BDSL-Klassifikation: 08.00.00 Hochmittelalter > 08.06.00 Zu einzelnen Autoren und Werken
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(...) [A]llein die Tatsache, daß die Überlieferung der kryptischen Anspielungen keine auffälligen Defizite aufweist, deutet darauf, daß sie nicht in ihrem Informationswert verstanden wurden (was auch außerhalb von Wolfram [von Eschenbachs] Heimat kaum möglich war), sondern in ihrem Funktionswert: als eigenwilliger verificatio-Topos, als Fenster zur ‚Mikro-Realität’. Neben den fiktionalen topischen Räumen der Artus- und Gralwelt, der Herbeizitierung des Orients aus anderen literarischen Gattungen steht also der konstruierte Raum einer ‚Autorwelt’. Um die ‚Fenster’-Technik des Erzählers in ihrer Funktion genau zu verstehen, (...) [wirft Volker Mertens] zunächst einen Blick auf die Tradition vergleichbarer Anspielungen. Sie sind dem deutschen arthurischen Roman fremd; (...) man findet sie jedoch bei Heinrich von Veldeke im ‚Eneasroman’ mit dem sog. ‚Stauferpartien’ im Fall der Auffindung des Pallas-Grabes durch Kaiser Friedrich (...) sowie mit dem Bezug des finalen Festes auf den Mainzer Hoftag Barbarossas im Jahre 1184 (...).
Fragmente eines Erzählens von Liebe : Die Konstruktion von Subjektivität bei Heinrich von Morungen
(2005)
[Volker Mertens] Untersuchungen knüpfen (...) [an die Einwände von Dagmar Hirschberg, Hans Irler und Arthur Groos] an, indem sie (...) Eigenart [der höfischen Literatur] als spezifische Variation traditioneller poetischer Verfahrenweisen deutet mit dem Ziel, Subjektivität zu inszenieren. Da dieses Vorgehen prinzipiell für den Minnesang gilt, (...) [wirft Volker Mertens] zunächst einen Blick auf die Tradition. Nach einer relativ offenen Phase des Experimentierens mit verschiedenen Liedtypen – Werbelied, Klagelied, Frauenlied, Wechsel u.a. – wird in der zweiten Phase mit der selektiven Übernahme okzitanischer Muster das minneanalytische Lied favorisiert.
Im Zentrum der folgenden Überlegungen stehen die (fiktionalen, idealen) Entwürfe von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ in der deutschen Literatur des Mittelalters im allgemeinen und speziell im Werk Ulrichs von Liechtenstein, die dort beobachtenden literarischen Konstruktionen von sozialen Rollen, aber auch von männlichen und weiblichen Körpern – und (...) das Spiel mit diesen Konstruktionen und ihrer Montage.
Das Lied MF 159,1 interessiert die Minnesang-Philologie vorrangig als einer der beiden Ausgangspunkte für Walthers Reinmar-Parodie L 111,23. (...) Doch weder (...) Abweichungen in der Strophenfolge noch die – zum Teil eklatanten – Unterschiede im Wortlaut vermochten das Interesse der Forschung recht zu wecken.
Im Zuge der systematischen Erfassung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtbücher Deutschlands werden durch die Mitarbeiter des DFG-Langfristvorhabens 'Index Librorum Civitatum' gelegentlich interessante Funde von makulierten Inkunabeln und Handschriften gemacht. [...] Im Stadtarchiv Heringen (Helme) befinden sich 66 Bände, die als "Rechnungen des Raths zu Heringen und Manuale über Einnahme und Ausgabe" bezeichnet werden und eine Laufzeit von 1600 bis 1764 aufweisen. [...] Zwischen den einzelnen Heften fanden sich immer wieder ältere Pergamentblätter, die als Einbände der ursprünglichen Einzelrechnungen gedient hatten. Zumeist handelte es sich dabei um liturgische Handschriften wie Hymnarien oder Gradualien. Im Band mit der Signatur XV. wurde jedoch ein hinter dem Buchblock liegendes, loses Pergamentblatt aufgefunden, das nicht mit einem lateinischen, sondern einem mittelhochdeutschen Text beschriftet war, wobei der Name Willehalm sofort ins Auge fiel. Eine anschließende Textbestimmung ergab, dass es sich bei dem aufgefundenen Fragment um eine Textpassage aus dem 'Rennewart' Ulrichs von Türheim handelte.
Unter der Signatur VI/273 befinden sich in der Stiftsbibliothek Kremsmünster acht Pergamentstreifen unterschiedlicher Breite (...) und unregelmäßiger Länge (...). Es handelt sich um die Reste von zwei Pergamentdoppelblättern (...). Die Schrift gehört wohl noch dem 12. Jahrhundert an, sie macht jedenfalls einen altertümlicheren Eindruck als die der Göttinger Bruchstücke, der bisher ältesten Überlieferung des Lucidarius (...). Inhaltlich erweist sich die vorliegende Textpartie zugehörig zum 3. Buch des Lucidarius (...).
