BDSL-Klassifikation: 03.00.00 Literaturwissenschaft > 03.07.00 Ästhetik
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Seit dem sogenannten 'spatial turn' hat die Reflexion unterschiedlicher Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften Hochkonjunktur. Dabei wird immer wieder auf einen Aspekt verwiesen, der gleichwohl merkwürdig randständig bleibt: der Zwischenraum als materielle oder imaginäre Grenze. Sei es die häusliche Schwelle (Bachelard) oder der Schwellenritus (van Gennep), der postkoloniale 'in-between-space' (Bhabha), die paratextuelle 'zone intermediaire' (Genette) oder eine assoziative Ikonologie des Zwischenraums (Warburg). All diese Aspekte verweisen auf ein besonderes Feld von Praktiken im Raum, die in einem Zwischenbereich stattfinden, nämlich die Bewegungen im Zwischenraum. Ausgehend von den Hypothesen, dass erstens Räumlichkeit durch Bewegungen im Raum konstituiert und zweitens durch Zwischenräumlichkeit definiert wird, stellen sich die folgenden Fragen: Wie bewegt man sich im 'Dazwischen'? Gibt es spezifische 'zwischenräumliche Bewegungspraktiken' – und wie wirken sich diese sowohl auf die Konstitution des Raums als auch auf die Repräsentation des Zwischenraums aus?
Ein Beispielfall nach der Reformation : Sakrament, Rhetorik und Repräsentation bei Théodore de Bèze
(2012)
1550 oder 1551 wurde in Lausanne eine tragédie française mit dem Titel Abraham sacrifiant aufgeführt. [...] Das Stück stammt von Théodore de Bèze, der sich erst kurz zuvor, 1548, nach einer glänzenden humanistischen Laufbahn zum reformierten Glauben bekannt hatte, deswegen aus Frankreich emigrieren musste und als Professor für Griechisch in Lausanne wirkte. [...] Abraham sacrifiant ist also das Jugendwerk eines der wichtigsten Theologen des Calvinismus, und sein Schluss zeigt, wie radikal das neue Verständnis des Glaubens und auch des Sakraments nicht nur die christliche Botschaft, sondern auch deren Darstellung und damit die Möglichkeiten von Darstellung überhaupt verändern konnte. Diese Veränderung besteht zunächst in einer Verschiebung der Gewichte, denn an die Stelle des rituellen Geschehens tritt jetzt etwas anderes. Aufgabe der Dichtung ist es, die Passionen zu zeigen, ja sie sogar lebendig zu machen. Natürlich geschieht das nicht um ihrer selbst willen, sondern um sie – stoisch – zu überwinden, und wie Abraham mit seinem Glauben seine Leidenschaften überwindet, wird das Thema des auf den Prolog folgenden Stücks sein. Aber wie kann man die Überwindung als solche darstellen, zumal wenn man auf die traditionellen Darstellungsformen der Mistères verzichtet? In dieser Hinsicht lässt sich der Prolog nicht nur als inhaltliche, sondern auch als theatertheoretische Aussage lesen: Dargestellt wird nicht nur die Überwindung der Leidenschaften durch den Glauben, sondern auch die Überwindung der 'lebendigen Darstellung'. Denn das, worauf es eigentlich ankommt, den Glauben, kann man eben nicht sehen. Theater wird hier dazu verwendet, das Unsichtbare darzustellen, das aber seinerseits das Theater in Frage stellt bzw. es transformiert und zu einem Theater des Unsichtbaren macht. Es geht also nicht um die Darstellung des Glaubens, sondern um die gläubige Darstellung, und das heißt: eine Darstellung, die sich selbst immer schon problematisiert.
