BDSL-Klassifikation: 03.00.00 Literaturwissenschaft > 03.06.00 Literaturtheorie
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"Feinde, es gibt keine Feinde!" : Derridas "Politiques de l’amité" als Replik auf die Wende 1989/90
(2007)
Die Überlegungen zu „Politiken der Freundschaft“ durchqueren die Wendezeiten 1989 und 1990, sie gehen in der Beschäftigung mit den Problemen des Nationalismus, des Fremden, des Theologisch-Politischen in die achtziger Jahre zurück. Diese Durchquerung macht diese Schrift zu einem ausgezeichneten Dokument der Wende, wenn auch, was wenigstens andeutungsweise geschehen soll, das unmittelbarste Zeugnis für eine vom Ereignis der Wende erzwungene Auseinandersetzung die beiden Vorträge vom April 1993 hinzuzuziehen sind, die unter den Titeln "Wither marxism?" und "Spectres de Marx", zu deutsch: Die Gespenster von Marx, aber auch die Spektren, im Sinn von die verschiedenen Facetten, von Marx eine Trauerarbeit und eine neue Internationale ankündigen.
"His ignorance", so lesen wir im zweiten Kapitel von Conan Doyles 'A Study in Scarlet', das den Titel "Science of Deduction" trägt, "his ignorance was as remarkable as his knowledge". Sherlock Holmes, seines Zeichens Meisterdetektiv und Fürsprecher exakten Detailwissens, überrascht seinen Freund durch eklatantes Nicht-Wissen: von Gegenwartsliteratur, Philosophie und Politik; "he appeared to know next to nothing", schreibt Watson, und seine Überraschung erreicht ihren Höhepunkt, als er herausfindet, dass Holmes nichts über die Zusammensetzung unseres Sonnensystems weiß: "[H]e was ignorant of the Copernican Theory". Wie kann es sein, so fragt sich Watson, dass ein zivilisierter Mensch des neunzehnten Jahrhunderts nicht weiß, dass sich die Erde um die Sonne dreht? Wie kann sich ein Sherlock Holmes derartige Lücken im Feld des Allgemeinwissens leisten? Die Antwort, die Holmes seinem Freund gibt, setzt Nicht-Wissen und Wissen in ein strategisches Verhältnis, das unter dem Vorzeichen einer professionalisierten, dem Gesetz der Ökonomie gehorchenden episteme steht: Nur das nützliche Wissen – das Wissen, das für die spezielle Arbeitsaufgabe eines consulting detectives nötig ist – erhält überhaupt Zugang zu seinem Gedächtnis, wobei dieses, topologisch nicht allzu originell, als Dachboden eines oikos beschrieben wird, in dem – hier wird das Grundgesetz der Ökonomie, die Verknappung, auch in räumlicher Hinsicht in Anschlag gebracht – nur wenig Platz ist. […]Der 'brain-attic' ist mithin nicht nur dem ökonomischen Dispositiv knappen Raums, sondern auch einem pragmatischen Prinzip der epistemischen Auslese unterworfen, das quasi darwinistische Züge trägt: Nur das nützliche Wissen überlebt. Dieser Verdrängungskampf der Gegenstände des Wissens, eine Antizipation dessen, was Peirce und Popper später als 'evolutionary theory of knowledge' propagieren werden, offenbart den strategischen Aspekt des Nicht-Wissens: Angesichts begrenzter Raumkapazitäten wird das Leerräumen überfüllter Wissensspeicher zur Voraussetzung dafür, dass sich neues Wissen einrichten kann. Anders gewendet: Nur das Vergessen von Bereits-Gewusstem schafft Raum für zukünftiges Wissen – und unter dieser Prämisse wird das Nicht-Wissen zu einem ebenso bemerkenswerten Phänomen wie das Wissen.