Die Nibelungenparodie, die, soweit uns bekannt ist, zuvor noch nicht publiziert wurde, ist in mehrfacher Hinsicht von besonderem Interesse: zum einen als ein literarisches Debüt einer weiblichen Autorin und angehenden jungen Wissenschaftlerin Ende der zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, zum anderen als interessantes und aufschlussreiches Zeitzeugnis. So finden sich an mehreren Stellen Anzeichen einer Ironisierung des heroischen Männlichkeitsideals der Nibelungen und einer Entlarvung des germanischen Heldentums, parodistische Akzente, die zur aufkommenden Rassenideologie um 1930 markant quer liegen. Zugleich werden in augenzwinkernder Kontaktaufnahme mit dem Zuschauer bzw. Leser Elemente aus dem damaligen studentischen Leben wie der Besuch des Kleist-Seminars oder die beliebte Freizeitgestaltung mit Paddelbootausflügen auf der Lahn integriert, die einen Einblick in das damalige studentische Leben bieten. Im Text fungieren sie zudem als humoristische anachronistische Momente, die immer wieder zum Schmunzeln verführen. Darüber hinaus erweist sich die Nibelungenparodie als ein dichtes intertextuelles Gewebe mit zahlreichen Anspielungen, versteckten intertextuellen Referenzen und wörtlichen Zitaten aus den Opern Richard Wagners sowie Werken von Heinrich von Kleist, Adelbert von Chamisso und anderen Vertretern der klassisch-romantischen Tradition.
Die Paradoxie mystischer Lehre im ›St. Trudperter Hohenlied‹ und im ›Fließenden Licht der Gottheit‹
(2009)
Wenn Werke der mittelalterlichen volkssprachigen Mystik in Literaturgeschichten behandelt werden, so scheint oft die Wahl zwischen zwei Zugangswegen. Verbreitet ist, vor allem wenn es um Werke schreibender Frauen geht, eine autobiographische Lesart, bei der das sprechende Ich umstandslos mit der Autorin identifiziert wird. So entstand der Begriff der ‘Erlebnismystik’, in der literarische Zeugnisse unmittelbar als Bericht aus dem Leben gelesen wurden, einem Leben, das dann oft pathologisiert wurde.[…] Im Rahmen solch autobiographischer Authentizität scheint ein Anspruch auf Lehre, die ja gerade die interpersonale Übertragbarkeit von Regeln voraussetzt, unangemessen. Wenn man hingegen die literarische Konstruiertheit der Texte hervorhebt, […] gilt das Augenmerk vor allem der zentralen Paradoxie, an der sich diese Texte abarbeiten, nämlich der Versprachlichung des grundsätzlich die Sprache übersteigenden Augenblickes der unio. Wo die eine Richtung in Begriffen von ‘Erlebnis’ und ‘Erfahrung’ die biographische Echtheit der Texte beschwört, sieht die andere den besonderen Status der Texte gerade in ihrer Literarizität. Solche Elemente literarischer Konstruiertheit aber, die Werke geistlicher Literatur in die Nähe weltlich-fiktionaler Dichtung verschieben, erscheinen aus ganz anderer Perspektive ebenfalls unvereinbar mit Lehrhaftigkeit. Was beide Interpretationsweisen dabei in der Regel aus den Augen verlieren, ist der Aspekt des lehrhaften Sprechens […]. Beide von mir ausgewählten Beispiele sind deutlich der Didaxe verpflichtet und präsentieren sich als an ein Publikum gerichtet, das sie belehren möchten.
Gottfried von Straßburg gilt als gebildeter Autor, als Kleriker und meister, der in den septem artes, vielleicht auch darüber hinaus bewandert ist und sorgfältig eine Art intellektuellen Habitus als sein Markenzeichen kultiviert. Diese Signatur der Gelehrsamkeit manifestiert sich auch in der Gestaltung seines Protagonisten Tristan, denn statt der konventionellen adligen Ausbildung, in der man an einem fremden Hof durch konkrete Anschauung lernt, verfolgt Tristan ein intensives Bücherstudium, das schon bald Wirkung zeigt: […] [S]o wird das schickliche und anmutige Verhalten, das bei Gottfried mit der mittelhochdeutschen Formulierung die 'schoenen site' fast immer im Plural begegnet, zu einem Beschreibungskriterium, das der Erzähler ebenso wie die übrigen Figuren wiederholt auf den jungen Tristan anwendet: In der Begegnung mit den Kaufleuten und den Pilgern, am Markehof und bei der Schwertleite finden sich die 'schoenen site' als konstante Fügung und werden zum Signum des Protagonisten. Seine Sympathie stiftende höfische Exzellenz ist es auch, die den Spielmann Tantris als Lehrer für die junge Isolde qualifiziert. Im Folgenden soll ein zentraler Lehrinhalt dieses Unterrichts, nämlich die 'moraliteit', in ihrer Bedeutung als gesellige Erziehungslehre untersucht werden, bevor dann Konzeptionen einer ethischen Vermittlung durch Romanlektüre, wie sie der Prolog avisiert, zu thematisieren sind.