Das Marburger Religionsgespräch kann man als eine Urszene des neuzeitlichen Übergangs von Präsenz- zu Repräsentationskultur lesen, die sich an dem zentralen christlichen Ritual der Eucharistie entfaltet: Zwinglis Versuch, das Abendmahl als zeichenhafte Repräsentation zu verstehen, steht Luthers Bestehen auf der Präsenz gegenüber. Urszenen sind freilich immer komplex – und komplexer, als dass sie in allgemeine Formeln wie etwa ‚von der Präsenz zur Repräsentation‘ aufzulösen wären. Bemerkenswert ist bereits, dass der Dissens nicht zwischen der traditionellen Interpretation als Messe und der neuen Abendmahlspraxis verläuft, sondern innerhalb der letzteren. Bemerkenswert ist weiter, dass nicht zwei Deutungen miteinander konkurrieren, sondern mindestens drei Modelle im Spiel sind, die sich verschiedener Begrifflichkeiten bedienen: Form und Substanz in der Transsubstantiationslehre, Sinn und Bedeutung in Zwinglis Modell, Tropen und Redefiguren bei Luther. Diese Modelle durchdringen einander nicht nur, sie werden auch eigenartige Kompromisse eingehen, wenn etwa die lutherische Theologie bald in ihrer Polemik gegen die Reformierten immer häufiger auf das Substanzmodell zurückgreifen wird. Die Rede von Modellen macht aber auch deutlich, dass hier mehr auf dem Spiel steht als einfache konzeptuelle Unterscheidungen: Es geht auch um das Verhältnis von Diskursen, Disziplinen, Evidenzquellen, also etwa um die Frage, welche Argumente in der Kontroverse herangezogen werden dürfen, oder wie man mit der Schrift umzugehen habe – bis hin zu Praktiken der Inszenierung dieser Argumente wie Luthers Kreideschrift. Vor allem wird die Logik der Kontroverse deutlich, in der sich beide Seiten beständig voneinander abgrenzen und gerade dadurch gegenseitig negativ bestimmen, so dass auch die Unterscheidung von Präsenz und Repräsentation nicht einfach vorausgesetzt werden kann, sondern Teil der Kontroverse ist und sich in ihr herausbildet.
Mitte des 18. Jahrhunderts versuchten Vertreter der französischen Kunstkritik und Ästhetik die Sprachen des visuellen Ausdrucks, die man aus dem vorausgegangenen Jahrhundert und insbesondere den durch Charles Le Brun (1619–1690) formulierten Prototypen des Ausdrucks übernommen hatte, zu modifizieren und umzuformulieren. Im Mittelpunkt dieses Prozesses der Umformulierung stand die zunehmend populärer werdende Idee des 'Natürlichen'. Der Begriff 'Ausdruck' bezieht sich hier besonders auf die Darstellung der Gesichter und Körper gemalter menschlicher Figuren, und dabei vor allem auf die Konfiguration der Gesichtszüge, der Körperhaltungen und Gebärden. Die Suche nach neuen oder modifizierten Ausdrucksformen trat besonders deutlich bei den Genrebildern zutage, also Gemälden, die Szenen aus dem zeitgenössischen Alltagsleben darstellten und traditionell mit der Erwartung eines stärkeren Naturalismus verbunden waren. Als Ort des visuellen Ausdrucks nahmen Genrebilder einen bestimmten Punkt innerhalb eines breiten Spektrums gegensätzlicher Konzepte im zeitgenössischen ästhetischen Diskurs ein, und ihr Verhältnis zu den rhetorischen Ausdrucksformen der Historienmalerei war häufig problematisch. Die einschlägigen Begriffe im zeitgenössischen ästhetischen Diskurs, zwischen denen die Genremaler ihre Werke zu positionieren versuchten, waren Manierismus und Natur, Unangemessenheit und Schicklichkeit, das Erhabene und das Pathetische, expliziter und suggestiver oder 'offener' Ausdruck. Es handelte sich um eine Frage des visuellen Tons oder Registers, die häufig durch die intellektuellen, moralischen und sozialen Ambitionen der präsentierten Genremalerei und durch die erwünschte Beziehung zum Betrachter geklärt wurde. Das Ausdrucksregister war weniger vielfältig bei Gemälden, die primär dem Ziel der Unterhaltung oder Verzierung dienten, weniger imposant oder explizit bei denjenigen, die eher den interpretatorischen und moralischen Fähigkeiten der Öffentlichkeit vertrauten, und wesentlich größer bei denjenigen, die versuchten eine anspruchsvolle moralische Botschaft zu vermitteln.
Um diese Suche nach einem angemessenen moralischen und ästhetischen Register zu veranschaulichen, werde ich mich auf die Salonkritiken Denis Diderots (1713–1784) aus der Mitte der 1760er Jahre, auf einige der von ihm besprochenen Genrebilder sowie auf das Schaffen und die theoretischen Schriften Michel François Dandré-Bardons (1700–1783) beziehen, dessen Ausdruckslehre die Académie royale in Paris in der Jahrhundertmitte (1752–1755) beherrschte.
