BDSL-Klassifikation: 08.00.00 Hochmittelalter > 08.06.00 Zu einzelnen Autoren und Werken
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"Biographisierung" in der spätmittelalterlichen Lyrik : Dante - Hadloub - Oswald von Wolkenstein
(1998)
(...) [Volker Mertens] These ist, daß ‚Biographisierung’ in der Liedeslyrik mit dem Spannungsfeld von mündlicher und schriftlicher Existenz der Lieder zu tun hat, daß der Verlust an sinnlicher Präsenz und körperlicher Beglaubigung durch den Sänger, den die schriftliche Tradierung bedeutet, durch ‚Biographisierung’ kompensiert werden soll. (...) [Mertens sucht] diese These durch die Betrachtung dreier Fälle zu belegen: Dantes Jugenddichtung ‚Vita nova’, das lyrische Werk Johannes Hadloubs, wie es die Manessische Handschrift überliefert, und die Ehelieder Oswalds von Wolkenstein.
Die Liebeslyrik hatte ihre Authentizität in der Performanz, der Sänger, der von Liebe sang, lieber im Augenblick seines Vortrags und faszinierte, überzeugte damit. Einer biographischen Kontinuität bedarf es erst dann, wenn kein Sänger-Ich, kein Körper, keine Stimme, die Liebe mehr beglaubigt. So scheint mir Ulrich [von Liechtensteins] Werk der Übergang von der primär aufführungsbezogenen Existenzform der Lyrik zum schriftkonservierten Lied zu markieren. (…) [E]ntweder wurde der öffentliche Vortrag schon zu dieser Zeit obsolet oder Ulrich konnte dies deutlich voraussehen und wollte seinen Nachkommen (…) den 'Frauendienst' als Memoria [hinterlassen]. Für den Nichtadligen [Johannes] Hadloub gab es eine solche Motivation (…) anscheinend nicht. Er reagierte (…) durch das Verschwinden des Sängers, indem er seine Dichterliebe episch in seine Liebesdichtung integrierte. (…) Dazu erfand Hadloub das neue Genre der 'Romanzen' (…).
(...) [Jens Hausteins] folgende(n) Überlegungen haben ihre spezifische Gestalt durch die Beschäftigung mit Grundannahmen der New Philology gefunden, in erster Linie der Forderung nach einer Historisierung philologischer Grundkategorien (...) wie auch der , den Literaturbegriff deutlicher an der Tatsache zu orientieren, daß die Literatur des Mittelalters in einer manuscript culture entstanden. [Die Jens Haustein] beschäftigende Frage ist, welche Bedeutung das Insistieren auf dieser Tatsache für die Literaturgeschichtsschreibung haben könnte. Wie jede auf eine Handschriftenkultur bezogene Geschichtsschreibung diachron, d.h. sie abstrahiert aus dem in aller Regel später Überlieferten einen Geschichtsverlauf, ordnet das Überlieferte früheren Phasen zu, dem Zeitpunkt der mutmaßlichen oder tatsächlichen Entstehung. Ein solches 'methodisches Konzept' ist notwendig, wenn das Überlieferte in eine Ordnung gebracht sein soll, in der es Nachfolgendem präduliert oder Vorangegangenes fortentwickelt, wenn überhaupt das Prozeßhafte in der Literatur deutlich werden soll.
Die „epische Erzählung“ hat also prinzipiell drei Funktionen: die Exposition der Voraussetzungen, die Motivation der Handlung und die Charakterisierung der Rolle des Erzählenden.
Unter diesen Prämissen (…) [wirft Volker Mertens] einen Blick auf Hagens Erzählung von Jungsiegfrieds Taten in „Nibelungenlied“: Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Dichter des „Nibelungenliedes“ ein anderes Verhältnis zur Stofftradition und andere Vorstellungen von Stimmigkeit und Kohärenz eines Werkes hatte Wagner, andererseits schuf auch dieser nicht im traditionsleeren Raum, das ‚Drachentöter-Image’ beispielsweise war beiden Siegfried-Gestaltungen bereits vorgegeben. (…)
Literarische Fiktion beim Wort genommen ist in den zitierten Fällen eine geläufige Technik, um Komik zu erzeugen, wobei hier diese Wirkung doch nur dann eintritt, wenn z.B. die Werbungssituation als im Minnelied präsent empfunden, sie weder als Allegorie für den Bewußtseinsstand einer Aufsteigerschicht (...) verstanden wird, (...) noch als gesellschaftliches Verhaltens – „Programm“, das durch den Mitvollzug des Liebesliedes durch das Publikum in der Aufführung eingeübt wird.
