BDSL-Klassifikation: 03.00.00 Literaturwissenschaft > 03.06.00 Literaturtheorie
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Was weiß Literatur?
(2008)
Die erste Nummer der Online-Zeitschrift präsentiert sechs Beiträge zu der im Mai 2007 stattgefundenen Tagung "LiTheS. Literatursoziologie - Theatersoziologie" in Graz, dem Start-up Workshop zur Einrichtung des gleichnamigen Forschungs-, Dokumentations- und Lehrschwerpunkts am Institut für Germanistik der Karl-Franzens-Universität Graz.
Der vorliegende Band versammelt eine Anzahl grundlegender Texte der Kulturwissenschaft, die Antwort auf zwei Fragen geben sollen, nämlich erstens: Was ist Kultur? und zweitens: Was ist Kulturwissenschaft? Dabei ist davon auszugehen, daß sich beide Fragen wechselseitig bedingen, mehr noch: daß es Interferenzen zwischen Kulturbegriff und Kulturwissenschaft gibt: […]. Möglicherweise muß man bereits an dieser Stelle Zweifel anmelden, ob die beiden […] Was-ist-Fragen überhaupt sinnvoll sind – implizieren sie doch einen essentialistischen Kulmrbegriff. Sollte man sie nicht ersetzen durch die Fragen: Was macht Kultur? Und: Was macht Kulturwissenschaft? Im folgenden können vermutlich weder die Was-ist-Fragen noch die Was-macht-Fragen befriedigend beantwortet werden; vielmehr möchte ich versuchen, den Raum zwischen diesen beiden Fragestellungen zu erkunden, um zu klären, um welche Art von Raum es sich dabei handelt. Aber auch, um zu klären, was Kulturwissenschaft in diesem, aus diesem »in between space« macht. Wie transformiert sie diesen »Zwischenraum« in einen »Denkraum«?
Rückkehr des Autors? : Literatur und kulturelle Autorität in der interkulturellen Kommunikation
(2008)
Während ihrer Feldforschung in Nigeria erzählt die Ethnologin Laura Bohannan den Stammesmitgliedern der Tiv die Geschichte von Hamlet […] Ihre eigene sowie die europäische Interpretationsautorität überhaupt werden ihr von den Stammesältesten aus der Hand genommen. […] Mit ihrem kulturellen Wissen behaupten sie, den Schlüssel für die „wahre“ Bedeutung von Shakespeares „Hamlet“ zu besitzen. […] Aber auch die Tiv gehen von der kurzschlüssigen Voraussetzung aus, dass kulturelles Wissen anthropologisch zu begründen und daher universalisierbar sei. […] Dieses interkulturelle Szenarium, in dem Deutungsautoritäten aufeinanderprallen, ist aufschlussreich für die Frage der literarischen Autorität überhaupt. Muss die Darstellungs- wie Auslegungsautorität von literarischen Texten nicht gerade die Grenzen kultureller Zugehörigkeit überschreiten, um in einer entstehenden Weltgesellschaft zu einem nicht nur westlichen „Vorhaben interkultureller Repräsentation“ beitragen zu können? Diese Frage sprengt das traditionelle Dreiecksverhältnis von Autor-Text-Leser. Denn die Grenzüberschreitungen der interkulturellen Kommunikation aktivieren bewusst oder unbewusst auch die jeweiligen kulturellen Bezugsrahmen, welche die literarische Darstellung und Deutung ihrerseits erst „autorisieren“. Gerade wenn Texte zwischen verschiedenen Kulturen zirkulieren – sei es durch Mehrsprachigkeit des Autors (wie z.B. bei Joseph Conrad, Elias Canetti, Yoko Tawada usw.), durch Übersetzung oder durch interkulturelle Intertextualität –, kommt nicht mehr nur literarisch-narrative, sondern auch kulturelle Autorität unübersehbar ins Spiel.
»Viele Buchstaben haben einen Bauch, einen Kopf, sind schlank oder fett«, schreibt der Typograph Kurt Weidemann in einer Vorlesung über Wahrnehmung, Ideenfindung und Gestaltgebung. »Das Umlegen eines Buchstabens zum Sichtbarmachen des Totseins übersetzt die Figur des Buchstabens ins Menschliche.« Damit führt uns Weidemann zum Thema, nämlich dem menschlichen Antlitz der Buchstaben, ihrer Anatomie, die offenbar der des Menschen so ähnlich ist, bis hin zur Entfaltung einer Bedeutung, die allein auf ihre Gestalt oder Anmutung zurückgeht und nicht nur auf das, was ein Autor ihnen in der Aneinanderreihung von Wörtern und Sätzen zuschreibt. […] Tatsächlich ist Weidemann nicht der erste, der eine Beziehung zwischen Typographie und menschlichem Körper hergestellt hat. Geofroy Torys „Champ Fleury“, in Paris 1529 gedruckt, ist vordergründig eine Abhandlung über Buchstaben und ihre Formen, bei genauerer Lektüre jedoch viel mehr als das. […] Seine Abhandlung gibt die Gelegenheit, einen Wahrnehmungsakt aus der frühen Neuzeit mit Text-Mensch-Relationen der Gegenwart in Verbindung zu bringen. Ich wähle für meine kurze Betrachtung des Verhältnisses von Schrift und Schriftgestaltung, Beschreibemedium und Bedeutung zwei Werke, zwischen deren Publikation fast 500 Jahre liegen. Champ Fleury ist ein Produkt der Renaissance, und den Film Memento aus dem Jahr 2000 und inszeniert von Christopher Nolan ist ein Produkt unserer postmodernen Gegenwart.