Der Begriff der 'Ausdrucksästhetik' entstammt nicht dem 18. Jahrhundert, das selbst nur die beiden Elemente des Kompositums, also 'Ausdruck' und 'Ästhetik' hervorbrachte. Die Genese des Begriffs ist in der Forschung bislang noch nicht aufgearbeitet worden. Das ist paradox, weil es der zentralen Bedeutung des Konzepts für die Ästhetikgeschichtsschreibung der Aufklärung entgegen läuft. 'Ausdrucksästhetik' scheint im wissenschaftlichen Sprachgebrauch eines jener Begriffsphantome zu sein, die zwar ständig benutzt, aber kaum je eingehender bestimmt worden sind.
Der Sakramentalen Repräsentation und ihren Diskursen ist zu eigen, dass die (Un-)Möglichkeit von Repräsentation, ihre Paradoxe und ihr Scheitern genauso verhandelt werden wie ihre Überdeterminiertheit und Übersteigerung. In den sakramentalen Zeichenoperationen ist es der Begriff der Repräsentation selbst, der immer wieder auf dem Prüfstand steht. Gerade im Fall der Bilder wird eine anschauliche und materielle Wirklichkeit geschaffen, in der es zwar eine Referenzbeziehung zu etwas Abwesendem gibt, die aber von dem Moment ihrer Erschaffung selbst durch eine ganz eigene dingliche Existenz und substantielle Dynamik in Handlungszusammenhängen gekennzeichnet und somit nicht auf die Beziehung zu dem Signifikat bzw. Referenten des Bildes zu reduzieren ist. Dies gilt auch für die Eigenmaterialität und den Eigenwert der Farbe des Bildes, deren Substanz nicht von ungefähr gerade zu dargestellten liquiden Stoffen in ein besonderes Spannungsverhältnis treten kann.
Jede Kultur operiert mit Zeichen, und jede Zeichenoperation birgt in sich ein Konzept der Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Schriftlich gefasste Theorien zu dieser Beziehung entstehen in Mittelalter und Früher Neuzeit vor allem da, wo die Zeichenoperation von hoher Relevanz und dabei in ihrer genauen Bedeutung strittig ist. In der christlichen Kultur der Vormoderne hat die theologische Notwendigkeit einer Exegese der Konsekrationsformel hoc est corpus meum zu einer Arbeit am Zeichenkonzept geführt, die in ihren Folgen nicht auf die eucharistische Kernbedeutung beschränkt bleibt. Und alle anderen Begriffe, die im Kontext der sakramentalen Leitfigur der Zeichenkonzepte eine zentrale Rolle spielen, werden ebenfalls von den Debatten imprägniert, so wie beispielsweise 'Substanz' und 'Präsenz'. Es sind jedoch nicht nur die theologischen Debatten zwischen den verschiedenen Lagern in Mittelalter und Früher Neuzeit, die den Zeichen-, Substanz- und Präsenzbegriff formieren, sondern auch das Ritual selbst als komplexe institutionalisierte und sakral überhöhte Zeichenoperation. Der Vollzug ist die für die Geltung und Gültigkeit des sakramentalen Status relevante Instanz, die im Diktum ex opere operato explizit angesprochen ist. Es gilt für die vorreformatorischen und katholischen Sakramente und besagt, dass das Sakrament aus dem kirchlichen Ritual direkt und zwingend hervorgebracht wird, unabhängig von äußeren, kontingenten Bedingungen. Es ist bezeichnend, dass sich im Sakrament die beiden gebräuchlichen Begriffe von Performativität treffen: Im Sinne der linguistischen Sprechakttheorie (nach John L. Austin) bringt die Konsekrationsformel das Sakrament performativ hervor, und der medientheoretische Begriff der Performanz im Sinne komplexer, bedeutungsgeladener Handlung ist ebenfalls auf den Vollzug des gesamten Rituals auch außerhalb seiner Sprachlichkeit anwendbar. Dieser im Ritual erfolgende Vollzug des Sakraments, die Performanz der Zeichenoperation bzw. die Performanz des Sprechaktes der Konsekrationsformel, ist innerhalb der vormodernen christlichen Kultur das zentrale Modell für andere Zeichenoperationen, und zwar vor allem dort, wo es um die Geltung von Vereinbarungen und die Wirksamkeit der Institutionalisierung von politischen Verfahren geht. Dies gilt im Besonderen für den Vertrag und den Eid. Dass das Bildmedium bzw. die Kunst bei diesen rechtlichen Umsetzungen der sakramentalen Leitfigur eine entscheidende Rolle spielen, sollen die folgenden Ausführungen deutlich machen. Die Übertragungen der sakramentalen Bedeutungsmuster auf profane Zusammenhänge der rechtlichen Zeremonien und der Vertragsschlüsse sind, wie zu zeigen sein wird, überkonfessionell geprägt. Die kulturelle Arbeit in den Debatten über das Wesen des Sakraments hat auch dort sinnstiftende Konsequenzen, wo man es zunächst nicht erwartet, und diese Sinnstiftungen außerhalb des religiösen Kernbereichs können sich auch aus den Vorstellungen der jeweils anderen Konfessionen speisen.
