BDSL-Klassifikation: 03.00.00 Literaturwissenschaft > 03.10.00 Stilistik. Rhetorik
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Die meisten Experten stellen es als widersprüchlich dar, jemand könne zugleich wissenschaftliche Prinzipien und nationalsozialistisches Gedankengut in einem Werk von Rang vereinigen, da die Prinzipien eine rationale Grundlage besäßen, während sich das nationalsozialistische Gedankengut aus einer irrationalen Ideologie speise. Der hohe Respekt, den Rothackers Philosophie unter den Fachphilosophen genoss, war zweifellos ein wichtiger Grund dafür, dass Rothacker nach 1945 wieder in den universitären Dienst übernommen worden ist, um der Universität Bonn zu einem neu zu gewinnenden Ansehen zu verhelfen. Und das, obwohl gegen ihn weit mehr belastendes Material seiner nationalsozialistischen 'Einlassungen' vorgelegt wurde als gegen viele andere Professoren und Dozenten, die suspendiert wurden. Auch in den Jahren nach der nationalsozialistischen Herrschaft sind Rothacker zahlreiche Ehrungen zuteil geworden, wie Festschriften und andere Würdigungen. Diese Ehrenbezeugungen deuten darauf hin, dass man in Rothackers Philosophie genau das erfüllt sah, was die meisten Wissenschaftler an Ansprüchen an eine wissenschaftliche Arbeit stellen. Hier wären zu nennen: Originalität, Problemrelevanz, historischer Bezug, saubere Argumentation, Folgerichtigkeit, Objektivität, Wahrhaftigkeit und Allgemeinheit. Sollte sich also herausstellen, dass Rothackers Philosophie diese Kriterien erfüllt und zugleich ein ernst zu nehmender Beitrag zur Ausgestaltung der nationalsozialistischen Weltanschauung ist, dann ist es nicht einfach so, als ließe sich nationalsozialistisches Schrifttum stets durch gewisse politische Begriffe und Platitüden – z.B. in Form von Lobpreisungen des Führers Hitler oder der nationalsozialistischen Bewegung – entlarven. Vielmehr wird man feststellen können, dass auch subtile, fein verwobene Argumente in die nationalsozialistische Ideenwelt hineinführen, und zwar nach weithin von der wissenschaftlichen Gemeinschaft akzeptierten Maßstäben.
Im gleichen Jahr wie Erich Rothackers 'Geschichtsphilosophie' erschien bei Benno Schwabe, dem Baseler Verlag, der später Joachim Ritter mit dem 'Historischen Wörterbuch der Philosophie' beauftragte, Ludwik Flecks 'Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv' (1935). Dieses Buch, dessen Nachkriegsrezeption durch die Nazizeit verhindert war, wurde in den 1960er Jahren vom Verlag wegen fehlenden Absatzes makuliert. Heute ist es in der (begriffsgeschichtlich orientierten) Wissenschafts geschich te methodisch 'state of the art'. Die frühe bundesdeutsche Begriffsgeschichtsforschung dagegen knüpfte mit Rothacker, Gadamer und Joachim Ritter an die Vorkriegstradition der deutschen Geisteswissenschaften an.