Aby War burg hat seine kulturwissenschaftliche Herangehensweise einmal als »historische Detektivarbeit« umschrieben, die dem Prozess der »Einverseelung vorgeprägter Ausdruckswerte bei der Darstellung bewegten Lebens« auf die Spur zu kommen versucht. Folgt man dieser Auffassung, dann könnte man daraus den Schluss ziehen, dass sich die Logiken und Praktiken der Kulturforschung zum großen Teil an detektivischen Denk- und Arbeitsformen orientieren. Nun ist die detektivische Spurensuche aber auch das Modell semiotischer Verfahren: ein Modell, das man im Anschluss an Carlo Ginzburgs Essay zur Spurensicherung gerne auch als »Indizien-Paradigma« bezeichnet, wobei zwei Begriffe im Zentrum stehen: der Begriff des Symptoms und der Begriff der Konjektur. […] Angesichts einer kulturwissenschaftlichen Methodenreflexion, die sich sowohl gegen die Geltungsansprüche eines auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten zielenden Wissenschaftsverständnisses als auch gegen eine Semiotik wendet, die lange Zeit als „master-theory“ auftrat, stellt sich nicht nur die Frage, wie sich die kulturwissenschaftliche Detektivarbeit von der semiotischen Spurensicherung unterscheidet, sondern auch, wie sich die semiotischen Einsichten über verschiedene Formen von symptomatischer Bedeutsamkeit für die kulturwissenschaftliche Detektivarbeit respektive eine ‚Logik der Kulturforschung‘ nutzbar machen lassen. Der Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist eine Merkwürdigkeit, nämlich dass sich – so hat es zumindest den Anschein – die Kulturwissenschaft gerade da programmatisch vom semiotischen Indizien-Paradigma abzugrenzen sucht, wo die größte Übereinstimmung herrscht, nämlich da, wo es um Zeichen und um die Deutung dieser Zeichen im Rahmen eines kulturellen Systems »auslegbarer Zeichen « geht.
Wie Enzensberger […] verdeutlicht, eröffnen literarische Texte […] einen Raum, in dem unterschiedliche und kontroverse wissenschaftliche Theorien […] miteinander kollidieren, wodurch ihre Bedingtheit und Relativität erkennbar wird. Die modernistische […] Vorstellung, Literatur sei subversiv, stelle in Frage, was immer sich als absolute Wahrheit ausgebe, relativiere die Ordnungen des Wissens und insbesondere alle sich verbindlich gebenden Theorien über den Menschen und die natürliche Welt, hat an Aktualität nicht verloren. […] Philosophen und Literaturtheoretiker verschiedenster Denkrichtungen kommen […] darin überein, daß Literatur subversiv ist: Gegen falsche Sicherheiten und gegen die Illusion absoluter Wahrheit gerichtet, deutet sie auf die Vieldeutigkeit aller Dinge und die Vielzahl inkompatibler Betrachtungsperspektiven hin, indem sie selbst vieldeutige und multiple Welten erzeugt. In dieser Eigenschaft ist das literarische Schreiben durch keinen anderen Diskurs ersetzbar. Die ihr hier zugeschriebene subversive Rolle als Instanz kritischer Reflexion über Begriffe, Theoriebildungen und Wissenschaft kann die Literatur allerdings nur dann spielen, wenn sie in engem und dauerhaften Kontakt zu den Wissenschaften bleibt. Die Kritik an Wissensdiskursen setzt einen ständig zu aktualisierenden .Informationsstand voraus: über die jeweils dominanten wissenschaftlichen Paradigmen, Kernbegriffe und Moden, die Strategien wissenschaftlicher Konstruktion und Darstellung dessen, was ist.
Als Pierrre Boudieu in den 1960er-Jahren seinen Ansatz entfaltete, waren in der Literaturwissenschaft zwei Richtungen dominant: einerseits die immanente Literaturbetrachtung, die glaubte, in den Werken selber den Schlüssel ihrer Deutung zu finden, und eine etwas reduktionistische Literatursoziologie, die in den literarischen Werken den unmittelbaren Ausdruck einer sozialen Klasse sah. Das Verdienst von Bourdieus Feldtheorie erscheint dem Autor darin, dass Bourdieu aus dieser Aporie herausführte, den Autonomisierungsprozess der Literatur ernst nahm und trotzdem die Bedeutung des Kontextes nicht aus den Augen verlor.