Das Bild und das (Altar-)Sakrament stehen aus vielfältigen Gründen in einer engen Beziehung zueinander. Dies betrifft bereits ihre ursprüngliche Institutionalisierung bzw. Legitimation: Für beide ist die Inkarnation des Gottessohnes grundlegend. Während die Leibwerdung in der Eucharistie, d. h. die Verwandlung des Brotes und Weines zu Leib und Blut Christi, immer wieder analog zu der Fleischwerdung des Logos im Leib der Maria gesehen wurde, galt die Menschwerdung Christi als Argument für eine Aufhebung des alttestamentlichen Bilderverbots: Gott hatte sich selbst zum Bild auf Erden gemacht. Im Bilderstreit und in den Eucharistiedebatten des Mittelalters wird die enge Beziehung zwischen Bild und Sakrament an den gegenseitig entliehenen Begriffen und Argumentationen deutlich. Ihre engste Verbindung aber gehen Bild und Sakrament am Altar ein, wo der wahre Leib Christi (in der eucharistischen Gestalt der Hostie) und das anschauliche Bild Christi zusammentreffen, ihre jeweilige mediale Defizienz ausgleichend.
Die in der Neuzeit so auf Universalität abzielende Neubewertung der Geste erscheint in komprimierter Form in den Schriften des Londoner Arztes John Bulwer, der in vielerlei Hinsicht weniger einen radikalen Neuansatz als eine Synthese zeitgenössischer psychophysiologischer Gebärdentheorien vorlegt. Seine Erstschrift Chirologia: or the Naturall Language of the Hand, Composed of the Speaking Motions, and Discoursing Gestures thereof (1644), veröffentlicht im Kontext einer in England zur Mitte des 17. Jahrhunderts bereits blühenden Suche nach einer universalen Sprache, offenbart noch die Nähe zur Rhetorik und der ihr inbegriffenen Affektlehre als Deutungsmuster der Gebärde; und in der Tat ist, wenngleich unter separater Paginierung, diesem Buch ein zweites Buch zur Chironomia angefügt, welches sich explizit mit der Geste als rhetorischem Mittel befasst. Zuvor nimmt Bulwers Chirologia allerdings Anregungen Ciceros, Quintilians und vor allem Giovanni Bonifacios auf und verabsolutiert die Geste selbst zum Universal: "It speakes all languages, and as an universall character of Reason, is generally understood and knowne by all Nations, among all formal differences of their Tongue."
Der Gedanke, dass der Grenzverlauf keineswegs eine irgendwie natürliche bzw. organische Tatsache ist, sondern das Ergebnis einer kulturellen, sozialen und politischen Konstruktion darstellt, nehme ich als Ausgangspunkt zu einigen eigentlich verstreuten und nicht systematischen Überlegungen über den Begriff der Grenze […]. Denn wenn man von Übergängen spricht, wird da explizit oder implizit vorausgesetzt, dass irgendeine Grenze überschritten werden soll und überschritten werden kann. Im gegenwärtigen Diskurs – bei solchen Begriffen wie z.B. “grenzüberschreitender Dialog”, “der Abbau von Grenzen” und Ähnliches – ist dieser Gedanke der prinzipiellen Durchlässigkeit von Grenzen stark präsent. Nun bedarf die gegenwärtige Beliebtheit des Begriffs der Grenze auch und gerade in den Kulturwissenschaften der sorgfältigen Differenzierung und hier kann nur ein kontextualistischer Zugang weiterhelfen. In der Tat huldigen die sogenannten „border studies“ allzu oft einem allgemein euphorischen Begriff der Grenze als Ort der Begegnung, des Austauschs, als Ort letztendlich einer Hybridisierung, deren Hauptmerkmal eine grundsätzliche Ambiguitätstoleranz sein soll.