[Volker Mertens nimmt] (...) zwei jüngere Arbeiten zum Minnesang, die sich mit eben diesen Problemen auseinandersetzen, zum Anlaß, die Frage nach Thematik und Pragmatik der mittelhochdeutschen Lyrik zunächst grundsätzlich zu diskutieren und sie dann an drei Liedern Walthers von der Vogelweide (11ß,24; 53,25; 74,20) als interpretatorisches Instrument zu benutzen.
Wir können also die im Text des „Rolandsliedes“ genannten Namen auf historisch greifbare Personen beziehen: auf Heinrich, den mächtigsten Territorialfürsten der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, und auf einen seiner lateinisch gebildeten Hofbeamten, der dem Herzog in der Kanzlei, in der geistlichen und weltlichen Verwaltung diente. Daß ein Fürst volkssprachliche Literatur „in Auftrag gab“, ist zu keiner Zeit im deutschen Reich etwas Neues, noch keinesfalls weithin üblich – vorangegangen waren allenfalls westliche Adelsfamilien wie die Grafen von Loon (Brabant), für die Heinrich von Veldeke tätig war, während im Auftrag eines rheinischen Adelsgeschlechts schon vor dem „Rolandslied“ der „Alexander“ des Pfaffen Lamprecht entstand. (...) Der Welfenhof gehörte (...) zu den Vorreitern bei der kulturell-politisch bedeutsamen Förderung volkssprachlicher Dichtung, und nicht zufällig nennt Konrad hier neben seinem Herrn auch dessen Gemahlin Mathilde: Ihr war aufgrund ihrer Herkunft vom angevinischen Hof die Pflege von Literatur vertraut, und sie „besorgte“ die Vorlage, die „Chanson de Roland“, die sie wahrscheinlich sich und ihrer französischsprachigen Umgebung „vorgetragen“ und dann für den gesamten Hof übersetzen ließ.
[Franz Josef] Worstbrocks Artikel mit seinen Argumenten für einen Hiltbold zwischen 1190 und 1210 war der Aufgangspunkt für (...) [Volker Mertens], Hiltbolds Oeuvre erneut zu untersuchen, seine Eigenart zu erfassen und – vielleicht – zu einer Entscheidung in der strittigen Datierungsfrage zu kommen, zumindest aber, die Valenz der Worstbrockschen Begründungen zu überprüfen.
Das Lied MF 159,1 interessiert die Minnesang-Philologie vorrangig als einer der beiden Ausgangspunkte für Walthers Reinmar-Parodie L 111,23. (...) Doch weder (...) Abweichungen in der Strophenfolge noch die – zum Teil eklatanten – Unterschiede im Wortlaut vermochten das Interesse der Forschung recht zu wecken.
Die Gralsthematik ist bei Wolfram, auch was die Geschichte des Grals angeht, wesentlich weiter ausgeführt als bei Chrétien: die Notwendigkeit einer Vorgeschichte, wie sie Robert de Boron wohl für Chrétien bieten will (...), war bei ihm daher nicht gegeben. Vergleichbares gilt für die Geschichte der Elterngeneration, die bei Wolfram (...) ebenfalls ausführlich berichtet ist.
[Volker Mertens greift] (…) auf die von Rainer Warning formulierte „doppelte Rollenhaftigkeit“ des lyrischen Ichs zurück (…), [die er] Performanz-Ich und Text-Ich (…) [nennt]. (…) Beide Ichs stehen in Spannung zum (biographischen)Autor (…), wobei seine Nähe zum Performanz-Ich dann besonders groß ist, wenn er selbst als Sänger seiner eigenen Lieder auftritt. Der Autor ist in hohem Maße sozial eingebunden, das Performanz-Ich fügt sich in eigene Traditionen und Konventionen, besitzt aber weitgehende Lizenzen im Vergleich zur sozialen Realität; am freiesten von äußeren Bedingungen ist das Text-Ich. Ein Beispiel aus Walthers Minnesang kann das verdeutlichen (…).