BDSL-Klassifikation: 12.00.00 18. Jahrhundert > 12.03.00 Geistes- und Kulturgeschichte
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Am 6. August 1806 ließ der letzte erwählte Römische Kaiser, Franz II., in Wien die staatsrechtliche Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verkünden. Am 7. August 1806 schreibt Goethe auf der Rückreise von Karlsbad in sein Tagebuch, der „Zwiespalt des Bedienten und Kutschers auf dem Bocke“ habe die Reisegesellschaft „mehr in Leidenschaft versetzt als die Spaltung des Römischen Reichs“. Dieser Satz wird in nahezu allen Darstellung, die das Ende des Alten Reiches berühren, zitiert. Nimmt man den Satz ernst, drängt sich die Vermutung auf, daß das Reich für die deutschen Intellektuellen, zumindest aber für Goethe keine besondere Bedeutung mehr gehabt hat.
Strenger als im 19. Jahrhundert hat die Kleidung die Geschlechter nie geteilt. Nicht nur zogen sich Männer und Frauen extrem verschieden an; verschieden war vor allem auch das Verhältnis der Kleidung zum Geschlecht. Männlich heißt das unmarkierte Geschlecht, weiblich dagegen heißt die markierte Geschlechtlichkeit. ,Sein' ewig unauffällig dunkler Anzug gibt den idealen matten Grund, auf dem ,sie' durch das Leuchten der Seiden, den Glanz der Juwelen, den Schimmer der nackten Haut und das Elfenbein des Dekolletes erst richtig zur Wirkung kommt. [...] Im bürgerlichen Zeitalter finden wir uns, was das Verhältnis der Geschlechter zueinander angeht, wenn nicht in einem neuen, so doch radikalisierten Zustand. Die gesellschaftskonstituierende Grenze verläuft nicht mehr zwischen adelig und nicht-adelig, sondern zwischen weiblich und männlich. Die Opposition weiblich/männlich wird aber von einer zweiten Opposition gedoppelt, der von adelig und bürgerlich, wobei adelig zu einer Metapher für scheinhafte Macht geworden ist. Die für uns wichtigste, dritte Opposition ist die von eigentlich/männlich/bürgerlich versus uneigentlich/weiblich/rhetorisch.
This paper addresses an event which started to be perceived and conceived of a long time ago. A change emerged in the 18th century which resulted in the focus of attention being directed onto the interrelationship of past, present and future within the history of European thinking. From this point on, the sciences were also provided with a past characterized by its inaccessibility, and a future characterized by its openness for things to come. From this time on, it was the present that served as a reference point for everything retrieved from the past and everything anticipated from the future - things in the present were thought to have originated in the past and were expected to point forward to the future. My presentation visits this experience as a dilemma in the decades that preceded and then witnessed its emergence, within the context of contemporary natural history and anthropology. In particular the paper will focus on those writings by Johann Gottfried Herder in which specific narratives mediate the problem of a creation which has fust come to its closure while at the same time still being in process; of a progress which is not developmental; of an event which is still suspended in its temporality. The anamnesis ofthe history of science is not for its own sake: the movements preceding the birth of the modern sciences provide important lessons for the process of their present day revision.
Die von [einer] Flugschrift ausgelöste öffentliche Diskussion belegt, daß die Zeit seit Beginn des Siebenjährigen Krieges, ab 1756, von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des deutschen Nationalbewußtseins war. Diese These wendet sich gegen die übliche Datierung dieses Vorganges in die Zeit der Revolutions- und Befreiungs-kriege von 1792 bis 1815 sowie gegen die These, die Entwicklung der „Idee eines deutschen Nationalstaates“ sei erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts, im Kontext der Märzrevolution von 1848/49 zu beobachten. Es wird sich zeigen, daß die Entwicklung eines deutschen nationalen Bewußtseins im modernen Sinne in einen gesamteuropäischen Diskurs eingebettet und insbesondere von Schweizer Vorbildern beeinflußt war. Darüber hinaus war es insbesondere der kaiserliche Hof in Wien, der das Entstehen eines gesamtdeutschen Nationalbewußtseins förderte.