Die Bibel ist Weltliteratur 'und' eine heilige Schrift - damit spreche ich sowohl bereits den Kern des Beitrages als auch die Schwierigkeit dieser Konstellation an. In welchem Verhältnis steht die Bibel als Literatur zu dem Begriff der Heiligkeit, der ihr kanonisch, normativ und auch inhaltlich zuerkannt wurde und teils wird? Beide Aspekte, sowohl ihre Literarizität (1. 'Bible as Literature') als auch ihre Einordnung als eine heilige Schrift (2. Die Bibel als heilige Schrift), werden im Folgenden in einem Wechselspiel aus literaturwissenschaftlicher und theologischer Hermeneutik untersucht, da diese beiden Disziplinen die Bibel als literarisches und/oder religiöses Medium wahrnehmen und aufgreifen.
Herder's concept of a national literature [...] serves as a differential category formulated in opposition to the concepts generated by universalistic rationalism and the Classicist aesthetics which is based on it, this being an aesthetics which is incapable of accommodating cultural difference. Thus Herder's concept is to be read – primarily as one looking for ways of conceiving cultural difference syncronically as well as diachronically.
Allwissendes Erzählen
(2004)
›Allwissendes Erzählen‹ und ›allwissender Erzähler‹ gehören zu den literaturwissenschaftlichen Begriffen, die viel gebraucht, aber selten definiert werden. Wer in den einschlägigen erzähltheoretischen Hand- und Einführungsbüchern nach diesen Stichworten sucht, tut es häufig vergebens. [...] Einerseits wird der Begriff des allwissenden Erzählens im literaturwissenschaftlichen Sprachgebrauch offenbar in einem erkenntnistheoretischen Sinne verwendet – es geht um ein durch keine empirischen Bedingungen begrenztes Wissen. Wenn allwissendes Erzählen aber in systematischer Verknüpfung (oder gar synonym) mit auktorialem Erzählen gebraucht wird, dann steht in der Regel ein anderer Aspekt im Vordergrund […]. Der Ausdruck ›auktorialer Erzähler‹ bezeichnet seit Stanzel einen persönlichen heterodiegetischen Erzähler, d.h. 'einen Erzähler, der zwar nicht der erzählten Welt angehört, aber eine individuelle Einschätzung und Bewertung des Erzählten zum Ausdruck bringt und dadurch ein bestimmtes ideologisches oder moralisches Profil gewinnt.' […] Trotz [einer] zeitweisen historischen Koppelung von allwissendem und auktorialem Erzählen handelt es sich jedoch um zwei systematisch voneinander unabhängige Aspekte, die in der Literaturgeschichte keineswegs immer gemeinsam auftreten. Im folgenden gehe ich nicht auf die moralischen Aspekte auktorialer Erzählerfiguren ein, sondern beschränke mich auf die erkenntnistheoretischen Besonderheiten allwissenden Erzählens.
Dem Begriff feministische Literaturtheorie liegt demzufolge ein breites und heterogenes Spektrum an Forschungsansätzen zugrunde, deren gemeinsamer Fokus die Kritik an einer androzentrischen Perspektive auf die Literatur ist. Diese genuine Pluralität feministischer Literaturtheorie, illre Inter- bzw. Transdisziplinarität, führt jedoch auch zu Widersprüchen und Kontroversen und erfordert einen kontinuierlichen Verständigungsprozess. Die Entwicklung der letzten 40 Jahre hat aufgrund der Vielfalt des feministischen intellektuellen wie politischen Projekts weitere disziplinäre Verschränkungen erfahren. Es weitete sich auf Film- und Videoforschung aus, auf naturwissenschaftliche Ansätze ebenso wie auf philosophische. Feministische Theoriebildung nimmt einen bedeutenden Stellenwert innerhalb der Theoriebildung der letzten Jahrzehnte insgesamt ein. Vielleicht auch deshalb, weil es keinen Raum, außerhalb, der Theorie gibt – außer die ForscherInnen würden im Rückgriff auf persönliche, d.h. vortheoretische Erfahrung argumentieren und damit eine Position außerhalb wissenschaftlicher Argumentationsschienen einnehmen.
