grammatischer Kategorien analytischer zu verfahren als die Hochsprache. Dafür spricht die Ersetzung des synthetischen Präteritums durch das zusammengesetzte Perfekt und der Abbau der Genitivflexion. In diesem Aufsatz soll gezeigt werden, daß diesen Analysetendenzen ganz deutliche Synthesetendenzen gegenüberstehen, die bisher viel zu wenig beachtet wurden: Das Alemannische weist eine beträchtliche Anzahl an Klitika auf. Nach einer kurzen Bestimmung der Termini Pro- und Enklise (1) wenden wir uns der Klitisierung von Artikel und Personalpronomen im Berndeutschen zu (2). Abschließend soll nach den sprachtypologischen Konsequenzen dieser Entwicklung gefragt werden (3).
Je nach regionaler Herkunft realisieren Sprecher des Deutschen die beiden Wörter "Verein" und "überall" unterschiedlich. [...] Der Grundgedanke dieser sprachtypologischen Unterscheidung, bei der wir uns hauptsächlich auf die Arbeiten von P. Auer (1993, 1994, 2001) sowie P. Auer / S. Uhmann (1988) beziehen, besteht darin, dass alle Sprachen eine Form von Isochronie anstreben.
Im Schweizerdeutschen führt sowohl die Neutralisierung der Quantitäts- (oder Lenis/Fortis-) Opposition als auch die Labialisierung bzw. Velarisierung der Dentale zur Verwischung der Wortgrenzen. Dabei wird oft die Integrität der lexikalischen Morpheme beeinträchtigt, da sich hier in Abhängigkeit von der Folgekonsonanz Stammallomorphie herausbildet […]. All diese Prozesse dienen nicht der Optimierung der Wortstruktur. Stattdessen verbessern sie durch die Aufhebung der Quantitäts- (bzw. Fortis/Lenis-) Opposition im Silbenonset nach einer mit Obstruenten besetzten Silbenkoda die silbische Struktur innerhalb der phonologischen Phrase. Auch die Degeminierung ist eine Reaktion auf eine konsonantisch starke, also wenig präferierte Silbenkoda. Nur nach einem Sonoranten kann die Geminate ambisilbisch ausgesprochen werden. Wo diese Voraussetzung fehlt, wird die Geminate abgebaut […]. Die Assimilation, d.h. die Labialisierung bzw. Velarisierung der dentalen Plosive und Nasale führt hingegen zu homorganen Clustern an Silbengrenzen. Dies erleichtert ihre Aussprache erheblich. Durch die anschließende Resilbifizierung wird die silbische Struktur noch weiter optimiert. Interessanterweise kann im Zuge der silbenstrukturellen Verbesserung auch eine Konsonantenepenthese beobachtet werden […]. Beide hier beschriebenen Prozesse tragen also wesentlich zur Optimierung der Silbe bei. Sie erleichtern die Aussprache und sind somit sprecherzentriert.