Ausdruck kann in seiner Gegebenheitsweise als äußere Erscheinung, als Performanz nicht ohne die Beziehung auf ein mögliches Subjekt gedacht werden, dem der Ausdruck als Ausdruck erscheint, und zwar vermittels des Eindrucks, den er auf es macht. Doch nicht nur auf seinen Adressaten bzw. Rezipienten wird der Ausdruck bezogen, sondern auch auf seine Herkunft, seine verursachende Instanz, sei es ein individuelles Subjekt oder eine komplexe Situation. Dabei ist es für die Analyse der Erscheinung von Ausdruck entscheidend, dass der Konstituierung des Ausgedrückten nicht nur subjektive und objektive, sondern auch intersubjektive, vermittelnde, mediale Bedingungen zugrunde liegen, wie sich in der historischen Bestimmtheit von Ausdrucksphänomenen, in ihrer epochen-, kultur- und medienspezifischen Ausprägung zeigt. Besonders deutlich wird dies in geschichtlichen Umbruchphasen, wenn die Rahmenvorgaben sozialer, sprachlicher, technologischer Art sich wandeln und neue Standards des Wissens und Handelns setzen. Deshalb stellen sich mit dem Ausdrucksverstehen nicht nur Deutungsfragen, die sich um das Verständnis einzelner gegebener Ausdrücke bemühen; vielmehr müssen die sich wandelnden Bedingungen von Ausdruckskonstitution und –rezeption eigens in den Blick genommen werden, um das veränderte Verständnis von Ausdrucksphänomenen und das mit ihnen entsprechend sich ändernde gesellschaftliche und individuelle Verhalten zu analysieren.
Anhand von fünf Schritten sei dieser Zusammenhang [...] entfaltet. Zunächst werden medien- und begriffsgeschichtliche Umbrüche in Bezug auf das Verständnis von 'Ausdruck' skizziert, um dann in wissenssoziologischer Perspektive 'Ausdruck' als stillschweigend vorausgesetztes Konstituens des Sozialen zu erläutern. In welcher Weise 'Ausdruck' als immer auch medial bestimmte Kategorie der Geistesgeschichte (mit Blumenberg über Leibniz) konzipiert wurde, führt schließlich zur wissensgeschichtlichen Verortung des Lessingschen Ausdrucksbegriffs sowie zur Diskussion der Ausdrucksmöglichkeiten von Kunstgattungen, wie Lessings Laokoon sie in ihrer Medienspezifik begreifbar macht.
Wilhelm von Humboldt leistet zweierlei: I. Er überträgt die Grundfigur des Klassizismus, das Eigene am Fremden zu verstehen, vom Altertum auf die modernen europäischen Nationen mit Hilfe seines Konzepts einer vergleichenden Anthropologie. 2. Er stellt die anthropologisch und geschichtsdiagnostisch zugleich intressierte Frage nach dem Potential, den Voraussetzungen, Bedingungen und Grenzen einer Nation, sich Fremdes aufzuschließen und anzuverwandeln. Damit gelang ihm gegenüber der dem Nationalgeist huldigenden Romantik zwar kein breitenwirksamer, aber ein für die deutsche Klassik richtungweisender Beitrag zur kulturellen Identitätsfindung. Er sollte bis in Goethes Weltliteraturvorstellung fortwirken.
Der Diskurs über die Freundschaft ist im 18. Jahrhundert auf engste verbunden mit dem Diskurs über die Geselligkeit. Diese Debatte wird in fast allen gängigen Textsorten aufklärerischer Prosa geführt: in Traktaten, Briefen, Erzählungen und vor allem in den Beiträgen der überaus beliebten Moralischen Wochenschriften. [...] In den Begriffen Freundschaft und Geselligkeit kristallisieren sich philosophische und sozialethische Leitvorstellungen des 18. Jahrhunderts, die so prägend für das Profil dieser Epoche sind, daß man mit einiger Berechtigung sowohl von einem Saeculum der Freundschaft als auch dem geselligen Jahrhundert gesprochen hat.
Im Folgenden sollen [...] diskursive[] Wechselwirkungen zwischen Schauspieltheorie und Medizin in den Blick genommen werden – und zwar auf zweifache Weise: zum einen, indem schauspieltheoretische und medizinische Auffassungen über die Symptomatik extremer Affekte bzw. pathologischer Leidenschaften zueinander in Beziehung gesetzt werden, zum anderen, indem die Bildlichkeit dieser leidenschaftlichen und leidenden Körper selbst herangezogen wird. Zwischen beiden Wissensfeldern vermittelt der Begriff der 'Figur', der nicht primär als Redefigur, sondern vielmehr unter Berufung auf Roland Barthes "im gymnastischen oder choreographischen" Sinne als Figuration des bewegten Körpers, gewissermaßen als 'Bewegungsmelder' des Diskurses selbst verstanden werden soll: "Die Figuren heben sich nach Maßgabe dessen ab, was sich, im Zuge des Diskurses, daran als Gelesenes, Gehörtes, Erlebtes wieder erkennen lässt. Die Figur ist eingekreist wie ein Zeichen) und erinnerbar (wie ein Bild oder eine Geschichte)." In solchen Abhebungen, Einkreisungen und Erinnerungen des Körpers im Rausch des Affekts wie im Wahnsinn der Leidenschaft begegnen sich Schauspieltheorie und Medizin um 1800. Von ihnen wird als Figuren des Ausdrucks zu sprechen sein.