Es ist oft gesagt worden: Das Komische ist das Eigene des Menschen, nur der Mensch - und kein anderes Wesen - lacht. Begründet wurde dies häufig durch die Kennzeichnung des Menschen als Doppelwesen, das sich selbst widersprechen kann. Der Mensch gilt als Wesen, das gleichermaßen über einen Körper und einen Geist verfügt, als Wesen, das vom Zufall heimgesucht wird, aber auch zum Erhabenen fähig ist, oder als Wesen, das durch eine "individuelle[ ]" und eine "soziale[ ] Existenz" ausgezeichnet ist und deshalb "mit irgendeiner Norm" in Konflikt geraten kann. Jeweils ist es die Kollision der beiden Seiten, die nach den verschiedenen theoretischen Ansätzen zur Hervorbringung des komischen Phänomens führt und so - als Reaktion auf die Wahrnehmung des komischen Phänomens - das Lachen verursacht.
Ich möchte in meinem Beitrag zeigen, daß der Verzicht auf den Autor […] sachlich unhaltbar ist. Auf der Grundlage intertextualitätstheoretischer Argumente läßt sich der Autor aus der Textinterpretation nicht verabschieden. Vielmehr bleibt er selbst in Fällen von extremer Intertextualität ein notwendiger (wenngleich nicht hinreichender) Bezugspunkt der Interpretation. Eine Intertextualitätstheorie, die elementare Voraussetzungen ästhetischer Sinnbildung erfassen will, muß am Autorbegriff festhalten. Um zu verdeutlichen, daß meine Kritik am Autorkonzept der poststrukturalistischen Intertextualitätstheorie über das Feld der Literatur hinausreicht, beziehe ich mich im folgenden auf Beispiele aus verschiedenen Künsten, nämlich auf die Skulptur „String of Puppies“ (1988) des amerikanischen Künstlers Jeff Koons und auf Peter Handkes Text „Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg am 27.1.1968“ (1969). Unbeschadet aller medialen und ästhetischen Unterschiede haben diese beiden Werke Eines gemeinsam: Aufgrund ihres hochgradig imitativen Charakters scheint das Konzept des Autors für die Erfassung ihrer Bedeutung keine Rolle zu spielen – jedenfalls nach Ansicht einiger Interpreten. Deshalb wirken sie auf den ersten Blick wie besonders überzeugende Belege für die poststrukturalistische These vom Tod des Autors.
The aim of this introductory article [to the volume of the same title], firstly, is to recapitulate the basic principles of Bakhtin’s initial theory as formulated in “Forms of Time and of the Chronotope in the Novel: Notes toward a Historical Poetics” (henceforth FTC) and “The Bildungsroman and its Significance in the History of Realism (Toward a Historic Typology of the Novel)” (henceforth BSHR). Subsequently, we present some relevant elaborations of Bakhtin’s initial concept and a number of applications of chronotopic analysis, closing our state of the art by outlining two perspectives for further investigation. Some of the issues which we touch upon receive more detailed treatment in other contributions to this volume. Others may offer perspectives for future Bakhtin scholarship.
'[C]ulture as text' initially proved to be a pivotal bridging metaphor between cultural anthropology and literary studies. Following an admittedly ambivalent career path, the concept of 'culture as text' has nevertheless continued to rise and has become an over-determined general principle, an emphatic key metaphor, even an overall "programmatic motto for the study of culture" […]. At first, this concept was still closely connected to ethnographic research and to the semiotic framework of interpretive cultural anthropology. However, since the end of the 1990s it has been utilised to encompass a much broader interdisciplinary horizon for the study of culture. 'Culture as text' advanced from being a conceptual metaphor for the condensation of cultural meanings to a rather free-floating formula frequently referred to in analyses within disciplines involved in the study of culture. Surprisingly, 'culture as text' has remained a consistent key phrase throughout the discourses concerned with the study of culture—even after the culture debate had long since turned away from the holistic understanding of culture implied by the formula.