»Medium«, so lesen wir im Vorwort des ‚Kursbuchs Medienkultur’, »heißt Mitte und Mittler, Vermittlung und Vermittler und appelliert an die Frage, wie die Rolle, die Tätigkeit und das Material dieses Dazwischen genauer beschaffen sei«. Damit ist die Frage »Was istein Medium?« offensichtlich an die Frage »Wie ist ein Medium?« gekoppelt. Was macht ein Medium in diesem Dazwischen? Wenn man der Ansicht zustimmt, dass es Medien in einem »substantiell und historisch stabilen Sinn« nicht gibt, da »[w]eder materielle Träger noch Symbolsysteme oder Techniken der Distribution« hinreichen, um den Begriff des Mediums zu explizieren, dann tritt an die Stelle einer substantiellen Antwort auf die Was-ist-ein-Medium-Frage eine Das-macht-das-Medium-These: die These nämlich, dass Medien das, was sie vermitteln, verarbeiten oder speichern, »unter Bedingungen stellen, die sie selbst schaffen und sind«. Medien sind, mit anderen Worten, Rahmenbedingungen, die konstitutiv auf das, was sie vermitteln, einwirken. Diese eigentümliche Dynamik der medialen Rahmung fasst die Mediologie im Ausgang von Regis Debrayals System Dispositiv – Träger – Prozeß: ein System, das die Verfahren der Übertragung determiniert; in die gleiche Richtung zielt Sybille Krämer, wenn sie feststellt, dass Medien »im Akt der Übertragung dasjenige, was sie übertragen, zugleich mitbedingen und prägen«.
Thiago Benites dos Santos: Inovação técnica e os media óticos em Kafka. ; Vítor Jochims Schneider: O olhar fotográfico e textual em Prosa do Observatório de Julio Cortázar. ; Márcia Lappe Alves: The question of point of view. ; Ana Lúcia Silva Paranhos: Le Désert Mauve de Nicole Brossard: Un Parcours dans l’univers de la traduccion littéraire. ; Daniel Iturvides Dutra: A literatura de ficção – científica e os problemas de tradução para a mídia fílmica. ; Larissa Rohde: Notes on Narayan’s Prose. ; Claudio Vescia Zanin: Abjection and Evil in ‘Haunted’. ; Fernanda Fernandes / Robert Ponge: Um breve estudo da intriga e de dois personagens de Roberto Zucco, peça de Bernard-Marie Koltès. ; Jaqueline Bohn Donada: ‘Romola’, by George Eliot, and its Conflicts. ; Maria Izabel V. Domingues: Literatura Escocesa e Literatura Brasileira: nacionalismo, regionalismo e algumas sutilezas. ; Vanessa Costa e Silva Schmitt/Robert Ponge: A medicina em ‘A Obra Em Negro’ de Marguerite Yourcenar: as diversas profissões da arte de curar no século XVI. ; Kelley B. Duarte: A escrita autoficcional e os percursos de memória em Régine Robin. ; Ivonne Mogendorff: ‘Andamios’ de Mario Benedetti – Memoria en las huellas del desexilio. ; Carlos Eduardo Meneghetti Scholles: Storytelling Coyotes: the Coyote Trickster Figure in Thomas King. ; Valter Henrique Fritsch: Apropriação do Discurso Mítico: Cassandra Profetisa a Pós-Modernidade. ; Érika Azevedo/Robert Ponge: André Breton e os primórdios do surrealismo. ; Monica Stefani: ‘You are what you read’: intertextual relations between Patrick White’s ‘The Solid Mandala’ and F. Dostoyevsky’s ‘The Brothers Karamazov’. ; Adriane Veras: A Reading of Sandra Cisneros’s ‘The House on Mango Street’. ; Lisanea Weber: Uma leitura sobre a escravidão no romance epistolar de Ina von Binzer.
Rezension zu Sabina Becker: Literatur- und Kulturwissenschaften. Ihre Methoden und Theorien. Reinbek b. Hamburg (Rowohlt) 2007 (=Rowohlt Enzyklopädie, Bd. 55686). 223 S.
Sabina Becker, Professorin für germanistische Literaturwissenschaft an der Universität Freiburg, hat mit diesem Buch eine kleine, aber feine Methoden-Enzyklopädie vorgelegt. Zwar kommt es zu Wiederholungen, wenn einzelne Methoden gegeneinander abgegrenzt werden, aber daraus ergibt sich der Vorteil, dass jeder Eintrag auch für sich gelesen werden kann. Die 19 Abschnitte des Buches reichen von Gadamers Hermeneutik bis Bourdieus Kultursoziologie, erschlossen werden kann es auch über ein Personen- und Sachregister.